Müssen Lokalpolitiker schlauer sein als Künstliche Intelligenz?

Es ist ein beliebtes Spiel berühmter Bühnenphilosophen: “Stellen Sie sich vor, Sie müssen die Intelligenz selbstfahrender Autos programmieren, die im Krisenfall entscheidet, welchen Unfall sie in Kauf nimmt. Soll das Kind überfahren werden oder der alte Mensch?” Man lässt das Publikum rätseln, Argumente finden, Lösungen entwickeln, die die Verantwortung anders wohin schieben, in volkswirtschaftliche Überlegungen oder Krankheitskosten.

Bis dann der Animateur auf der Bühne smart lächelnd auflöst: Man kann es nicht entscheiden, man muss und sollte es auch nicht tun.

Das ist recht einfach zu erklären: Stellt euch nur vor, ihr wärt selbst als Autofahrer in der Situation, habt jemanden verletzt und sagt nachher: “Ja, also ich hab mir das schnell durchüberlegt, das Kind oder die alte Frau, vielleicht hätte das Kind ja bessere Überlebenschancen, aber die alte Frau hätte wahrscheinlich ohnehin bald aus anderen Gründen ins Spital müssen und wer weiß, wie lang lebt sie überhaupt noch, also klar, ja, ich hab dann auf sie zugesteuert.” Man würde euch zurecht für einen Psycho halten.  Wenn ihr sagen würdet: „Ja, nein, ich weiß nicht, alles ging so schnell und dann plötzlich …“ – ihr hättet inhaltlich genau nichts gesagt, aber alle würden es verstehen. 

Einige Tiroler Landespolitiker haben sich offenbar für den Psycho-Weg entschieden. In einer Situation, die niemand überblickt hat, die so neu, anders und schwierig war, dass alle verstehen würden, dass es hier nicht einfach richtige Entscheidungen gab, beharren sie darauf, alles richtig gemacht zu haben.

Das ist argumentationstechnisch herausfordernd. Was ist in einer neuartigen schwierigen Situation richtig? Und was bedeutet es, zu sagen “ich habe alles richtig gemacht“?

Zuerst ist es eine Variante, Verantwortung zu übernehmen. In „Ich habe alles richtig gemacht“ ist ich ein selbstbestimmter Akteur, der Entscheidungen getroffen hat.

Paradoxerweise soll die Aussage aber gemeinhin genau das nicht bedeuten. Sie ist eine Art, auszudrücken, dass man Regeln befolgt und sich an Anordnungen gehalten habe. Das Handelnde Ich in diesem Satz hat entsprochen, es hat getan, was verlangt wurde. Damit schiebt es die Verantwortung weg an eine Instanz, die gesagt und entschieden haben soll, was richtig ist. Und das bedeutet dann wieder, dass der Lokalpolitiker nicht dafür verantwortlich sein kann. Im Politspeak heißt das dann: Er kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden.

Das stimmt ja auch in gewisser Weise.

Trotzdem fragen sich jetzt alle, mit was für Vögeln man es hie zu tun hat. Hätten sie gesagt: „Ja, nein, ich weiß auch nicht, es war eine sehr unübersichtliche Situation, es war nicht ganz klar, wie Entscheidungen getroffen wurden und wir machen das jetzt so, und zwar folgendermaßen …“, dann gäbe es natürlich immer noch einige notorische Besserwisser und Journalisten, die immer schon genau gewusst hätten, was zu tun gewesen wäre (am besten hätten sie es gewusst, als sie noch gar nicht wussten, was zu entscheiden war), aber alle anderen hätten es verstanden.

Aber das verträgt sich halt nicht mit dem Bild des entschlossen handelnden Politikers. So wie die Bundesregierung auch in ihrer Entschlossenheit Planlosigkeit demonstriert und alle halben Tage nachbessern muss (was immerhin teilweise Lernfähigkeit zeigt), mussten eben auch Lokalpolitiker entschlossen sein.

Und den Versuch, alles in Ja/Nein-Entscheidungen zu übersetzen, könnte man tatsächlich künstlicher Intelligenz überlassen. Die braucht auch jemanden, der ihr neue Vorgaben macht und ihr Umfeld mit ganz klaren Anweisungen aufbereitet, damit sie sich anders entscheiden kann.

Aber die künstliche Intelligenz sagt dann auch nicht „Ich habe alles richtig gemacht.“ Das überlässt sie anderen. Insofern könnte dieser Schlag von Lokalpolitikern da noch etwa lernen.

Härtefälle in Österreich: Wenn die Donkosaken mit dem goldenen Löffel ausbleiben

Seit Wochen diskutiert die Wirtschaftspolitik mehr oder weniger unbeholfen über Krisen und Härtefälle, schnürt Pakete, packt sie wenige Stunden später wieder um und kündigt dabei gleich die nächste Pressekonferenz an.  Ich hatte dabei ein paar böse Gedanken:

  • Es gibt in Österreich verschiedene Arten von UnternehmerInnen: Solche, die ihr Unternehmen führen, Produkte und Services entwickeln und Kunden gewinnen, und solche, die sich mit Förderungen auskennen.
  • Förderungen werden den Schlauen nützen, den geübten SystemsurferInnen, die sich immer schon gut von einer Unterstützung zur nächsten hangeln, wissen, wie man Fördertöpfe anzapft und große Teile ihres Geschäfts davon abhängig machen.
  • Man wird sich entscheiden müssen, ob man a) Zeit investiert, um die Fördermöglichkeiten zu verstehen und auszunützen, oder ob man b) Zeit investiert, um neue und an die Zeit angepasste Geschäftsgelegenheiten zu suchen.

Dann habe ich das vergessen und mich wieder um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert.

Ein paar Tage später hat sich die Situation auf österreichische Art und Weise sehr zugespitzt:  Alle halten sich für Härtefälle.

MitbewerberInnen, die stets große Projekte und KundInnen durchklingen haben lassen, um die die man sie ingseheim beneidet hat, sind offenbar innerhalb von zwei Wochen am Hungertuch gelandet.

Milliardäre fordern Millionen, um sich weiterhin Millionen auszahlen zu können.

Der ORF, als öffentlich rechtlicher Rundfunk gebührenfinanziert und damit auch in Krisenzeiten einnahmenseitig recht solide, setzt Medienberichten zufolge auch auf Kurzarbeit. Das ist nicht nur der Einnahmenseite wegen etwas merkwürdig, schließlich hat man uns ja auch in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, wie wichtig der Öffentlich-Rechtliche sei. Wenn man in Krisenzeiten kein Personal braucht, um wichtig zu sein, legt das auch die Frage nahe, ob man denn überhaupt das ganze Personal braucht.

Und dann kam Karin Kneissl. Erst versuchte sich die ehemalige Außenministerin in kumpelhafter Twitterei unter Autoren mit einem Handke-Fake-Profil, nicht ohne dabei darauf hinzuweisen, dass sie für Verlagsangebote für neue Bücher offen wäre. Und dann beklagte sie sich, bis dato keine Zahlungen aus dem Härtefallfonds der WKO bekommen zu haben. Kneissl war bis Juni 2019 Außenministerin, im August 2018 knickste sie auf ihrer Hochzeit vor Stargast Putin. Putin war damals mit Donkosaken im Schlepptau angereist und ließ die Donkosaken als Geschenk „17 Jahr, blondes Haar singen“.

Mag ja sein, dass Kneissl keine Einkünfte hat. Mag auch sein, dass ihr Mann, der zwar gerne den mächtigen Lobbyisten und Finanzjongleur gibt, seit längerem auf dem Trockenen sitzt. Und es ist auch ok, dass man nicht sofort Altersvorsorgen o.ä. auflösen muss, wenn man mal in Schleudern kommt.

Von mir aus kann Kneissl wie alle anderen ihr Geld bekommen.  Ein wenig, ich sag mal beruhigend, ist für wenig soziale Menschen wie mich, die sich mit DiktatorInnen-Bussis nicht ganz so leicht tun, die Erkenntnis, wie wenig dann die scheinbar tollen Kontakte nützen, wenn der Glanz stumpf wird. Das gilt für alternde Künstler, die alle toll finden, die aber in ungeheizten Geschäftslokalen leben, weil sie nicht mehr nützlich sind, und eben auch für allseits beliebte Lobbyisten oder MinisterInnen a.D., die sich kurz im strahlenden Glanz sonnen durften. Auch die vermeintlich guten Kontakte motivierten den Gönner nicht mehr dazu, die Donkosaken, diesmal mit goldenen Löffeln, anreiten zu lassen.

Und noch etwas macht sich, vor allem in Österreich, bemerkbar: Wir sind sehr an der Krise und an Problemen interessiert. Es sprießen einige Initiativen und Foren aus dem Boden, in denen sich Betroffene austauschen können, in denen sie klagen und Fragen stellen können. Lösungsvorschläge und Anregungen sind dort oft weniger gewünscht. Sie werden in der Regel von AdministratorInnen als unerwünschte Werbung gelöscht. Ist auch ok. Aber halt ein sehr traditionell österreichischer Zugang …

Corona und die Ein-Personen-Unternehmen: Weder Tagelöhner noch Reste-Esser

Es kriegen eh alle was, mehr wissen wir auch nicht. – So in etwa lassen sich die zahlreichen ausgedehnten Regierungspressekonferenzen zusammenfassen, wenn es um wirtschaftliche Unterstützung für UnternehmerInnen geht.  Gerade der Härtefallfonds, mit dem Ein-Personen-Unternehmen geholfen werden soll, bleibt noch immer ein Mysterium.

Oder die größte Newslettermarketing-Aktion des Jahres, denn mehr als ein Newsletteranmeldeformular gibt es von diesem Fonds noch nicht zu sehen (hier kann man sich für den Newsletter anmelden). 

Im Text gibt es für Anforderungen an den Fonds recht strenge Anforderungen (in Saldenlisten nachgewiesener Umsatzrückgang von mindestes 50% für Mietzuschüsse, mindestens 75% für Geldzuschüsse; auf der Tonspur klang das zumindest bei Werner Kogler anders: „Da wird jetzt niemand so genau prüfen“, meinte er in der Pressekonferenz am Dienstag. 

Wie schon zuletzt erwähnt – es ist sehr fraglich, was die Zahlungen überbrücken sollen, ob sie ausreichen und wem wie wirklich helfen werden.  Für Selbstständige mit regelmäßigen kleinen Einnahmen sind die Ausfallszahlungen sehr wichtig; die bräuchten das schon seit über zwei Wochen.  Für andere UnternehmerInnen, die zwar keine Angestellten haben, sehr wohl aber PartnerInnen und LieferantInnen, die auch bezahlt werden müssen, für Ein-Personen-Unternehmen, die größere Projekte abwickeln und einiges vorzufinanzieren haben, bringt diese Art der Unterstützung eher wenig. Was zu wenig Beachtung findet, ist dass auch diese Art von Projekten Geld in Bewegung bringen und letztlich Jobs schaffen, die auch an der Kippe stehen, wenn hier alles zum Erliegen kommt. 

Mit Selbstständigen fängt man sich in Österreich nichts an – dem handelsüblichen Wirtschafts- und Sozialpolitiker fallen dazu wohl gerade noch Ärzte und Anwälte ein, an anderen Ende der Nahrungskette allenfalls noch Kleinstgrafiker oder vielleicht Singletischler. Dass wir heute dank flexibler Kooperationsmöglichkeiten und schneller Kommunikation als Ein-Personen-UnternehmerInnen auch größere und kompliziertere Dinge schupfen können, hat sich noch nicht so herumgesprochen. 

Das merkt man auch an anderen Kritikpunkten, die einem entgegenschlagen, wenn man fehlende Unterstützungsmaßnahmen kritisiert: Als UnternehmerIn habe man doch wohl Rücklagen, man werde doch wohl dafür gesorgt haben, dass man sich selbst erhalten könne. Das versteigt sich bis zu absurd-konkreten Behauptungen, Selbstständige, die in den vergangenen Jahren 2000 € netto monatlich verdient hätten, müssten doch wohl allein über die Runden kommen. Und jetzt stelle man sich vor, man wollte Angestellten, die mehr als 2000 € netto verdienen, das Arbeitslosengeld streichen, aus Solidarität für die, die es dringender brauchen. 

Das Lustige daran ist: Persönlich hätte ich sogar Reserven. Es gibt immer wieder mal Durststrecken, für die muss man als UnternehmerIn gerüstet sein. Ich könnte mich auf der Stelle (oder sobald das Wetter schöner wird) auf den Balkon setzen, die Zeit genießen, und im September dann langsam mal wieder was anderes anziehen als eine Badehose. 

Allen laufenden Projekten, in die ich Zeit und Geld investiere, deren Risiko dank der Coronakrise deutlich steigt, nützt das aber wenig. Die müsste ich sofort einstellen – egal, ob die anderen Geld bringen, ob hier noch Rechnungen zu zahlen wären.  Alle unternehmerischen Versuche, etwas gegen die Folgen der Krise zu tun, müsste ich auch sein lassen – die kosten erstmal Geld, sind mit Risiko verbunden  Und wenn das Geschäft dann im Herbst nicht wieder anspringt, könnte ich ja immer noch n Arbeitslose gehen – Ansprüche hätte ich nämlich.  Dafür bräuchte ich niemanden. 

Das ist nicht ganz Sinn der Sache.  Aber es zeigt auf, dass Österreich mit seinen Selbstständigen nicht umgehen kann. Darüber kann ein wenig Startup-Bullshit auch nicht hinwegtäuschen. Allen, die bei der Unsicherheit und Unentschlossenheit das Handtuch werfen, kann man es nicht verdenken. Es gibt ja wirklich sehr wenig Möglichkeiten, konkrete Pläne zu fassen. Aber auch wenig Grund zur Zuversicht, dass sich in diesem Jahr für kleine Unternehmen wirtschaftlich noch viel retten lässt (warum, dass habe ich hier beschrieben). 

Damit steht viel auf dem Spiel – nicht nur für einzelne. Wenn ich wieder von meinem eigenen Unternehmen ausgehe: Für jeden Euro Gewinn fallen gut drei Euro an Honoraren für Fremdleistungen an – das würde auch alles wegfallen. Betriebskosten für das eigene Unternehmen (an denen ja auch wieder jemand verdient) sind dabei noch gar nicht eingerechnet.  Ein-Personen-Unternehmen sind Unternehmen, keine Tagelöhner und keine Restl-Esser. 

Was ich in der Zwischenzeit nur allen raten kann: Kriegt eure Finanzen in den Griff. Es ist fahrlässig, einmal im Jahr einen Schuhkarton zur SteuerberaterIn zu bringen. Ihr solltet immer den Überblick haben, was euch eure Arbeit eigentlich kostet. Erstens könnt ihr dann auch besser erklären, warum Ein-Personen-Unternehmen wichtig sind und was sie eigentlich brauchen. Und zweitens könnt ihr dann auch selbst eure Abgaben wie Einkommensteuer und Sozialversicherung vorausberechnen – jedes brauchbare Buchhaltungsprogramm kann das, oder sogar die „SVSteuerApp“ der Wirtschaftskammer (auch wenn die keine Freibeträge berücksichtigt). 

Denn, da kommen wir wieder an den Anfang zurück: Die große Stundungs- und Zahlungsaufschubs-Welle, verbunden mit „Da wird jetzt niemand so genau prüfen“, wird für viele in ein paar Monaten zu einer dramatischen Schuldenfalle. Denn die Nachzahlungen kommen ja. Und gerade wenn sie jetzt ungeprüft gestundet werden, werden sie auf jeden Fall zu hoch sein – denn kaum jemand wird seine Gewinne, auf die die Zahlungen ausgerichtet waren, halten können.  Und ich würde auch nur sehr ungern einen Zuschuss mit Vorbehalt bekommen, nach dem Motto: „Wir haben noch nicht geprüft, ob du Anspruch darauf hast, aber hier hast du mal …“ – Muss das dann zurückgezahlt werden? Wann kann ich mit der Entscheidung rechnen? Muss dass dann jeden Monat neu entschieden werden?

Sinnvoll fände ich aus heutiger Sicht eine Art Corona-Freibetrag, ähnlich wie Grundfreibeträge. Wobei die natürlich echte Härtefälle, wenn das Geld komplett ausbleibt, auch nicht ausgleichen würden. 

Onlinebuchhandel: Ein guter Zeitpunkt, sich von Amazon zu verabschieden

Amazon rückt Bücher nach hinten ins Regal. Der Onlinehändler, der mit dem Verkauf von Büchern groß geworden ist, will jetzt verstärkt Güter des täglichen Bedarfs verkaufen, um auf gestiegene Nachfrage in Corona-Zeiten zu reagieren. So weit so gut. 

Ich überlege, das zum Anlass für den endgültigen Ausstieg als Händler zu nehmen. 

  • Die Long Tail-Legende hat nie so recht funktioniert. Gerade so große Plattformen wie Amazon haben eine sehr starke Tendenz zu Blasenbildung und Entropie – man findet mehr vom Gleichen, und das nach Massentauglichkeit priorisiert.
  • Amazon brummt Kunden ordentliche Versandkosten auf – wohl um die eigenen Lager und den eigenen Versand zu subventionieren. Selbst bei Bestellung mehrerer Produkte können Kunden keine besseren Versandkonditionen geboten werden, wer 5 Bücher kauft, zahlt fünf Mal Porto. Das verärgert Kunden und verursacht Arbeit im Support; erst bei Accounts, die mit höheren Fixkosten verbunden sind, lässt sich das besser handhaben.
  • Mit Fulfillment by Amazon ließe sich das umgehen. Man schickt Ware ins Lager, Amazon verschickt an den Kunden. Seit Amazon sich nun an Umsatzsteuergesetze halten muss, müssen Händler aufwendige Steuerformulare ausfüllen, als österreichisches Unternehmen braucht man mindestens eine deutsche Steuernummer, um Ware in den Amazon-Lagern haben zu dürfen. Das führt zu absurden Situationen bei der Preisberechnung, etwa wenn Kunden aus Österreich bei der Bestellung eines österreichischen Produkts deutsche Umsatzsteuer verrechnet wird.
  • Damit ist Amazon auch nicht mehr wirklich international. Für die europäischen Märkte und den japanischen Markt müssen getrennte Angebote erstellt werden; für de amerikanischen Markt braucht es überhaupt einen eigenen Zugang.  Und damit ist die Angelegenheit auch ziemlich teuer und preislich intransparent. Auf Amazon.de , co.uk und anderen Märkten kassiert Amazon Provisionen, behält Umsätze ein und zahlt sie erst später aus. Auf Amazon.com kann man ohne fixe Grundgebühr gar nicht mehr verkaufen, dazu kommen noch umsatzabhängige Provisionen. Mit dem eigenen Onlineshop kann man weltweite Angebote und internationale Versandkosten mittlerweile viel besser steuern.

Amazon informiert Kunden falsch

Der einzige Grund, noch auf Amazon präsent zu sein, liegt in der systemimmanenten Fehlinformation, mit der Amazon seine Kunden in die Irre führt. Jedes Buch mit ISBN kann auf Amazon gefunden werden, egal, ob es dazu ein Angebot gibt oder nicht. Wenn kein Amazon-Händler das Buch in seinem Programm hat, heißt es bei Amazon: „Derzeit nicht lieferbar“. Dass das Buch überall anders, nur nicht bei Amazon, lieferbar ist wird geflissentlich ignoriert. 

Unabhängig davon, ob Amazon Bücher wieder besser positionieren wird und ob Amazon seine Steuerprobleme in de Griff bekommt: Jede Institution, die Daten an Amazon liefert oder zulässt, dass Amazon ihre Daten verwendet, sollte darauf bestehen, dass dieser irreführende Zusatz entfernt wird.  Für Österreich und Deutschland wäre das der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Betreiber des Verzeichnis lieferbarer Bücher. 

Das wäre auch ein Thema, das ich gern in der Buch- und Medienwirtschaftsfachgruppe der Wirtschaftskammer gezielter auf den Tisch bringen würde – wenn es mal wieder Ausschusssitzungen gibt. Die sind nämlich alle bis auf weiters abgesagt; einen Plan, wann die Ausschüsse wieder arbeiten sollen, gibt es offenbar nicht. 

Lieber gleich mit eigenem Onlineshop

Natürlich ist es gerade für kleine Verlage essenziell, Bücher online verkaufen zu können. Dazu braucht man Amazon nicht. Ein eigener Onlineshop für einen Verlag ist deutlich einfacher als ein Onlineshop für Buchhändler, aber beides kann innerhalb von zwei Tagen startklar sein  – und mit meiner Agentur helfe ich im übrigen gern dabei

Corona und “die Wirtschaft”: Wild entschlossen, aber planlos in der Praxis

Es ist ein Dämon aus der Zukunft, ein Wink des auf seine Chance lauernden Kommunismus, eine Folge eines zügellosen Kapitalismus, eine Chance, so vieles zu ändern – dem Coronavirus wird vieles nachgesagt

Viele erleben Ausnahmesituationen, gerade diejenigen, die vielleicht am wenigsten Ausnahme erleben, machen sich gerade deshalb, weil sie nichts tun können, weil nach dem ersten Schreck wenig reale Einschnitte vorhanden sind, um so mehr Gedanken über die Dramatik der Situation.  Unsicherheit ist da, das lässt sich nicht bestreiten. Und sie betrifft alle. Noch profitiert kaum jemand von dieser Krise. Den einen droht Arbeitslosigkeit, den anderen drohen Geschäftsrückgänge, nicht einmal Vermieter als Inbegriff des gierigen kapitalgetriebenen Bonzen können sich ihrer Sache sicher sein – denn wer soll noch zahlen, wenn niemand mehr (ungestört) arbeiten kann? 

Die Unsicherheit ruft Propheten auf den Plan. 

Sie sind jetzt schon überzeugt, dass „nachher“ nichts mehr so sein wird wie zuvor. Sie sehen jetzt Zeichen für das, das sie immer schon gewünscht oder gefürchtet haben – je nach persönlicher Disposition. Jene, deren Kerngeschäft professionelle Vagheit ist, produzieren nebulöse Fließbandprophezeiungen. 

Es ist ja auch eine ideale Zeit, um den legeren Umgang mit Widersprüchen zu pflegen: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, wenn sich die Lage täglich mehrfach ändert? 

Die Krise offenbart Ratlosigkeit

PolitikerInnen reagieren mit demonstrativer Entschlossenheit. Das heißt: Sie werfen mit Milliardenbeträgen um sich. Dabei scheint niemand so recht zu wissen, wofür. Es ist unklar, was auf dem Spiel steht – gut, die Folgen in der Zukunft kann man schwer abschätzen. 

Man will Arbeitsplätze bewahren, man will in Zeiten fehlender Einnahmen Liquidität sichern, also stundet man Zahlungen, pumpt Geld in Kurzarbeitslösungen und sichert Hilfe in Härtefällen zu.  Für Selbstständige und kleine Unternehmen sind das schlechte Zeiten. Hier jongliert man nicht mit Krediten, die gestundet werden könnten, man hat auch keine Scharen von Angestellten, deren Kosten man auf andere abwälzen könnte. Kleinen Unternehmen und Selbstständigen gegenüber herrscht große Ratlosigkeit – offenbar hat niemand einen Plan, wo einzugreifen wäre. All die demonstrative Entschlossenheit kann die reale Ratlosigkeit nicht überdecken. 

Die aktuellen Notfallspläne offenbaren vor allem, dass kleine Unternehmen für Bettler und Almosenempfänger gehalten werden: Bei einem Umsatzrückgang von 50-75 Prozent sind Mietzuschüsse von ein paar hundert Euro vorgesehen, bei Umsatzrückgängen von mehr als 75 Prozent gibt es direkte Zuschüsse von bis zu 1000 Euro. 

Wenn diese 1000 Euro 75 Prozent des Umsatzes ersetzen sollen, geht man also von Monatsumsätzen in der Höhe von 1300 Euro für kleine Unternehmen aus – davon kann man in normalen Zeiten nicht einmal die Sozialversicherung bezahlen. 

Überdies wird der Nachweis des Umsatzrückgangs im Vergleich einzelner Monate mit den Vorjahresmonaten verlangt. Das ist vielleicht für Cafés, Boutiquen und ähnliche Unternehmen möglich. Die Kreativwirtschaft und alle anderen projektbezogen arbeitenden Branchen, in denen sich Einnahmen unregelmäßig über sehr lange Zeiträume verteilen, schauen dabei durch die Finger. Gerade jene Branchen werden Einschnitte auch erst später, dafür aber länger spüren: Jetzt liegen Projekte auf Eis. In ein paar Monaten werden Kunden wieder arbeiten, neue Prioritäten setzen und über Projekte nachdenken. Bis Entscheidungen getroffen werden, Budgets neu zugeteilt sind und Aufträge vergeben werden, wird es Herbst sein. Bis die Projekte dann auch bezahlt sind, wird es Frühjahr 2021 sein. 

Es mutet auch seltsam an, welche anderen Maßnahmen als Zeichen politischer Entscheidungskraft verkauft werden. So sollen UnternehmerInnen Beiträge zur Sozialversicherung und Einkommensteuervorauszahlungen herabsetzen lassen. Das ist immer möglich, dazu braucht es keine Virus-Krise. Alle, deren Einkommen sich verändert, können ihre Zahlungen anpassen lassen. Und gerade für Branchen mit stark wechselndem Einkommen ist diese Anpassung essenziell – sie wird allerdings oft auch zur Schuldenfalle. Es dauert lang, bis neue Bescheide ausgestellt sind, Fälligkeiten sind oft nicht klar kommuniziert und Betroffene müssen sich dann selber ausrechnen, wann welche Zahlungen anfallen werden. Bei der Einkommensteuer ist das noch etwas transparenter; Vorschreibungen zur Sozialversicherung dagegen werden sehr verwirrend. 

Grotesk ist auch, dass Politik und Wirtschaftskammer das mögliche Aussetzen von Mietzahlungen als Erfolg feiern. Auch dazu braucht es keine Virus-Krise, für unbenutzbare Mietobjekte muss keine Miete gezahlt werden – das steht so im Gesetz. Dazu kommt, dass ausgesetzte Mietzahlungen das wirtschaftliche Problem ja nur verschieben, aber nicht lösen. Mieterinnen nützt das, VermieterInnen schadet es – und auch diese sind auf Umsätze angewiesen, um Gehälter zahlen und Mitarbeiterinnen behalten zu können. 

Niemand weiß, wie Kleinunternehmen funktionieren

Wenn sich etwas offenbart, dann ist es kein Blick in die Zukunft, es ist nicht die Notwendigkeit neuer Visionen, Gesellschaftsentwürfe oder Wirtschaftskonzepte. Es ist eine generelle Ratlosigkeit. 

Es ist Verständnislosigkeit gegenüber dem, was ist.  Wirtschaftspolitik und ökonomische Theorie waren zuletzt großteils eher sportliche Betätigungsfelder. Man bewies damit humoristischen Anspruch, zeigte ein wenig Bildung und ordnete sich großflächig in irgendwelche Schulen ein. Keynes, sagen sie einen, Hayek die anderen. Die Idee, dass Konzepte aus einer konkreten Zeit auch in diese Zeit passen, andere Zeiten aber andere Konzepte brauchen, war selten mehrheitsfähig. Das ist eine der Schwächen von Ökonomen: Ökonomische Theorien wollen erklären, von der Erklärung ist es dann nicht weit zur Prognose – und das verleiht manchen offenbar Selbst- und Sendebewusstsein, das sich dann spielend über Tatsachen hinwegsetzt. Man hat ja eine Meinung. 

Die Idee, dass Prognosen auf Modellen beruhen, die idealisierte Vereinfachungen sind und deshalb Szenarien entwerfen und zum Nachdenken anregen können, aber keine Gewissheit liefern, ist dem gegenüber viel zu unsexy und bescheiden. Es sei denn, sie dient dazu, das eigene Business as usual fortzusetzen. 

Kurz gesagt: Man kann es ja kaum jemandem übelnehmen, heute nicht genau zu wissen, was man ökonomisch betrachtet tun soll. Für diese Unsicherheit aber 4, 38 oder unbegrenzt viele Milliarden Euro heranzuziehen, für die man auch nicht haftet, ist ein spannendes Experiment. 

Ich habe ja auch keine Lösungen. Aber ich wage ein paar Feststellungen. 

  • Kleine Unternehmen und Ein-Personen-Unternehmen werden bei den Hilfsaktionen weitgehend leer ausgehen. Das liegt zum Teil daran, dass die bis jetzt vorgestellten Maßnahmen zu unkonkret sind, um Orientierung zu geben, und zugleich zu spezifisch, um vielen zu helfen. Zum größeren Teil wird es aber daran liegen, dass sie es sich nicht leisten können, auf Hilfe zu warten. Sie müssen sich etwas anderes überlegen, sich neu orientieren – das tun, womit sie sich immer schon über Wasser gehalten haben. Wahrscheinlich werden viele nicht einmal sofort das Handtuch werfen – es kann zwei oder drei Jahre dauern, bis sich herausstellt, ob der neu eingeschlagene Weg Sinn macht oder nicht. 
  • Eine logische Konsequenz für Selbstständige muss es sein, die eigenen Stundensätze deutlich zu erhöhen, bei Kalkulationen knausriger zu werden und größere Margen anzustreben. Viele kalkulieren unscharf, wollen den Job, und nehmen viele zusätzliche Aufwände, Planänderungen und Richtungsschwankungen im Projekt unbezahlt auf sich, weil es nicht wirtschaftlich wäre, um die Mehraufwände zu streiten. Der Streit kostet mehr Zeit als der Mehraufwand bringt – man stiege dann wieder bei Null aus. In diesen Wochen wird deutlich, dass das Risiko ausschließlich beim Einzelnen hängt – und dass man es verrechnen muss. 
  • Unterschiedliche Selbstbilder von Selbstständigen werden noch unterschiedlicher werden. Manche – vor allem in der Kreativbranche – sehen sich als ewig unterbezahlte, sich selbst ausbeutende Abhängige, die schlecht behandelt werden. Andere sehen sich als Generalunternehmer, die auch Aufträge und Geld verteilen und die, wenn sie schon arbeiten, dann lieber Projekte machen, die auch Geld bringen. Die einen wollen Absicherung, die anderen wollen Spielraum. Die einen sähen ein Grundeinkommen als Freiheit, sich mit eigenen Themen zu beschäftigen, die anderen sähen es eher als bürokratischen Aufwand, der Steuer und Buchhaltung komplizierter macht. Beide brauchen Planungs- und Entscheidungssicherheit – die fällt jetzt für einige Zeit weg. – Manche werden dann noch mehr Hilfe wollen, andere werden zu dem Schluss kommen, dass man sich eben auf andere nicht verlassen kann. So können alle ihre eigenen Vorstellungen bestätigt sehen. 
  • Kleine Unternehmen und Ein-Personen-Unternehmen haben noch einen langen Weg vor sich, um zeitgemäße Interessen schlagkräftig und öffentlichkeitswirksam formulieren zu können. Sie sehen sich nicht als Arbeitsplatzmaschinen, sie sind nicht auf plakative StartUp-Rallyes aus, sie knüpfen manchmal, aber nicht notwendig an Megatrends wie Nachhaltigkeit an. Sie sind einfach ein Weg, in einer sehr dynamischen Umwelt geschäftlich zu überleben; sie sind oft das Vehikel für jene, die ihr Ding machen wollen – ohne an einer großen Organisation andocken zu müssen, ohne den Ballast großen Wachtstumszwangs oder noch komplizierterer bürokratischer Auflagen mitzuschleppen, ohne anderen Versprechungen zu machen oder andere abhängig machen zu wollen. – Das ist kein Zwischenstadium, das ist eine legitime Organisations- und Arbeitsform. Unternehmerisch orientierte Lobbys sehen dagegen im Ein-Personen-Unternehmer oft eine untere Entwicklungsstufe, die es auf dem Weg zu Wachstum und Angestellten zu überwinden gilt, sozialistisch orientierte Lobbys betrachten Selbstständige als eine Art Straßenköter, die man zu ihrem eigenen Schutz sterilisieren und ins Heim stecken sollte. Beides ist unangemessen. 
  • Die Ratlosigkeit darüber, wie Selbstständigen nun am ehesten zu helfen sei, wäre ein guter Anlass, sich mit einigen großen Problemfeldern zu beschäftigen, die ihnen das Leben schwer machen. Um nur ein paar Beispiele herauszugreifen: Für die am unteren Einkommensrand sind es Mindest- und Mehrfachversicherungen, die große Hürden darstellen. Das erschwert auch den Übergang zwischen (Teilzeit-)Anstellungen und beginnender Selbstständigkeit. Die mit besseren Einkommen dagegen können kaum Rücklagen bilden. Jeder Gewinn ist sofort zu versteuern, Rücklagen für Forschungs- und Entwicklungsphasen oder einfach für ein Sabbatical können kaum gebildet werden. Internationale Umsatzsteuerregelungen schränken ebenfalls den Bewegungsspielraum von Kleinen ein: Wer auf Messen im Ausland verkaufen möchte, braucht eine Umsatzsteuernummer eben dort und muss Ausfuhrlieferungen an sich selbst verbuchen. Onlineriesen wie Amazon laden zwar auch Kleine auf ihre Plattformen ein, wälzen aber ebenfalls das Risiko korrekter Umsatzsteuern auf sie an. Das betrifft nicht nur Ein-Personen-Unternehmer – aber diese haben keine Buchhaltungs- und Rechtsabteilungen, die sie da durchführen. Freibeträge, die die Größenverhältnisse widerspiegeln, wären ein erster Ansatz. – Das klingt vielleicht nach weit hergeholten sehr groß angelegten Änderungen. Realwirtschaftliches Verständnis lässt sich aber auch im Kleinen und im Umgang miteinander erkennen: Zahlungsziele von 90 Tagen (die dann ohnehin nicht eingehalten werden), völlig fehlendes Verständnis für Mehrkosten durch exzessive Korrektur- und Änderungsrunden, lange zögerliche Entscheidungswege und mangelnde Verlässlichkeit bei Zeitplänen sind dann auch nur einige Beispiele, wie kleine Angestellte großer Unternehmen Selbstständigen im Alltag das Leben schwer machen. – Und diese Beispiele, damit sich der Kreis wieder schließt, zeigen auch, warum die aktuell geplanten Unterstützungsprogramme an vielen Selbstständigen vorbeigehen werden. Ihre Verluste werden später eintreten und langer anhalten, und sie werden nicht im Monatsvergleich messbar sein. 

Man braucht keine spektakulären Visionen, um Entscheidungen in Wirtschafts- und Sozialpolitik zu treffen. Ein wenig mehr Bereitschaft, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ist, würde fürs erste – und auch für länger – ausreichen. 

Die Edda des Snorri Sturluson

Ein Lesegenuss ist es ehrlich gesagt nicht gerade. Frühe Prosa ist nun mal sehr prosaisch, da werden Schicksale ganzer Generationen mit viel Blut in zwei knappen Sätzen besiegelt. Sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was nun wichtig und erwähnenswert sei, machen die Storys etwas schwer zugänglich.  Das gilt auch für die Edda des Snorri Sturluson, eine Neu-, Kurz- und Prosafassung einiger Edda-Lieder.

Diese Fassung hat zudem gar nicht den Anspruch, Geschichten zu erzählen, sie ist vielmehr ein Poetik-Lehrbuch, das poetische Synonyme erklärt. Die wiederum sind dann allerdings storybasiert; mit Logik kommt man bei ihrer Entschlüsselung nicht weit. – „Granis Last“ etwa ist ein Synonym für Gold, weil Grani Sigurds Pferd war (der aus dem Nibelungenlied), auf das er den Schatz des Drachen Fafnir packte, nachdem er ihn erschlagen hatte.

Das spannendste am Buch ist der Prolog. Der Text entstand im 13. Jahrhundert – und auch damals herrschte offenbar der Drang, die eigene kleine Welt mit den großen Megatrends dort draußen zu verbinden. So schlägt Sturluson ganz salopp und kühn in wenigen Absätzen eine Brücke von Island nach Troja. Thor wird so zu einem Türken, vielleicht sogar zu einem alternativen Namen für Hektor, die  Edda wird zu einem Spin Off von Ilias und Odyssee – und wer das nicht glaubt, der möge mal darüber nachdenken, ob es denn Zufall sein kann, das Asen (also der Sammelname für die nordische Göttergang) so ähnlich klingt wie Asiaten.

Diese Anschauung dürfte sich in der Literaturgeschichte aber nicht ganz durchgesetzt haben.

Martin Schürz, Überreichtum

Es klingt aufregend: In „Überreichtum“ verspricht Martin Schürz, zu erklären, was das Problem an Überreichtum ist und wie er die Demokratie bedroht. Zunächst liegt das ja auch auf der Hand: Überreichtum verhilft Leuten wie Trump zu Präsidentenämtern. Allerdings gewann Trump eine demokratische Wahl – und das mit kleinerem Budget als Hillary Clinton. – So konkret möchte Schürz aber offenbar auch nicht werden, die Bedrohungsszenarien bleiben unspezifisch. Reiche haben Macht oder Zugang zu Macht. Das ist so, und das kann abhängig von ihren und unseren Absichten gut oder schlecht sein. 

Schürz hat einige gute Vergleiche bei der Hand, um Vermögensunterschiede greifbar zu machen. Das Medianvermögen in Österreich liegt bei 83.000 €, die Mediankörpergröße bei 1,71 Meter. Im 90. Perzentil der Vermögen wäre man dann etwa zehn Meter hoch, im 99. so hoch wie der Donauturm (252 Meter). Um es in die Forbes-Reichenliste zu schaffen, müsste man etwa 2000 Meter groß sein, die Spitze wäre erst bei einer Körpergröße von 800 Kilometern erreicht. Das ist knapp das Hundertfache des Mount Everest. 

Das ist eine ordentliche Schieflage, die jedenfalls auch bedrohlich wirken kann. Es gibt auch nichts, was ein Mensch mit diesem Geld anfangen könnte – es reicht, auch ohne sich zu vermehren, für mehr Generationen, als man planen könnte. Dabei kann allerdings schon etwas dazwischen kommen – und damit beginnen auch schon die Schwächen in Schürz‘ Argumentation. Nicht jeder Reichtum ist flüssig, sodass man einzelne Teile herausnehmen und nützen könnte. Oft sind es Unternehmensbeteiligungen, oft aber auch Luxusgegenstände – die nur solange einen Wert haben, solange sie jemand zahlen kann. Bei einer Obergrenze von 30 oder 50 Millionen Euro für privates Vermögen, die Schürz mehrmals anspricht, wären wohl einige Luxusobjekte auch für die dann Reichsten plötzlich zu teuer – und damit weniger wert. Wer will schon ein abgelegenes Chalet in den Bergen oder eine Hütte auf der einsamen Insel, wenn man sich nicht den Helikopter oder die Yacht dazu leisten kann, um auch schnell hin und wieder weg zu kommen, von passenden Sommer- und Winterdomizilen für mehr als ein Wochenende gar nicht zu reden? 

Das bedeutet nicht, das Superreiche nicht superreich sind, aber ihre Mobilisierungskraft ist vielleicht nicht ganz so gigantisch … 

Aber so konkret möchte Schürz gar nicht werden. 

Ihn interessiert die moralische Frage mehr. Reichtum ist ungerecht. – Auch dabei kann ich allerdings nicht ganz mit. Gerade der Superreichtum der Superreichen ist durch Konsum enstanden. Sie sind reich geworden, weil sie etwas kontrollieren, das andere haben wollen. Und das sind nicht mal überlebenswichtige Dinge. Niemand muss bei Amazon einkaufen, niemand muss Apple-Geräte verwenden, man muss nicht einmal Microsoft-Software nutzen oder Red Bull trinken. Für alles gibt es Alternativen. Die Superreichen von heute sind keine Großgrundbesitzer aus alten Adelsgeschlechtern, die ihr Vermögen Leibeigenen abgepresst haben. Ihr Reichtum ruht auf dem Konsum der Armen.

Natürlich ist auch nicht alles allein auf ihre Leistung zurückzuführen. Sie nutzen Infrastruktur, die andere über ihre Steuern mitfinanziert haben, profitieren von staatlich finanzierter Bildung und Forschung – das sind allgemeine Güter, die allen zur Verfügung stehen. 

Ist es nicht recht egal, ob Reichtum gerecht ist? Ist es nicht wichtiger, allen Menschen die gleichen Chancen einzuräumen? Das findet Schürz offenbar nicht, Chancen- und bedarfsorientierte Gerechtigkeitskonzepte sind für ihn „ideologisch und wirklichkeitsfremd“. Deshalb steht er auch der Betonung von Bildung als wichtige Lebensvorausetzung skeptisch gegenüber. Für ihn ist das ein Ablenkungsmanöver, Bildung wäre also sinngemäß Opium für das Volk. Wer Bildung als wichtig darstellt, trägt dazu bei, die Schürz‘ Meinung nach falsche Ansicht zu verbreiten, jeder könnte „es“ schaffen. 

Wer „es“ nicht schafft, sei dann eben faul oder müsse mit anderen negativen Zuschreibungen werden. 

Das ist eine andere Argumentationslinie, die sich durch Schürz’ Buch zieht: Die Welt sei auf Reiche ausgerichtet; Reiche beachte man und man schreibe ihnen positive Eigenschaften zu. Arme dagegen seien ein Mangel, etwas, das es zu beseitigen gilt und mit negativen Eigenschaften verbunden. Jetzt wirft das natürlich auch die Frage auf, welche Armen denn gern arm sind und welche Reichen ungern reich; noch auffälliger ist aber, dass Schürz lauter Beispiele aus doch schon recht lange vergangener Zeit anführt. Bemitleidete und verteufelte Arme in viktorianischen Arbeitshäusern haben wir schon etwas länger hinter uns gelassen, ebenso wie für Fleiß und Arbeitsethos bewunderte Reiche. Nicht einmal mehr die Geschichte von der Hindernisse überwindenden Selfmade-Person ist noch besonders spannend – heute bewundert man Erfolgreiche ja eher dafür, dass sie mit möglichst wenig Aufwand durchs Leben kommen und ausreichend Zeit finden, ihren Instagram-Account zu kuratieren (Rich Kids of the Internet lässt Schürz im übrigen aus). 

Schürz’ Anklage ist ähnlich wie viele misslungene Versuche, linke Positionen zu argumentieren: Die Sozialdemokratie hat ihre unverzichtbaren Verdienste. Aber ihre Erzählungen finden heute einfach keinen Halt mehr. Ihre Subjekte sind ihr abhanden gekommen, ihre eigenen Profiteure außerhalb der Parteien interessieren sich nicht mehr für sie. 

Martin Schürz setzt zu einer großen Erzählung an – und liefert dann wenig. Reichtum kann Unbehagen verursachen, Charity, Spenden und Philanthropie sind auch Machtinstrumente – geschenkt. Absurde Vermögenskonzentrationen stehen Nullzinsen und stagnierenden Gehältern gegenüber – Aber was wäre wirklich gewonnen, würde man das ändern? Weniger reiche Menschen hätten nach einer Umverteilung etwas mehr Geld – aber auch nicht ausreichend, um ihr Leben von Grund auf zu ändern.  Schürz’ Vorstellung von Gerechtigkeit ist eine anspruchsorientierte. Gerecht behandelt fühlt sich, wer den Eindruck hat, seine oder ihre Ansprüche wurden erfüllt; er oder sie hat, was ihm oder ihr zusteht. Vor diesem Hintergrund können sich alle immer ungerecht behandelt fühlen – auch Superreiche (wie auch Schürz einräumt). Das ist eine sehr unpraktikable Vorstellung. 

Schade an Schürz’ Buch ist weniger, dass es keine Lösung entwirft, sondern dass es auch das Problem nicht auf den Punkt zu bringen vermag. Da sind Pikettys radikale Steuersätze noch sinnvoller.

Zygmunt Bauman, Wieder allein

Was für ein schöner Titel für ein Buch über Ethik: Wieder allein. Niemand sagt dir, was du tun sollst, niemand zieht dich zur Rechenschaft, Feindbilder sind zu Staub zerfallen. Möglichkeiten stehen im Raum. 

Zygmunt Baumans kurzer Text wurde 1994 geschrieben. Der Fall des Eisernen Vorhangs war Vergangenheit, das Internet war in der Öffentlichkeit noch der Datenhighway und seine Macht eine ferne Ahnung am Horizont.

Institutionen und Gemeinschaften, die Rahmen, Normen und Horizonte vorgegeben haben, sind damals noch ein Stück weiter und schneller zerbröckelt als in den Jahrzehnten davor. Bauman, als Denker des Unbehagens, steht vor der Frage, wie sich Werte, aber auch wie sich Argumente in diesem Umfeld eigentlich noch begründen lassen. Dabei landet er schließlich bei Hans Jonas. Es wundert mich schon länger, dass Jonas noch nicht zur großen Leitfigur diverser Klimabewegungen wurde. Schließlich war er es, der die Bedingungen für den Fortbestand des Lebens auf der Erde zum Leitprinzip des Handelns machte – aber dorthin kam er aus einer anderen Richtung. 

Auch Bauman nähert sich Jonas’ Prinzip Verantwortung auf Umwegen. An erster Stelle steht Jonas’ Gedanke, wir hätten jetzt, nachdem Institutionen, Gemeinschaften, Religionen, Diktaturen und Traditionen einen großen Teil ihrer Macht aufgeben mussten, vor der Freiheit, eigene Normen zu entwickeln. Allerdings hätten wir diese Freiheit um einen teuren Preis erlangt: Nämlich um den Preis, jetzt keine stabile Grundlage mehr zu haben, auf der sich neue Normen unstrittig argumentieren ließen oder aus der sie für Mehrheiten einleuchtend problemlos abgeleitet werden könnten.  Auf der Suche nach neuer Orientierung, zu einer Zeit, als auch der Begriff des Anthropozäns noch nicht geprägt war, landet Bauman schließlich bei Jonas’ Prinzip Verantwortung. Der selbst sagte damals noch, es sei eine Behauptung, ein Gefühl, dass sich noch nicht ganz klar logisch argumentieren lasse: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Ein Spruch, der eigentlich allen KlimaaktivistInnen und nach dem Zeitgeist suchenden Marketing- oder Parteimanagerinnen auf der Zunge zergehen müsste. Natürlich, was denn sonst. 

Jonas setzte alles Leben als wertvoll voraus, manche sehen in seinen Schriften auch die Theorie einer Pflicht der Menschheit zum Leben – das macht ihn fallweise etwas umstritten. Bauman legt seine Schwerpunkte anders. 1994 herrschte noch nicht die aktuelle Alarmstimmung in Fragen der Ökologie. Auch andere Themen waren noch nicht von Alarmismus dominiert; es war noch nicht ausgeschlossen, einen zweiten Gedanken zu investieren, nachdenklich zu sein. Bauman beobachtet vor allem das Entstehen neuer Gemeinschaftsangebote, die Menschen einladen, die ihnen – 1994 – Identitätsangebote machen und damit Ersatz für Normen und Regeln schaffen. Bauman beobachtet das kritisch. Für ihn sind die neuen Gemeinschaften Machtinstrumente jener, die sie steuern, er sieht sie als Entmündigungsmaschinen. In Anlehnung an Albert Hirschmans Exit, Voice and Loyalty sieht er für unzufriedene oder nachdenkliche Menschen, oder auch für solche, die schlicht Fragen haben, nur zwei Möglichkeiten: Die Stimme zu erheben oder den Ausgang zu suchen. Die neuen Gemeinschaften und Institutionen, die sich Menschen andienen, seien vorrangig darauf ausgelegt, ihnen den Abgang zu empfehlen. Sie dürfen nicken, zur Kenntnis nehmen und „unterstützen“ (wie es heute in Form von Social Media-Likes und Newsletter-Abos passiert), dann dürfen sie abtreten. Sie werden repräsentiert, man beruft sich auf sie, man vertritt sie. Dabei sollen sie aber nicht mehr mitreden; die sollen das schöne Bild nicht stören (davon erzählt auch Darren McGarvey in “Poverty Safari”). 

Bauman schlägt keine Lösung vor. Er kommt lediglich auf den Punkt zurück, dass wir in unseren Entscheidungen nun wieder allein sind. Je nach Sichtweise bedeutet das unterschiedliches. Für manche bedingt das vielleicht die dringende Suche nach Gemeinschaft, manche suchen dort Solidarität, andere Autorität. Für andere heißt es schlicht: Du musst es selbst machen. Und du kannst nicht immer ausweichen. 

Allein sein ist nichts schlechtes, Verantwortung übernehmen ebenso wenig. Bauman schrieb diesen Essay, als Populismus noch nicht der Gottseibeiuns von Politik und Medien war. Seine Analyse könnte allerdings das treffendste Gegenmittel sein.