Kaputtalismus oder Zivilkapitalismus?

Wenn es um die Zukunft des Kapitalismus geht, argumentieren Linke und Liberale manchmal sehr ähnlich – auch wenn die Schlussfolgerungen kaum unterschiedlicher sein könnten. 

Yanis Varoufakis unterstellt Robert Misik, den Kapitalismus retten zu wollen. Das sieht Misik selbst nicht so. Tatsächlich aber klingt Robert Misik phasenweise wie Wolf Lotter – für den der Kapitalismus eigentlich gesund ist. Wo ist jetzt also das Problem?
Aber der Reihe nach: Anfang Februar präsentierte Robert Misik sein neues Buch „Kaputtalismus“ im Kreisky-Forum. Mit auf der Bühne als Diskussionspartner waren Erich Fenninger, Sozialarbeiter und Geschäftführer der Volkshilfe Österreich, und Katharina Mader, Ökonomin an der WU.
Karl Marx’ Name fiel ziemlich schnell. Spätestens seit Pikettys „Kapital“ ist das mehr als salonfähig. Spannender an der Diskussion – und an Misiks Buch – ist die Tatsache, dass man phasenweise meinen könnte, es ging um Wolf Lotters Buch „Zivilkapitalismus“.

„Unabhängig“ oder „selbstorganisiert“

Beide Autoren kritisieren die Ausprägungen des Finanzkapitalismus, beide stellen absurd hohe Managergehälter in Frage, beide sind sich einig, dass Kapitalismus als Wirtschaftsordnung durchaus funktioniert hat – und beide entwerfen, wenn auch nur skizzenhaft, Ideen einer möglicherweise folgenden Wirtschaftsordnung.
Der Unterschied: Misik sieht darin die Ablöse des Kapitalismus, Lotter den eigentlich gesunden Kern. Misik führt Beispiele selbstorganisierter Produktion aus Griechenland oder Spanien an; Arbeiter übernehmen nach Pleiten Fabriken, um selbst zu produzieren und sich über Wasser zu halten, junge Arbeitslose machen einfach irgendwas (in seinem Beispiel: Smoking- oder Hipster-Fliegen aus regionalen Stoffen und mit lokaler Handarbeit produzieren), weil es keine klassischen Jobs mehr gibt. Lotter schreibt Sätze wie: „Wir sind alle darauf trainiert, als ‚Verbraucher‘ zu denken, also als jene Gruppe, die das nimmt, was sie kriegt – eben ‚verbraucht, was da ist‘. Wir müssen aber zu Geschäftspartnern werden, zu Menschen, die sagen, was sie wollen. Auch das ist Teil der zivilkapitalistischen Transformation.“
Beide Autoren sehen Transformationsprozesse bereits in Gang, für beide geht es darum, Produktion und Wirtschaft als gesellschaftliche Prozesse für alle darzustellen – nicht als Spielwiese reicher Eliten.

Mehr oder weniger Regeln?

Die politischen Konsequenzen könnten allerdings kaum unterschiedlicher sein: Aus modern sozialdemokratischer Sicht ist hier ein Mehr an Staat notwendig. Misik, Fenninger und Mader diskutierten über Vollbeschäftigung, die Mobilisierung und Politisierung von sozial Schwachen und über staatliche Organisation. Lotter setzt auf Selbsthilfe, Unabhängigkeit und das Interesse am anderen. Und beide Seiten scheinen sich in diesem fiktiven Gespäch einig, dass zeitgemäße Wirtschaft eine Graswurzelbewegung ist: Sie entsteht von unten, von Menschen selbst.
Abgesehen davon, dass in beiden Fällen offensichtlich das Gute im Bild des Menschen überwiegt (auch der rationale Egoisten-Ökonom muss an die anderen denken, wenn er ihnen langfristig etwas verkaufen will), stellt sich jetzt die Frage, welche Voraussetzungen notwendig wären um eine solche Wirtschaft zu ermöglichen.
  • Sind es höhere Staatsausgaben, die die Wirtschaft ankurbeln, indem sie für mehr Konsum sorgen?
  • Sind es Steuerreformen, die Geld – ebenfalls für Konsum – freimachen?
  • Sind es niedrigere Abgabenquoten, die auch kleinen Unternehmer_innen das Überleben erleichtern?
  • Oder reduzierte Auflagen und Bürokratiehürden, die Gründungen erleichtern, auch wenn sie so von der Gewerbeordnung her nicht vorgesehen wären?
  • Braucht es Förderungen und einen geschützten Raum?
  • Oder braucht es grundlegende Mentalitätsveränderungen, die Menschen vom Anspruchsdenken zur Lösungsorientierung bewegt?
Antworten lassen sich am ehesten in Beispielen finden. Selbstorganisierte Produktion muss dabei nicht immer revolutionäre Wurzeln haben. Jede Zusammenarbeit von Selbstständigen funktioniert nach diesem Prinzip. Menschen stehen einander als Geschäftspartner_innen gegenüber; die Rollenverteilung zwischen Auftraggeber_in und Auftragnehmer_in, Ausbeuter_in und Ausgebeutetem oder Ausgebeuteter kann dabei schneller wechseln als man feststellen kann, wer jetzt eigentlich was war.

Grundsatzfragen

Wie weit sich solche Wirtschaftsformen dann von ihrer ursprünglichen Einfachheit entfernen, den Versuchungen der Finanzmärkte erliegen und geschlossene abgeschottete Werte schaffen wollen, hängt nicht zuletzt von ganz einfachen Rahmenbedingungen ab:
  • Können Unternehmer_innen nach ihren Bedürfnissen und nach der realen Geschäftsentwicklung planen, oder bestimmen Steuer- und Sozialversicherungsvorauszahlungen, wann wieviel Umsatz notwendig ist?
  • Kann die Rechtsform nach den Anforderungen des Unternehmens gewählt werden, oder ist das notwendige Stammkapital die eigentlich entscheidende Hürde?
  • Können die Vorteile von Rechtsformen (Haftungsbeschränkungen, Beteiligungen, Reinvestition von nicht entnommenen Gewinnen) von allen genutzt werden – oder wieder nur ab Mindestgrenzen beim Kapital?
  • Können Investitionsfreibeträge für die Investitionen in Anspruch genommen werden, die das Unternehmen braucht – oder nur für die, die der Staat fördern möchte?
  • Werden Realinvestitionen in eben diese Wirtschaftsformen unterstützt – oder bleiben sie weiterhin nicht steuerlich relevantes Privatvergnügen?
Es scheint durchaus so, als könnte man diese Fragen auch ganz praktisch und unabhängig und politischer Ideologie beantworten. Oder als müssten die Antworten, auch unabhängig von Ideologiefragen, vorerst gleich ausfallen. – Wo doch schließlich beide grundsätzlich vom Guten ausgehen, also von Menschen, die auch mit Freiheit umgehen können.
Slavoj Zizek, das nur als Randnotiz, kommt zwar in seinem ebenfalls aktuellen Kapitalismus-Buch „Ärger im Paradies“ zu dem Schluss, dass auch der Kommunismus noch nicht ganz von der Hand zu weisen sei. Ein kooperativer Kapitalismus „verteilt nicht einfach Güter und Dienstleistungen, sondern er respektiert den Sinn des Wortes ‚Markt‘ im Ganzen und in seinem Ursprung: Aus dem Verbraucher wird ein Mit-Gestalter und Mit-Unternehmer, ein Zivilgesellschafter, der seine Wünsche und Vorstellungen einbringt. Menschen auf diesen Märkten sind im Wortsinn Geschäfts-Partner. Sie handeln im gegenseitigen Interesse, sie folgen gemeinsamen Zielen, sie unterstützen sich gegenseitig, weil sie etwas voneinander wollen.“ – Dieses letzte gemeinschaftsorientierte Szenario stammt allerdings wieder vom kommunismusunverdächtigen Wolf Lotter.
Praktisch scheint also einigermaßen klar zu sein, wo die Kapitalismus-Reise hingehen kann. Offen bleibt die Frage nach den politischen Rahmenbedingungen – und die Frage, ob wir mehr oder weniger davon brauchen, und ob sich Rahmenbedingungen auf die Förderung positiver Auswirkungen (Wachstum fördern, Arbeitslosigkeit reduzieren, …) oder auf die Eindämmung möglicher negativer Folgen (Wertschöpfungsabgabe, Bonus-Malus-System, Investitionsbeschränkungen …) konzentrieren sollten …

Mexiko City – Stadt ohne Enden

Mexiko City ist die Stadt der Ersatzteile, der langen Wege und der ehemals besseren Zeiten.

Auf dem Weg nach Teotihuacan nimmt die Stadt kein Ende. Nach Norden hin wächst Mexiko City nicht nur laufend, sondern seit einiger Zeit auch schon über die Grenzen des Bundesstaats hinaus. Mit neun Millionen Einwohnern innerhalb der eigentlichen Stadtgrenzen und 25 Millionen Einwohnern im Ballungsraum ist Mexiko City je nach Zählweise die zweitgrößte Stadt der Welt.
Das merkt man: Im Stadtzentrum bewegen sich Fußgänger schneller als Autos, die im ewigen Dauerstau stecken. Das trifft sich gut, weil Fußgänger großteils auf die Straße ausweichen müssen. Denn die Gehsteige sind besetzt: Auf der Häuserseite haben Geschäfte Ware auf dem Gehsteig zur Präsentation ausgebreitet, auf der Straßenseite des Gehsteigs warten fliegende Händler auf Kundschaft. Der schmale Streifen dazwischen gehört jenen, die gerade einen Blick in die Geschäfte werfen oder verhandeln. Wer schneller voran will, weicht eben auf die Straße aus.
Farben, Musik und Gespräche tauchen dabei die Stadt in Leben – klar, es ist voll, Straßen und Gehwege sind oft holprig und tagsüber schmutzig (auch wenn sie jeden Abend gesäubert werden), aber es ist freundlich.
 
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In den Außenbezirken werden die Straßen breiter und die Wege länger. Wer seinen Weg mit dem Distanzgefühl aus einer europäischen Stadt plant und sich dafür entscheidet, lieber zu Fuß zu gehen als auf den Bus zu warten, muss gut bei Fuß sein. Was auf dem Stadtplan nach fünfzehn Minuten Wegzeit aussieht, kann schnell man eineinhalb Stunden dauern.
Und noch weiter draußen werden die breiteren Straßen zu Autobahnen, die Stadt hält ein wenig Abstand. Endlose Hügel mit bunten Fassaden, mit Autoreifen beschwerte Wellblechdächer, manchmal nur noch Staubpisten statt Gehsteigen, manchmal Villen in dicht vergitterten Gärten.

Stadt des Verfalls

Mexiko City ist alt. Die Kathedrale ist die älteste und größte des ganzen Kontinents; ihre Wurzeln gehen in das 16. Jahrhunderts zurück. In den Gassen rundherum finden sich zahlreiche ähnliche alte Häuser und Paläste. Alle stehen schief.
 
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Das liegt nicht nur an ihrem Alter, sondern auch am Untergrund, auf dem die Stadt gebaut wurde. Die alte Aztekensiedlung, der Vorgänger der heutigen Stadt, war eine schwimmende Stadt in einem Stausee mit nur wenigen festen Inseln. Die spanischen Eroberer legten den See trocken, die Aztekenstadt verschwand – aber der sumpfige Boden des ehemaligen Sees blieb. In den vergangenen 500 Jahren hat sich der Boden fallweise um mehrere Meter abgesenkt. Manche ehemaligen Paläste sind nur noch durch niedrige Türen oder durch nach unten führende Treppen erreichbar, andere Häuserfronten neigen sich bedrohlich über die Straßen. Wer in der Kathedrale mit geschlossenen Augen über den sich stark neigenden Boden geht, hat Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu behalten. Vor der Kathedrale geben einige in den Boden eingelassenen Glasscheiben den Blick nach unten frei: In der jahrhundertealten Feuchtigkeit wuchert fröhlicher Farn.
 
Was nicht alt ist, sieht alt aus: Der Xochimilco-Park im Südosten der Stadt etwa wurde erst 1993 eröffnet. Ein Besucherzentrum am Nordrand soll Gäste einladen und ihnen Orientierung über das riesige Areal vermitteln. Das Gebäude, ein paar traurige Schildkröten und auch der vom Eingang wegführende Paseo de Flores wirken allerdings, als wären sie seit spätestens den 60er Jahren dem Verfall preisgegeben. Die Landestelle der großen Holzboote ist verlassen, die meisten Boote stehen unter Wasser.
Auch Neubauten entlang der großen Avenidas sind, wenn sie nicht brandneu sind, schwer von der Zeit gezeichnet. Daneben stehen aber immer wieder glänzende Glaspaläste.
 
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Beim Nachlesen fällt auf: Mexiko hatte bis in die 80er Jahre wirtschaftlich gute Zeiten. Während der Ölkrise in den 70er Jahren investierten die USA massiv in die mexikanische Ölindustrie, die Geld ins Land brachte. Nach dem Abflauen der Ölkrise waren die mexikanischen Ölprodukte nicht mehr so dringend notwendig, und, wie manche mexikanischen Historiker meinen, war auch ein wirtschaftlich starkes Mexiko den USA keine so genehme Vorstellung. Die Zinsen für die erst freigiebig gewährten Kredite stiegen dramatisch, die Einnahmen brachen ein – und seither steht Mexiko immer wieder wirtschaftlich an der Kippe.
Man meint, diesen Schnitt in der Stadt zu spüren.

Stadt der Ersatzteile

Die Wirtschaft der kleinen Händler ist ordentlich sortiert. Ganze Straßenzüge, manchmal sogar Stadtviertel, sind jeweils einer Branche, manchmal auch nur ganz spezifischen Produkten gewidmet. Man findet lange Straßen voller Küchenausstatter, Installateure, fallweise auch ganze Straßen, in denen es nur Toiletten, Waschbecken und Zubehör zu geben scheint.
Autowerkstätten nehmen ein ganzes Viertel ein, dabei mischen sich Reparaturwerkstätten mit Tuning-Palästen, glitzerndes Chrom und Sportfelgen mit Motorenteilen und anderen rostigen Innereien. Einige Werkstätten ketten noch Pitbulls wie aus dem Bilderbuch auf den Gehsteigen an.
 
Was neben den geordneten Geschäften noch auffällt: Es scheint kein Ersatzteil der Welt zu geben, das man in Mexiko City nicht kaufen kann. Berge von Metall-, Plastik- oder Keramikteilen, die dem Uneingeweihten nichteinmal eröffnen, in welches Gerät sie eingebaut werden sollen, geschweige denn, welchen Zweck sie dort erfüllen, warten auf Käufer. Und scheinen sie zu finden: Einige der kleineren Händler haben gar keine ganzen Produkte im Angebot. Sie handeln nur mit diesen Teilen – von denen viele wiederum großteils gebraucht und aus aussortierten Geräten zusammengesucht scheinen.
Und natürlich ist auch der Handel bunt und laut: Dekoration und Lichterketten gibt es überall; Elektrohändler überbieten einander bei der Lautstärke ihrer Soundanlagen – und das Tür an Tür.

Stadt der Polizei

Das Bedrohlichste an Mexiko City sind die unfassbaren Polizeiaufgebote. Im Regierungsbezirk stehen dichte Reihen gepanzerter Polizisten mit kugelsicheren Westen, Helmen und Maschinenpistolen vor den öffentlichen Gebäuden.
An praktisch jeder Straßenkreuzung stehen anders uniformierte Polizisten, die mit lautem Pfeifen und dramatisch wedelnden Händen den ohnehin durch Ampeln geregelten Verkehr noch einmal regeln. Weder die Absicht noch der Effekt sind ganz klar – aber jedenfalls sind sie sichtbar.
Auch in den Außenbezirken ist man nie länger als wenige Minuten unterwegs, ohne Gruppen von Polizei zu sehen. Alle bewaffnet, alle gepanzert.
Die U-Bahn-Stationen sind ebenfalls von der Polizei gesichert; eigene Polizisten bewachen sogar die Bahnsteige, von denen einige Bereiche eigens für Frauen und Kinder reserviert sind.
Richtung Wochenende wird die Polizeipräsenz dann noch einmal verstärkt: Ab Donnerstag Abend patrouillieren Truppen in gepanzerten Fahrzeugen, in den Ausgehvierteln patrouillieren Streifen.
Kriminalität ist ansonsten nicht auffällig: Man sieht die Polizisten auch nie einschreiten …
 
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Stadt der Geschäftigkeit

Die Wege in Mexiko City sind lang – dementsprechend mühsam muss es sein, in der Stadt beruflich voranzukommen. Das gilt für Lieferanten, Taxifahrer, Menschen auf dem Weg zum nächsten Termin – und ganz besonders für die vielen fliegenden Straßenhändler, die jeden Tag ihre Ware in den inneren Bezirken präsentieren und jeden Abend den weiten Weg zurück in die Außenbezirke antreten müssen.
Für umgerechnet 50 Cent kann man zwei Teller Tacos kaufen – zur Not und nicht auf Dauer könnte man davon leben. Jeder Peso, der mit Kaugummis, Feuerzeugen, Elektroschrott oder Bastelware verdient werden kann, zahlt sich also aus.
Frühmorgens und spätabends ziehen Händler mit Rodeln, Leiterwägen oder auch nur großen Säcken durch die Stadt. Keine Spur von ausgedehnter Siesta und mexikanischer Gemütlichkeit – die man sich zumindest in der Stadt nicht leisten kann.

Stadt der Politik

Mexiko City ist politisch. Südamerika ist politisch, Mexiko ist politisch. Wo in Europa vielleicht noch an Unis oder im kleinen politisiert wird, sind in Mexiko die Straßen voll mit Plakaten, Einladungen, Transparenten und Mahnmalen. Es wird politischer Gefangener und Opfer der vergangenen Regime gedacht, Revolutionsdaten sollen nicht in Vergessenheit geraten, es geht gegen Imperialismus und Kolonialismus und verschiedenste linke Schattierungen mobilisieren mit vollplakatierten Häuserfronten gegen Regierung, Reichtum und Konsum.
 
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Politische Kunst findet sich auch in den Museen: Historische Plakate, Superhelden, die Stadtviertel für die Armen zurückerobern möchten. Schließlich heißt auch die Partei, die derzeit den Präsidenten stellt, „Partido Revolucioniario Institucional“ und ist Mitglied der Sozialistischen Internationalen. Die institutionalisierte Revolution ist allerdings nicht so eng zu sehen – innerhalb der Partei bewegen sich sehr viele unterschiedliche Strömungen, die gar nicht immer so revolutionär sind.
 

Stadt der langen Wege

Die U-Bahn in Mexiko City ist schnell, sicher, sauber und günstig – allen Schauergeschichten von Gangs und Klebstoffschnüfflern zur Trotz und entgegen allen idiotischen Rankings über die so gefährlichsten Orte der Welt, über die sich Nichtreisende erstaunlicherweise ebensogern gruseln wie Reisende. Das heißt nicht, dass sie ganz frei von Kriminalität ist – aber der Schrecken, der sich eigentlich einstellen müsste, wenn man Mexiko City-Klischees glaubt, bleibt aus.
 
 
Die U-Bahn hat allerdings ein andere Problem: Das große, schnelle und gut geführte Netz reicht bei weitem nicht aus, um eine Stadt dieser Größe abzudecken. In vielen anderen Städten macht es Sinn, die dem eigentlichen am nächsten liegende Station zu suchen und dann zu Fuß zu gehen. In Mexiko City kommt so allerdings schnell eine Stunde Fußmarsch zustande.
Beim ersten Mal – wieder eingedenk der Schauergeschichten, die so gern erzählt werden – sucht man seinen Weg vielleicht vorsichtiger. Einmal abseits der großen Straßen verliert man sich schnell in einem engen Häuser- und Gassengewirr. Sobald die Dichte der Geschäfte nachlässt, werden auch die Häuserfronten abweisender: Anstelle bunt blinkender Schilder sind es kahle Mauern, auf denen Stacheldraht sitzt.
Was perfekte Überfalls- oder Entführungskulissen abgeben könnte, sind Wohngegenden, in denen Menschen mit Familie und Besitz ein friedliches Leben führen. Und dem Mexiko-Neuling wird schnell klar, mit welchem Verblödungsgrad man als Europäer anderen Lebensrealitäten begegnet …
 
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Trotzkis Stadt

Vor dem Frida Kahlo-Museum muss man sich anstellen. Im Trotzki-Museum wenige Straßenecken weiter schaut die Kassendame ungläubig, wenn man wirklich hinein möchte. Das Museum ist Trotzkis ehemaliges Wohnhaus in der Calle Viena, am Rand von Coyoacan, einem grüneren und schöneren Viertel der Stadt. Was zu Trotzkis Zeit wohl mal ein grüner Boulevard oder vielleicht auch nur freier Platz hinter dem Haus war, ist heute eine sechsspurige Straße, die für Fußgänger nur über Brücken zu überqueren ist. Für Trotzki wäre auch das egal gewesen: Der Großteil der Fenster und Nebeneingänge seines Hauses sind zugemauert. Trotzki verbrachte dort zwei Jahre unter schwerer Bewachung. Nach fast zehn Jahren im Exil in Europa war er 1937 nach Mexiko gekommen, um zwei Jahre bei Frida Kahlo und Diego Rivera zu leben; 1939 bezog er das jetzige Museum.
Mehrere Überfälle russischer Agenten blieben erfolglos; sein Mörder hatte sich über eine Affäre mit einer von Trotzkis Assistentinnen Zugang zum Haus erschlichen.
 
 
Das Haus ist seither unverändert erhalten: Trotzkis Bücher liegen auf seinem Schreibtisch, die einfache Küche enthält noch ein paar Geräte, in den Wänden des Schlafzimmers sind Einschusslöcher der vergangenen Attentate zu sehen, im Garten gibt es noch die Ställe der Hühner und Kaninchen, die Trotzki jeden Morgen fütterte.
Sein eigenes Arbeitszimmer ist mit einem großen Schreibtisch ausgestattet, zusätzlich gibt es noch eine Bibliothek. Sein Sekretariat dagegen erinnert eher an den Hühnerstall oder an eine Miniaturversion späterer Großraumbüros: Hinter dem Schreibtisch seiner Frau, der schon um einiges kleiner ist als sein eigener, drängen sich drei weitere Sekretariatsplätze im Volksschul-Format.
 
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Du bist nicht awesome. Aber das macht nichts.

Irgendwo glaube ich ja schon noch, dass man mit 16 oder 17 Sozialist oder Anarchist gewesen sein muss – sonst ist man kein guter Mensch. Mit dem Sozialismus tue ich mir immer schwerer. Für eine gute Show sind schlicht die Feindbilder abhanden gekommen. In unseren Breitengraden gibt es kaum noch wirtschaftlich Unterdrückte und Ausgebeutete. Man kann wirtschaftliche Unterdrückung jetzt natürlich sehr breit fassen, ich bin dafür zu haben. Die Form der wirtschaftlichen Unterdrückung, die allerdings die meisten Menschen betrifft, ist die ganz und gar unkapitalistische Zinsflaute. Und was Ausbeutung betrifft: Die ebenfalls größte und flachendeckendste Form der Ausbeutung ist heute der private Konsum – sich selbst und den MitarbeiterInnen der Produzenten gegenüber. Und der ist zwar flächendeckend, aber freiweillig.
Also fehlen dem Sozialismus sowohl die Feinde als auch die Opfer. Dann machen wir eben unsere Feinde zu Opfern, muss sich die SPÖ gedacht haben und ließ ihren Kanzler verlauten: „Die Einpersonenunternehmen sind die neuen Ziegelarbeiter.“
Äh?
Ziegelarbeiter waren die ausgebeuteten Lohnsklaven Wiens, die unter ziemlich miserablen Bedingungen schufteten, bis sich die spätere Sozialdemokraten-Ikone Viktor Adler ihrer annahm und Bewusstsein für bessere Bedingungen schaffte. Eine Sternstunde der Sozialdemokratie, die sich um Arme und Schwache kümmert.
Selbstständige haben auch einen Haufen um die Ohren, als Einpersonenunternehmen müssen sie sich allein darum kümmern. Aber sind sie in einer Situation, in der sie einen sozialen Messias brauchen, weil sie sich selbst hier sonst nicht herausmanövrieren können?

Unternehmer wie Waisenkinder

Eigentlich hätte ich persönlich ja gute Voraussetzungen dafür. Ich war anfangs selbstständig, später lange angestellt und nach einem schiefgegangenen Jobwechsel plötzlich zum falschen Zeitpunkt arbeitslos und pleite.
Die Optionen waren: Sechs Monate Kündigungsfrist absitzen, währenddessen nichts tun können und dann darauf hoffen, dass sich wieder etwas finden wird, oder die Zeit zu verkürzen und gleich etwas Neues anfangen. Ich habe mich für den zweiten Weg entschieden, viel Glück gehabt, viel gearbeitet und bin noch immer für meine Begriffe weit davon entfernt, eine solide Basis zu haben, auf der das Geschäft wie von selbst läuft.
Aber ich bin auch nicht das letzte Glied der Nahrungskette: Ich zahle weit mehr als die Hälfte meines Umsatzes als Honorare für Partner und Dienstleister. Ich mache keine Gratis-Präsentationen und ich entscheide über den Preis. Ich warte auch nicht zitternd auf Sozialversicherungsvorschreibungen, sondern ich rechne aus, was zu zahlen ist und zahle das. Natürlich gibt es auch bürokratische Hürden, vor allem wenn das Geschäft etwas komplexer (zum Beispiel grenzüberschreitend) wird – das abwickeln zu können sehe ich als Teil eines unternehmerischen Angebots.
Und ich bin vieles, aber ganz sicher auch nicht awesome oder was man sonst sein muss, und auf einer schon ziemlich debilen Start Up-Welle mitschwimmen zu können. Im Gegenteil, ich bekomme allergische Ausschläge aller Arten, wenn ich egal wo auf der Welt die gleichförmige Awesomeness-, Peace-, Keep Calm- oder sonstwas Kacke sehe oder höre.
Aber bin ich deshalb – und weil ich wahrscheinlich nicht in die Tech-Start Up-Förder-Phantasien der Regierung passe, ein abhängiger Arbeiter, der sich nicht selbst helfen kann? Und warum ist eine Regierung so glücklich darüber, vermeintlich neue abhängige Opfer entdeckt zu haben, um die man sich ähnlich sorgen kann wie um rumänische Waisenkinder?

Verarbeiterung

Wenn Einpersonenunternehmen etwas Neues sind, dann sind sie eher:
  • Der Ersatz des lebenslänglichen Jobs: du kannst pleite gehen, wirtschaftlichen Mist bauen, Kunden verärgern, die verrechnen, Ärger mit Steuer und Sozialversicherung haben – so wie jedes Unternehmen jeder beliebigen Größe. Aber du kannst sich nicht selbst rauswerfen.
  • Die fairsten Arbeitgeber: Selbstausbeutungsgeschichten erzählt man oft und gerne. Angestellte im mittleren Management mit 100.000 €-Gehältern tun das aber genauso oft und gerne – im Gegensatz dazu können wir aber Bezahlung und Wertschätzung mit uns selbst verhandeln. Das hat natürlich Vor- und Nachteile.
  • Leistungsfähige Netzwerke: Wer allein arbeitet, muss vieles können – und auch wissen, was er oder sie nicht kann und wo man die fehlende Leistung herbekommt. Daher sind auch Kooperationsskills überlebenswichtig (das ist etwas anderes als so gern verlangte Teamfähigkeit …)
  • Vielseitig: Wer mittelgroße Projekte abwickelt, muss von vielen Dingen etwas verstehen.
Genau in diesen Punkten ist die politische Bereitschaft, brauchbare Rahmenbedingungen zu schaffen, aber äußerst dünn:
  • Vielseitigkeit soll sich bitte schön innerhalb des Rahmens der Gewerbeordnung bewegen. Und wer mehrere Gewerberberechtigungen braucht, kann sie sich ohnehin leicht organisieren – und doppelt zahlen.
  • Der bürokratischen Overhead sparende Netzwerkgedanke wird gerade bei öffentlichen Ausschreibungen am allerwenigsten verstanden. Wenn bei eher simplen Projekten nicht nur Mindestens-Jahresumsätze und Mindestens-Mitarbeiterzahlen, sondern auch Stundensätze von Assistenzen verlangt werden, ist das fast schon liebenswert anachronistisch. Ich weiß nicht, welchen Umsatz Smartphone und Internet verrechnen – und ich sollte das wahrscheinlich auch nicht zu laut sagen. Sonst wird daraus wieder ein Argument für die Maschinensteuer (Exkurs: Ich bin sowieso der Meinung, dass Hauptschulabsolventen, die dank brauchbarer Technologie jetzt auch Jobs ausfüllen können, für die sie sonst nie qualifiziert wären, den Löwenanteil einer allfälligen Maschinensteuer tragen sollten.)
  • Und was die Fairness betrifft, da sitzt der mittelgroße Einzelunternehmer ja immer in der selbstgestrickten Falle: Was will ich verdienen – und wieviel Steuern will ich zahlen? Klar kann man mit allerhand Ausgaben den Gewinn nach unten optimieren – das Geld ist trotzdem weg. Und der Versuch endlich in den Gewinnbereich zu kommen, in dem sich Geld wirklich auszahlen würde, wird gleich von mehreren Seiten torpediert: Die Grenzbeträge der Steuertarife bleiben gleich (den hässlichen Begriff der Kalten Progression kennt jeder). Die Grenzbeträge für die Sozialversicherung dagegen steigen jedes Jahr; die Ziellinie für den Wettlauf mit der Höchstbeitragsgrundlage wird jedes Jahr ein kräftiges Stück weiter in die Ferne gerückt. Nachdem aber die Steuertarife gleich bleiben, wird damit in Wahrheit jeder mehr verdiente Euro doppelt belastet: entweder ist er sozialversicherungs- und steuerpflichtig, oder er ist zwar nicht mehr sozialversicherungspflichtig, wird dafür aber unverhältnismäßig besteuert.
  • Und was für Einzelunternehmer (und andere Formen der Personenunternehmen) gänzlich fehlt, ist eine Möglichkeit, sinnvoll zu investieren oder Rücklagen zu bilden: Investitionsfreibeträge müssen in Wohnbauanleihen gesteckt werden – dort ist das Geld zehn Jahre lang gebunden. Nach vier Jahren kann es – bei Verzicht auf die Renditeerwartungen – vorzeitig abgezogen werden; für Investitionen steht es trotzdem nicht zur Verfügung. Realinvestitionen sind auf Neuanschaffungen beschränkt (vor allem bei Immobilien, vor allem in Wien sinnlos) und orientieren sich an einer Welt, in der Werkzeuge und große Büros wichtig waren. Immaterielle Investitionen, Forschung und Entwicklung oder Zeit für Kreativität (die man sich zum Beispiel mit einem Übermaß an Arbeit erkaufen kann) sind in diesen Modellen nicht vorgesehen.
Aus diesen Gründen habe ich mit dem (neuen?) sozialdemokratischen Wirtschaftsverständnis zwei oder drei Probleme:
Kleine Unternehmen werden als Arbeiter behandelt, nicht als an Selbstständigkeit, Gewinn und sicherem Wachstum orientierte Organisationen. Das ist ein von der Politik geschaffenes Problem.
Die Mär vom ausgebeuteten arbeiterähnlichen Kleinunternehmer lässt vergessen, dass auch der Kleinunternehmer wirtschaftliches und finanzielles Know How braucht. Und das führt dann eben wieder dazu, dass viele Kleinunternehmer – mangels dieses Know Hows – traurige Existenzen nach dem Geschmack der Sozialdemokratie werden.
Wenn das dann dazu führt, dass die Abschaffung von Selbstbehalten bei Arzt als wirtschafts- und sozialpolitische Visionen verkauft werden, dann ist das sehr traurig. (Exkurs: Die Selbstbehalte für Selbstständige sind unfair, nicht nachvollziehbar und absurd. Sie sind aber – im Vergleich zu in Steuer- und Organisationsfragen fehlendem Spielraum – nicht wirklich ein Anlass für schlaflose Nächte.)

Wer braucht einen Markt, wenn er einen Kanzler hat?

Neben dem uncool gar nicht postfaktischen sachlichen Kleinkram ist mein eigentliches Problem aber: Die Verarbeiterung der Kleinunternehmer zieht die falschen Leute an. Man muss kein extrem wachstumsorientierter Businesstyp sein, um Unternehmer zu sein, man kann gute Geschäfte machen, ohne sich „Gründer“ auf die Stirn tätowieren zu lassen oder tägliche eine halbe Stunde vor dem Spiegel zu üben, wie man „Start Up“ am coolsten ausspricht. Man sollte aber ein wenig Ahnung davon haben, wie man mit Geld umgeht, sich mit Steuer- und Rechtsangelegenheiten befassen und sich vor allem darüber im Klaren sein, dass nur Leistung verrechenbar ist. Noch genauer: Nur die Leistung, die auch jemand haben möchte.
Alles andere ist vielleicht Kunst (ist auch Leistung, aber keine, die per se bestellt wurde), ein schöner Sinn für Gerechtigkeit (wir wollen schließlich alle etwas davon haben) oder Politik: Politiker, nicht zuletzt Erwin-LaHauPö-hab-ihn-selig-Pröll, betonen ja oft und gern, dass die bei ihrem Einsatz in der Privatwirtschaft (ein ziemlich verräterisches Wort) ein Vielfaches verdienen würden. Dem liegt genau der verkaufstaktische Irrtum zugrunde, der aus Unternehmern Ziegelarbeiter machen: Socialisen, egal ob auf Feuerwehrfesten, Frühschoppen oder Netzwerkveranstaltungen ist genauso wenig verrechenbare Leistung wie Lernen, (die eigene) Buchhaltung oder die laufende Erweiterung des Horizonts. Es sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen um im Geschäft bleiben zu können. Bezahlt machen sie sich aber nur dann, wenn sie sich auf ein verkaufsbares Produkt auswirken.
Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt, einen Unternehmer-Ratgeber genau darüber zu schreiben, Arbeitstitel: „Du bist nicht awesome. Aber das macht nichts.“ Und dann habe ich die Notizen dazu immer wieder in die Schublade gepackt. Weil mir genau die Zielgruppe für so einen Ratgeber so auf die Nerven gehen würde, dass ich hier nichts einigermaßen Erträgliches zu Papier bringen könnte. Aber vielleicht überdenke ich das ja noch mal …

Harter Stoff: Die Bibeln des Revolutionary Communism

Mitten am Hollywood Boulevard im östlichen Teil Richtung LA Downtown, wo die Straße bis auf den Verkehr etwas ruhiger wird und ganz unspektakulär der Hollywood-Schriftzug über Supermarktparkplätzen zu sehen ist, liegt die Buchhandlung der Revolutionäre Communists. Die RevComs sind so uramerikanisch wie Cowboys: Nicht von hier, nicht hier erfunden, praktisch nicht existent – aber geschäftstüchtig. Die Propaganda muss man kaufen.

Bob Avakian, der Chef der RevComs, publiziert viel und häufig. Die Mitarbeiterinnen im Buchhandel sind denn auch gut geschult und sendungsbewusst: Sie erzählen, dass viel schiefläuft in den USA, dass Maos Kulturrevolution China befreit hat und dass die russische Oktoberrevolution „tremendous improvements in humanity“ gebracht habe.

Avakians Schriften sind denn auch nicht zimperlich. In heroischer Soz-Art Aufmachung strahlt er von den Titelblättern, verspricht Visionen für die Menschheit im allgemeinen und die Arbeiterklasse im besonderen und gewinnt immerhin auch Philosophen wie Cornel West als öffentliche Gesprächspartner.

Mit der Kritik in seinen Schriften kann man anfangs vielleicht auch mit; revolutionäre Gedanken haben schließlich auch oft etwas Verlockendes – bis sich herausstellt, dass sie nur insofern revolutionär sind, als sie von Revolution handeln. Inhaltlich findet sich in ihnen nichts Neues.

Und gruslig bis ernsthaft erschreckend wird es dann, wenn Avakian seine Vorstellungen zur Zeit nach der Revolution beschreibt. Dann werden neben der Wirtschaft auch Kultur und Wissenschaft kontrolliert, volksfeindliche Umtriebe müssen unterbunden werden, alles muss dem Revolutionsgedanken dienen. Für die Medien gilt das selbstverständlich ebenfalls.

Mit der eigenen Medienlandschaft sind Avakians RevComs schon weit. Sonst passiert mit dem Kommunismus in den USA recht wenig.

Was denken Sie eigentlich? – Teil 2: Vom Werte- zum Rechterelativismus

Es ist ja durchaus schön, wenn sich Menschen von komplexen Gedankengängen angezogen fühlen. Philosophie ist etwas Kompliziertes, wirklich verstehen tut das eh keiner, aber mit ein bisschen Komplexitätsdistinktionsgehabe kann man sich Respekt verschaffen. – Zumindest oder vor allem dann, wenn man es eigentlich nicht notwendig hat und nicht darauf angewiesen ist, dass die Argumentation auch tatsächlich schlüssig ist. Würden nämlich so manche Spaß- und Hobbyphilosophen nach dem Schlüssigkeitsgrad ihrer Argumente bezahlt, dann hätte Diogenes in seiner Tonne ein krass luxuriöses High-Life mit mindestens Start-Up-adäquatem Glamour, kurz vor dem erfolgreichen Exit, versteht sich.
Marcus Franz war und ist mit wechselnden politischen Identitäten Nationalratsabgeordneter, hat einen Brotberuf als Arzt und wäre – das ist meine Vermutung – so gern ein intellektueller Provokateur. – Ich zumindest bin leider nicht so weit gekommen, mich mit seinen eigentlichen Aussagen in seinem neuesten Beitrag im Zentralorgan der Krypto-Kommentatoren und Ex-Chefredakteurs-Obskuranten zu beschäftigen, weil ich schon daran gescheitert bin, die ersten sieben Zeilen als auch nur irgendwie zulässige Prämisse zu akzeptieren. 2000 Jahre Geistesgeschichte und knappe 230 Jahre Menschenrechte werden hier schnell mal verschwurbelt und in Anschlag auf ein beliebiges politisches Thema gebracht. Solche Moves gibt es sonst nur im Wrestling.
Schwurbel
Aber der Reihe nach:
1) Kann man so sagen, aber damit steht man halt allein da. Die Transzendental- und Erkenntnisphilosophen von der Renaissance über den Idealismus bis zur Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts sind halt eher davon ausgegangen, dass Bewußtsein durch Reflexion entsteht. Einer davon hat das auch ganz plump auf den Punkt gebracht: „Ich denke, also bin ich“, falls das jemandem etwas sagt.
Muss man nicht wissen; für die folgende Argumentation ist dieser Einstieg auch sowieso irrelevant.
2) Das Argument als Wrestling-Move: “weithin akzeptiert“ zeichnet den Mainstream der Lemminge an die Wand, demgegenüber ein heroischer Autor vorerst großzügig unentschlossen bleibt. Er bezieht selbst keine Position, lässt eine anonyme Masse Position beziehen und schafft sich so Spielraum, um argumentieren zu können. Und er deutet schon an: Er stellt sich ja nicht gegen diese Position – er weiß nur etwas, etwas ganz Besonderes, Wichtiges, das dem gebannten Publikum in Kürze die Augen öffnen wird. Falls es nicht gerade damit beschäftigt ist, sich den Sand aus den Augen zu reiben, den solche Pseudo-Positionierungen dort hineinstreuen.
Beim Wrestling wäre das eben irgendeine Variante des Backbreakers, bei dem halt der Gegner fleißig mithelfen muss.
3) Ups. In der Perspektive des Autors haben Menschen also keine Rechte, sie „sollten“ welche haben. Klingt nach einer Kleinigkeit, ist es aber nicht. Denn solche Verschiebungen vom Sein zum Sollen eröffnen den Platz für viele Grausigkeiten:
für den situationselastischen Umgang mit Menschenrechten in z.B. China oder Russland („die sind das ja nicht gewohnt“)
für den missionarischen Einsatz, der edel die genehmen Rechte zu den Wilden exportiert
für den aristokratischen Zugang, der dem Gesindel Rechte gewährt („solange sie sich benehmen“)
4 + 5) Hier kommt der Finishing Move, um beim Wrestling zu bleiben. Erst wird einem vermeintlichen Mainstream (das sagen diese Krypto-Kommentatoren so gerne) etwas unterstellt. Dann wird auf Basis dieser Unterstellung ein Konstrukt geschaffen, das nicht einmal auf dieser Unterstellung, sonder auf der unausgesprochenen (und falschen) Prämisse dieser Unterstellung beruht. Und dann wird aus diesem Konstrukt eine beliebige Konsequenz hervorgezaubert und, weil wir gerade so philosophisch unterwegs sind, mit Voodoo-Zauber angereichert („Existenzbedingung“).
Aber der Reihe nach: Wenn wir sagen, dass Menschen Rechte “haben sollten“, dann bedeutet das, dass sie sie nicht haben. Es braucht also etwas oder jemanden, der sie ihnen gibt. Und damit sind Rechte schon an Pflichten gebunden: Denn der gerade frisch Berechtete soll sich eben gefälligst verpflichten, demjenigen, der ihm die Rechte eingeräumt hab, zu dienen. Oder ihm zumindest bitte nicht den Schädel einzuschlagen.
Während man das Nicht-den-Schädel-Einschlagen durchaus vertreten kann (allerdings nicht als Tauschgeschäft gegen Menschenrechte, sondern eher als Hinweis auf von einem solchen Tauschgeschäft unabhängige Menschenrechte), ist die Dienstbarkeitsoption dagegen ist schon entlarvender.
Wer meint, dass es Grundrechte nur mit Pflichten gibt, hat sich noch immer nicht von einer Herr-Knecht-Gesellschaft verabschiedet. Die Grundrechte der anderen sollten als Grenze ausreichen.
6) It’s magic. Und plötzlich taucht ein Flüchtling auf. Und die passive Formulierung („wird (…) oft gerne ausgeblendet“) setzt wieder dort an, wo Punkt 2 aufgehört hat.

Fazit

Kann sein, dass es etwas umständlich ist, einen Text so zu lesen. Aber es macht eben einen Unterschied, ob man argumentieren möchte, oder nur Geräusche machen und Pavian-Imponiergehabe nachstellen möchte.

Lieber doch Kommunismus?

Slavoj Zizek beschäftigt sich mit Protest, Kapitalismus, Batman und der Notwendigkeit des Kommunismus.

Immer wenn man glaubt, bei Zizek einen klaren leicht verständlichen Gedanken entdeckt zu haben, zerfällt er auf den nächsten Zeilen zu Staub. Oder verwandelt sich in einen Vampir, der als Fledermaus aus dem Fenster fliegt und dann, wenn man gerade nicht hinsieht, zu einem Drachen mutiert. – Schließlich argumentiert Zizek auch gern mit Filmplots.
In einem seiner aktuellen Bücher setzt er sich mit der Frage nach dem Ende des Kapitalismus auseinander. Dabei beginnt er erstaunlich traditionell: Eine kapitalistische Wirtschaftsordnung schafft Widersprüche (Marx), liefert sich an die Finanzmärkte aus (Finanzkrise) und bräuchte, um in der notwendigen Freiheit blühen zu können, Einschränkungen und Regeln, die sich mit genau dieser Freiheit nicht vertragen (Piketty).

Entwicklung schafft Ärger

Zizeks Argumentationsketten sind jetzt nie so praktisch, dass sich daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten ließen; sie bewegen sich meist vor einem psychoanalytischen Horizont und entfalten ihre stärkste Wirkung dort, wo sie Unvereinbarkeiten berühren oder Hinweise liefern, wie wir unseren gewohnten Blick um 180 Grad drehen können.
Umso spannender, wenn sich ein Denker wie Zizek mit einem scheinbar so profanen Thema wie der Kapitalismuskritik befasst. Der Titel „Ärger im Paradies“ spielt auf die Beobachtung an, dass die jüngsten großen Protestwellen gerade dort stattgefunden haben, wo sich die Dinge gerade zum Besseren gewendet haben: Türkei, Brasilien, Ägypten – das waren nicht die Armenhäuser der Welt, sondern Länder, die sich im wirtschaftlichen Aufschwung befunden haben und historisch betrachtet auch ein relativ großes Maß an Freiheit boten. Die Protestierenden waren auch nicht traditionell Benachteiligte, sondern Menschen, die mehr wollten. Entwicklung, lässt sich vereinfacht zusammenfassen, fördert revolutionäres Potenzial.

Kapital ist inkonsequent

Die andere Beobachtung: Kapitalismus als System ist inkonsequent. Trotz Freihandelszonen gibt es Landwirtschaftsförderungen (auch in den USA), trotz grober Meinungssverschiedenheit bei Menschenrechten pflegen die Länder der EU wirtschaftliche Beziehungen mit Saudi-Arabien. Diese pragmatischen Inkonsequenzen sind das Ergebnis von Politik; der Konsequenz fordert, fordert damit ebenfalls große politische Veränderungen.
Dass die Veränderung – jetzt stark verkürzt – dann ausgerechnet auf das Wiederaufleben des Kommunismus hinauslaufen kann (Zizek formuliert hier sehr vorsichtig), ist auf den ersten Blick merkwürdig. Vielleicht aber auch nur praktisch-historisch bedingt. Schließlich war die kommunistische Ordnung in einzige in jüngster Zeit konkret umgesetzte Alternative zur kapitalistischen Ordnung. Und sie ist der radikale Gegensatz, der sich eben aufdrängt, wenn wir das ganz andere suchen.
Zizek ist durchaus der Meinung, dass wir etwas radikal anderes brauchen – und uns damit schwertun, es zuzulassen. Vor allem, wenn es die Grundzüge der gewohnten (kapitalistischen) Ordnung bedroht.

Batman muss her

Das illustriert er anhand einer abschliessenden Analyse der letzten Batman-Filme. Auch hier stark verkürzt: Joker in „The Dark Knight“ hat Chaos angerichtet, Menschen an den Rand ihrer Überzeugung gebracht, Helden an sich zweifeln lassen, und sogar den guten Bürgermeisterkandidaten Dent, der die Hoffnung auf den unkorrumpierbaren weißen Ritter in Gotham City verkörperte, zum Kippen gebracht. Das war ok, weil es letztlich nur um Liebe und persönliche Grausamkeiten ging.
Bane dagegen, der Schurke aus der Fortsetzung „The Dark Knight Rises“, spielt seine Bösartigkeit über die Finanzmärkte aus: Er greift Bruce Waynes/Batmans Vermögen an, lockt die Polizei in eine Falle und löst durch die Befreiung von Häftlingen anarchische Zustände aus. Während Joker eine zwiespältige Figur war, die auch in ihren Gegnern Zwiespalt auslöste, vereint Bane eine geschlossene Front gegen sich – weil seine Angriffe nicht innerhalb einer bestehenden Ordnung funktionieren, sondern das System selbst in Frage stellen. Das kann nicht sein, daher gibt es diesmal keine korrumpierten Helden, die Polizei steht geschlossen auf der Seite des Guten – und außerdem ist klar, wo Gut und Böse sind.
Und was bedeutet das für die Frage nach dem Ende des Kapitalismus? Solange die Alternativen Joker sind, steht das System selbst nicht wirklich zur Debatte. Es gibt Variationen des Bestehenden, kleine Attacken und Reformideen, aber keine grundlegend neue Perspektive. Reale Gegenentwürfe müssen die Gestalt von Bane annehmen. In der Rolle des ganz anderen, des großen Gegensatzes zum Kapitalismus, werden sie dann in der Gestalt des Kommunismus greifbar…
In Interviews bezeichnet sich Zizek selbst als überzeugten Kommunisten. Für weniger Überzeugte können seine Überlegungen ein Denkanstoss sein, was ein Mehr an Regulierung mit sich bringt …

 

Angstmeiern

Angstmeiern ist die politische Strategie der Stunde. Dem kann man nur tiefes Misstrauen entgegenhalten – gegenüber allen, die Lösungen versprechen, die angeblich ohne das Zutun von Menschen funktionieren und nur einen starken Mann brauchen.

Ich habe lang die Klappe gehalten und noch länger darüber nachgedacht, was mich an der aktuellen politischen Situation und ihrer Diskussion so stört. Ein paar Dinge liegen auf der Hand: Erfahrene Wahlverlierer haben nach der x-ten Wahlniederlage in Serie noch immer keine auch nur irgendwie akzeptablen Sprüche parat, sondern reden von besserem Marketing, einer verständnislosen Bevölkerung, von Neustart und davon, wieder Wahlen gewinnen zu wollen. Dagegen ist es ja vergleichsweise erfrischend wenn jetzt wirklich die SPÖ-Länderchefs sagen, wo es lang geht – also ausgerechnet die Looser-Partie aus den Bundesländern, die noch nie irgendwas gewonnen hat. Von einer konsequent selbstzerstörerisch-spekulativen ÖVP, die alles dafür tun würde, nur einmal wieder den Kanzler zu stellen (selbst um den Preis, zwei Jahre später noch tiefer in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden), rede ich gar nicht.
Viel ärgerlicher ist noch das immer wiederkehrende Gejammer über eine Angst, verängstigte Verlierer, den Verlust der Wohlfühlzonen, Kriminalität und andere Bedrohungen. Die einen fahren (zum ersten Mal?) mit der U6 und machen einen Drama-Aufsatz daraus, die anderen reden betont betulich über Kriminalität, und wieder andere teilen noch betulicher ein großteils faktenfreies Interview mit Drama-Queen Stefan Petzner und fürchten sich erst recht. Petzner, echt jetzt? Der Typ, der vom tschetschenenfreien Kärnten bis zu Attacken jenseits aller Gürtellinien sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als Angst und Gehässigkeit zu schüren, und jetzt einen halben Schritt zur Seite gemach hat und so tut, als würde er nur noch beobachten und beraten, und dabei noch immer das gleiche tut, ist euer neuer Heiliger?
Vor lauter Angst und Verständnis für Angst wird dann alles ganz schlimm. Heide Schmidt hat dazu im „Gültige Stimme“-Gespräch mit Roland Düringer ein paar klare Worte gefunden: Menschen ernst nehmen – alle mal, aber genau nicht dadurch, dass man sie auf ihre Ängste reduziert.
Klar, so ein bisschen Drama fühlt sich gut an.
Die, die sich dieser Argumentation nach fürchten müssten (entlang der U6, rund um den Praterstern), haben weder bei der Wien-Wahl noch bei der Bundespräsidentschaftswahl blau gewählt, die aus den Randbezirken haben eher wenig Grund, sich zu fürchten; diese Diskussion hatten wir schon mal.
Die gegen Hofer vorgebrachten Argumente, Aufklärungsfilme und Kornblumenexegesen sind eine wundervolle Bestätigung für seine Wähler.
Die komplizierten EU-Verteidigungsstrategien, die selbst erfahrene Diplomaten nicht verständlich rüberbringen können, sind wirksame Schlafmittel.
Und die Idee, statt Angst zu haben, Dinge selbst in die Hand zu nahmen – das macht dann halt erst richtig und wirklich Angst.

Gibts also nichts dagegen zu sagen? Für mich gibt es mehrere Szenarien.
Nehmen wir die Angst mal ernst.

Türkenbelagerung

Da gibt es einerseits also feindlich gesinnte Invasoren, die ein sich abschotten wollendes Alpenvölkchen umvolken wollen. Sie sind eine reale Bedrohung, denn dank ihrer rauhen Sitten und ihrer Gebärfreudigkeit haben sie die Möglichkeiten dazu. Wir sind aber schlauer und lassen sie nicht mehr rein. Und dann? Werden die, die gerade noch eine Bedrohung waren, achselzuckend nach Hause gehen und sich denken: „Na gut, dann halt nicht“? Oder werden sie es, immer noch in der blauen Welt, dann mit anderen Mitteln probieren – gegen ein dann nicht nur von seinen Feinden, sondern auch von ehemaligen Freunden abgeschottetes Alpenvölkchen? und dann, darauf zielt ja die blaue Politik ab, gibts eben wirklich die nächste Türkenbelagerung. Unsinn? Ja, ungefähr genau so wie die Angst vor den Invasoren.

Gangs of Gemeindebau

Ein anderes Szenario: Die Invasoren sind schon da, steigende Kriminalität und mutwillige Arbeitslosigkeit zerrütten die Gesellschaft. Ärger wohin man schaut, die „Ströme von Blut“, von denen die Identitären reden, sind zwar immer nur anderswo, aber umso trefflicher kann man sich vor ihnen fürchten. Solche Szenarien sind nicht wirklich neu. Nicht einmal in Wien. Der Unterschied: In den 70er Jahren sprachen Jugendbanden ein wunderschönes Austropop-Deutsch. In den 90er Jahren hatten Türkengangs noch immer ein besseres Deutsch als der muttersprachlich minderbemittelte Hooligan. Ihre – durch und durch westlichen – Kriminalitäts-Vorbilder kannte man aus dem Kino (oder aus MTV). Der über Jahrzehnte geradezu ikonische Durchschnitts-Jugo mit Mittelscheitel in Pagenkopf-Länge, blauer Bomberjacke, schenkelweiten Jeans (besser fürs Kickboxen) und Westernstiefeln ist jetzt schon länger ausgestorben. – Auch in den frühen 90ern gruselte man sich ziemlich vor Kriminalität und EInwanderung, und es gab wie heute einiges an Kriegsflüchtlingen, die, sagen wir mal, eine andere Streitkultur hatten. Dann waren es aber rein österreichische Hooligans, die in Linz einen Polizisten zu Tode traten.
Worauf ich hinauswill? Man kann sich fürchten. Dann müsste man konsequenterweise seit 30 Jahren in Angst leben. Oder man könnte sich daran gewöhnen, dass auch Wien mittlerweile eine Stadt ist.
Auch diese Überlegungen gehen aber grundsätzlich ziemlich am Thema vorbei. Denn um es noch einmal zu wiederholen: Wien ist ja nicht blau. So sehr die, die nicht möchten, dass Wien blau wird, auch daran arbeiten, Gründen zu finden, warum Wien blau werden könnte.

Angst als sozial akzeptierte Kreuzung von Gier und Neid

Die dritte möglicherweise ernstzunehmende Angst ist die wirtschaftliche Angst, oft auch eine Kreuzung aus Gier und Neid. Den Garage-mit-Reihenhaus-Besitzern in Floridsdorf oder in der Donaustadt, die ihren ausländerfreien Wohlstand erhalten möchten, werden gegen die Yppenplatz- und Karmelitermarkt-Bewohner in Stellung gebracht, die sich mit viel Aufwand und damit verbundenen Preissteigerungen ihre Wohlfühlplätzchen geschaffen haben, in denen Migranten selbstverständlich Platz als die netten Marktstandler oder als Haushälterinnen haben. Beide finden es schlimm, dass es nicht überall so ist, wie bei ihnen zuhause. Der Unterschied: Die einen rufen nach Problemlösungen, die anderen nach Problemverdrängungen.
Beide haben Grund zur Sorge: Ausgaben und Kosten steigen schneller als die Einnahmen, die sich mit Arbeit machen lassen. Die Höchststeuerzone, in der (mehr) Arbeit kaum noch Spass macht, beginnt früh und zieht sich weit hinauf; Einkommenssteigerungen begünstigen die am meisten, die es am wenigsten brauchen (angestellte ältere (männliche) Besserverdiener), Jüngere werden kurz gehalten.
Soziale Unterschiede verursachen zusätzliche Kosten (sofern sie reduziert werden sollen, dafür soll Ruhe erreicht werden. Und es ist eben irgendwo nur logisch, dass diejenigen, die jetzt schon Ruhe haben, weniger zu investieren bereit sind – und sich lieber auf das Belagerungsszenario (siehe oben) zurückziehen.

Hilft Angst in irgendeiner dieser Situationen? Ja, aber nur dabei, diesen Zustand beizubehalten. Ich habe auch gar nichts dagegen, Angst zu haben. Besonders lähmend ist aber dieser Kreislauf, anderen zu unterstellen, Angst zu haben, für deren unterstellte Angst Verständnis haben zu wollen, damit erst recht Angst zu schüren und sich selber Angst zu machen. Das klingt kompliziert; mit einem einfacheren Namen könnte man das auch als SPÖ-Syndrom bezeichnen.
Das ist ungefähr so logisch wie Norbert Hofers Position zu Homosexualität: Gleichgeschlechtliche Paar sollen keine Kinder adoptieren dürfen, weil das der Ehe vorbehalten sein soll. Homosexuelle sollen auch nicht heiraten dürfen, weil aus der Ehe Kinder hervorgehen könnten und weil die Ehe zum Schutz der Kinder dient. Jetzt ist das bei einer homosexuellen Ehe mit den Kindern wahrscheinlich etwas schwierig, aber dieser Kreis schafft halt eine bestechende Pseudologik. Fragt mich nicht – hier kann man das nachhören. Er hätte ja auch sagen können, dass er die Vorstellung einfach nicht mag – das ist sein gutes Recht, aber keine Grundlage für politische oder rechtliche Entscheidungen.

Und jetzt? Ich denke, der einfachste und wichtigste Grundsatz zur Zeit ist, jedem zu misstrauen, der einfache Rezepte präsentiert, die den Eindruck erwecken, ohne das Zutun von Menschen zu funktionieren. Denn wenn es die Menschen nicht selber machen, dann macht es eben ein starker Führer für sie.