Politik ist ein spekulatives Geschäft

Michael Häupl ist ein Mensch der klaren Worte – so klar, wie es ihm halt passt.

Manchmal gibt’s verbale Showeinlagen (“I bin’s”, “Plärr net umadum”), manchmal zackigen Kommandoton, und manchmal ein schlichtes “sicher ned” oder ein interpretierbares “hätten’S gern”.
Die automatischen YouTube-Untertitel seines Auftritts zur Ankündigung des neuen Kanzlers und Parteivorsitzenden können damit nicht so gut umgehen.
Ich mag diese geheimen Botschaften. Eröffnet jedenfalls neue Perspektiven auf die Regierungsumbildung.
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9(Und nein, Häupl hat nichts davon gesagt. Aber Politik ist halt manchmal ein spekulatives Geschäft … )

Unbefleckte Trojaner-Empfängnis

Die Diskussion um den Staatstrojaner und digitale Überwachung vermittelt den Eindruck: Grundrechte sind Auslegungssache und technisches Verständnis ist nicht so wichtig… 
“Wir wissen nicht, wie das funktionieren soll, aber wir werden uns selbstverständlich an alle Vorschriften halten. Bis wir sie ändern“ – so oder ähnlich lässt sich die Substanz der Staatstrojaner-Pläne des Justizministeriums zusammenfassen, je nachdem, welche Kritikpunkte man ernst nehmen möchte.
Gestern ist die Begutachtungsphase für den Gesetzesentwurf zu den neuesten Überwachungsmaßnahmen zu Ende gegangen. 41 Stellungnahmen von Juristen, Datenschutzexperten und Informatikern fallen sehr unterschiedlich aus. Zwei Dinge fallen dabei besonders auf.

Neues Berufsbild Undercover-Trojaner-Installateur_in

Die Spionagesoftware soll, so versichert der Justizminister, nicht einfach remote auf den zu überwachenden Geräten installiert werden, sondern nur durch physische Installation. Eben um sicherstellen zu können, dass der Einsatz der Überwachungsmaßnahmen auch gezielt kontrolliert und einem realen Durchsuchungsanordnung gleichgesetzt werden kann – und um Verwechslungen auszuschließen.
Das verspricht viele spannende Momente. Schwerkriminelle Terroristen und Mafia-Mitarbeiter, gegen die sich diese Überwachungsmaßnahme laut Gesetzestext richtet, werden ihre zur kriminellen Kommunikation verwendeten Computer kaum unbeaufsichtigt und ohne passwort- oder sonstigen Schutz lassen. Vielleicht verwenden sie gemeinerweise auch so neumodische praktisch schnittstellenfreie Hardware, in die man nicht einfach Disketten reinschieben kann. Oder noch gemeiner: Sie verwenden mobile Geräte, die sie bei sich tragen und nachts dann auch noch als Wecker neben dem Bett liegen haben. – Ich sehe neue Generationen von StaatsschutzmitarbeiterInnen zwischen Vamp und Callboy mit Taschendieb-Qualifikationen vor mir, die sich darauf spezialisieren, unbemerkt Smartphones aus Hand- und Hosentaschen zu klauen und sekundenschnell den Trojaner zu installieren.
Diesen Punkt greifen viele Stellungnahmen auf. Staatsanwälte treten für die Zulassung der Remote-Installation ein, Rechtswissenschaftler bemängeln, dass der Gesetzestext diese Installationsform (im Gegensatz zu den Ankündigungen des Justizministers) gar nicht ausschliesst, andere sehen darin ein Beispiel für allgemeine Schwächen des Entwurfs. Die Fakultät für Informatik der TU Wien bezweifelt in ihrer Stellungnahme überhaupt, dass die Installation von Schadsoftware grundsätzlich wie vorgesehen möglich ist. Die Software müsste offene Sicherheitslücken ausnützen, solche Software wird allerdings nur auf einem eigenen (Schwarz)Markt gehandelt. Mit dem Kauf solcher Software würde also höchstwahrscheinlich in eine jenseits der Legalität operierende Hacker-Szene investiert.
Marielouise Gregory, Leiterin der Rechtsabteilung der Telekom Austria, bezweifelt in ihrer Stellungnahme ebenfalls, dass die geplante Vorgangsweise praktikabel ist und schließt ganz pragmatisch mit dem Hinweis, dass „A1 als Betreiber weder in der Lage ist noch es gutheißen würde, bei der Installation von Überwachungsprogrammen eine Hilfe leisten zu müssen.”

Wir wissen nicht, was Grundrechte sind

Betrachtet man nur die Stellungnahmen von Juristen und Behörden und lässt Datenschützer oder Techniker außen vor, dann ergibt sich immer noch ein äußerst unterschiedliches Bild.
Keine Probleme mit Grundrechten oder Verhältnismäßigkeit sehen:
  • Oberstaatsanwaltschaft Graz
  • Oberster Gerichtshof
  • Oberlandesgericht Wien
  • Oberlandesgericht Graz
  • Landesgericht Klagenfurt
  • Vereinigung der Staatsanwälte.
Klärungs- und Abgrenzungsbedarf sehen:
  • Richtervereinigung
  • Rechtsanwälte
  • Mitarbeiter des Instituts für Strafrecht und Kriminologie
  • der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts
Die Juristen sind sich also juristisch uneinig. Gut. Ich weiß aber nicht ganz, was ich davon halten soll, wenn etwa das Landesgericht Klagenfurt seine „ausdrücklich begrüßende“ Stellungnahme folgendermaßen abschließt: “In (sic) den vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in seiner Stellungnahme vom 12. April 2016 (siehe info@akvorrat.at) (sic) geäußerten technischen Bedenken kann mangels entsprechender Expertise nicht Stellung genommen werden.”
Der erwähnte AK Vorrat sieht im übrigen einen „unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff“ in dem Gesetzesentwurf.
Trotz allem soll das Gesetz im Mai noch beschlossen werden.

Graffiti in Athen

Graffiti in Athen

Geschlossene Geschäftslokale mit verrosteten Rollbalken, die sich schon länger nicht mehr bewegt haben, waren in Athen keine Seltenheit. Der Weg zurück ins Hotel führt durch eine Pro-Hanf-Demonstration, die von gepanzerten Polizisten begleitet wird. Deren Knieschützer sehen aus wie die von Kindern beim Rollschufahren; die Helme und Schlagstöcke passen nicht dazu.

Ein paar Gassen weiter ist es wieder ruhig. Sehr ruhig. Vor einem kleinen Lokal stehen die letzten Gäste rauchend auf der Straße, drinnen räumt der Veranstalter die unverkauften Reste der Buchpräsentation weg.

“Wir sammeln für einen Freund, der gerade im Knast sitzt”, erklärt er. Es ist ein kleines Buch über politisches Graffiti in den Straßen Athens. Viele Fotos und Kommentare zeichnen ein Bild von Graffiti als politischem Diskurs zur Situation Griechenlands. Viele der Arbeiten sind von dem inhaftierten Freund. Das Buch ist nur in diesem Laden u beziehen – es ist nicht im Handel, nicht online zu kaufen.

Es ist, in einer Zeit, in der die Zeitungen übervoll sind mit Nachrichten aus Griechenland, eine der lebendigsten und buntesten Bestandsaufnahmen von der anderen Seite.

Graffiti in Athen Graffiti in Athen Graffiti in Athen

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Mein generischer Kreativitäts-Crowdsourcing-Pitch

Kreativitätscontests made easy. Nachdem wir leider nicht überall mitmachen können, habe wir hier einen generischen Beitrag zur freien Entnahme erstellt. 
 
Partizipation ist cool. Mal darf man für die Wirtschaftskammer sein letztes Hemd ausziehen (was für eine Symbolkraft!), dann darf man unter dem Deckmantel der Innovation Ideen in die Senkgrube des Vergessens kippen und immer öfter wird man auch zu Kreativitätscontests eingeladen. Zuletzt machte das Volkstheater mit einem Illustrationswettbewerb Furore, jetzt lädt Saxoprint dazu ein, ein Match-Trikot für die österreichische Nationalmannschaft zu gestalten – für 2.000 € Preisgeld und eine Reise zum Match. Immerhin gibt es dabei sogar Abstandshonorare in Form von 25 €-Gutscheinen.
Wie verlockend. Leider fehlt mir die Zeit, überall dabei zu sein, Teilnahmebedingungen zu lesen und Ausschreibungsplattformregistrierungen auszufüllen. Deshalb habe ich keine Kosten und Mühen gescheut und die besten Designer, Texter und kreativen Köpfe versammelt, um eine generische Kreativitäts-Contest-Contribution zu erstellen. Das Ergebnis steht hier zum Download bereit (selbstverständlich auch in offenen Formaten) und ich bitte alle, die wieder eine besonders innovative Spielweise des Massenpitches erfunden haben, sich einfach hier zu bedienen.
Wie Sie uns vom Gewinn der Ausschreibung verständigen können, das erfahren Sie in unserem Impressum.
 
Kreativitaetscontest
 
 
Download: pdf psd

Konsum-Elitarismus: Warum wir so pleite sind 

Wir tun so, als könnten wir entscheiden, wofür wir Geld ausgeben. Das ist ein Spiel auf dünnem Eis und in sehr begrenztem Rahmen. 
Für den Staat bin ich reich. Ich zahle für einen recht spürbaren Teil meines Einkommens 50 Prozent Steuern, zahle seit vielen Jahren Höchstbeiträge in der Sozialversicherung und bei der Abschreibung von Sonderausgaben stehen mir nur noch die jährlichen 60 Euro Grundbetrag dazu – der Rest fällt unter Selbstbehalt.
Das sind die gleichen Rahmenbedingungen, die auch einen Vorstandsvorsitzenden oder eine Generaldirektorin eines internationalen Konzerns mit mehreren Milliarden Euro Bilanzsumme betreffen. Eigentlich sollte ich mir also alles leisten können – dennoch finde ich vieles absurd teuer, bin weit davon entfernt, sparen zu können und froh, wenn ich nicht immer den ganzen Überziehungsrahmen meines Kontos ausnützen muss.
Wohin fließt dann das Geld, und warum ist man, wenn man bei allen Pflichtabgaben das Maximum zahlt, nicht so reich wie Pablo Escobar?
Steuern sind nur ein Teil der Geschichte. Ein ziemlich fetter Teil zwar, aber lassen wir das mal beiseite. Es geht ja genau um die Frage, warum man steuerlich gesehen steinreich ist, im realen Leben aber ganz und gar nicht.

“Das ist halt Qualität”

Historisch orientierte Ökonomen gehen solchen Fragen gern mit der Analyse von Preisen und Preisvergleichen nach: Wofür wird Geld ausgegeben, welchen Anteil am verfügbaren Geld machen welche Waren aus? – Und es mussten übrigens beruhigende Zeiten gewesen sein, in denen verarmte Leute eben ins Hotel gezogen sind, in denen die tägliche abendliche Party mit Drei-Gänge-Menü und zwei Flaschen Wein dazu auch für mittellose Künstler kein Problem war und, später, in denen massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit schlicht kein Thema war. Ok, echte Armut war damals (bis vor rund 150 Jahren) großteils schlicht außerhalb des Radars.
Trotzdem frage ich mich schon länger, ob es nicht genau solche Kleinigkeiten sind, die langsam aber sicher Budgets auffressen. Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren rasant gestiegen; Fett&Zucker-Junkfood aus dem Supermarkt, das mal verlässlich billiger Kalorien-Lieferant war, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Parallel dazu treiben auch Qualitätsoffensiven die Preise: Beim Fleisch aus einer des Lebens würdigen Tierhaltung geht das vielleicht noch zu langsam, bei handgemachten Keksen, mit Liebe produzierten Kaffee-Spezialitäten oder Weinen entwickelt sich das dafür rasant. Qualität, Handarbeit, Nachhaltigkeit sind Preistreiber, die den Boden auch für andere Entwicklungen bereiten. Von vier oder sechs Euro für Kaffee, der nicht mehr nach Kaffee schmeckt, ist es nicht mehr weit zu zweihundert Euro für eine Nacht in einem Hotel mitten in der langweiligsten Prärie mit vielleicht Aussicht auf ein paar Berge. Hier ist es nicht Nachfrage, die den Preis gestaltet, es ist das Angebot – eines, das auf Langweile und Überdruß abzielt. Was teuer ist, muss gut sein, eben vielleicht im Sinne von Nachhaltigkeit auch noch gut für andere. – Noch besser wäre es aber vielleicht, der Hotelier, der sein Haus in die Ruhe versprechende Landschaft gebaut, es beruhigend designt und ausgestattet hat, hätte es gar nicht gebaut. Der Ruhe wegen.
Fairness ist sicher ein hochzuhaltender Wert, und Preise zu drücken schlägt schließlich gegen alle zurück. Die Idee, auf diesem Weg Arbeit wieder rentabler zu machen, birgt aber auch ein Risiko: Sie bindet die Möglichkeit von Arbeit an das Vorhandensein von Kapital. Darauf muss ich später noch einmal zurückkommen.

“Das kostet extra”

Während Lebensmittel und Gastronomie augenscheinlich deutlich dazu beitragen, Preise zu steigern, sind andere Produkte auf den ersten Blick billiger geworden – Flugreisen etwa. Wo vor zehn oder zwanzig Jahren eine Flugreise noch eine schwergewichtige finanzielle Entscheidung war, fällt sie jetzt weit weniger ins Gewicht. Das ist einerseits eine Frage der Relationen –  ein Amerika- oder Asien-Flug kostet oft weniger als eine kleine Wiener Mietwohnung im Monat kostet -, andererseits eine Frage der Preisgestaltung. Wo in anderen Branchen Qualität und Service aufgebaut wurden, wurden sie beim Fliegen abgebaut. So weit so fair. Allerdings zeigt sich beim Fliegen eine Entwicklung, die an die Gestaltung von Steuerreformen und die Einführung von neuen Belastungen erinnert. Seit übermaßiges Service an Bord gestrichen wurde, sind die Preise etwa gleichgeblieben – dafür müssen immer mehr frühere Selbstverständlichkeiten  jetzt gegen Bares zugekauft werden. Eine erste Entwicklung betraf das Gepäck – immer öfter ist nur Handgepäck inklusive, Bordgepäck muss extra bezahlt werden. Eine neuere Erfindung ist die Boarding-Reihenfolge: Nach Priority- und First Class-Passagieren können jetzt auch Economy-Class Passagiere gestaffelte Aufpreise zahlen, um früher an Bord des Fliegers zu dürfen. Sinn macht das natürlich in Kombination mit den Gepäcksregelungen: Wer die Grenzen seines Handgepäcks ausreizt und dafür auf extra zu bezahlendes Bordgepäck verzichtet, zahlt eben für die Boarding-Reihenfolge und gewinnt damit Zeit und Platz für sein Handgepäck. Und manche Billig-Airlines verlangen jetzt sogar schon Aufpreise für die Wahl des Sitzplatzes – auch beim Online-Checkin. Wer nicht zahlt, dem bleiben eben nur die undankbaren mittleren Plätze in den Dreier-Sitzreihen.
Auch das ist ein Weg, Werte zu schaffen, die wir früher nicht kannten. In der Wirtschaftsentwicklung geht es schließlich um Mehrwert.

Auch ideeller Mehrwert braucht reales Kapital

Mehrwert wird so zu einer Geschmacksfrage, zu einer persönlichen Entscheidung. Die gute Seite dabei ist: Das gibt mehr Menschen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wofür sie Geld ausgeben wollen. Die schlechte Seite ist: Der so verstandene Mehrwert produziert real betrachtet nicht mehr Wert. Für den Espresso ist es egal, ob er von einem Kellner gemacht wurde, der dabei auf die Uhr geschaut hat und an die letzte Folge seiner Lieblingsfernsehserie gedacht hat, oder von einem Barista, den es glücklich macht, seine Zeit zwischen tollen Espressomaschinen zu verbringen. Für das Ziel, eine andere Stadt zu erreichen, macht es auch keinen Unterschied, ob man während des Flugs aus dem Fenster sehen konnte oder seine Sitznachbarn aufscheuchen musste, um auf die Toilette zu gehen.
Trotzdem, und das ist das Gemeine dabei, muss es wohl einen Unterschied machen, ob Leute fair bezahlte Jobs gern machen, oder ob sie durch Androhung der Kürzung von Arbeitslosengeldern dazu gezwungen werden.
Der so beschaffene Mehrwert als treibender Wirtschaftsfaktor ist auch persönliche Vorlieben angewiesen – und er ist auf dünnem Eis gebaut: Nachdem wir den Wert, der eigentlich keiner ist, nicht wirklich brauchen, ist er auch etwas, auf das wir leicht verzichten können, wenns mal knapper zugeht.
Das ist dann wieder ein Problem, weil der ideelle Mehrwert – fair gehandelter Kaffee, glückliches Personal, gut designte Hotels – nur mit ganz realem Kapital in die Welt gebracht werden kann. Anbieter investieren also (sie brauchen, wie vorhin erwähnt, Kapital, um überhaupt arbeiten zu können) und sind dann darauf angewiesen, dass Kunden dieses Angebot aus ideellen Gründen annehmen. Schließlich kann nicht jeder Mensch jedes Mal frei entscheiden, wofür er oder sie Geld ausgibt: Irgendwann ist es in den meisten Fällen aus. Und auch davor ist es eine Verteilungsfrage: Den einen sind Reisen wichtig, den anderen Mode, manche geben Geld für gutes Essen aus und sind der Meinung, sich keine Urlaube leisten zu können.

Preis-Trittbrettfahrer

So beschrieben sind das Luxusprobleme. Über manche Dinge kann man allerdings nicht entscheiden, wenn man Teil einer Gesellschaft sein will: Wohnung, Essen, einigermaßen saubere Kleidung, Möglichkeiten sich fortzubewegen, Bankkonten oder Kommunikationsmittel gehören zur Grundaustattung, über die kaum frei entschieden werden kann. Kleidung lässt noch am meisten Spielraum – Entscheidungen sind hier aber auch immer mit Distinktionsverlusten verbunden.
Auch hier entwickeln sich die Preise nach ideellen Gesichtspunkten so als hätten wir die Wahl: Wohnungen werden nach Lage und Features bewertet, Handys und Verträge kosten selbstverständlich nicht zu wenig Geld (nachdem sie ein Zeit lang fast gratis sein mussten) und sogar Gebühren für öffentliche Leistungen werden mit dem Argument „Wir wollen doch alle eine tolle gut funktionierende Stadt“ laufend erhöht – deren Teuerung liegt sogar beim doppelten der Inflationsrate und ist damit ein ganz wesentlicher Preistreiber, dem niemand auskommt.
Wir zahlen also, weil es Teil unseres Selbstverständnisses geworden ist, dass zahlen zu können gut ist. Zahlen können ist eine Form von Freiheit; wer mehr zahlen kann (oder sich aussuchen kann, wofür er oder sie zahlt), hat also mehr Freiheit. Tatsächlich ist diese Entscheidung aber nur in sehr kleinen Spielräumen möglich. Wir zahlen trotzdem – in der Hoffnung, dass sich das erstens gut anfühlt, dass zweitens ein Teil davon zu uns zurückkommt, und dass drittens irgendwann alles gut wird. So lange wir nur zahlen.
Es ist eben ein bisschen paradox, dass gerade eine Form von Konsumkritik, die Wert auf ideellen Mehrwert legt, dazu beiträgt, dass Konsum nach wie vor ein zentrales Element bleibt. Manchen Betroffenen würde es vermutlcih auch gar nicht einfallen, sich als konsumkritisch zu betrachten – Der Begriff Konsum-Elitarismus beschreibt die Sachlage besser.
Aber auch das ist nur eine Seite der Geschichte.

Wenn du selbst die Party sein musst

Ich habe zum ersten Mal ein Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre gelesen. 

 

Ich kann ja nicht so mit Udo Lindenberg. Ich habs gelegentlich probiert, aber – nein. Wahrscheinlich ist er ein cooler Typ, wohl auch menschlich toll und irgendwann mal künstlerisch wichtig, vielleicht jetzt sogar noch, aber ich kann Udo Lindenberg keine zehn Sekunden lang youtuben, ohne an tausend andere Dinge zu denken, die ich jetzt lieber machen würde.
Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für Benjamin von Stuckrad-Barres neues Buch „Panikherz“, in dem Udo Lichtenberg das wichtigste auf der Welt ist. Neben Koks. Aber Koks ist mittlerweile aus Stuckrad-Barres Leben verschwunden, Udo Lindenberg ist geblieben. Ich habe einen neuen Versuch mit Udo gemacht, weil ich ja auch einen neuen Versuch mit Stuckrad-Barre gemacht habe – „Panikherz“ ist das erste seiner Bücher, das ich gelesen habe. Vielleicht habe ich es früher aus Neid auf den Erfolg nicht gemacht, kann schon sein, aber auch, weil ich den hyper-referenziellen Pop-Kram nicht aushalte.
Meine eigene Karriere als Musikjournalist war kurz. Nicht zuletzt, weil der Rock’n’roll-Journalismus all die Fehler und Langweiligkeiten kopiert, die Kunst- und Literaturjournalismus schon Jahrzehnte vorher zu einer großteils öden Veranstaltung gemacht haben. Dinge im Zusammenhang zu sehen ist wichtig, Kontext, Zitate und Anspielungen als Inhaltsersatz zu vergöttern ist aber das, was dann auch Kunst selbst langweilig macht.
Aber es sollte ja um das Buch gehen. Stuckrad-Barre schreibt seine Autobiografie und konzentriert sich dabei vor allem auf seine Magersucht und seine Kokssucht. Rolling Stone, die Harald Schmidt-Show und diverse Musikmarketingjobs sind dabei Nebenerscheinungen, die irgendwo am Rand vorbeiziehen. Stuckrad-Barre sagt viele Dinge, so wie man es selbst vielleicht für unausgereift und unschlüssig halten würde, und lässt sie so stehen. So entsteht Literatur.
Stuckrad-Barre braucht 600 Seiten, um seine Geschichte zu erzählen. Koks kommt eben immer wieder zurück. Wenn man es einsetzt, weil man Stille und Ruhe nicht ertragen kann, dann umso mehr – Koks an sich hat ja keinen Unterhaltungswert, aber es versetzt den Konsumenten in die Lage, selbst die Unterhaltung zu sein, die er gerne hätte. Damit wird Stuckrad-Barres Buch zur schönen Geschichte über die Unausweichlichkeit der Enttäuschung, die sich bei der Suche nach fast allem erleben lässt. Im konkreten Fall: Die Suche nach der Coolness des Rock’n’Roll-Journalisten springt mitten in das Klischee zwischen Groupie und Gott (der durch seine Kritiken entscheidet), zerstört es durch den Wechsel ins Musikmarketing, das wieder die Illusion jedweder Coolness im Musikbusiness zerstört und mündet die Enttäuschung, die nicht akzeptiert werden kann: Wenn es die Party, die ich immer gesucht habe, nicht gibt, dann muss ich sie eben selber machen.
Irgendwann dämmert einem dann ja, dass man sich ziemlich verrannt hat, wenn man immer öfter ohne Freunde, Plan oder Perspektiven aufwacht, aber dann ist es halt nicht mehr so leicht, aus dem Hamsterrad rauszukommen. Denn nüchtern betrachtet, ist die ewige Party ein ähnliches Hamsterrad wie das Einfamilienhaus mit dem 9-5 Job. (Eine der größten und schönsten und ignoriertesten Erzählungen dazu ist übrigens, wenn auch frauenpolitisch fallweise nicht mehr ganz zeitgemäß, Charles Bukowskis „Women“.)
Stuckrad-Barre jedenfalls wird irgendwann wieder nüchtern und verwandelt sich in den Prototypen deutscher Entertainmentkultur, also in den Helden von Gala- und Bunte-Klischees schlechthin: Selbstfindung im Chateau Marmont am Sunset Boulevard, Quinoa-Grütze-Dinner mit Thomas Gottschalk in Hollywood, Kino mit Bret Easton Ellis – und das alles vor dem Hintergrund einer kritischen Drogenvergangenheit. Wie schön. Ein neues Abziehbild für eine neue Generation auf der Suche nach der Party.
Andererseits: So ist das Leben. Antworten gibt es nicht; zu vielen Möglichkeiten stehen zu wenig begründbare Entscheidungen gegenüber, also ist es halbwegs egal was du machst – Hauptsache du stirbst dabei nicht und machst auch deine Umgebung nicht kaputt. Auch irgendwie unbefriedigend. Aber das kann man wiederum Stuckrad-Barre nicht vorwerfen, das ist nun mal so. Es macht jedenfalls Spaß, das Buch zu lesen und sich selbst und andere auf der Suche nach Relevanz für den eigenen faulenden Knochensack zu beobachten.

Bibelquiz – Wer hat’s gesagt?

Die Partei mit den biblisch-christlichen Werten kürzt bei den Schwächsten: Mindestsicherung reduzieren, Grenzen schließen, Spendengelder verstaatlichen. Dazu stellen sie noch einen Bundespräsidentschaftskandidaten auf, der die Republik in einen Gottesstaat verwandeln möchte.

Aber klar, die Zeiten sind verwirrend. Manchmal ist es gar nicht so leicht, sich zwischen rechts und links, richtig und falsch oder überhaupt für irgendwas zu entscheiden. Da greift man dann in der Eile vielleicht auch mal zur falschen Bibel.

Deshalb haben wir – auch passend zur Jahreszeit – unser exklusives Bibelquiz erstellt: Wer hat’s gesagt? Zur Auswahl stehen christliche und satanische Bibel. Wobei … – aber probiert es einfach selbst.

 

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