Eva Menasse, Alles und nichts sagen

Eva Menasse, Alles und nichts sagen

Eva Menasses Internetkritik ist berührend altmodisch, oft ärgerlich unsauber argumentiert und eher eine Diagnose des eigenen Milieus als einer Digitalmoderne.

Oje, was ist denn da passiert? Eine Digitalasketin konnte dann doch der Versuchung nicht widerstehen, über etwas zu schreiben, mit dem sie sich bekennenderweise nicht beschäftigt: das Internet. Eva Menasse versteigt sich zu einer Digitalkulturkritik und schreibt dabei aus der Position der sehr weit entfernten Beobachterin. Was ein anthropologisch oder ethnologisch reizvoller Zugang hätte werden können, wird sehr schnell zu einer Orgie klischeehafter Platitüden, die mit schlechten Beispielen und zweifelhaften Argumenten gestützt werden. 

Ein paar Beispiele: Menasse beschwört einen Rausch der Information durch grenzenlos Verbindungen in Social Networks herauf, in denen jeder mit allen sofort verbunden und mit aus tausenden Kilometern Entfernung hereinströmenden Reizen ausgesetzt ist. Diese Erwartung hatten frühe UserInnen vor 15 Jahren bei ihren ersten Schritten auf Facebook. Heute sehen sie dort statt interessanter Nachrichten von Korrespondenzfreunden aus Neuseeland oder Botswana die aktuellen Angebote von Gertis Strickstube in Simmering, auf Instagram dagegen exerzieren Influencer die gleichen Trends vor oder Coaches und Lebensberater verkaufen Schulungsprogramme. 

Menasse beklagt den spontanen Zorn und die Konsequenzen unbedachter Zuspitzungen und persönlicher Untergriffe. Offenbar, ohne sich bewusst zu sein, wie viel strategisch konsequente Aufbauarbeit in der Etablierung einer funktionierenden Trollpersönlichkeit steckt. Das unterstützt sie mit der Suggestivbehauptung, wir alle hätten wohl, als wir noch Briefe schrieben, mehr fertig geschriebene Briefe zerrissen oder sonst wie vernichtet, als sie abzuschicken. – Hat wer? 

Sie führt sogar Gil Ofarims gerichtlich festgestellte Lügen über seine angebliche antisemitische Diskriminierung als Indiz für das Problem rasanter Verbreitung ungeprüfter Informationen ins Feld. Hier waren nicht die Medien und ihr Tempo das Problem. Hier verbreitete jemand mit seinem eigenen Gesicht und Namen hartnäckig und konsequent falsche Informationen mit sich selbst als Zeugen und führte Medien aller Arten (und lange Zeit auch Ermittler und Gerichte) an der Nase herum.

Atmosphärisch kann man vielen von Menasses Ausführungen zustimmen. Aber viele sind mit wenig Sorgfalt argumentiert. Und oft geht die Diagnose auch deutlich an ihrem Objekt vorbei. Menasse beklagt etwa rechte Radikalisierung als Digitalphänomen, das durch Tempo und Distanz angeheizt wurde. Gefährliche rechte Radikalisierung ist allerdings kein Internetding. Die findet real und im geheimen statt. Natürlich sorgen Telegram Channels für die passende Begleitmusik und für das notwendige Characterdesign der handelnden Personen. Aber es wäre schön, wenn Radikalisierung ein Netzphänomen wäre. Das trifft allerdings eher auf die Gegenbewegung zu: Kritik an Rechtsextremen und Solidarisierung mit Betroffenen sind eine fröhliche Netzbeschäftigung, deren Ausübende gerne Pose über Handlung stellen. Das war erst in den letzten Tagen wieder zu beobachten, als so manche solidarisch Empörte sich empörten, von dieser oder jener Politikerin kein solidarisches Statement zu den „Demos gegen Rechts“ gelesen zu haben – worauf die Betroffenen den digitalen Beleg nachreichen mussten, dass sie ganz banal analog ohnehin vor Ort waren. Wenn es nicht im Netz ist, ist es nicht passiert. – Dieser Grundsatz gilt, außer für jene, die stattdessen lieber unbeachtet real agieren. 

Menasses Kritik ist intellektuelle Kulturkritik an von traditioneller Kultur abweichenden Medien und Kulturtechniken, die man vor hundert Jahren über da Kino, vor siebzig Jahren über das Fernsehen und vor fünfzehn Jahren über das Internet hätte schreiben können. Heute ist sie nicht unbedingt falsch. Aber berührend altmodisch, wenig relevant, und als Diagnose beschreibt sie eher Internet-Wahrnehmung und Stimmungslage in Feuilleton und Gesellschaftsseiten als digitale Entwicklungen. Das letzte Drittel des Texts widmet sich einer Antisemitismus-Diskussion, in der Digitales keine Rolle mehr spielt und beim Lesen völlig in Vergessenheit gerät, welche Punkte die Autorin in den ersten beiden Dritteln des Texts machen wollte.

Michael Hafner

Michael Hafner

Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Datenanalyst

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