Veranwortung und die starken Männer

Veranwortung und die starken Männer

Zeitungsfunde: Töten ist ok, Rasen auch, Flüchtlinge verrecken lassen sowieso. "Steht zu eurer Verantwortung, redet euch nicht auf Gesinnung aus!", fordern markige Kommentatoren. Und entfachen damit vollkommen nutzlose Nebeldebatten.

Man weiß schließlich, was zu tun ist. Zweifel, Anerkennung für eine andere Position, das ist etwas für Schwächlinge, die sich nicht entschließen können und die nicht für ihre Taten geradestehen können. – Gerade in den vergangenen Wochen wettern wieder Konservative und Rechte gegen unschlüssige Schlafwandler, die Entschluss- und Tatkraft vermissen lassen, die noch immer über Ideen, Werte und Ziele reden, wo doch gehandelt werden müsse.

Christian Ortner doziert in der Presse im Vorbeigehen über die Legitimität des Tötens. Die Ermordung eines iranischen Atomphysikers sei legitim und ein Zeichen von Entschlossenheit und Verantwortung. Eigenschaften, die er in einem Europa, das sich immer auf seine Gesinnung herausrede, vermisse.

Welt-Journalist Ulf Poschardt fabuliert auf Twitter von einem deutschen Gesinnungsidealismus, der mit “der Freiheit, der Würde und der Poesie des Individuums” nichts anzufangen wisse. Das ist nicht ganz verständlich, aber es geht um mögliche Tempolimits auf deutschen Autobahnen.

Und die österreichische Regierung weigert sich, auch nur irgendwelche sinnvollen Maßnahmen zur dramatischen Lage der Geflüchteten in Moria zu beschließen, weil man ja nicht alle retten könne. Das wäre verantwortungslos den anderen gegenüber und außerdem gibt es genug andere Probleme auf der Welt. Die Chefin der Parteiakademie der ÖVP unterstreicht das noch mit einem Zeitungskommentar, in dem sie – erraten – einmal mehr Verantwortungsethik strapaziert. Wer ein Problem nicht ganz lösen könne, der löse es gar nicht, weshalb es also moralisch verwerflich sei, einem Kontingent von Menschen zu helfen.

Verantwortung ist etwas für entschlossen Handelnde – oder etwa nicht?

Alle wollen etwas verantworten. Verantwortung stellen sie einer Gesinnung gegenüber und greifen damit auf ein Konzept zurück, das auch schon über hundert Jahre alt ist. Max Weber stellte 1919 in einem Vortrag eine Gesinnungsethik, die auf die Gründe des Handelns abzielt, einer Verantwortungsethik, die auf die Folgen von Handeln abzielt, gegenüber. Man kann also ein- und dieselbe Handlung sehr unterschiedlich bewerten. Ein häufiges Missverständnis ist, dass man mit der rechten Gesinnung gar nicht mehr zu handeln bräuchte, um gut zu sein.

Das wirft nun schon einige Schwierigkeiten auf, denn wie nur könnte man nicht handeln? Jede Unterlassung ist auch eine Handlung, auch das Nichtstun hat Folgen, für die Verantwortung stehen kann. Relevanter ist aber die Frage, warum manche so viel mehr Wert auf die scheinbar aktivere und stärkere Position des verantwortlich Handelnden legen wollen. 

Verlockend sind natürlich klare Kausalketten: Ein Kanzler, der Wert auf einfache Bilder legt, mit denen sich Zusammenhänge unterstellen lassen (“Ich habe die Balkanroute geschlossen”), hat kein Interesse an Handlungen, die sich nicht als auf seine Entschlossenheit zurückgehende Problemlösung darstellen lassen.

Der autobegeisterte Journalist übernimmt gern die Verantwortung für sich und fährt nur bei guten Straßenverhältnissen schneller als 200 Stundenkilometer. Wenn er dabei draufgeht, war es ein männliches Ende. Wenn das andere Autofahrende mit weniger PS im Motor beim Überholen von dahintuckernden Lastwagen gefährdet, dann ist das Zeichen für deren schlechte Gesinnung – denn Autofahren wollen sie ja trotzdem, aber sie wollen nicht mit den Konsequenzen leben.

Und natürlich ist es verlockend, mit einer gezielten Attacke das Heranwachsen einer weiteren gefährlichen Atommacht zu verhindern und ein Menschenleben zu opfern, um damit viele zu retten. Aber in welcher Weltsicht gelingt das?

Klare Verantwortung, am besten in eindimensionalen Weltbildern

All diese Szenarien sind Ausdruck eines linearen Weltbilds, in dem klare Ursachen klare Folgen nach sich ziehen. Das grenzt Verantwortung gut ab. Ein Held kämpft mit einem anderen Helden, the winner takes it all. Atomphysiker tot, Problem gelöst. 

Jetzt mag, um bei diesem Beispiel zu bleiben, der getötete Wissenschaftler eine Koryphäe auf seinem Gebiet gewesen sein – aber nicht der Erfinder der Nukleartechnologie. Wissenschaft wird auch nicht mehr in Form von oralen Überlieferungen in Geheimbünden am Lagerfeuer vermittelt. Soll also wirklich das Rüstungsprogramm  eines ganzen Staats an einem einzigen Wissenschaftler hängen? Der Iran kündigt etwas anderes an. Welche Konsequenzen sind  es denn, für die ein Mordkommando die Verantwortung übernehmen kann? Wurden Spannungen beseitigt, Konfliktrisiken gesenkt? Werden sich internationale Beziehungen verbessern? Auch hier kündigt sich anderes an.

Für welche Konsequenzen kann also der entschlossen handelnde Held Verantwortung übernehmen? Mit welchen nachhaltigen Effekten, die er folgenden Generationen überlässt, unterscheidet er sich vom zaudernden Gesinnungsmoralisten?

Diese Behauptung, entschlossen Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen, macht nur für denjenigen Sinn, der sich sicher ist, die Geschichte in seinem Sinn erzählen zu können. Daraus könnte man nun eine Geschichte von Macht und Kontrolle entwickeln: Die entschlossen Handelnden sind eben jene, die die Welt gestalten, die Fakten schaffen, Vorbildwirkung zeigen, für andere die Kartoffeln aus dem Feuer holen usw.

Viel wahrscheinlicher ist aber eine Geschichte eines erstaunlich einfachen Weltbilds, das Geschichte als klare Reihenfolge von Ursache und Wirkung sieht, alle anderen außer einem selbst als einfache Reiz-Reaktions-Maschinen, und das alle anderen Ergebnisse als vorübergehende Abweichungen, als beiläufige Anomalien auf dem Weg zum großen Ganzen betrachtet.

Nicht umsonst sehen sich diese Akteure ja gern im Geist der Aufklärung, als Vernünftige, die nicht von irrationalen Wunschvorstellungen geblendet wurden, sondern dem Weltgeist nüchtern ins Auge sehen.

In der übervollen Rumpelkammer des Vorausgesetzten

Man kann das alles machen. Man kann Politmorde und Autobahnraserei befürworten, man kann – muss vielleicht sogar – funktional einfache und zielorientierte Weltbilder schaffen, um Pläne machen zu können.

Nur sind die hier ins Feld geführten Argumente grundfalsch. Dabei wirken sie so überzeugend und bewegend. Als würde jemand an die Gesinnung seiner Leserschaft appellieren. Als möchte jemand gern an Bildern von tatkräftigen Helden, von der Kraft des Einzelnen festhalten. Als hänge jemand einfachen Weltbildern nach, in denen jede Ambiguität ausgeräumt ist.

Man kann auch das Leid von Menschen gegeneinander aufwiegen, sich lieber um „die eigenen“ kümmern, keine Zeichen setzen, die Ungerechtigkeit punktueller Hilfe betonen. Schlüssig ist das aber nur, wenn wir klare Grenzen zwischen uns und denen ziehen können und wenn wir uns selbst davon überzeugen können, dass wir für Probleme, die wir nicht zur Gänze lösen können, auch nicht zum Teil verantwortlich sind. Das pervertiert den Verantwortungsgedanken allerdings deutlich.

Klingt das nach Ideologie? Das würden die vermeintlich scharfsinnigen Analytiker wohl entrüstet von sich weisen.

Dabei wird die Rumpelkammer des Ungesagten, aber Vorausgesetzten immer voller. Jede glatte, einfach und schlüssig klingende Behauptung verschiebt ihre Grundlagen in diese Rumpelkammer, um funktionieren zu können. Das ist ok. Aber es ist eine Verschwendung von Zeit, Aufmerksamkeit und Problemlösungskompetenz, wenn damit Scheingegner (diese Gesinnungsmenschen) bekämpft werden, wenn Schattenboxkämpfe und Affentänze vollführt werden, um den Plan der eigenen Großartigkeit weiterzuverfolgen.

Wahrscheinlich würde die Betroffenen einwenden, sie wollten das gar nicht. Sie sagten ja nichts, sie analysierten ja nur. Aber die, die auf ihre Gesinnung pochen – ja das sind ganz üble Schreibtischtäter.

Wir stecken in einer Krise des Erklärens und Analysierens. Solche scheinbare Gegenpositionen einnehmenden Scheindebatten, die von scheinbarer Entrüstung auf beiden Seiten leben,  sind dabei besonders tragische Charaktere in diesem Trauerspiel.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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