Angstmeiern

Angstmeiern

Angstmeiern ist die politische Strategie der Stunde. Dem kann man nur tiefes Misstrauen entgegenhalten - gegenüber allen, die Lösungen versprechen, die angeblich ohne das Zutun von Menschen funktionieren und nur einen starken Mann brauchen.

Angstmeiern ist die politische Strategie der Stunde. Dem kann man nur tiefes Misstrauen entgegenhalten – gegenüber allen, die Lösungen versprechen, die angeblich ohne das Zutun von Menschen funktionieren und nur einen starken Mann brauchen.

Ich habe lang die Klappe gehalten und noch länger darüber nachgedacht, was mich an der aktuellen politischen Situation und ihrer Diskussion so stört. Ein paar Dinge liegen auf der Hand: Erfahrene Wahlverlierer haben nach der x-ten Wahlniederlage in Serie noch immer keine auch nur irgendwie akzeptablen Sprüche parat, sondern reden von besserem Marketing, einer verständnislosen Bevölkerung, von Neustart und davon, wieder Wahlen gewinnen zu wollen. Dagegen ist es ja vergleichsweise erfrischend wenn jetzt wirklich die SPÖ-Länderchefs sagen, wo es lang geht – also ausgerechnet die Looser-Partie aus den Bundesländern, die noch nie irgendwas gewonnen hat. Von einer konsequent selbstzerstörerisch-spekulativen ÖVP, die alles dafür tun würde, nur einmal wieder den Kanzler zu stellen (selbst um den Preis, zwei Jahre später noch tiefer in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden), rede ich gar nicht.
Viel ärgerlicher ist noch das immer wiederkehrende Gejammer über eine Angst, verängstigte Verlierer, den Verlust der Wohlfühlzonen, Kriminalität und andere Bedrohungen. Die einen fahren (zum ersten Mal?) mit der U6 und machen einen Drama-Aufsatz daraus, die anderen reden betont betulich über Kriminalität, und wieder andere teilen noch betulicher ein großteils faktenfreies Interview mit Drama-Queen Stefan Petzner und fürchten sich erst recht. Petzner, echt jetzt? Der Typ, der vom tschetschenenfreien Kärnten bis zu Attacken jenseits aller Gürtellinien sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als Angst und Gehässigkeit zu schüren, und jetzt einen halben Schritt zur Seite gemach hat und so tut, als würde er nur noch beobachten und beraten, und dabei noch immer das gleiche tut, ist euer neuer Heiliger?
Vor lauter Angst und Verständnis für Angst wird dann alles ganz schlimm. Heide Schmidt hat dazu im „Gültige Stimme“-Gespräch mit Roland Düringer ein paar klare Worte gefunden: Menschen ernst nehmen – alle mal, aber genau nicht dadurch, dass man sie auf ihre Ängste reduziert.
Klar, so ein bisschen Drama fühlt sich gut an.
Die, die sich dieser Argumentation nach fürchten müssten (entlang der U6, rund um den Praterstern), haben weder bei der Wien-Wahl noch bei der Bundespräsidentschaftswahl blau gewählt, die aus den Randbezirken haben eher wenig Grund, sich zu fürchten; diese Diskussion hatten wir schon mal.
Die gegen Hofer vorgebrachten Argumente, Aufklärungsfilme und Kornblumenexegesen sind eine wundervolle Bestätigung für seine Wähler.
Die komplizierten EU-Verteidigungsstrategien, die selbst erfahrene Diplomaten nicht verständlich rüberbringen können, sind wirksame Schlafmittel.
Und die Idee, statt Angst zu haben, Dinge selbst in die Hand zu nahmen – das macht dann halt erst richtig und wirklich Angst.

Gibts also nichts dagegen zu sagen? Für mich gibt es mehrere Szenarien.
Nehmen wir die Angst mal ernst.

Türkenbelagerung

Da gibt es einerseits also feindlich gesinnte Invasoren, die ein sich abschotten wollendes Alpenvölkchen umvolken wollen. Sie sind eine reale Bedrohung, denn dank ihrer rauhen Sitten und ihrer Gebärfreudigkeit haben sie die Möglichkeiten dazu. Wir sind aber schlauer und lassen sie nicht mehr rein. Und dann? Werden die, die gerade noch eine Bedrohung waren, achselzuckend nach Hause gehen und sich denken: „Na gut, dann halt nicht“? Oder werden sie es, immer noch in der blauen Welt, dann mit anderen Mitteln probieren – gegen ein dann nicht nur von seinen Feinden, sondern auch von ehemaligen Freunden abgeschottetes Alpenvölkchen? und dann, darauf zielt ja die blaue Politik ab, gibts eben wirklich die nächste Türkenbelagerung. Unsinn? Ja, ungefähr genau so wie die Angst vor den Invasoren.

Gangs of Gemeindebau

Ein anderes Szenario: Die Invasoren sind schon da, steigende Kriminalität und mutwillige Arbeitslosigkeit zerrütten die Gesellschaft. Ärger wohin man schaut, die „Ströme von Blut“, von denen die Identitären reden, sind zwar immer nur anderswo, aber umso trefflicher kann man sich vor ihnen fürchten. Solche Szenarien sind nicht wirklich neu. Nicht einmal in Wien. Der Unterschied: In den 70er Jahren sprachen Jugendbanden ein wunderschönes Austropop-Deutsch. In den 90er Jahren hatten Türkengangs noch immer ein besseres Deutsch als der muttersprachlich minderbemittelte Hooligan. Ihre – durch und durch westlichen – Kriminalitäts-Vorbilder kannte man aus dem Kino (oder aus MTV). Der über Jahrzehnte geradezu ikonische Durchschnitts-Jugo mit Mittelscheitel in Pagenkopf-Länge, blauer Bomberjacke, schenkelweiten Jeans (besser fürs Kickboxen) und Westernstiefeln ist jetzt schon länger ausgestorben. – Auch in den frühen 90ern gruselte man sich ziemlich vor Kriminalität und EInwanderung, und es gab wie heute einiges an Kriegsflüchtlingen, die, sagen wir mal, eine andere Streitkultur hatten. Dann waren es aber rein österreichische Hooligans, die in Linz einen Polizisten zu Tode traten.
Worauf ich hinauswill? Man kann sich fürchten. Dann müsste man konsequenterweise seit 30 Jahren in Angst leben. Oder man könnte sich daran gewöhnen, dass auch Wien mittlerweile eine Stadt ist.
Auch diese Überlegungen gehen aber grundsätzlich ziemlich am Thema vorbei. Denn um es noch einmal zu wiederholen: Wien ist ja nicht blau. So sehr die, die nicht möchten, dass Wien blau wird, auch daran arbeiten, Gründen zu finden, warum Wien blau werden könnte.

Angst als sozial akzeptierte Kreuzung von Gier und Neid

Die dritte möglicherweise ernstzunehmende Angst ist die wirtschaftliche Angst, oft auch eine Kreuzung aus Gier und Neid. Den Garage-mit-Reihenhaus-Besitzern in Floridsdorf oder in der Donaustadt, die ihren ausländerfreien Wohlstand erhalten möchten, werden gegen die Yppenplatz- und Karmelitermarkt-Bewohner in Stellung gebracht, die sich mit viel Aufwand und damit verbundenen Preissteigerungen ihre Wohlfühlplätzchen geschaffen haben, in denen Migranten selbstverständlich Platz als die netten Marktstandler oder als Haushälterinnen haben. Beide finden es schlimm, dass es nicht überall so ist, wie bei ihnen zuhause. Der Unterschied: Die einen rufen nach Problemlösungen, die anderen nach Problemverdrängungen.
Beide haben Grund zur Sorge: Ausgaben und Kosten steigen schneller als die Einnahmen, die sich mit Arbeit machen lassen. Die Höchststeuerzone, in der (mehr) Arbeit kaum noch Spass macht, beginnt früh und zieht sich weit hinauf; Einkommenssteigerungen begünstigen die am meisten, die es am wenigsten brauchen (angestellte ältere (männliche) Besserverdiener), Jüngere werden kurz gehalten.
Soziale Unterschiede verursachen zusätzliche Kosten (sofern sie reduziert werden sollen, dafür soll Ruhe erreicht werden. Und es ist eben irgendwo nur logisch, dass diejenigen, die jetzt schon Ruhe haben, weniger zu investieren bereit sind – und sich lieber auf das Belagerungsszenario (siehe oben) zurückziehen.

Hilft Angst in irgendeiner dieser Situationen? Ja, aber nur dabei, diesen Zustand beizubehalten. Ich habe auch gar nichts dagegen, Angst zu haben. Besonders lähmend ist aber dieser Kreislauf, anderen zu unterstellen, Angst zu haben, für deren unterstellte Angst Verständnis haben zu wollen, damit erst recht Angst zu schüren und sich selber Angst zu machen. Das klingt kompliziert; mit einem einfacheren Namen könnte man das auch als SPÖ-Syndrom bezeichnen.
Das ist ungefähr so logisch wie Norbert Hofers Position zu Homosexualität: Gleichgeschlechtliche Paar sollen keine Kinder adoptieren dürfen, weil das der Ehe vorbehalten sein soll. Homosexuelle sollen auch nicht heiraten dürfen, weil aus der Ehe Kinder hervorgehen könnten und weil die Ehe zum Schutz der Kinder dient. Jetzt ist das bei einer homosexuellen Ehe mit den Kindern wahrscheinlich etwas schwierig, aber dieser Kreis schafft halt eine bestechende Pseudologik. Fragt mich nicht – hier kann man das nachhören. Er hätte ja auch sagen können, dass er die Vorstellung einfach nicht mag – das ist sein gutes Recht, aber keine Grundlage für politische oder rechtliche Entscheidungen.

Und jetzt? Ich denke, der einfachste und wichtigste Grundsatz zur Zeit ist, jedem zu misstrauen, der einfache Rezepte präsentiert, die den Eindruck erwecken, ohne das Zutun von Menschen zu funktionieren. Denn wenn es die Menschen nicht selber machen, dann macht es eben ein starker Führer für sie.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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