Lederhosen, Gendern, gesunder Rausch – so lustig ist es in Österreich

Manchmal ist es ja großartig, nicht nach seiner Meinung gefragt zu werden. Sonst müsste ich mich ja jetzt über vorgebliche Gender-Mafiosi, dumpfbackige Landeier und den gesunden Rausch ärgern. Das Kolumnisten-Dasein ist sicher kein leichtes – von nichts eine Ahnung, aber zu allem eine Meinung, und die noch schön formulieren. Und sich darauf verlassen, dass die Kolumne von gestern heute eh niemanden mehr interessiert. Ich hab den Fehler gemacht, mal eine Woche lang viel Meinungsmut (vorrangig den aus den Alphamedien) zu lesen. Das ist schwer verdaulich. – Und beim Lesen dieses Christian Ortner-Kommentars habe ich mich – bevor ich bei der Autorenzeile angelangt bin – ernsthaft gefragt, ob Michael Jeannée auf Grund seiner jüngsten publizistischen Leistungen jetzt auch für die Presse schreibt.

Aber zurück zu Landeiern, Lederhosen, Gendern und Drogen. Sagenhaft ergiebige Kolumnisten-Themen.

Fangen wir mit den Landeiern an: Seit sich ein volkstümelnder Städter, der auch ein bisschen singt, nicht getraut hat, die österreichische Hymne richtig zu singen, ergehen sich die urbansten Kolumnisten und Leitartikler in sagenhaftem Schwachsinn über die angeblichen dunklen Tendenzen des Landlebens.

Auch Städte haben ihre Prater-Domes und Lugners, und auch Tara und Moni geben sich schliesslich sehr urban. Und hat nicht auch Mundl Sackbauer in zumindest einer Folge einen Lederhosen-Auftritt hingelegt?
Der kalte Schauer läuft mir weniger bei ländlichen Feuerwehr- und anderen Zeltfesten über den Rücken, eher angesichts von urbanen Wiesenfesten, deren Gäste sich wohlig in Retro-Gedankenlosigkeit wälzen und sich am nächsten Tag ohnehin wieder ganz anders geben. Das Problem ist ja nicht die Tracht (die es, anscheinend muss das auch gesagt werden, schon lange vor ihrer politischen Belastung gab), sondern die damit einhergehende Reproduktion von Klischees, die Macht und Bedeutung verleiht – obwohl natürlich alle immer darauf pochen, dass das nicht wirklich so ist. Wir machen nur mit, gerade weil wir drüber stehen. Mit aufwendig dekorierten Poloshirts oder Hemden mit ultrasteifen Krägen und Manschetten funktioniert das – im übrigen im urbanen Umfeld – ja genauso gut. Mode ist oft ein sehr einfacher Weg, um zu zeigen: „Ich denke nicht“.
Und genau deshalb wäre es ja auch schön, wenn die Gestaltung von Plattencovers und anderen Marketingmaterialien wirklich so reflektiert vonstatten ginge, dass jede mögliche Anspielung einer Pose oder eines Fotos gründlich analysiert würde – dann gäbe es wohl weit weniger prekäre Kreative oder arbeitslose Kulturwissenschaftlerinnen.
Und was „Deutsche, Italiener und Japaner“ betrifft: Schaut doch einfach mal in die österreichische Motorrad-Zulassungsstatistik. Dort hat zwar KTM die Nase vorne, auf den Plätzen der noch relevanten Marktanteile über 5 Prozent folgen Honda, Vespa, Yamaha und BMW. (Und um das gleich klarzustellen: Mein Motorrad ist aus China. Also möglicherweise diktatorisch vorbelastet, aber hoffentlich faschismusfrei. Und es ist ein Einsitzer… Obwohl: Gerade habe ich festgestellt, dass einige Schraubenköpfe unerklärlicherweise mit „88“ beschriftet sind…  omg!) Bemerkens- und kritisierenswert wäre daran eher der Retro-Touch, der ein Bild aus den Siebzigern vermittelt – die Formulierung könnte von meiner Großmutter stammen (die, als Deutsche, im übrigen immer der Meinung war, “dass ‘die Italiener’ ‚uns’ verraten haben“).

Dann die Genderei: Ich habe mir lange wenig Gedanken über das Gendern von Texten gemacht. Auch heute finde ich es manchmal noch holprig, manchmal funktioniert es mit dem Binnen-I in allen Varianten schlicht nicht. Allerdings hat die durchschnittliche Anzahl von Tipp- und Rechtschreibfehlern (vor allem in Online-Zeitungen) meines Erachtens einen weit gewichtigeren negativen Einfluss auf die deutsche Sprache.
Aber seit ich mein erstes Magazin in der Schlussredaktion durchgehend gegendert habe (aus Platzgründen oft mit „_i“ statt mit ausformulierten männlichen und weiblichen Bezeichnungen), kann ich sehr wohl sagen, dass diese „i“ großen Einfluss auf die Wahrnehmung von Texten hat: Den Vorspann für eine Story, in der keine Frauen explizit vorkommen, zu gendern, macht erst mal bewusst, dass hier keine Frauen vorkommen. Und umgekehrt erinnert das Gendern von weiblich dominierten Geschichten daran, dass das kein Frauen-Thema ist, sondern eines, in dessen Aufbereitung jetzt eben mal Frauen die Hauptrolle spielen.
Warum gehört das hierher? – Das Hymnen-Drama hat mit der Ausblendung einer weiblichen Formulierung begonnen und sehr schnell zu einem „Das war immer schon so“ und „mir san mir“-Status geführt. Dazu mischen sich Argumente wie „moderne starke Frauen brauchen keine Sonderbehandlung“, und Formulierungen wie „unsere Frauen“ (wem gehören die noch mal?) oder „geschätzte Damenwelt“ – was in meinen Ohren ziemlich gleichlautend ist mit „ich grapsche gern“.
Und jetzt rückt eine neue Phalanx, flankiert von Intellektuellen, aus und schlägt in die gleiche Kerbe. Ich halte selten viel von Normierungen, und das durchgehende Gendern mit Wortanhängseln funktioniert nicht immer, aber trotzdem muss doch klar sein, dass es hier weniger um Sprache als um Macht geht.
Mein Anti-Gender-Lieblingsargument – „Haben wir keine anderen Sorgen?“ – bringt seine Antwort gleich mit. Nein, haben wir nicht. Denn es geht hier um Bildung und Haltung, und diese sind Grundvoraussetzungen für ein freies und selbstbestimmtes Leben für möglichst viele Menschen.
Die Haltung drückt sich nicht durch die normgerechte Verwendung des Binnen-I aus, sondern durch die Anerkennung der dahinter liegenden Anliegen. Stattdessen vorauszusetzen, dass Disziplinierung und Selbstkontrolle so weit verinnerlicht sind, dass jeder und jede aus eigenem Antrieb sagen muss „Ich brauche das nicht“, ist Zeichen eines ähnlichen Gruppenbildungsreflexes wie das urbanisierte Tragen von Lederhosen, natürlich vollkommen gesinnungsfrei: Wir machen das, gerade weil wir, befreit von allen Klischees, darüberstehen – aber trotzdem nur dort, wo es alle machen. (An diesem Punkt muss ich immer daran denken, wie mich meine Eltern in den späten Siebziger-Jahren mit Lederhosen in eine englische Volksschule geschickt haben, völlig kontextfrei also. Nicht mit den coolen knielangen, sondern mit Hotpants im Ziegenpeter-Style. Glaubt mir, das war ein exotischer Auftritt – und Abhärtung fürs Leben.)
Und dass sich jemand auch wehren könnte, ist kein Grund, dem- oder derjenigen gleich das Leben schwerer zu machen und einen Grund zur Gegenwehr zu geben. Aber ich ernte ja auch immer noch erstaunte Blicke, wenn ich auf diversen Business-Events oder -Galas (Veranstaltungen, bei denen Macht im Spiel ist) zu späterer Stunde, wenn Hüftgreif-Ausleger ausgefahren werden, zugegebenermaßen völlig humorlos anmerke, dass ich glaube, dass nicht alle Frauen darauf stehen. – Ich bin immer seltener dort.

Krankheit

Und dann, das ist nur eine Randbemerkung, die entfernt auch zum Thema passt, taucht noch der gesunde Rausch wieder auf: “Wer will denn schon rauschfrei durchs Leben gehen?”, fragt der berühmte Videoblogger Robert Misik.
Der öffentliche Rausch ist ungefähr so weit Privatsache wie das Hantieren mit verklausulierten Nazi-Anspielungen oder demonstrative Anti-Gender-Positionen: Es bereitet die große Wohlfühl-Bühne vor, auf der wir all unsere Unzulänglichkeiten rechtfertigen können. Die Verharmlosung reduziert den Horizont, nach dem wir uns strecken müssen: “Macht doch nichts”, denkt sich der Alki, “siehst du, die saufen auch alle und es ist etwas aus ihnen geworden.” “Bin ich jetzt wirklich so empfindlich”, denkt sich der Angehörige des Alkis, der sich wieder mal für dessen Ausfälle entschuldigt hat und dessen Aussetzer zu kompensieren versucht, “wahrscheinlich muss ich nur ein bisschen entspannter sein und nicht so kleinlich.“ – „Mach doch nichts“, denken sich Gender-Gegner und -Gegnerin, „Das Binnen-I will ja eh keiner wirklich.“ „Muss ich jetzt wirklich um etwas streiten, das mir persönlich egal sein kann?“, fragen sich Betroffene.
Sportreporter, die siegreiche Sportler dazu nötigen, zu sagen, dass sie jetzt aber schon einen über den Durst trinken werden, hantieren mit der gleichen Anti-Stalinismus-Keule wie die Gender-Phobiker mit ihren „Diktatur“-Rufen. Irgendwie würde ich jetzt gern Putin fragen, was er davon hält.

Saufen tamma alle gern – da trifft sich der intellektuelle urbane Kolumnist mit dem rustikalen Opfer seiner Gesinnungskritik wieder. – Das ist mir ehrlich egal, Prost, meinetwegen; spannender ist: Hier treffen einander auch die Argumentationsmuster wieder. „Man wird doch wohl noch dürfen“, raunzt der Volkstümler, und weiss die Mehrheit hinter sich. “Man wird doch wohl noch dürfen“, raunzt der Intellektuelle und weiss die Mehrheit (inklusive der Volkstümler) ebenfalls hinter sich. – Die Position wird mit ein bisschen Ironie gewürzt, damit sie bloß nicht zu einer Haltung verkocht, und als natürlich in keiner Weise unreflektiert garniert – „wir wissen eh…”. Bloß: Machtfragen bleiben unberührt, und wir drehen uns immer schön im Kreis.

Wer will schon immer korrekt sein, wo Sexismus, Nationalismus und Alkohol doch so lustig sein können? – Eh niemand. Ein bisschen weniger dämlich würde reichen. Und schliesslich müssen wir ja zuspitzen, um weiter so lustige Kolumnen schreiben zu können. Des Lohns der Unterhaltsamkeit wegen auf Inhalte zu verzichten – tja, das ist eben Business.

Und weil wir uns stattdessen lieber ohne Haltung im Kreis drehen, gehen jetzt auch ein paar hundert Leute einer Organisation rund um abendländisches Kulturgut, die im übrigen vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes skeptisch beäugt wird und deren Vorstandsmitglieder in Turnerbund und FPÖ engagiert sind, unhinterfragt auf den Leim und unterstützen deren Binnen-I-Attacken. Bravo, und viel Spass dabei…!

Und weils etwas komplizierter geworden ist, hier noch die Zusammenfassung für Eilige:

Jemand gendert nicht, weil es seiner volkstümlichen Seele widerspricht. – „Nazi!”, „Landei!“, sagen die einen.
Andere gendern, weil sie sich gegen die volkstümliche Seele richten. – „Diktatur!“, „Stalinisten!“, sagen die anderen.
Und dann sagen alle: „Man wird doch wohl noch dürfen…“
Also so kommen wir nicht weiter. Vielleicht wollen wird das ja gar nicht. – Dann sollten wir’s halt auch einfach so sagen…