25 Jahre danach: Zurück an der Universität

25 Jahre danach: Zurück an der Universität

Studieren: Es gibt Klopapier und klare Regeln, fast alle haben zwei Vornamen und niemand mehr heißt Michael.

Ich hab jetzt mein erstes Uni-Semester nach 25 Jahren hinter mir; das erste von (mindestens) vier Semestern im Master History and Philosophy of Science ist erledigt. Kaum etwas macht deutlicher, dass man doch ein wenig älter geworden ist …

Warum studiere ich überhaupt? Es sind zwei wesentliche Gründe. Der eine ist recht einfach: Ich habe Lust darauf – In den vergangenen 25 Jahren habe ich mich zwar immer mit Philosophie und Ideengeschichte beschäftigt, aber ich bin neugierig auf die neueste Forschung und darauf, auch mal wieder systematisch wissenschaftlich zu arbeiten. Der andere ist eher sportlicher Natur: Ich habe zwei jeweils zu zwei Dritteln fertige Philosophie-Dissertationen liegen lassen, die erste, weil ich mit dem Betreuer nicht einer Meinung war (rückblickend: Ich hatte recht. Aber ich hätte präziser formulieren können.), die zweite (zehn Jahre später), weil ich damals das unsäglich laissez-faire, nicht eingehaltene Termine und die generelle Wurschtigkeit an der Universität nicht so toll fand.

Daran hat sich jetzt ziemlich viel geändert.

Am Auffälligsten: Es gibt Klopapier. In dern 90er Jahren musste man es sehr gut timen, wenn man mal musste, um wenigstens bei einem der Würstl-Buffets noch rechtzeitig vorher eine Serviette zu ergattern. Auch abgesehen von den Toiletten waren die Universitätsgebäude ziemlich rustikal: Man rauchte auf den Gängen, saß in der Regel auf dem Fußboden oder verbrachte die Zeit zwischen Vorlesungen irgendwo auf Stiegen sitzend und lesend. Die Wände waren mit Plakaten zugepflastert und man konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass Universitätsgebäude jemals renoviert würden.
Heute strahlen Universitätsgebäude,  die Gänge sind aufgeräumt, Plakate und Aushänge sind in Schaukästen zurückgedrängt.

Auch inhaltlich ist einiges anders: In den 90ern waren Studierende eher Störfaktoren. Kontakt zu Lehrenden gab es allenfalls nach Vereinbarung während der Sprechstunden, aber auch dann nur, wenn diese Lust hatten. Forschungsseminare bestanden meist darin, einen Text kapitelweise durcharbeiten zu lassen – das war ziemlich effizient für die Lehrenden, die sich keine Gedanken über neue Literatur machen mussten. Zu Anfang des Semesters waren die Räume überfüllt, gegen Ende saß man oft, wenn überhaupt, zu dritt da. Die potenzielle Nähe sorgte aber auch eher für Unwohlsein – sollte man jetzt wirklich miteinander reden?

Ein generelles Aufnahmestopp für wissenschaftliches Personal sorgte zusätzlich dafür, dass Studierende für Lehrende egal und uninteressant waren und Studierende sich auch keine Gedanken über eine wissenschaftliche Zukunft machen mussten. Bezahlte Doktorandenstellen und ähnliches kannte man allenfalls als Gerüchte von fremden Eliteuniversitäten.

Heute gibt es Obergrenzen für Studierendenzahlen in einzelnen Lehrveranstaltungen, Aufnahme- und Anmeldeverfahren, Anwesenheitspflichten – und Lehrende müssen Interesse daran zeigen, Studierende in ihre Veranstaltungen zu kriegen und dort zu behalten. Sie drängen auf Mitarbeit, stellen aufwendige Literatur zusammen und beharren darauf, ebenfalls bewertet zu werden.

Verschulung, Leistungsdruck und “neoliberale” EInflüsse werden oft beklagt – aber die Qualität der Lehre ist in astronomischen Ausmaßen gestiegen. Natürlich sind  auch die Anforderungen deutlich höher: vor 25 Jahren hielt man in einem Seminar eine Präsentation und fasste die vielleicht noch in einem kurzen Paper zusammen. Heute ist es üblich jede Woche einen Text lesen und ein kurzes Paper schreiben zu müssen, dazu kommen dann noch Präsentation und eigentliche Arbeit.

Wenn man vor 25 Jahren eher minimalistisch unterwegs war, hätte man vermutlich mit dem, was man heute in einem Semester lesen und bearbeiten muss, damals den ganzen ersten Abschnitt eines Diplomstudiums erledigen können.

Und sogar die Technik funktioniert: Literatur steht zum Download bereit, Videovorlesungen und -konferenzen klappen, sogart Diskussionen sind möglich. Ein wenig eindimensional sind sie – unter Studierenden kommt man online kaum zum Reden, man redet eher mit den Vortragenden.

Nur die Open Book-Tests, also schriftliche Onlineprüfungen, bei denen man Mitschriften oder Literatur verwenden darf, sind wohl für alle Seiten noch recht neu. Der Versuch, Fragen zu stellen, die auf Verständnis abzielen, nicht mit einfachem Abschreiben beantwortbar sind, aber doch konkretes Wissen abprüfen, führt mitunter zu eigenartigen Blüten (zum Beispiel: “Welche Prozesse im Lauf der Geschichte der letzten 1000 bis 2000 Jahre haben die Persönlichkeitsstruktur und den Umgang mit dem Körper geprägt? Skizzieren Sie zumindest zwei Ansätze zur Erforschung dieser Prozesse.” – Als eine von drei innerhalb einer Stunde sinnvoll zu beantwortenden Fragen ist das doch recht lose formuliert … ).

Einige Seniorstudenten gibt es trotzdem noch; ich bin nicht überall der Älteste. Manche Seniorstudenten reduzieren ihre Diskussionsbeiträge darauf, irgendwelche eher zusammenhanglosen Zitate oder Jahreszahlen zu droppen oder zu kommentieren, wenn sie eigentlich Fragen stellen sollten. Ich hoffe, ich bin nicht so, und ich möchte den Jüngeren gern sagen: Lasst euch von so was nicht beeindrucken. Die Leute haben mehr gelesen und wissen vielleicht mehr als ihr mit Anfang zwanzig, aber sie wissen offenbar wenig damit anzufangen.

Das gilt auch für die Einstellung gegenüber den Lehrenden: Nicht jeder 70jährige Emeritus, der beim Vortrag den Faden verliert, ist ein Genie. Oft sind es Leute, die seit 30 Jahren das gleiche erzählen und so tief im immer gleichen Gedankengang drin sind,  dass sie beim Reden gar nicht mehr wissen, was sie eigentlich gerade sagen. Das ist auf der einen Seite toll, auf der anderen Seite darf durchaus die Frage gestellt werden, wie relevant diese Art von Wissen noch ist und ob man sich diesen Fragestellungen nicht auch einmal anders nähern kann.

Gerade wenn es darum geht, neue Texte zu diskutieren, macht sich das Alter durchaus bemerkbar: Irgendeinen Ansatzpunkt findet man immer, man hat auch weniger Scheu, Dinge nicht zu verstehen (und darüber zu reden) oder auf der anderen Seite zu kritisieren. Bei den Jüngeren glaube ich aber auch – ich weiß, dünnes Eis – eine neue Strategie festgestellt zu haben: Wenn einem zu einem Text gar nichts einfällt, man aber gerade etwas sagen muss, dann ist es eine sehr sichere Bank, einfach zu sagen: “Es ist schon eine recht eurozentristische Perspektive und die Genderthematik ist auch nicht berücksichtigt.” – Das passt fast immer, manchmal (etwa wenn es um europäische Geschichte geht) ist es zwar ein wenig unangemessen, aber es kann selten einfach so als Unfug vom Tisch gewischt werden.

Das Alter macht sich auch noch anderswo bemerkbar:  Ich bin  häufig der einzige mit nur einem Vornamen. Und im Gegensatz zur Schule heißt hier sonst niemand Michael …

Wo soll das Studium hinführen? – Es schadet ja nicht, sich auch mit fast 50 noch mal echten Bildungshürden (nicht nur Wochenendkursen) zu stellen. Prüfungen sind jetzt übrigens ungleich schwerer als mit Anfang zwanzig – das liegt zum Teil am Gedächtnis, zum Teil auch daran, dass es eine ganz andere Art von Lernen ist: Etwas neues kennenzulernen, brauchbare Teile herauszunehmen, damit weiterzuarbeiten – das macht man auch im Berufsalltag oft. Es zur Gänze wiedergeben zu müssen, das ist eine ganz andere Liga. Dafür ist es heute, mit ein paar Jahren mehr, weitaus leichter, neue Zugänge zu Themen zu finden und Poster und Aufsätze zu schreiben.

Inhaltlich lege ich im Studium einen Schwerpunkt auf Ideengeschichtegerade in einer verwirrenden und unordentlichen Zeit halte ich es für wichtig, nachzuvollziehen, wie Ideen in die Welt kommen und wie es ihnen dort geht. Dabei kann man im übrigen auch mitlesen – hier auf Journal Ahnungslos.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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