Graffiti in Athen

Graffiti in Athen

Geschlossene Geschäftslokale mit verrosteten Rollbalken, die sich schon länger nicht mehr bewegt haben, waren in Athen keine Seltenheit. Der Weg zurück ins Hotel führt durch eine Pro-Hanf-Demonstration, die von gepanzerten Polizisten begleitet wird. Deren Knieschützer sehen aus wie die von Kindern beim Rollschufahren; die Helme und Schlagstöcke passen nicht dazu.

Ein paar Gassen weiter ist es wieder ruhig. Sehr ruhig. Vor einem kleinen Lokal stehen die letzten Gäste rauchend auf der Straße, drinnen räumt der Veranstalter die unverkauften Reste der Buchpräsentation weg.

“Wir sammeln für einen Freund, der gerade im Knast sitzt”, erklärt er. Es ist ein kleines Buch über politisches Graffiti in den Straßen Athens. Viele Fotos und Kommentare zeichnen ein Bild von Graffiti als politischem Diskurs zur Situation Griechenlands. Viele der Arbeiten sind von dem inhaftierten Freund. Das Buch ist nur in diesem Laden u beziehen – es ist nicht im Handel, nicht online zu kaufen.

Es ist, in einer Zeit, in der die Zeitungen übervoll sind mit Nachrichten aus Griechenland, eine der lebendigsten und buntesten Bestandsaufnahmen von der anderen Seite.

Graffiti in Athen Graffiti in Athen Graffiti in Athen

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Mein generischer Kreativitäts-Crowdsourcing-Pitch

Kreativitätscontests made easy. Nachdem wir leider nicht überall mitmachen können, habe wir hier einen generischen Beitrag zur freien Entnahme erstellt. 
 
Partizipation ist cool. Mal darf man für die Wirtschaftskammer sein letztes Hemd ausziehen (was für eine Symbolkraft!), dann darf man unter dem Deckmantel der Innovation Ideen in die Senkgrube des Vergessens kippen und immer öfter wird man auch zu Kreativitätscontests eingeladen. Zuletzt machte das Volkstheater mit einem Illustrationswettbewerb Furore, jetzt lädt Saxoprint dazu ein, ein Match-Trikot für die österreichische Nationalmannschaft zu gestalten – für 2.000 € Preisgeld und eine Reise zum Match. Immerhin gibt es dabei sogar Abstandshonorare in Form von 25 €-Gutscheinen.
Wie verlockend. Leider fehlt mir die Zeit, überall dabei zu sein, Teilnahmebedingungen zu lesen und Ausschreibungsplattformregistrierungen auszufüllen. Deshalb habe ich keine Kosten und Mühen gescheut und die besten Designer, Texter und kreativen Köpfe versammelt, um eine generische Kreativitäts-Contest-Contribution zu erstellen. Das Ergebnis steht hier zum Download bereit (selbstverständlich auch in offenen Formaten) und ich bitte alle, die wieder eine besonders innovative Spielweise des Massenpitches erfunden haben, sich einfach hier zu bedienen.
Wie Sie uns vom Gewinn der Ausschreibung verständigen können, das erfahren Sie in unserem Impressum.
 
Kreativitaetscontest
 
 
Download: pdf psd

Konsum-Elitarismus: Warum wir so pleite sind 

Wir tun so, als könnten wir entscheiden, wofür wir Geld ausgeben. Das ist ein Spiel auf dünnem Eis und in sehr begrenztem Rahmen. 
Für den Staat bin ich reich. Ich zahle für einen recht spürbaren Teil meines Einkommens 50 Prozent Steuern, zahle seit vielen Jahren Höchstbeiträge in der Sozialversicherung und bei der Abschreibung von Sonderausgaben stehen mir nur noch die jährlichen 60 Euro Grundbetrag dazu – der Rest fällt unter Selbstbehalt.
Das sind die gleichen Rahmenbedingungen, die auch einen Vorstandsvorsitzenden oder eine Generaldirektorin eines internationalen Konzerns mit mehreren Milliarden Euro Bilanzsumme betreffen. Eigentlich sollte ich mir also alles leisten können – dennoch finde ich vieles absurd teuer, bin weit davon entfernt, sparen zu können und froh, wenn ich nicht immer den ganzen Überziehungsrahmen meines Kontos ausnützen muss.
Wohin fließt dann das Geld, und warum ist man, wenn man bei allen Pflichtabgaben das Maximum zahlt, nicht so reich wie Pablo Escobar?
Steuern sind nur ein Teil der Geschichte. Ein ziemlich fetter Teil zwar, aber lassen wir das mal beiseite. Es geht ja genau um die Frage, warum man steuerlich gesehen steinreich ist, im realen Leben aber ganz und gar nicht.

“Das ist halt Qualität”

Historisch orientierte Ökonomen gehen solchen Fragen gern mit der Analyse von Preisen und Preisvergleichen nach: Wofür wird Geld ausgegeben, welchen Anteil am verfügbaren Geld machen welche Waren aus? – Und es mussten übrigens beruhigende Zeiten gewesen sein, in denen verarmte Leute eben ins Hotel gezogen sind, in denen die tägliche abendliche Party mit Drei-Gänge-Menü und zwei Flaschen Wein dazu auch für mittellose Künstler kein Problem war und, später, in denen massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit schlicht kein Thema war. Ok, echte Armut war damals (bis vor rund 150 Jahren) großteils schlicht außerhalb des Radars.
Trotzdem frage ich mich schon länger, ob es nicht genau solche Kleinigkeiten sind, die langsam aber sicher Budgets auffressen. Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren rasant gestiegen; Fett&Zucker-Junkfood aus dem Supermarkt, das mal verlässlich billiger Kalorien-Lieferant war, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Parallel dazu treiben auch Qualitätsoffensiven die Preise: Beim Fleisch aus einer des Lebens würdigen Tierhaltung geht das vielleicht noch zu langsam, bei handgemachten Keksen, mit Liebe produzierten Kaffee-Spezialitäten oder Weinen entwickelt sich das dafür rasant. Qualität, Handarbeit, Nachhaltigkeit sind Preistreiber, die den Boden auch für andere Entwicklungen bereiten. Von vier oder sechs Euro für Kaffee, der nicht mehr nach Kaffee schmeckt, ist es nicht mehr weit zu zweihundert Euro für eine Nacht in einem Hotel mitten in der langweiligsten Prärie mit vielleicht Aussicht auf ein paar Berge. Hier ist es nicht Nachfrage, die den Preis gestaltet, es ist das Angebot – eines, das auf Langweile und Überdruß abzielt. Was teuer ist, muss gut sein, eben vielleicht im Sinne von Nachhaltigkeit auch noch gut für andere. – Noch besser wäre es aber vielleicht, der Hotelier, der sein Haus in die Ruhe versprechende Landschaft gebaut, es beruhigend designt und ausgestattet hat, hätte es gar nicht gebaut. Der Ruhe wegen.
Fairness ist sicher ein hochzuhaltender Wert, und Preise zu drücken schlägt schließlich gegen alle zurück. Die Idee, auf diesem Weg Arbeit wieder rentabler zu machen, birgt aber auch ein Risiko: Sie bindet die Möglichkeit von Arbeit an das Vorhandensein von Kapital. Darauf muss ich später noch einmal zurückkommen.

“Das kostet extra”

Während Lebensmittel und Gastronomie augenscheinlich deutlich dazu beitragen, Preise zu steigern, sind andere Produkte auf den ersten Blick billiger geworden – Flugreisen etwa. Wo vor zehn oder zwanzig Jahren eine Flugreise noch eine schwergewichtige finanzielle Entscheidung war, fällt sie jetzt weit weniger ins Gewicht. Das ist einerseits eine Frage der Relationen –  ein Amerika- oder Asien-Flug kostet oft weniger als eine kleine Wiener Mietwohnung im Monat kostet -, andererseits eine Frage der Preisgestaltung. Wo in anderen Branchen Qualität und Service aufgebaut wurden, wurden sie beim Fliegen abgebaut. So weit so fair. Allerdings zeigt sich beim Fliegen eine Entwicklung, die an die Gestaltung von Steuerreformen und die Einführung von neuen Belastungen erinnert. Seit übermaßiges Service an Bord gestrichen wurde, sind die Preise etwa gleichgeblieben – dafür müssen immer mehr frühere Selbstverständlichkeiten  jetzt gegen Bares zugekauft werden. Eine erste Entwicklung betraf das Gepäck – immer öfter ist nur Handgepäck inklusive, Bordgepäck muss extra bezahlt werden. Eine neuere Erfindung ist die Boarding-Reihenfolge: Nach Priority- und First Class-Passagieren können jetzt auch Economy-Class Passagiere gestaffelte Aufpreise zahlen, um früher an Bord des Fliegers zu dürfen. Sinn macht das natürlich in Kombination mit den Gepäcksregelungen: Wer die Grenzen seines Handgepäcks ausreizt und dafür auf extra zu bezahlendes Bordgepäck verzichtet, zahlt eben für die Boarding-Reihenfolge und gewinnt damit Zeit und Platz für sein Handgepäck. Und manche Billig-Airlines verlangen jetzt sogar schon Aufpreise für die Wahl des Sitzplatzes – auch beim Online-Checkin. Wer nicht zahlt, dem bleiben eben nur die undankbaren mittleren Plätze in den Dreier-Sitzreihen.
Auch das ist ein Weg, Werte zu schaffen, die wir früher nicht kannten. In der Wirtschaftsentwicklung geht es schließlich um Mehrwert.

Auch ideeller Mehrwert braucht reales Kapital

Mehrwert wird so zu einer Geschmacksfrage, zu einer persönlichen Entscheidung. Die gute Seite dabei ist: Das gibt mehr Menschen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wofür sie Geld ausgeben wollen. Die schlechte Seite ist: Der so verstandene Mehrwert produziert real betrachtet nicht mehr Wert. Für den Espresso ist es egal, ob er von einem Kellner gemacht wurde, der dabei auf die Uhr geschaut hat und an die letzte Folge seiner Lieblingsfernsehserie gedacht hat, oder von einem Barista, den es glücklich macht, seine Zeit zwischen tollen Espressomaschinen zu verbringen. Für das Ziel, eine andere Stadt zu erreichen, macht es auch keinen Unterschied, ob man während des Flugs aus dem Fenster sehen konnte oder seine Sitznachbarn aufscheuchen musste, um auf die Toilette zu gehen.
Trotzdem, und das ist das Gemeine dabei, muss es wohl einen Unterschied machen, ob Leute fair bezahlte Jobs gern machen, oder ob sie durch Androhung der Kürzung von Arbeitslosengeldern dazu gezwungen werden.
Der so beschaffene Mehrwert als treibender Wirtschaftsfaktor ist auch persönliche Vorlieben angewiesen – und er ist auf dünnem Eis gebaut: Nachdem wir den Wert, der eigentlich keiner ist, nicht wirklich brauchen, ist er auch etwas, auf das wir leicht verzichten können, wenns mal knapper zugeht.
Das ist dann wieder ein Problem, weil der ideelle Mehrwert – fair gehandelter Kaffee, glückliches Personal, gut designte Hotels – nur mit ganz realem Kapital in die Welt gebracht werden kann. Anbieter investieren also (sie brauchen, wie vorhin erwähnt, Kapital, um überhaupt arbeiten zu können) und sind dann darauf angewiesen, dass Kunden dieses Angebot aus ideellen Gründen annehmen. Schließlich kann nicht jeder Mensch jedes Mal frei entscheiden, wofür er oder sie Geld ausgibt: Irgendwann ist es in den meisten Fällen aus. Und auch davor ist es eine Verteilungsfrage: Den einen sind Reisen wichtig, den anderen Mode, manche geben Geld für gutes Essen aus und sind der Meinung, sich keine Urlaube leisten zu können.

Preis-Trittbrettfahrer

So beschrieben sind das Luxusprobleme. Über manche Dinge kann man allerdings nicht entscheiden, wenn man Teil einer Gesellschaft sein will: Wohnung, Essen, einigermaßen saubere Kleidung, Möglichkeiten sich fortzubewegen, Bankkonten oder Kommunikationsmittel gehören zur Grundaustattung, über die kaum frei entschieden werden kann. Kleidung lässt noch am meisten Spielraum – Entscheidungen sind hier aber auch immer mit Distinktionsverlusten verbunden.
Auch hier entwickeln sich die Preise nach ideellen Gesichtspunkten so als hätten wir die Wahl: Wohnungen werden nach Lage und Features bewertet, Handys und Verträge kosten selbstverständlich nicht zu wenig Geld (nachdem sie ein Zeit lang fast gratis sein mussten) und sogar Gebühren für öffentliche Leistungen werden mit dem Argument „Wir wollen doch alle eine tolle gut funktionierende Stadt“ laufend erhöht – deren Teuerung liegt sogar beim doppelten der Inflationsrate und ist damit ein ganz wesentlicher Preistreiber, dem niemand auskommt.
Wir zahlen also, weil es Teil unseres Selbstverständnisses geworden ist, dass zahlen zu können gut ist. Zahlen können ist eine Form von Freiheit; wer mehr zahlen kann (oder sich aussuchen kann, wofür er oder sie zahlt), hat also mehr Freiheit. Tatsächlich ist diese Entscheidung aber nur in sehr kleinen Spielräumen möglich. Wir zahlen trotzdem – in der Hoffnung, dass sich das erstens gut anfühlt, dass zweitens ein Teil davon zu uns zurückkommt, und dass drittens irgendwann alles gut wird. So lange wir nur zahlen.
Es ist eben ein bisschen paradox, dass gerade eine Form von Konsumkritik, die Wert auf ideellen Mehrwert legt, dazu beiträgt, dass Konsum nach wie vor ein zentrales Element bleibt. Manchen Betroffenen würde es vermutlcih auch gar nicht einfallen, sich als konsumkritisch zu betrachten – Der Begriff Konsum-Elitarismus beschreibt die Sachlage besser.
Aber auch das ist nur eine Seite der Geschichte.

Wenn du selbst die Party sein musst

Ich habe zum ersten Mal ein Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre gelesen. 

 

Ich kann ja nicht so mit Udo Lindenberg. Ich habs gelegentlich probiert, aber – nein. Wahrscheinlich ist er ein cooler Typ, wohl auch menschlich toll und irgendwann mal künstlerisch wichtig, vielleicht jetzt sogar noch, aber ich kann Udo Lindenberg keine zehn Sekunden lang youtuben, ohne an tausend andere Dinge zu denken, die ich jetzt lieber machen würde.
Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für Benjamin von Stuckrad-Barres neues Buch „Panikherz“, in dem Udo Lichtenberg das wichtigste auf der Welt ist. Neben Koks. Aber Koks ist mittlerweile aus Stuckrad-Barres Leben verschwunden, Udo Lindenberg ist geblieben. Ich habe einen neuen Versuch mit Udo gemacht, weil ich ja auch einen neuen Versuch mit Stuckrad-Barre gemacht habe – „Panikherz“ ist das erste seiner Bücher, das ich gelesen habe. Vielleicht habe ich es früher aus Neid auf den Erfolg nicht gemacht, kann schon sein, aber auch, weil ich den hyper-referenziellen Pop-Kram nicht aushalte.
Meine eigene Karriere als Musikjournalist war kurz. Nicht zuletzt, weil der Rock’n’roll-Journalismus all die Fehler und Langweiligkeiten kopiert, die Kunst- und Literaturjournalismus schon Jahrzehnte vorher zu einer großteils öden Veranstaltung gemacht haben. Dinge im Zusammenhang zu sehen ist wichtig, Kontext, Zitate und Anspielungen als Inhaltsersatz zu vergöttern ist aber das, was dann auch Kunst selbst langweilig macht.
Aber es sollte ja um das Buch gehen. Stuckrad-Barre schreibt seine Autobiografie und konzentriert sich dabei vor allem auf seine Magersucht und seine Kokssucht. Rolling Stone, die Harald Schmidt-Show und diverse Musikmarketingjobs sind dabei Nebenerscheinungen, die irgendwo am Rand vorbeiziehen. Stuckrad-Barre sagt viele Dinge, so wie man es selbst vielleicht für unausgereift und unschlüssig halten würde, und lässt sie so stehen. So entsteht Literatur.
Stuckrad-Barre braucht 600 Seiten, um seine Geschichte zu erzählen. Koks kommt eben immer wieder zurück. Wenn man es einsetzt, weil man Stille und Ruhe nicht ertragen kann, dann umso mehr – Koks an sich hat ja keinen Unterhaltungswert, aber es versetzt den Konsumenten in die Lage, selbst die Unterhaltung zu sein, die er gerne hätte. Damit wird Stuckrad-Barres Buch zur schönen Geschichte über die Unausweichlichkeit der Enttäuschung, die sich bei der Suche nach fast allem erleben lässt. Im konkreten Fall: Die Suche nach der Coolness des Rock’n’Roll-Journalisten springt mitten in das Klischee zwischen Groupie und Gott (der durch seine Kritiken entscheidet), zerstört es durch den Wechsel ins Musikmarketing, das wieder die Illusion jedweder Coolness im Musikbusiness zerstört und mündet die Enttäuschung, die nicht akzeptiert werden kann: Wenn es die Party, die ich immer gesucht habe, nicht gibt, dann muss ich sie eben selber machen.
Irgendwann dämmert einem dann ja, dass man sich ziemlich verrannt hat, wenn man immer öfter ohne Freunde, Plan oder Perspektiven aufwacht, aber dann ist es halt nicht mehr so leicht, aus dem Hamsterrad rauszukommen. Denn nüchtern betrachtet, ist die ewige Party ein ähnliches Hamsterrad wie das Einfamilienhaus mit dem 9-5 Job. (Eine der größten und schönsten und ignoriertesten Erzählungen dazu ist übrigens, wenn auch frauenpolitisch fallweise nicht mehr ganz zeitgemäß, Charles Bukowskis „Women“.)
Stuckrad-Barre jedenfalls wird irgendwann wieder nüchtern und verwandelt sich in den Prototypen deutscher Entertainmentkultur, also in den Helden von Gala- und Bunte-Klischees schlechthin: Selbstfindung im Chateau Marmont am Sunset Boulevard, Quinoa-Grütze-Dinner mit Thomas Gottschalk in Hollywood, Kino mit Bret Easton Ellis – und das alles vor dem Hintergrund einer kritischen Drogenvergangenheit. Wie schön. Ein neues Abziehbild für eine neue Generation auf der Suche nach der Party.
Andererseits: So ist das Leben. Antworten gibt es nicht; zu vielen Möglichkeiten stehen zu wenig begründbare Entscheidungen gegenüber, also ist es halbwegs egal was du machst – Hauptsache du stirbst dabei nicht und machst auch deine Umgebung nicht kaputt. Auch irgendwie unbefriedigend. Aber das kann man wiederum Stuckrad-Barre nicht vorwerfen, das ist nun mal so. Es macht jedenfalls Spaß, das Buch zu lesen und sich selbst und andere auf der Suche nach Relevanz für den eigenen faulenden Knochensack zu beobachten.

Bibelquiz – Wer hat’s gesagt?

Die Partei mit den biblisch-christlichen Werten kürzt bei den Schwächsten: Mindestsicherung reduzieren, Grenzen schließen, Spendengelder verstaatlichen. Dazu stellen sie noch einen Bundespräsidentschaftskandidaten auf, der die Republik in einen Gottesstaat verwandeln möchte.

Aber klar, die Zeiten sind verwirrend. Manchmal ist es gar nicht so leicht, sich zwischen rechts und links, richtig und falsch oder überhaupt für irgendwas zu entscheiden. Da greift man dann in der Eile vielleicht auch mal zur falschen Bibel.

Deshalb haben wir – auch passend zur Jahreszeit – unser exklusives Bibelquiz erstellt: Wer hat’s gesagt? Zur Auswahl stehen christliche und satanische Bibel. Wobei … – aber probiert es einfach selbst.

 

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Was denken Sie eigentlich? – Teil 1: Neandertaler, Logik und Zeitreisende

Wir arbeiten an Prototypen einer neuen Serie: Was sagen manche Menschen eigentlich, wenn sie reden? Heute legt, logisch analysiert, Robert Lugars jüngste Rede nahe, dass manche Parlamentarier geheime Informationen von Zeitreisenden empfangen. 

“Was denken Sie eigentlich?“ wird gemeinhin mit einem eher vorwurfsvollen Unterton gefragt. Umgangssprachlich ist auch „Was glauben Sie eigentlich?” geläufiger. Ich bleibe trotzdem beim Denken, weil ich damit an Lesarten von Texten anknüpfen möchte, die versuchen, einen Schlüssel zum Weltbild des Schreibenden oder Sprechenden zu finden. Das kann ein Weltbild sein, das der Sprechende beschreiben möchte, eines, das durch seine Aussagen konkreter wird, oder eines, in dem seine Aussagen besondere Wirkung entfalten. 
Ich hatte bis jetzt ein paar Notizen zu dieser Idee. Die Notizen drohten, wie so vieles, mitsamt der Idee auf einer langen Bank in weite Ferne zu verschwinden, aber dann kam diese Rede von Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar. An der kann man einfach nicht vorbeigehen und muss sie zumindest in Ansätzen zu verstehen versuchen.

Lugar (TS): „Weltbild wie die Neandertaler“„Jetzt holen sie genau solche Neandertaler herein, die wir bei uns Gott sei Dank ausgerottet haben, die die Frauenrechte mit Füßen treten.“ – Robert Lugar vom Team Stronach sorgt bei der heutigen Nationalratsdebatte zur Flüchtlingspolitik für Aufregung.

Posted by Zeit im Bild on Wednesday, March 16, 2016

Wenden wir einfach mal ein paar Grundregeln der Argumentation und der Logik an. Logik hat nämlich ihre Tücken: Wenn man unterstellt, dass sich Argumente im Grundrahmen der Logik bewegen, dann schließen sie nämlich auch einiges mit ein.
Das Gute vorweg: Man könnte Lugars Argumentation als genialen Schachzug sehen, um eventuelle Rassismus-Vorwürfe ins Leere laufen zu lassen. Rassen gibt es innerhalb eine Spezies; nachdem Lugar aber (manchen) Flüchtlingen nicht den Status der Spezies Mensch zuerkennt, sondern sie zu den Neandertalern zählt, kann er also kein Rassist sein. Oder?
Die Grundlage, auf der er diese Unterscheidung einführt, erschließt sich allerdings nicht ganz so leicht. Wie er am Tag danach selber sagte, weiß er ja gar nicht, wie das Weltbild von Neandertalern ausgesehen hat. Das wäre wahrscheinlich auch insofern schwierig, als man sich bis heute nicht sicher ist, ob Neandertaler Sprache hatten.

“Neandertaler (…), die wir Gott sei Dank ausgerottet haben”

Wird auch schwierig, das festzustellen, denn wie Robert Lugar richtig vermuten lässt: Neandertaler leben nicht mehr. Der gängigen Lehre zufolge sind sie ausgestorben, Lugar formuliert es etwas anders: „Wir haben sie Gott sei Dank ausgerottet.“*
Da stecken zwei Implikationen drin:
Erstens: Wer sich bei seinem Gott bedankt, findet das, wofür er sich bedankt, in der Regel gut. „Jemanden ausrotten“ ist eine aktiv besetzte Wendung; sie bedeutet nicht unbedingt, jemanden mit eigenen Händen zu erwürgen. Im weitesten Sinn kann ausrotten auch das Vernichten der Lebensgrundlagen der ausgerotteten Art bedeuten. Jedenfalls sind Tod und Töten notwendige Voraussetzungen des Ausrottens.
Logisch aufgegliedert bedeutet „Gott sei Dank haben wir x ausgerottet” also:
1) Ich finde es gut, dass wir x ausgerottet haben.
2) eingeschlossene Prämisse: Ausrotten bedeutet Töten.
3) Konsequenz: Ich finde Töten gut.
Ob und unter welchen Umständen man das Töten befürworten darf oder sollte, ist eine häufige Fragestellung moralphilosophischer Dilemmata. Meist werden dabei aber vergleichbar schwerwiegende Konsequenzen einander gegenübergestellt: Darf man den dicken Mann von der Brücke werfen, um den Zug zu stoppen, der fünf Menschen zu überrollen droht? Oder darf man die Weiche umstellen , sodass auf dem anderen Gleis nur ein Mensch (statt fünf auf dem anderen Gleis) überrollt würde?
Diese Konsequenz fehlt mir in dem Neandertaler-Ausrottungs-Dilemma. Welche schwerwiegende Folge wäre gegenüber der Entscheidung, die Neandertaler auszurotten, so viel gravierender? Ist es nur das gesunkene subjektive Sicherheitsgefühl?
Zweitens: Die zweite Implikation des Ausrottungssagers macht verständlich, warum diese letzte Frage so schwer zu beantworten ist. „Wir haben ausgerottet“ ist wie bereits festgestellt eine aktive Formulierung. Sie setzt den Sprechenden in Bezug zur Handlung. Das Aussterben der Neandertaler liegt nun allerdings bereits rund 40.000 Jahre zurück. Wie kann jemand, der gestern noch am Rednerpult des Parlaments stand, ein Ereignis von vor 40.000 Jahren auf sich verbuchen?
Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:
1) Lugar fasst das „wir“ in seiner Formulierung sehr weit und schließt dabei sich, seine WählerInnen, seine NichtwählerInnen und die gesamte Menschheit der letzten 40.000 bis 45.000 Jahre ein. Schließlich haben Menschen und Neandertaler eine Zeit lang den Planeten gemeinsam bewohnt. Damit gäbe es ein globales und die Jahrtausende überdauerndes  „Wir“, das das Subjekt in dieser Aussage spielen kann. Damit wäre diese Aussage logisch möglich, sie wäre allerdings höchstwahrscheinlich immer noch historisch falsch. Das Aussterben der Neandertaler wird je nach Theorie auf Umwelteinflüsse, zu kleine Gehirne, mangelnde Sozialkompetenz oder darauf, dass sie vielleicht keinen Spaß an Sex hatten, zurückgeführt.
2) Die zweite Möglichkeit: Wer der Meinung ist, die Neandertaler ausgerottet zu haben, glaubt auch an Zeitreisen. Eine andere mögliche Voraussetzung, um die Aussage „Wir haben die Neandertaler ausgerottet“ richtig sein zu lassen, wäre die Annahme, dass sich ein geheimes Kommando 40.000 Jahre weit in die Vergangenheit beamen ließ, dort den Neandertalern den Garaus machte, und dann vermutlich wieder zurückkehrte, um Grenzzäune aufzuziehen. Wobei der letzte Teil der Geschichte nur Spekulation ist – vielleicht sind sie ja auch bei den Neandertalern geblieben und damit beschäftigt, ihre Spuren zu verwischen, weshalb es Forschern auch so schwer fällt, Details über das Ende der Neandertaler festzustellen. Oder sie sind seither in einer vernichtenden Raum-Zeit-Spirale gefangen, aus der sie nur alle paar Jahre rechtzeitig vor Ostern mit ausgewählten Parlamentariern kommunizieren können. Wir sollten hier nichts voreilig ausschließen
Man könnte jetzt sagen: Passt gut zu einer Zeit, in der Bundespräsidentschaftskandidaten aus einer Republik einen Gottesstaat machen möchten oder Lokalpolitiker auf die voodoo-ähnlich beschwörende Magie von Werteformeln oder deutscher Poesie setzen.
Oder man könnte sich die Frage stellen, was es bedeutet, Menschen die Menschlichkeit abzuerkennen.
Das ist dann aber keine reine Logikfrage mehr. Historiker oder Kolonialismusforscher (“Wir sind alle Neger”) wissen darüber mehr und Konkreteres.
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* wörtlich heisst es: „Jetzt holen Sie genau solche Neandertaler herein, die wir bei uns Gott sei Dank ausgerottet haben.“

Wir alle sind N**** – Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Vernunft

Ein paar hundert Jahre nach der Aufklärung: Staatsmacht hat, wer töten kann. Lernen wir auch gerade jetzt wieder im Umgang mit Sozial-, Arbeits- und Migrationspolitik. 
Die „Kritik der schwarzen Vernunft“ ist nicht das, was der Titel vielleicht erwarten lässt. Achille Mbembe, Politikwissenschaftler und Kolonialismusforscher überspringt die Frage, was schwarze Vernunft ist und wendet sich gleich ihrem Bild in der weißen Diskussion zu. „Kritik der schwarzen Vernunft“ ist eine Aufarbeitung der Diskurs- und Erkenntnisverweigerung gegenüber Afrika und zieht sich von den frühen Kolonialisten bis heute. Afrika ist dabei nur ein Platzhalter für das Fremde und das, was ihm zugeschrieben wird. Das wird später noch wichtig.

Fabulieren statt Verstehen

Afrika, so Mbembe, ist grundsätzlich ein Konstrukt der Phantasie der frühen Kolonialisten. So wie Naturforscher (vermeintlich) neue Tierarten beschrieben und klassifiziert haben, haben Reisende Afrika beschrieben – und sich dabei auf ihr eigenes Urteil und ihren nicht zu kleinen Anteil an Phantasie gestützt. Fabulieren und Klassifizieren sind die vorrangigen Diskursstrategien gegenüber Afrika; Verstehen spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Dazu braucht es noch gar keine Sklavenhändler-Einstellung. Auch der vermeintlich offene Forscher kommt über das Fabulieren selten hinaus.
Mbembe konzentriert sich weniger auf die Analyse der Rechtfertigungen (oder vielmehr des Selbstverständnisses) der Sklaverei als auf die Suche nach einer Position zu schwarzen Identitäten nach dem Ende der Sklavenhaltung. Denn auch die Zeit danach blieb vor allem von Ratlosigkeit beherrscht: Was machen wir mit den Fremden, die wir nicht (persönlich) gerufen haben, die wir nicht mehr ganz nach Belieben töten und unterdrücken können, die wir aber auch nicht ganz so einfach pauschal aussiedeln können?

Macht hat, wer über Leben entscheidet

Mbembes Fragestellungen kreisen rund um seine Theorie, dass die Grundlage von Macht und Souveränität nach wie vor in der Fähigkeit, über Leben und Tod zu entscheiden, begründet ist (frei online nachzulesen auch in seinem Essay „Necropolitics“; Necropolitics hier im Blog).
Die Bilder von Sklaven oder „Afrika“ sind dabei nur eine besonders plakative Projektionsfläche. Mbembe schreibt in seiner Argumentation kompromisslos von „N******“ (ohne Anführungszeichen). N**** sind fremd, sie sind Kapital, sie verschaffen den mit Sklavenhändlern kooperierenden Regionen Wettbewerbs- und Standortvorteile und sie sind Ware.
Später blieben sie in erster Linie fremd und anders; manchmal etwas zurückgeblieben und nicht ganz zurechnungsfähig, manchmal hilfs- und schutzbedürftiges Objekt fürsorglicher Bemühungen, manchmal etwas Bedrohliches und Wildes. Auf jeden Fall aber: anders.
Während das Betonen der Andersartigkeit des N***** (ja, mich reißt es auch jedes Mal beim Schreiben) Rassismus ist, funktioniert der Konstruktionsplan dieser Andersartigkeit auch ohne Rasse – oder: Rassismus in Form biopolitischer Machtausübung ist nicht kleinlich. Ein anderer muss nicht schwarz sein, um anders als „wir” zu sein und damit ausgegrenzt werden zu können. Der N**** war nur die erste Erscheinungsform, an der dieses Prinzip ausprobiert werden konnte.
N****, schreibt Mbembe, verweist „nicht mehr nur auf die Lage, in die man die Menschen afrikanischer Herkunft in der Epoche des Frühkapitalismus brachte (Eineignungen unterschiedlicher Art, Beraubung jeglicher Möglichkeit der Selbstbestimmung und vor allem der Zukunft und der Zeit, dieser beiden Matrizen des Möglichen).“ N**** ist, wer vom anderen dazu gemacht werden kann, und wer sogar auf dem Weg zur scheinbaren Selbstbestimmung einem Sklavenpfad folgen muss. Historisch gesehen waren das ehemalige Kolonien, die sich ihre beschränkte Freiheit durch Zivilisationsbekenntnisse oder Reparationsleistungen zurückkaufen mussten, heute sind es Aussortierte, Überflüssige und Verschuldete, Mittelschichten, die sich mit Reichen solidarisieren, um sich der vermeintlichen Hoffnung auf eigenen Reichtum zu unterwerfen. Der Konsument, der Sozialhilfeempfänger, der freudige Venturekapitalnehmer – das sind die N**** des 21. Jahrhunderts.
Die Behauptung der Differenz (damit kommen wir an den Anfang zurück, zu der Frage Sicht des N***** als Platzhalter für Andersartigkeit), die sich in der Erfindung des N***** zum ersten Mal bewährt hat, ist ein gängiges Mittel, um Ausgrenzung und Abgrenzung produzieren, Abhängigkeiten zu erzeugen und Machtverhältnisse zu begründen. „Ihr wisst das halt nicht – aber wir sagen euch, wo es langgeht“, ist die zusammengefasste Position, mit der Eliten N***** aller Art begegnen können. Dabei können sich Eliten auf Traditionen, Kulturen und Fortschritt berufen – und auf eine verlockende Perpektive der Teilhabe, die sie N***** bieten können. Der N**** erfüllt dabei in etwas die Rolle einer neu angeschafften Maschine: Diese soll funktionieren und Produktivität steigern, sich aber nicht in geschäftliche oder strategische Angelegenheiten im Unternehmen einmischen. Der N**** soll wollen (besser werden wollen, wie die Weißen werden wollen, sich entwickeln wollen) und konsumieren (Waren, Lebenstile oder Lerninhalte). Produktive Aspekte des N****daseins sind dabei nicht vorgesehen.

Einwanderer als neue Platzhalter des Andersartigen

Diese Argumentation mag so weit nachvollziehbar sein; die Produktion von Überflüssigen, die bestenfalls durch ihren Konsum ein Produktionsfaktor sind, aber nicht weiter individuell beachtet werden müssen, wird auch von anderen Autoren beschrieben. Aber welcher Staat, welche Elite tötet heute noch ihre Überflüssigen? – Schließlich geht Mbembe ja von der Macht als Macht über Leben und Tod aus.
Hier kommt wieder der Rassismus ins Spiel. Kaum ein Staat, kaum eine Elite tötet seine eigenen Überflüssigen.  Er erfasst sie, kategorisiert sie, legt sie mit erweiterten Überwachungsmaßnahmen immer enger auf einzelne Merkmale fest, identifiziert sie mit biometrischen Verfahren, hält sie dadurch verfügbar – und grenzt sie von anderen Überflüssigen ab. Jeder Staat hat seine N****, um die er sich kümmern muss, die N**** der anderen sind davon nicht eingeschlossen.
Identifikation und Kategorisierung dienen der „Schaffung einer neuartigen Population von Menschen, die potenziell zu entfernen und zu inhaftieren sind. So werden im Rahmen der neuen Einwanderungsfeindlichkeit in Europa ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisiert und diversen rassischen Zuschreibungen unterworfen. Sie machen den Einwanderer zur Figur eines wesenhaften Unterschieds.“
Aus dieser Perspektive wird klar, wie weit die Herrschaftsformen, die Mbembe beschreibt, auch heute noch angewendet werden.
Die Probleme dahinter können auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden:
Die willkürliche Grenzziehung anhand von Geburtsorten, Dokumenten und geografischer Lebensgeschichte ist eine Ebene.
Die andere Ebene ist die Verdinglichung des Menschen. Diese Ebene zieht schon lange eine historische Spur durch die Geistesgeschichte (Entfremdung, Warencharakter oder Überflüssige sind beispielhafte Schlagworte, die sich im Lauf der Zeit entwickelt haben). Der Mensch als willige Manövriermasse wird heute allerdings weniger ausgebeutet als er sich selbst ausbeutet (nein, nicht durch Unternehmertum und den landläufigen Begriff von Selbstausbeutung), sondern durch Konsum und Hoffnung. Politik sorgt für den Menschen und bringt ihn damit in eine Abhängigkeit, deren schlimmste Bedrohung Wachstum ist. Wachstum, das herausfordern könnte (erhöhte Produktivität, mehr Möglichkeiten) ist selten geworden, davor braucht sich niemand mehr zu fürchten. Wachstum in Form von Zuwanderung ist stattdessen zur schlimmsten Bedrohung geworden. Die N****, die sich nicht selbst zu helfen wissen, zweifeln zu Recht an ihrem Herrn, der kein Interesse daran hat, sich für sie ins Zeug zu legen, und sich stattdessen mit ihnen gemeinsam gegen mögliche Bedrohungen wehrt.
Es braucht keine Phantasie, um darin ein etwas überdeutliches, aber nicht weniger aussagekräftiges Bild aktueller Migrations-, Sozial- und Arbeitspolitik zu sehen.

Ich mag ja Optimismus …

Breaking News: Das Finanzamt prophezeit Unternehmern ein Boom-Wachstum wie in den 50er-Jahren. Zumindest, wenn man die Einkommensteuervorauszahlungsbescheide beim Wort nimmt. Und – wie das Finanzamt – die Steuerreform ignoriert.
Ach Finanzamt, ich mag ja deinen Optimismus. Während andere sich bemühen, irgendeine Form von Feelgood- oder Aufschwungsstimmung zu erzeugen, sich in schlecht sitzenden T-Shirts an die Start Up-Szene anbiedern, von Risikofreudigkeit und Unternehmergeist reden, setzt du ganz einfach Maßstäbe und lässt mit deiner Zuversicht nicht den Funken von Zweifel aufkommen.
Jedes Jahr werden die Steuervorauszahlungen für Selbstständige erhöht, jedes Jahr stärkst du den Wirtschaftsstandort Österreich durch deine unerschütterliche Zuversicht: Es wird auch kommendes Jahr wieder besser werden. Ungeachtet aller Wachstumsprognosen und -statistiken gehst du ganz einfach davon aus, dass es Wachstum geben wird. Und das gleich in der Höhe von vier Prozent. Ein Wirtschaftswachstum in der Dimension hatten wie zuletzt 1990, davor 1975.
Fein. Das ist ein Ansporn. Deutlicher kann man nicht sagen: „Wir glauben an euch, liebe Unternehmer.”

Steuerreform 2015? – Erst 2017

Zuletzt allerdings gab es ja diese vielbejubelte Steuerreform, die uns allen mehr Geld in der Tasche lassen wird, die den Konsum ankurbeln wird und die der flauen Wirtschaft auf die Sprünge helfen wird. Dass Selbstständige diese Reform erst mit der Steuererklärung 2016 spüren werden, war klar.
Dass die Berechnung der Vorauszahlungen für 2016 allerdings die Steuerreform vollkommen ignorieren, daran verschlucke ich mich dann doch etwas vor Überraschung.
Die Vorauszahlungsbeträge werden einfach so wie sie sind mit vier Prozent erhöht, ungeachtet neuer Steuertarife. Für denjenigen, der das Geld erst mal verdienen muss, bedeutet das: 2016 sind nicht vier Prozent, sondern je nach Steuerklasse bis zu rund neun Prozent mehr Gewinn notwendig, um diese Vorauszahlungen ohne Verluste erfüllen zu können. Ein Wirtschaftswachtum in dem Ausmaß gab es zuletzt 1955. Anders gerechnet: Bei gleichbleibendem Gewinn ist die Einkommensteuervorauszahlung 2016 um zehn Prozent zu hoch angesetzt.
Und bis Selbstständige dann die Segnungen der Steuerreform 2015 spüren werden, wird es also Frühling 2017 sein – wenn die Steuererklärung 2016 erledigt ist, die Vorauszahlungen geleistet sind und der Steuerbescheid dann auch den dann schon seit zwei Jahren geltenden Regeln entspricht.

Zehn Prozent zu viel kassiert

Man könnte sich jetzt natürlich auch den Papierkrieg antun und um niedrigere Vorauszahlungen ansuchen, die Vor- und Nachteile (Zinsgewinn gegen Arbeitsaufwand) durchrechnen, oder rein aus Prinzip sagen „Ich zahl das nicht.“
Mir macht eigentlich etwas anderes Sorgen: Ich für meinen Teil habe nur ungern Geld in der Buchhaltung, von dem ich weiß, dass es nicht mir gehört. Ich dränge Partner und Lieferanten darauf, schnell Rechnungen zu stellen, bezahle sie möglichst schnell, hab meine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung in Ordnung und mache sogar die Umsatzsteuervorauszahlungen möglichst schnell. Ist für mich einfach am saubersten so.
Deswegen finde ich es eben recht befremdlich, wenn das Finanzamt gerade in Zeiten, in denen Staatsschulden ein Problem sind, ganz gezielt mit neuen Schulden plant. – Fließen die Einkommensteuervorauszahlungen jetzt ernsthaft in ein Budget, werden verplant und ausgegeben? In dem Wissen, dass aller Voraussicht nach zehn Prozent davon wieder zurückgezahlt werden müssen? Oder ist die Hoffnung einfach die, dass die Betroffenen das Geld eh liegen lassen werden, weil sie froh sind, dann mal ein Jahr lang keine Nachzahlungen leisten zu müssen? Oder sind das Gedanken, die sich in der Finanzverwaltung ohnehin niemand macht?

Stiefkind Einkommensteuer

Es ist schon klar, dass die Einkommensteuer einen vergleichsweise kleinen Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen ausmacht. 2013 waren es 3,1 Milliarden Euro (von 76,3 Milliarden Gesamtsteuereinnahmen). Die Lohnsteuer machte 2013 24,5 Milliarden aus. Da kann man schon Fehlkalkulationen in Kauf nehmen.
Das Wachstum der Einkommensteuer lag 2013 übrigens bei fast 20%, das der Lohnsteuer bei knapp über fünf Prozent. Vielleicht könnte es ja noch höher sein – wenn nicht dieses Vorauszahlungsspiel eines der schlagkräftigsten Argumente gegen das Unternehmerdasein wäre.