Warum ich allergisch auf Prophezeiungen bin

Trends sind eine dankbare Angelegenheit. Sie betreffen immer die Zukunft, sie verändern sich, manchmal sind sie eine langwierige Angelegenheit, andere verpuffen, kaum wurden sie diagnostiziert. Bewegte Zeiten sind noch bessere Zeiten für Trenddiagnostiker: Es liegt auf der Hand, dass sich etwas ändern könnte, Trends beschreiben Veränderung – also bricht hier ihre Blütezeit an. Und die Welt hungert in bewegten Zeiten nach Trends, wenn alles in Bewegung und nichts mehr selbstverständlich erscheint, dann ist auch die kryptischste Prophezeiung willkommen. Sie könnte einen Hinweis darauf geben, was man tun kann oder soll, wie man Ungewissheiten begegnet. Auch wenn sie kaum schlüssiger ist als ein Horoskop. Irgendwas wird in den Raum gestellt. Es könnte plausibel sein, wenn man denn möchte, dass es plausibel ist. Aber es ist dennoch – mindestens ebenso beliebig.  Ich entwickle zunehmend eine Allergie gegen diese Arten von Zukunftsdiagnostik und Prophezeiungen. Das hat mehrere Gründe. Ein ganz banaler und auf den ersten Blick auch widersprüchlicher Grund ist: Ich bin immer auf der Suche nach Optionen und Lösungen. Als Selbstständiger, der jede Entscheidung, die er trifft, auch umsetzen muss, ist es essenziell, handeln zu können. Auch in unklaren Zeiten. Trendprognosen und Prophezeiungen leben zwar von dem Nimbus, solche Handlungsanleitungen geben zu können, sind aber das genaue Gegenteil. Sie beschreiben Optionen, die sich vielleicht eines Tages in undefinierten Zeitplänen materialisieren werden. Man kann versuchen, daraus Richtlinien für eigene Entscheidungen zu treffen und darauf hinarbeiten, dafür gerüstet zu sein. Vielleicht materialisieren sie sich aber auch nicht so. Dann hat man halt Pech gehabt.

Das mit dem Pech ist normaler unternehmerischer Alltag. Nicht alles funktioniert, nicht alles bringt Geld. In kreativen oder innovativen Branchen gilt das umso mehr.  Deshalb ist es bei aller Schönheit, die gut formulierte weitsichtige Trendprognosen an sich haben, umso wichtiger, kurzfristig zu handeln. Es ist schön, zwanzig Jahre später festzustellen, dass man recht hatte – aber was hat man in diesen zwanzig Jahren gemacht, wovon hat man gelebt? In zwanzig Jahren hatte man üblicherweise überdies so viele Ideen, dass irgendeine davon schon richtig gewesen sein wird – aber das kann sich ja auch in sehr unterschiedlicher Intensität auswirken, von „Hab ich mir auch schon mal gedacht“ bis „Ich hab damit Millionen verdient“.

Diese beiden Punkte, die Schönheit und die Diversität von Prognosen und Prophezeiungen, sind das nächste Problem. Prophezeiungen nehmen Verwirrung zum Anlass, Klarheit zu schaffen. Aus einem Gewirr von Informationen destillieren sie ein paar Punkte heraus, die zu verfolgen sich lohnen soll. Je unspezifischer und vager die Ausgangslage ist, desto bessere Zeiten sind es für Prophezeiungen; das Vage, Ungewisse ist der beste Freund des Propheten, der sich in die Lage versetzt, es zu entschlüsseln und den anderen zu übersetzen – ganz so wie alte Propheten Gebote und Testamente empfangen haben.

Auch die solide argumentierten Prophezeiungen sind Kinder dieser Ungewissheit. Sie müssen irgendwo ansetzen, sich selbst ein Fundament schaffen. Von dort aus können sie dann wieder mit Logik anderen nachvollziehbaren Techniken arbeiten. Es kommen sogar Argumente, eine an sich in Vergessenheit geratene Kulturtechnik, wieder ins Spiel.  Trotzdem bleiben nüchtern betrachtet zwei große Schwächen erhalten. Die erste: Der Ausgangspunkt ist selbst geschaffen. Prognosen und Prophezeiungen setzen irgendwo an – sie müssen eine willkürliche Entscheidung treffen, um sich ein Fundament zu schaffen. Bevor man dann von dort aus argumentieren kann, muss auch noch eine Werteentscheidung getroffen werden. Die gibt die Richtung vor. Prognosen und Prophezeiungen funktionieren schließlich nach dem Muster: Wir sind, wo wir nicht bleiben wollen, also wollen wir anderswo hin. Eine Variante wäre noch: Auf uns kommen Entwicklungen zu, die das, was wir haben, nicht mehr wünschenswert erscheinen lassen. Oder: Wenn wir so weitermachen, entfernen wir uns von dem, was wir eigentlich haben sollen.

Und wo ist jetzt das Problem?

Prognosen und Prophezeiungen sind unterhaltsam; allerdings verleiten sie oft dazu, uns mit dem falschen Teil zu beschäftigen. Der spektakuläre Teil von Prophezeiungen, mit dem man sich gern beschäftigt, ist der, nachdem die zwei beschriebenen Schwächen überwunden wurden. Danach entwerfen sie bunte, verlockende, beängstigende, spektakuläre oder beeindruckende Bilder, die uns in ihren Bann ziehen. Über die können wir diskutieren, wir können uns fürchten, freuen, inspirieren lassen oder in Angst erstarren.

Das ist allerdings so, als würde man einen Lottogewinn verplanen oder gar schon ausgeben, noch bevor man überhaupt einen Lottoschein ausgefüllt hat.  Denn der relevante Teil, der, den man analysieren und bewerten kann, das sind die Entscheidungen davor, die Standortbestimmung und das Werturteil, das die Richtung vorgibt. Das sind Entscheidungen, deren zugrundeliegenden Fakten man annähernd kennt und über die man sich ein Bild machen kann. Trotzdem kann man sie auch für falsch halten, trotzdem beruhen sie zu einem guten Teil auch auf Meinungen.  Und es sind die Entscheidungen, die ganz praktisch im Alltag getroffen werden müssen.

Aus ganz praktischer Sicht „sinnvoller“ wäre es also, sich mit diesen ersten beiden Entscheidungen zu beschäftigen. Aber das ist im Vergleich zu Visionen und großen Entwürfen natürlich langweilig und unspektakulär.  Blöd, dass ich kaum anders kann.  Immer, wenn ich tolle Visionen, Prognosen und Prophezeiungen höre, kann ich nicht anders, als nach diesen zwei Entscheidungen zu suchen. Und diese Entscheidungen sind es dann auch, die darüber bestimmen, ob ich Prognose und Prophezeiung relevant finde. Oder ob ich zu dem Schluss komme, dass sich hier jemand in ein buntes Bild, eine spektakuläre Vision verliebt hat, und nun nach Krücken sucht, mit denen diese sich stützen ließe. Unterhaltsam kann das ja trotzdem sein, aber man könnte es dann ja auch schlicht Unterhaltung nennen …

Ryu Murakami: In Liebe, dein Vaterland

Ich finde japanische Literatur sehr schwer verdaulich. Egal ob Kenzaburo Oe, Osamu Danzai, Kazuki Kaneshiro – es sind immer ultradepressive Storys, die in Schwermut und Schande enden. E gibt nicht mal dramatische Enden oder Heldentode, es geht einfach immer direkt auf den worst case zu und unterbietet diesen dann noch. Meist gibt es keine Auflösung, kein Drama, einfach nur schleichende Depression, alles ist mies, Leiden und Elend.

Ryu Murakamis 1000-Seiten Epos “In Liebe, dein Vaterland” lässt erst mal ähnliches vermuten: Nordkorea setzt zur Invasion in Japan an, ein gewinkelter Plan tarnt Soldaten als abtrünnige Rebellen, die eine Insel in Japan besetzen, um von dort aus angeblich Nordkorea zu stürzen. Das hemmt die internationale Gemeinschaft, die Nordkorea gerne fallen sehen möchte, und das nimmt auch ganz Japan selbst im doppelten Sinn in Geiselhaft: Man kann nicht hart durchgreifen, um die eigenen Leute nicht zu gefährden, und außerdem würde man ja auch gern gegen Nordkorea vorgehen.

Die nordkoreanischen Soldaten sind keine guten; sie verhaften Volksfeinde, beschlagnahmen deren Vermögen, um ihre Operation zu finanzieren, foltern und töten.  Was nach einem klassischen Worst case-Setup klingt, wird eine aufregende, vielschichtige und packende Erzählung, cool wie Thomas Pynchon (als der noch cool war – Pynchon Vineland habe ich mit Begeisterung gelesen, ein paar weitere seiner Bücher mit Hoffnung; Mason & Dixon ist eines der wenigen Bücher die ich halbfertig gelesen weggelegt habe), mysteriös wie Roberto Bolano und gnadenlos wie Sibylle Berg in ihren besten Zeiten.

Die Story mischt Erzählebenen aus der Perspektive der Nordkoreaner, der Japaner in den besetzten Gebieten, japanischer Regierungsbeamten in Tokio und einer geheimnisvollen Gang schwererziehbarer japanischer Jugendlicher, die im Lauf der Geschichte eine immer wichtigere Rolle bekommen.

Viel mehr kann man über die Handlung gar nicht verraten, ohne massiv zu spoilern.

Das Setting ist ein krisengebeuteltes Japan in der Post-Finanzkrisenzeit, in dem sich Armut und Obdachlosigkeit ausbreiten und das auch international ins Hintertreffen gerät. Dem stehen die Kummer gewöhnten Nordkoreaner gegenüber, die trotz all der Brutalität, die sie auf ihrem Feldzug mitbringen, in Japan dezente Freuden der Freiheit entdecken – wie etwa eigene persönliche Unterwäsche.  In Summe ergibt das eine unbedingte Leseempfehlung.

Erwähnenswert ist dabei auch noch, dass es mit dem Septime-Verlag ein recht kleiner unabhängiger Verlag ist, der sich an Übersetzung und Veröffentlichung gewagt hat. – Ein Grund mehr, das Buch zu kaufen.

Ist jetzt schon diese Post-Corona-Zeit, in der alles anders ist?

Haben wir jetzt schon diese Post Corona Zeit? Sind die Wiederauferstehung von Bauhaus, Möbelhaus und Döblinger Drogenpartys die Vorboten dieser Zeit des Neuanfangs und der Besinnung, deren Herold das Virus als Rückkehrer aus der Zukunft war?  Beginnt im Ansturm auf Elektrohändler und mit der Diskussion über Autokaufprämien die Gestaltung des postkapitalistischen Zeitalters?
Werden wir jetzt Zeugen dieser Ära, in der kein Stein auf dem anderen bleibt, in der ein Virus, so klein, dass man es gar nicht sehen kann, die Welt durcheinanderbringt und mehr bewirkt als Hunderttausende Fridays for Future-DemonstrantInnen in allen Erdteilen, als machtgierige Dikatoren hinter ihren Zäunen und mit ihren Zöllen? 
Können wir uns mit ruhigem Gewissen in dieses Zeitalter stürzen, wenn wir noch gar nicht wissen, ob das Virus nicht doch aus chinesischen Laboratorien entkommen ist oder gar freigesetzt wurde? 
Und soll es nun ein Kult der Fledermaus, des Schuppentiers oder doch des Mobilfunkmasten werden? 


Dutzende Lifestyle-ProphetInnen und InfluencerInnen haben uns ein neues Zeitalter versprochen, in dem der Neoliberalismus, den man schon hunderte Male besiegt hat, nun aber wirklich sein Ende finden wird, in dem turbokapitalistische Reißwölfe nichts mehr zum Schreddern finden, in dem Rassisten angesichts der Bedrohung von außen endlich einen gemeinsamen Feind und damit zueinander finden und sich auf das Gemeinsame besinnen. Eine Zeit des Innehaltens und der Besinnung haben sie heraufbeschworen, in der Konsum einen neuen Stellenwert bekommen wird – und schließlich eine neue Normalität

In Europa leben wir noch keine zwei Monate mit der konkreten Corona-Krise und haben doch schon einiges durchlaufen. 
Gemeinsam mit den Zusammenhalten-Euphorikern machten die “Grundeinkommen jetzt“-Rufer die erste Welle. 
Fast zeitgleich kamen die, die das Fehlen der Schuldenbremse und hohe Staatsquoten feierten.  
Dann kamen Arbeitsplatzgarantie- und Mindestlohnfighter. 
Dann wurde es ein wenig vage, es kamen die Propheten, die mit weisem Gestus erklärten, das „danach“ alles „anders“ würde Die eine Chance sahen. 
Die Entschleunigung genossen. 
Die Warnungen aus der Zukunft sahen, oder die Stunde des Kommunismus. 
Die jetzt Solidarität predigen. 
Oder Punkte-Pläne mit großen Überschriften erstellen.
Und trotz aller Unsicherheit, nie dagewesenen Zeiten, trotz der Einzigartigkeit, von der sie noch gestern predigten, heute genau wissen, was zu tun ist.

Absurde Mischung? Ja. Aber das alles sind Zitate aus loser Beobachtung. Ich habe den Müll nicht mal systematisch gesammelt (nur die ersten paar Tage).
Es sind Dinge, die Publizisten, Forscher, Politiker und Expolitiker in den Raum stellen, mit denen sie schnell und planlos auf einen neuen Zug aufspringen. 
Und während man noch staunt, was hier wieder für Müll an einem vorbeirauscht, kümmern sie sich schon wieder um das nächste Thema, bearbeite sie die nächste Baustelle und sondern die nächste Weisheit ab.  Manche sieht man dann noch, wie sie aus ihre Versteck amüsiert zusehen, wie andere versuchen, Sinn in ihren Fragmente zu finden. Oft haben sie aber auch selbst schon vergessen, was sie eigentlich gesagt haben. 

Allesamt sind sie die Speersitzen einer neuen Kulturtechnik unserer Zeit. Es ist die Kulturtechnik des Behauptens.  Behauptungen ersetzen Argumente, Wissen und Nachdenklichkeit.
Entschlossen Behauptende sind eine natürliche Bedrohung der Nachdenklichen, deren Einwände im Wirbel schöner neuer Wortfetzen untergehen. 

Ein bunter Spaß, der vor allem in Ausnahmesituationen blüht? Andere Umstände befördern das Behaupten vielleicht besonders – aber der Verzicht auf Argumente, eigentlich auf einfachste Grundzüge von Logik, ist schon lange keine Ausnahme mehr. 
Und das ist nicht nur schlecht für alle, die gern Argumente vorbringen würden. Es lässt auch alle allein, die eigentlich gern verstehen würden. 

Geld wächst nicht nach, Kosten schon

Ich geh ja nur zwei oder drei Mal im Jahr zum Friseur, insofern bin ich von Corona-Einschränkungen ja nur marginal betroffen. Ich dachte zuerst auch, dass grundsätzlich ohnehin viel an Geschäften weiterlaufen wird, weshalb es keine unmittelbaren Sorgen geben wird.

Coronabedingte Ausfälle im Agenturgeschäft, dachte ich, werden wohl erst im Herbst richtig schlagend werden. Dann wenn Unternehmen nach eine Nachdenkpause im Frühjahr, während der Isolationsphasen, eine Sommerpause angehängt haben, im September wieder auf Betriebstemperatur sind und im Oktober vielleicht hoffentlich schon wieder Entscheidungen treffen.  Bis dahin läuft noch einiges weiter, das sich auch sehr gut remote erledigen lässt, und außerdem ist ja noch einiges an offenen Rechnungen draußen.

Letztere werden nun zum Problem. Seit Mitte März, seit von Corona, Einschränkungen, Isolation und Quarantäne die Rede ist, habe ich keine nennenswerten Eingänge mehr am Konto. Ein paar Buchhändler haben ein paar Euro für kleine Bestellungen bezahlt, der Direktvertrieb über Onlineshops läuft weiter und das dank coronaspezifischer Aktionen recht gut – aber große Kunden lassen aus.  Da geht es zum Beispiel um einen Marktführer in Österreich mit 400 Millionen Euro Jahresumsatz, der keine Einbrüche in seinem Kerngeschäft hat; vielleicht fallen ein paar Zusatzservices weg, aber der Großteil der Einnahmen ist dort nach wie vor im Trockenen.  Oder um die Österreich-Niederlassung eines globalen Konzerns mit über 7 Milliarden Euro Jahresumsatz.  Oder um einen Konzern, der sich gleich 90 Tage Zahlungsziel ausbedungen hat und die noch überschreitet.

Offen sind für mich relevante Beträge in der Höhe von etwa einem Viertel des Jahresumsatzes. Für mich ist das relevant, für die Kunden eher nicht. Ich glaube auch nicht, dass da bewusste Entscheidungen getroffen wurden, Zahlungen einzufrieren. Vielleicht lassen sich ja nur vom Home Office aus nur die fehlenden Unterschriften nicht organisieren. Vielleicht ist der Zugang zur Freigabe von Überweisungen aus externen Netzwerken nicht möglich. Oder vielleicht haben Mitarbeiterinnen im Home Office einfach nicht die notwendigen Daten bei der Hand.

Die Frage ist ja: Ist das jetzt Krise oder nicht? Ich weiß (oder zumindest gehe ich hoffnungsfroh davon aus), dass noch einiges an Geld reinkommen wird, aber ich habe es noch nicht. Ich könnte einiges an Kosten für laufende Produktionen stoppen, um flüssig zu sein. Aber damit würde ich die Firma längerfristig lahmlegen. Also habe ich mich entschlossen, mich dann doch um diesen Härtefallfonds anzustellen.

Da steckt allerdings ein durchaus schräges Berechnungsmodell dahinter. Zwar wird der Umsatzrückgang als Grundlage herangezogen, um überhaupt festzustellen, ob hier gefördert werden kann. Gefördert wird dann allerdings nicht im Verhältnis zum Umsatzrückgang, sondern im Verhältnis zu einem durchschnittlichen fiktiven Nettoeinkommen aus dem Vorjahr.

Das bedeutet: Für einen Umsatzrückgang von 70% im ersten Betrachtungszeitraum würde ich knapp 1000 € bekommen. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass der gerettete Umsatz (also die 30%) auf neue Produkte zurückzuführen ist, die zu entwickeln und zu vermarkten auch Geld gekostet hat. Ebenso zählt dabei nicht, dass dieses Geld eigentlich nicht entnommen werden kann, weil es zur Finanzierung anderer laufender Produkte gebraucht werden wird (so etwas kann man als Einzelunternehmer ja grundsätzlich nicht abbilden).

Und ich habe mich schon lange nicht mehr mit meinem Nettoeinkommen beschäftigt. Das geht wohl vielen so. Man betrachtet den Umsatz, zahlt Rechnungen, freut sich, wenn etwas übrig bleibt, und ärgert sich zugleich, wenn man davon mehr Steuern zahlen muss. Und ein „echtes“ Nettoeinkommen steht ja dann auch erst drei Jahre später fest, wenn die Sozialversicherung auch endlich abgerechnet hat.  Das ist in dem den Härtefällen zugrundegelegten Förderkriterien übrigens auch nicht berücksichtigt.

Das führt zu einigen merkwürdigen Konstellationen.

  • Schlecht steigen jene aus, die im Corona-Monat durch Investitionen und Mehraufwände Umsätze gerettet haben. Sie bekommen gar nichts oder weniger.
  • Schlecht steigen auch jene aus, die noch Zahlungseingänge aus älteren Projekten haben und für die die Krise erst später beginnen wird. Denn der Härtefallfonds läuft derzeit mit 15.6. aus.
  • Gut steigen jene aus, die alle Zahlungseingänge auf nach Juni verschieben konnten, erst mal nichts machen und die drei Monate aussitzen.
  • Besser steigen auch jene aus, die im Vorjahr ihre Sozialversicherung nicht bezahlt haben oder denen noch größere Nachzahlungen bevorstehen. Denn ihre Umsatzrentabilität war deutlich höher.
  • Die Sozialversicherung, die man sich derzeit ja noch leichter stunden lassen kann, zeigt sich auch besonders gnädig und exekutiert Rückstände zur Zeit nicht. Das macht sich bereits in einer niedrigeren Konkursquote bemerkbar. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Die Nachforderungen werden kommen, und auch die Konkursanträge durch die Sozialversicherung werden nachgeholt werden. 

Wie man es besser gemacht hätte?

Sagt ja niemand, dass es einfach ist.  Was sich hier aber meiner Meinung nach zeigt, ist wie wenig staatliche Eingriffe tatsächlich in kontrollierter und nützlicher Art und Weise vorgenommen werden können. Einschränken, stoppen, verbieten, regulieren, das klappt. Anschieben, wiederbeleben, ausgleichen – das ist sehr schwierig. Das klappt dann, wenn Rahmenbedingungen geschaffen werden, Möglichkeiten eröffnet werden, bei der Beseitigung von Hindernissen geholfen wird.  Ich möchte das dann aber bitte nicht Rettung nennen. Es ist Schadenersatz, und auch das nur teilweise, in Form einzelner Tropfen auf immer heißeren Boden.
Und viele dieser Schäden kommen aus veralteten Sichtweisen von Wirtschaftspolitik. Da kann das Virus gar nichts dafür.

Shoshana Zuboff: The Age of Surveillance Capitalism

Es wird langsam ein wenig manifest – ich habe wachsende Schwierigkeiten mit amerikanischen Bestseller-Sachbüchern. Erst hinterließ Malcolm Gladwells „Talking to Stranges“ bei mir große Ratlosigkeit, jetzt habe ich mit großer Verwunderung Shoshana Zuboffs „The Age of Surveillance Capitalism“ gelesen. Die Verwunderung war dabei nicht dem Inhalt geschuldet, sondern der Tatsache, dass das Buch streckenweise euphorisch rezipiert wurde. 

Zuboff unterzieht die Geschäftsmodelle der Tech-Giganten einer kritischen Analyse. Um darin viel neues zu finden, muss man die letzten 20 Jahre schon in der Pendeluhr geschlafen haben. Insbesondere Google und Facebook sieht Zuboff als Musterbeispiele der neuen Überwachungskapitalisten. Der Grundtenor der Kritik: Konzerne beuten wie seit jeher Menschen aus, diesmal allerdings vorrangig durch Analyse und Vorhersage ihres Verhaltens. Technologieriesen sammeln Daten, analysieren sie – und verwerten das Wissen, sie schaffen immer dichtere Netze, die immer mehr Daten liefern und immer bessere Möglichkeiten bieten, das aus Analysen gewonnene Wissen anzusetzen. User, meint Zuboff, sind damit nicht einmal mehr das Produkt, sie sind bloße Kadaver, die übrig bleiben, wenn ihre Information ausgewertet wurde, sie spielen keine Rolle mehr. 

Den Konzernen und ihren Geschäftsmodellen ist es egal, was Menschen machen – solange sie ihre Tools und Netzwerke bedienen und benutzen, sind die monetarisierbare Manövriermasse, die gewinnbringend durchgeschleust werden kann. 

Das klingt nicht nett. Aber es unterliegt den gleichen etwas überzogenen Vorstellungen und Phantasien von Allmacht, Allwissen und Kontrolle, mit der eben die so kritisierten Tech-Giganten ihre Relevanz in der Welt behaupten wollen. Facebook, Google und Microsoft erzählen am laufenden Band, wie sehr und wie dicht sie die Welt vernetzen, was sie alles tun und beeinflussen können und wie unverzichtbar sie deshalb sind. Auf dieser Erzählung beruht ein großer Teil ihres Wertes, sie begründet sie Attraktivität der Branche für Investoren. Und auch dabei ist egal, wie diese Erzählung gemeint ist. Sie kann positiv formulierte Eigenwerbung sein, wenn sie von den Konzernen selbst sein, sie kann Kritik sein – solange die Erzählung von der Allmacht bekräftig wird, blühen die Geschäfte.  Und es blühen eben nicht nur die Geschäfte der Konzerne, sondern auch die der KritikerInnen.

Viel von dem, das Zuboff in Kritik verpackt, hat in den vergangenen 20 jähren verschiedene Phasen von Belustigung über Begeisterung, Gleichgültigkeit, Angst, Faszination, Hoffnung und anderen Erwartungen durchlaufen.

Smart Homes, Smart Cars, vernetzte Dinge und ähnliche Visionen beschäftigen uns in unterschiedlichen Prototypen-Stadien seit über 25 Jahren. Sie sind schleichend Realität geworden, Veränderungen sind in vielen kleinen Schritten passiert. Das hat den Vorteil, dass UserInnen immer noch Entscheidungsmöglichkeiten haben. Mit den smarten und vernetzen Devices haben sich auch Sorgen und Kritik daran gewandelt: Stand zu Zeiten des Supercomputers Hal noch die Angst vor einer übermächtigen künstlichen Intelligenz im Vordergrund, so ist jetzt die Angst vor den menschlichen Manipulatoren dieser künstlichen Intelligenzen und ihren allzumenschlichen Motiven überwiegend. 

Wir sind einer digitalen Allmacht nicht ohne jede Option ausgeliefert. Wir haben immer noch schrittweise Entscheidungsmöglichkeiten – das vereinfacht Zuboff wohl aus dramaturgischen Gründen stark. In ihrer Darstellung sind wir ausgeliefert. 

Überwachung und Datensammlung sind massiv – aber zumindest im Westen basieren sie immer noch großteils auf Konsum. Menschen nutzen Dinge, weil sie praktisch sind, weil sie es wollen; noch gibt es kaum flächendeckende Zwangsverpflichtungen. Überzogenes Datensammeln braucht immer noch jemanden, der mitmacht. Zweifellos ist dabei aber oft die Informationslage nicht ausreichend. Die Tech-Giganten sind aber durch Konsum zu Giganten geworden. Noch ist in den nicht totaliären Gesellschaften Konsum die treibende Kraft, und diese geht damit von unten aus. Auch wenn Tech-Konzerne heute einschränkend, ausgrenzend und ausschließend sind, sie wurden nur groß, weil viele Menschen etwas von ihnen wollten. Darin liegt auch nach wie vor ihr Wert. 

Zuboff ist dagegen immer um klare Fronten bemüht. In ihrer Darstellung werden Tech-Konzerne zu feindlichen Invasoren, denen Menschen ausgeliefert sind, die zuviel wissen, und deren Freiheit deshalb eingeschränkt werden muss. Sie brauchen Kontrolle.  Das ist ein heimelig-revolutionärer Ansatz, dem man möglicherweise zustimmen kann. Allerdings verfehlt dieser Punkt womöglich sein eigentliches Thema. Denn Manipulation, Falschinformation, Steuerung in Form von Druck oder Konditionierung sind keine Entwicklungen, die auf Technologie zurückgehen. Sie unterliegen psychologischen Grundsätzen – unter anderem deshalb sind diese Entwicklungen ja so erfolgreich.  Und sie sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil sie auf menschlichem Verhalten beruhen. Menschen verhalten sich immer, dagegen kann man nichts tun. Und wer sich danach ausrichtet, wie Menschen sich am häufigsten verhalten, hat eine gute und effiziente Geschäftsgrundlage. 

Das führt zu Zuboffs zweitem Kritikpunkt, der in der Rezeption weniger beachtet wurde (dort konzentrierte man sich mehr auf die Allmacht), den ich aber für um einiges relevanter halte. Die gigantischen Ausmaße führen zu Gleichgültigkeit. Inhalte, Qualität, Anspruch, Zielsetzung – all das wird zunehmend völlig egal, was zählt, ist dass sich etwas bewegt. Was das ist, in welche Richtung es geht, ist unerheblich. Konkret: Es ist egal, wer Werbung auf Facebook bucht, es ist egal, dass SEO belanglosen redundanten Content bevorzugt, es ist egal, das Filter- und Community-Effekte in Social Networks zu Entropie und Gleichförmigkeit führen – man muss es nur wissen, sich danach ausrichten, den Trend verstärken, und schon hat man eine gute Geschäftsgrundlage. 

Das hat Effekte, die weit über den Machtbereich der Technik-Konzerne hinausgehen. Als erfolgreich, wertvoll und „gut“ gilt, wer diese Logik beherrscht und seine Geschäfte nach ihr richtet. Leichte Kategorisierbarkeit von allem, Schubladisierbarkeit und die Entsprechung zu Stereotypen sind Erfolgsfaktoren.  Reichweite und Beachtung sind Indizien von Erfolg – was und wie über etwas gesprochen wird, ist es egal, Hauptsache, es wird darüber gesprochen.

Aufmerksamkeitssurrogate in Form von Likes und Shares sind plakative Anzeichen dafür, wie Reichweite und Verbreitung inhaltliche Arbeit und Auseinandersetzung mit einer Idee ersetzt haben.  Das verändert, wie wir öffentlich auftreten, woran wir arbeiten, was wir als Gesellschaft für wichtig halten, womit wir uns beschäftigen, wem wir unsere Zeit widmen und wohin unsere Energie und Aufmerksamkeit fließen.  Dabei sind aber nicht die Tech-Konzerne die handelnden Akteure, sie sind nur die gleichgültigen Profiteure. Die Akteure sind Menschen, die auch die Wahl hätten, sich anders zu verhalten. Für sie ist es aber auch eine bequeme Taktik geworden, sich der Logik von schneller Beachtung zu unterwerfen, den Gedankengang der Pointe zu opfern und die Sorgfalt im Denken der Wiedererkennbarkeit. 

Das hat Auswirkungen darauf, wie wir überhaupt noch argumentieren. Meist ist ein Argument schon zu lang, es gehorcht nicht den Regeln der eindimensionalen Einfachheit, indem es mehr als eine Seite eines Sachverhalts beschreibt – und damit ist die Gefahr der Ablenkung schon zu groß. Der Argumentierende fällt aus dem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, der Kunde (den dort draußen sind heute alle Kunden) wendet sich möglicherweise etwas anderem zu – das kann nicht sein, er oder sie muss schnell mit einer neuen Behauptung wieder eingefangen werden.  Behauptungen ersetzen Argumente als Kulturtechnik.  Wenn wir nicht mehr Argumentieren, dann können wir auch nicht mehr verstehen. Das ist ein Problem, gerade in einer nicht einfachen Zeit, in der viele Entscheidungen getroffen werden müssten. 

Deshalb sehe ich Auswege auch nicht in einem Rückzug in Privatheit, in der uns dicke Mauern vor Beobachtung schützen, wie Zuboff schreibt. Nichts gegen den Wunsch, auch mal unbeobachtet sein zu wollen – das ist gut und sinnvoll, löst aber wenig Probleme.  Wir brauchen mehr hartnäckige, lästige, bohrende, fragende und argumentierende Öffentlichkeit, in der Machtverhältnisse weniger dazu genutzt werden können, andere vom Tisch zu wischen, in der jene, die andere nicht ausreden lassen, die nicht zuhören, die nicht argumentieren, nicht jene sind, die Bewunderung für Entschlossenheit und Prägnanz einheimsen.  Das liegt aber an den Nutzerinnen und Nutzern. In den entscheidenden Punkten bleiben auch die größten Konzerne und Plattformen erstmal nur Werkzeuge. 

Müssen Lokalpolitiker schlauer sein als Künstliche Intelligenz?

Es ist ein beliebtes Spiel berühmter Bühnenphilosophen: “Stellen Sie sich vor, Sie müssen die Intelligenz selbstfahrender Autos programmieren, die im Krisenfall entscheidet, welchen Unfall sie in Kauf nimmt. Soll das Kind überfahren werden oder der alte Mensch?” Man lässt das Publikum rätseln, Argumente finden, Lösungen entwickeln, die die Verantwortung anders wohin schieben, in volkswirtschaftliche Überlegungen oder Krankheitskosten.

Bis dann der Animateur auf der Bühne smart lächelnd auflöst: Man kann es nicht entscheiden, man muss und sollte es auch nicht tun.

Das ist recht einfach zu erklären: Stellt euch nur vor, ihr wärt selbst als Autofahrer in der Situation, habt jemanden verletzt und sagt nachher: “Ja, also ich hab mir das schnell durchüberlegt, das Kind oder die alte Frau, vielleicht hätte das Kind ja bessere Überlebenschancen, aber die alte Frau hätte wahrscheinlich ohnehin bald aus anderen Gründen ins Spital müssen und wer weiß, wie lang lebt sie überhaupt noch, also klar, ja, ich hab dann auf sie zugesteuert.” Man würde euch zurecht für einen Psycho halten.  Wenn ihr sagen würdet: „Ja, nein, ich weiß nicht, alles ging so schnell und dann plötzlich …“ – ihr hättet inhaltlich genau nichts gesagt, aber alle würden es verstehen. 

Einige Tiroler Landespolitiker haben sich offenbar für den Psycho-Weg entschieden. In einer Situation, die niemand überblickt hat, die so neu, anders und schwierig war, dass alle verstehen würden, dass es hier nicht einfach richtige Entscheidungen gab, beharren sie darauf, alles richtig gemacht zu haben.

Das ist argumentationstechnisch herausfordernd. Was ist in einer neuartigen schwierigen Situation richtig? Und was bedeutet es, zu sagen “ich habe alles richtig gemacht“?

Zuerst ist es eine Variante, Verantwortung zu übernehmen. In „Ich habe alles richtig gemacht“ ist ich ein selbstbestimmter Akteur, der Entscheidungen getroffen hat.

Paradoxerweise soll die Aussage aber gemeinhin genau das nicht bedeuten. Sie ist eine Art, auszudrücken, dass man Regeln befolgt und sich an Anordnungen gehalten habe. Das Handelnde Ich in diesem Satz hat entsprochen, es hat getan, was verlangt wurde. Damit schiebt es die Verantwortung weg an eine Instanz, die gesagt und entschieden haben soll, was richtig ist. Und das bedeutet dann wieder, dass der Lokalpolitiker nicht dafür verantwortlich sein kann. Im Politspeak heißt das dann: Er kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden.

Das stimmt ja auch in gewisser Weise.

Trotzdem fragen sich jetzt alle, mit was für Vögeln man es hie zu tun hat. Hätten sie gesagt: „Ja, nein, ich weiß auch nicht, es war eine sehr unübersichtliche Situation, es war nicht ganz klar, wie Entscheidungen getroffen wurden und wir machen das jetzt so, und zwar folgendermaßen …“, dann gäbe es natürlich immer noch einige notorische Besserwisser und Journalisten, die immer schon genau gewusst hätten, was zu tun gewesen wäre (am besten hätten sie es gewusst, als sie noch gar nicht wussten, was zu entscheiden war), aber alle anderen hätten es verstanden.

Aber das verträgt sich halt nicht mit dem Bild des entschlossen handelnden Politikers. So wie die Bundesregierung auch in ihrer Entschlossenheit Planlosigkeit demonstriert und alle halben Tage nachbessern muss (was immerhin teilweise Lernfähigkeit zeigt), mussten eben auch Lokalpolitiker entschlossen sein.

Und den Versuch, alles in Ja/Nein-Entscheidungen zu übersetzen, könnte man tatsächlich künstlicher Intelligenz überlassen. Die braucht auch jemanden, der ihr neue Vorgaben macht und ihr Umfeld mit ganz klaren Anweisungen aufbereitet, damit sie sich anders entscheiden kann.

Aber die künstliche Intelligenz sagt dann auch nicht „Ich habe alles richtig gemacht.“ Das überlässt sie anderen. Insofern könnte dieser Schlag von Lokalpolitikern da noch etwa lernen.

Härtefälle in Österreich: Wenn die Donkosaken mit dem goldenen Löffel ausbleiben

Seit Wochen diskutiert die Wirtschaftspolitik mehr oder weniger unbeholfen über Krisen und Härtefälle, schnürt Pakete, packt sie wenige Stunden später wieder um und kündigt dabei gleich die nächste Pressekonferenz an.  Ich hatte dabei ein paar böse Gedanken:

  • Es gibt in Österreich verschiedene Arten von UnternehmerInnen: Solche, die ihr Unternehmen führen, Produkte und Services entwickeln und Kunden gewinnen, und solche, die sich mit Förderungen auskennen.
  • Förderungen werden den Schlauen nützen, den geübten SystemsurferInnen, die sich immer schon gut von einer Unterstützung zur nächsten hangeln, wissen, wie man Fördertöpfe anzapft und große Teile ihres Geschäfts davon abhängig machen.
  • Man wird sich entscheiden müssen, ob man a) Zeit investiert, um die Fördermöglichkeiten zu verstehen und auszunützen, oder ob man b) Zeit investiert, um neue und an die Zeit angepasste Geschäftsgelegenheiten zu suchen.

Dann habe ich das vergessen und mich wieder um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert.

Ein paar Tage später hat sich die Situation auf österreichische Art und Weise sehr zugespitzt:  Alle halten sich für Härtefälle.

MitbewerberInnen, die stets große Projekte und KundInnen durchklingen haben lassen, um die die man sie ingseheim beneidet hat, sind offenbar innerhalb von zwei Wochen am Hungertuch gelandet.

Milliardäre fordern Millionen, um sich weiterhin Millionen auszahlen zu können.

Der ORF, als öffentlich rechtlicher Rundfunk gebührenfinanziert und damit auch in Krisenzeiten einnahmenseitig recht solide, setzt Medienberichten zufolge auch auf Kurzarbeit. Das ist nicht nur der Einnahmenseite wegen etwas merkwürdig, schließlich hat man uns ja auch in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, wie wichtig der Öffentlich-Rechtliche sei. Wenn man in Krisenzeiten kein Personal braucht, um wichtig zu sein, legt das auch die Frage nahe, ob man denn überhaupt das ganze Personal braucht.

Und dann kam Karin Kneissl. Erst versuchte sich die ehemalige Außenministerin in kumpelhafter Twitterei unter Autoren mit einem Handke-Fake-Profil, nicht ohne dabei darauf hinzuweisen, dass sie für Verlagsangebote für neue Bücher offen wäre. Und dann beklagte sie sich, bis dato keine Zahlungen aus dem Härtefallfonds der WKO bekommen zu haben. Kneissl war bis Juni 2019 Außenministerin, im August 2018 knickste sie auf ihrer Hochzeit vor Stargast Putin. Putin war damals mit Donkosaken im Schlepptau angereist und ließ die Donkosaken als Geschenk „17 Jahr, blondes Haar singen“.

Mag ja sein, dass Kneissl keine Einkünfte hat. Mag auch sein, dass ihr Mann, der zwar gerne den mächtigen Lobbyisten und Finanzjongleur gibt, seit längerem auf dem Trockenen sitzt. Und es ist auch ok, dass man nicht sofort Altersvorsorgen o.ä. auflösen muss, wenn man mal in Schleudern kommt.

Von mir aus kann Kneissl wie alle anderen ihr Geld bekommen.  Ein wenig, ich sag mal beruhigend, ist für wenig soziale Menschen wie mich, die sich mit DiktatorInnen-Bussis nicht ganz so leicht tun, die Erkenntnis, wie wenig dann die scheinbar tollen Kontakte nützen, wenn der Glanz stumpf wird. Das gilt für alternde Künstler, die alle toll finden, die aber in ungeheizten Geschäftslokalen leben, weil sie nicht mehr nützlich sind, und eben auch für allseits beliebte Lobbyisten oder MinisterInnen a.D., die sich kurz im strahlenden Glanz sonnen durften. Auch die vermeintlich guten Kontakte motivierten den Gönner nicht mehr dazu, die Donkosaken, diesmal mit goldenen Löffeln, anreiten zu lassen.

Und noch etwas macht sich, vor allem in Österreich, bemerkbar: Wir sind sehr an der Krise und an Problemen interessiert. Es sprießen einige Initiativen und Foren aus dem Boden, in denen sich Betroffene austauschen können, in denen sie klagen und Fragen stellen können. Lösungsvorschläge und Anregungen sind dort oft weniger gewünscht. Sie werden in der Regel von AdministratorInnen als unerwünschte Werbung gelöscht. Ist auch ok. Aber halt ein sehr traditionell österreichischer Zugang …

Corona und die Ein-Personen-Unternehmen: Weder Tagelöhner noch Reste-Esser

Es kriegen eh alle was, mehr wissen wir auch nicht. – So in etwa lassen sich die zahlreichen ausgedehnten Regierungspressekonferenzen zusammenfassen, wenn es um wirtschaftliche Unterstützung für UnternehmerInnen geht.  Gerade der Härtefallfonds, mit dem Ein-Personen-Unternehmen geholfen werden soll, bleibt noch immer ein Mysterium.

Oder die größte Newslettermarketing-Aktion des Jahres, denn mehr als ein Newsletteranmeldeformular gibt es von diesem Fonds noch nicht zu sehen (hier kann man sich für den Newsletter anmelden). 

Im Text gibt es für Anforderungen an den Fonds recht strenge Anforderungen (in Saldenlisten nachgewiesener Umsatzrückgang von mindestes 50% für Mietzuschüsse, mindestens 75% für Geldzuschüsse; auf der Tonspur klang das zumindest bei Werner Kogler anders: „Da wird jetzt niemand so genau prüfen“, meinte er in der Pressekonferenz am Dienstag. 

Wie schon zuletzt erwähnt – es ist sehr fraglich, was die Zahlungen überbrücken sollen, ob sie ausreichen und wem wie wirklich helfen werden.  Für Selbstständige mit regelmäßigen kleinen Einnahmen sind die Ausfallszahlungen sehr wichtig; die bräuchten das schon seit über zwei Wochen.  Für andere UnternehmerInnen, die zwar keine Angestellten haben, sehr wohl aber PartnerInnen und LieferantInnen, die auch bezahlt werden müssen, für Ein-Personen-Unternehmen, die größere Projekte abwickeln und einiges vorzufinanzieren haben, bringt diese Art der Unterstützung eher wenig. Was zu wenig Beachtung findet, ist dass auch diese Art von Projekten Geld in Bewegung bringen und letztlich Jobs schaffen, die auch an der Kippe stehen, wenn hier alles zum Erliegen kommt. 

Mit Selbstständigen fängt man sich in Österreich nichts an – dem handelsüblichen Wirtschafts- und Sozialpolitiker fallen dazu wohl gerade noch Ärzte und Anwälte ein, an anderen Ende der Nahrungskette allenfalls noch Kleinstgrafiker oder vielleicht Singletischler. Dass wir heute dank flexibler Kooperationsmöglichkeiten und schneller Kommunikation als Ein-Personen-UnternehmerInnen auch größere und kompliziertere Dinge schupfen können, hat sich noch nicht so herumgesprochen. 

Das merkt man auch an anderen Kritikpunkten, die einem entgegenschlagen, wenn man fehlende Unterstützungsmaßnahmen kritisiert: Als UnternehmerIn habe man doch wohl Rücklagen, man werde doch wohl dafür gesorgt haben, dass man sich selbst erhalten könne. Das versteigt sich bis zu absurd-konkreten Behauptungen, Selbstständige, die in den vergangenen Jahren 2000 € netto monatlich verdient hätten, müssten doch wohl allein über die Runden kommen. Und jetzt stelle man sich vor, man wollte Angestellten, die mehr als 2000 € netto verdienen, das Arbeitslosengeld streichen, aus Solidarität für die, die es dringender brauchen. 

Das Lustige daran ist: Persönlich hätte ich sogar Reserven. Es gibt immer wieder mal Durststrecken, für die muss man als UnternehmerIn gerüstet sein. Ich könnte mich auf der Stelle (oder sobald das Wetter schöner wird) auf den Balkon setzen, die Zeit genießen, und im September dann langsam mal wieder was anderes anziehen als eine Badehose. 

Allen laufenden Projekten, in die ich Zeit und Geld investiere, deren Risiko dank der Coronakrise deutlich steigt, nützt das aber wenig. Die müsste ich sofort einstellen – egal, ob die anderen Geld bringen, ob hier noch Rechnungen zu zahlen wären.  Alle unternehmerischen Versuche, etwas gegen die Folgen der Krise zu tun, müsste ich auch sein lassen – die kosten erstmal Geld, sind mit Risiko verbunden  Und wenn das Geschäft dann im Herbst nicht wieder anspringt, könnte ich ja immer noch n Arbeitslose gehen – Ansprüche hätte ich nämlich.  Dafür bräuchte ich niemanden. 

Das ist nicht ganz Sinn der Sache.  Aber es zeigt auf, dass Österreich mit seinen Selbstständigen nicht umgehen kann. Darüber kann ein wenig Startup-Bullshit auch nicht hinwegtäuschen. Allen, die bei der Unsicherheit und Unentschlossenheit das Handtuch werfen, kann man es nicht verdenken. Es gibt ja wirklich sehr wenig Möglichkeiten, konkrete Pläne zu fassen. Aber auch wenig Grund zur Zuversicht, dass sich in diesem Jahr für kleine Unternehmen wirtschaftlich noch viel retten lässt (warum, dass habe ich hier beschrieben). 

Damit steht viel auf dem Spiel – nicht nur für einzelne. Wenn ich wieder von meinem eigenen Unternehmen ausgehe: Für jeden Euro Gewinn fallen gut drei Euro an Honoraren für Fremdleistungen an – das würde auch alles wegfallen. Betriebskosten für das eigene Unternehmen (an denen ja auch wieder jemand verdient) sind dabei noch gar nicht eingerechnet.  Ein-Personen-Unternehmen sind Unternehmen, keine Tagelöhner und keine Restl-Esser. 

Was ich in der Zwischenzeit nur allen raten kann: Kriegt eure Finanzen in den Griff. Es ist fahrlässig, einmal im Jahr einen Schuhkarton zur SteuerberaterIn zu bringen. Ihr solltet immer den Überblick haben, was euch eure Arbeit eigentlich kostet. Erstens könnt ihr dann auch besser erklären, warum Ein-Personen-Unternehmen wichtig sind und was sie eigentlich brauchen. Und zweitens könnt ihr dann auch selbst eure Abgaben wie Einkommensteuer und Sozialversicherung vorausberechnen – jedes brauchbare Buchhaltungsprogramm kann das, oder sogar die „SVSteuerApp“ der Wirtschaftskammer (auch wenn die keine Freibeträge berücksichtigt). 

Denn, da kommen wir wieder an den Anfang zurück: Die große Stundungs- und Zahlungsaufschubs-Welle, verbunden mit „Da wird jetzt niemand so genau prüfen“, wird für viele in ein paar Monaten zu einer dramatischen Schuldenfalle. Denn die Nachzahlungen kommen ja. Und gerade wenn sie jetzt ungeprüft gestundet werden, werden sie auf jeden Fall zu hoch sein – denn kaum jemand wird seine Gewinne, auf die die Zahlungen ausgerichtet waren, halten können.  Und ich würde auch nur sehr ungern einen Zuschuss mit Vorbehalt bekommen, nach dem Motto: „Wir haben noch nicht geprüft, ob du Anspruch darauf hast, aber hier hast du mal …“ – Muss das dann zurückgezahlt werden? Wann kann ich mit der Entscheidung rechnen? Muss dass dann jeden Monat neu entschieden werden?

Sinnvoll fände ich aus heutiger Sicht eine Art Corona-Freibetrag, ähnlich wie Grundfreibeträge. Wobei die natürlich echte Härtefälle, wenn das Geld komplett ausbleibt, auch nicht ausgleichen würden.