Medien-Businessmodelle – Wer ist hier der Looser?

Medien-Businessmodelle – Wer ist hier der Looser?


Ich habe einen Verdacht: Vielleicht sind gar nicht Verlage daran gescheitert, ein kommerziell erfolgreiches Modell fuer die Onlineverwertung ihrer Inhalte zu finden. Vielleicht ist es eher die Schwaeche von Onlinemedien, noch immer keine Praesentationsform fuer Inhalte gefunden zu haben, die einen Wert vermittelt, fuer den man bezahlen wuerde.
Mal ehrlich: Wie kopflastig sind Onlinemedien? Natuerlich funktionieren sie, Usabilitystandards etablieren sich und rational betrachtet ist alles ok, aber welche Webseiten machen auf Grund der Aufbereitung ihrer Inhalte Spass?

Als Werkzeug betrachtet funktionieren Onlinemedien perfekt: Sie sind schnell, guenstig, fuer User und fuer Publisher gut anpassbar, sie sind mobil und sie eignen sich perfekt fuer die weitere Verarbeitung. Zusaetzliche Inhalte koennen verlinkt werden, praktisch alle Inhalte sind ueber Suchfunktionen verfuegbar, Inhalte koennen ausgeschnitten, kopiert, leicht und schnell veraendert werden.
Aber was bringt mir das, wenn ich einfach nur lesen moechte?

Onlinemedien werden oft mit Moeglichkeiten oder Verhaltensweise beschrieben, die wir eher mit Arbeit als mit Unterhaltung verbinden. Wir koennen produktiv sein, wir haben viele Moeglichkeiten, wir kommen schneller weiter. Das sind Kriterien, die in unserer Freizeitgestaltung weniger eine Rolle spielen; geschaeftlich sind sie eher relevant.
Und eines haben wir gruendlich gelernt: Wir arbeiten, um bezahlt zu werden, wir zahlen nicht dafuer, zu arbeiten.
Klassische Mediennutzung (ein Buch lesen, ein Magazin durchblaettern, fernsehen) steht oft im Verdacht mangelnder Produktivitaet (Hast du nichts anderes zu tun?) – das ist also eindeutig Freizeit oder Unterhaltung.

Es gibt anscheinend tatsaechlich noch kaum erprobte Mittel, User online tiefer in Inhalte zu ziehen. Praktisch alle Medien beklagen das Click&Flee-Verhalten der User: Sie grasen die Startseite ab (oder Treffer aus einer Suchergebnisliste), sind aber allen Landingpage-Bemuehungen zum trotz kaum dazu zu bewegen, sich mit weiteren Inhalten zu beschaeftigen.

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich spreche hier nicht von effizienteren Marketingmethoden oder Stickyness-Strategien, und auch nicht vom unter Online-Werbetreibenden Pissingmatch mit Usern (wie weit kann man den User mit zusaetzlich notwendig gemachten Clicks veraergern, so dass er npoch etwas fuer die Werbung bringt, aber nicht ganz verloren ist?), mir geht es um Handwerk.

Hier sind noch einige Innovationen ausstaendig:

  • Was ist das Online-Equivalent zu einem Inhaltsverzeichnis, in dem von der Redaktion fuer jede Ausgabe flexibel priorisiert werden kann? Und das vom User in beliebiger Intensitaet genutzt werden kann? Und das sich auf eine lange Tradition von Standards berufen kann, die schlichtweg jeder versteht (und jeder erkennt)?
  • Wie uebersetzen wir das Zusammenspiel von Cover und Inhalt online? Den Leser in mehreren Schritten neugierig machen, ihn stueckchenweise tiefer in die Materie ziehen, ihn mit Ueberblicken fuettern und ihm immer mehrere Handlungsoptionen offenlassen – online bedeutet das, Beschwerden ueber unnoetige Clicks, Verwirrung des Users und schlechte Usability zu riskieren.
  • Zum Lesefluss gibt es unterschiedliche Theorien: Schmale Spalten, damit wir uns nicht verlieren, breite Spalten, damit wir weniger scrollen muessen. Blaettern oder Scrollen, Bilder oder keine Bilder, Zusatzinfos in Kaesten oder nicht, related Links oder alles auf einen Blick – die Moeglichkeiten sind zahllos und immer diskutierbar.
  • Und schliesslich: “Wow, eine Zehn-Seiten-Reportage mit doppelseitigem Aufmacher” – das ist durchaus ein vernuenftiger Satz. Aber “Cool – da ist so ein grosses Bild drin, dass ich beim Laden der Seite nichts anderes sehe und ich muss zehn Fensterhoehen scrollen, bis ich weiss, wie lang der Text ist” – das ist nicht wirklich vorstellbar.

Das ist gar kein Hardwarethema. Waere es das, da wuerden noch die unschlagbaren Vorteile der Wegwerfbarkeit, der relativen Schmutz-, Sand- und Wasserunempfindlichkeit dazukommen.

Die Vergleiche sind nicht immer angebracht, muss man fairerweise sagen, dennoch scheint mir der plausibelste Grund fuer die online oft empfundene Lieblosigkeit zu sein: Es fehlen doch noch die Kriterien (und auch die Erlebnisse) fuer Online-Grossartigkeit. Online ist praktisch, effizient und in seiner langfristigen Wirkung extrem horizonterweiternd – im Moment, ehrlich gesagt, aber oft eher einfach anstrengend (im eigentlichen Sinn).

Natuerlich ist es eines der herausragenden Merkmale von Onlinemedien, nicht passives Entertainment zu foerdern, sondern aktive Beteiligung. Aber das kann anstrengend sein, ist nicht jedermanns Sache, und wir reden auch selten in irgendeiner Form mitreissend darueber. Orientierung, Usability, Findability sind nach wie vor die grossen Themen bei Launches und Relaunches – man stelle sich mal vor, das waere der Auftrag des Herausgebers an den Art Director bei einem Magazin-Relaunch. Hier moechten wir dann doch schon bald ueber die Stufe der Benutzbarkeit hinaus sein.

Worauf will ich hinaus? Foerderungen, Calls for Papers und die Restaufmerksamkeit, die Innovation zu teil wird, richten sich oft auf technische Kriterien; es werden mobile oder multimediale Dienste gefordert und gefoerdert. Schoen.
Mir bleibt das Erlebnis etwas auf der Strecke. Und die Inhalte sowie so. – Und das liegt ja immer wieder daran, dass wir gerne mehr besprechen, als gemeinhin passieren kann…
In der Entwickluing handwerklicher Standards fuer Onlinemedien jenseits von Technik (oder auich in der Erforschung bestehender bzw. entstehender Kodifizierungen) sehe ich grosses – und eben auch kommerziell nutzbares – Potential.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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