Informavores Trailer II – Post-Apokalypse-Edit

Zwei Tage danach und die Welt steht noch immer. “Das Verlässlichste sind Naturschönheiten…” – Deshalb feiern auch wir nochmal kurz Postapokalypse (was ja grundsätzlich fast jeden Tag stattfinden kann) und dann ist Weihnachten. Informavores II – zur Feier unserer Pre-Christmas-Sneak-Release.

Informavores II – Post-Apokalypse-Edit from Michael Hafner on Vimeo.


“Das Problem daran, in die Zukunft zu sehen, ist dass die Zukunft sich manchmal danach richtet.” – Ein Problem, das nur abhängig vom aktuellen Blickwinkel eines ist. Und der Blickwinkel richtet sich in der Regel nach der jüngeren Vergangenheit… Kommt also ganz darauf an, wie die Welt aussieht oder wonach man sich richtet.
Aber erklärt das mal einer Horde misstrauischer Nerds. – “Das Verläßlichste sind Naturschönheiten. Dann Bücher; dann Braten mit Sauerkraut”, haben schon andere Weise gesagt. Nur ist nicht immer die Zeit danach…

Und jetzt geht’s wieder an die Arbeit.

Download Sneak Release: Informavores Prerelase Pt 1

Informavores – Pre-xMas Sneak Release

Lang angekündigt, und jetzt mal nur ein kleiner Schritt: die Pre-Christmas-Micro-Sneak-Release. “Informavores” ist mitten im Werden und wird noch eine Zeitlang brauchen.
Worum gehts?
turkfronttextcrop640
Um Gier, Macht und die planlose Suche nach irgendetwas anderem, verstrickt in die Geschichte einer mächtigen Bank, skandalträchtiger Finanzpolitiker, eines sich auflösenden, früher mal schlagkräftigen Netzwerks misstrauischer Nerds und einiger ahnungsloser Reisender.
Hier gibts eine Kostprobe mittendrin; more to come…

Download Sneakrelease: Informavores Prerelase Pt 1

Und hier gibts noch den ersten Trailer.

“Press Pause Play”: Digitale Revolution? – “In ein paar Jahren werden wir uns ein bisschen genieren…”

Nicht alles, was eine Seite füllt, ist eine Story. Nicht alles, was wie ein Magazin aussieht, ist lesenswert. Und nicht alles, was Millionen Menschen erreichen kann, ist es auch wert, sich eine Minute damit zu beschäftigen.
Am Wochenende habe ich die eineinhalb Stunden investiert und “Press Pause Play” angesehen. Die Dokumentation geht der Frage nach, wie weit die digitale Allgegenwart von Produktionsmitteln Kunst positiv oder negativ beeinflusst, oder ob es hier überhaupt irgendeine Art von Auswirkungen gibt.

Digitalenthusiasten und Skeptiker argumentieren in “Press Pause Play” gleichermassen überzeugend. Der Film schafft es, erstaunlich viele intellektuelle Schwergewichte – unter anderem Seth Godin, Moby, Andrew Keene – vor die Kamera zu bringen. Eine reflektierte Analyse zu den Quantität-Euphorie-Brainwashern im “Did you know…” und Socialnomics-Stil. Eine Konsequenz oder Quintessenz im engeren Sinn gibt es nicht. Viele Sichtweisen sind möglich, viele sind argumentierbar; auf beiden Seiten gibt es gute und schlechte Argumente.

  • Demokratisierung auf allen Ebenen ist wichtig, sagen die einen. Kunst ist “per definition an elitist business”, sagt Andrew Keene.
  • Wir haben unendliche viele Möglichkeiten, neues zu entdecken, sagen die einen. Qualität wird nicht häufiger, sagen sie anderen, nur der Schrott, der sie übertönt. “It’s gonna be a bit embarrasing, we are gonna be a bit ashamed of ourselves”, meint Musik-Journalist Christopher Weingarten auf die Frage, wie wir die aktuellen Entwicklungen wohl in 20 oder 30 Jahren beurteilen werden. – Vielleicht hätte nicht jede Idee sofort umgesetzt, nicht jedes Ergebnis sofort geteilt und verbreitet werden müssen.
  • Moby (der im ganzen Film sehr viel Hörens- und Bedenkenswertes sagt) glaubt auch nicht an die ganz große Revolution – oder zumindest nicht daran, dass sie heute, morgen, oder an irgendeinem definierbaren Termin stattfindet. “It’s gonna be like mobile phones from 25 years ago- they are big, they are clumsy, and they only worked in one place of the world…” – Die digitale Revolution wird in wenigen Jahren ein nostalgisch belächelter Sturm im Wasserglas? Warum nicht – wir glauben ja auch jetzt immer wieder, so viel schlauer zu sein als alles bisher Dagewesene.
  • Neben der Wertefrage, die eloquent besprochen, aber natürlich so wie nie gelöst wird (Was ist Kunst? – Das mit dem runden Zimmer und der Ecke ist noch immer eine eingängige Antwort), ist die Frage nach Ausbildung und Training für kreative Prozesse eine weit ergiebigere. “There is no training for what’s going on in the professional world right now”, sagt Tracy Chandler von der Motion Graphics-Agentur Shilo. “We can teach students some tools, but not miuch about the values you need to have”.
  • Norman Hollyn von der University of Southern California Film School sieht das noch offener. Ausbildungsziel könne es heute nur sein, Studenten und Young Professionals daran zu gewöhnen, dass sich einfach immer alles ändern wird. Tools, Techniken, Erzählweisen, – alles kann hinfällig sein. Wichtig sei schlicht das Gespür dabei, wie sich Bilder und Geschichten entwickeln…

Profis und Lehrenden fällt es immer schwerer zu beschreiben, was sie eigentlich machen und wie sie es machen. – Die Rückkehr des romantischen Kreativen, der als natural born Genie einfach macht? Europa, hat man ja manchmal den Eindruck, hat dieses Stadium noch nie verlassen. – Ich schlage mich eher auf die Seite jener, die, was die Qualitätsfrage betrifft, dem digitalen Boom skeptisch gegenüberstehen. Aber ich halte es trotzdem für begrüssenswert, Produktionsmittel zu verbilligen vervielfachen, und jedermann zur Verfügung zu stellen. Kreativität lebt schliesslich nicht nur vom Handwerk, sondern auch von der Idee. Und die lebt wieder von ihrer Umsetzung. Den Anspruch, heute Kunst zu machen, sehe ich weniger in handwerklicher Perfektion erfüllt, sondern in einer Idee, die vielfältig umgesetzt ist. Je mehr Kanäle zur Umsetzung einer Idee zur Verfügung stehen, desto höher sind die Chancen auf eine passende Umsetzung.

Vielleicht kann man sagen: Es ist notwendig, zwischen Substanz und Potential zu entscheiden. Franz Schuh lamentiert im aktuellen Datum (Mai 2012) über Medien und das Internet als Verdummungsmaschinerie: ergoogletes Halbwissen und die für Suchmaschinen fatale Ähnlichkeit von Plato und Plateauschuhen sind seine Anklagepunkte. Das kommt vor. Genauso wie in gedruckten Best-of-Sammelbänden versammeltes Halbwissen, von schlecht ausgebildeten Lehrern falsch wiedergegebene Irrtümer der Geistesgeschichte und die generell mangelnde Bereitschaft, Dingen auf den Grund zu gehen.

Medien an sich verändern radikal; die Art von Medien eher nur marginal: Es ist auch ein Unterschied, ob Musik auf Vinyl oder auf dem iPhone gespeichert ist, aber es ist ein weit größerer Unterschied, ob sie gespeichert ist oder live gespielt wird (auch ein Punkt, den viele Protagonisten in Press Pause Play machen). – Die Verbindung zum Publikum herzustellen, die Langeweile von Perfektion zu durchbrechen, Dinge so zu machen, wie sie sinnvoll sind, aber anders, als es sich gehört – das sind für mich Momente, in denen sich relativ diskussionslos akzeptieren lässt, dass Kunst auch etwas mit Können zu tun hat.

Andererseits: Es muss nicht immer Kunst sein. Wenn Kunst Alltag wird, was spricht dagegen, den Alltag zur Kunst zu machen? Das ist keine digitale Neuigkeit, und es ist nicht als Verlängerung der gern praktizierten Verklärungs- und Rechtfertigungsstrategien von Banalitäten gemeint.
Kunst als handwerkliche und ideengetriebene Perfektion im Alltag bedeutet, in allem, was wir tun, auch das Hirn einschalten, den Dingen auf den Grund gehen, nicht nur reproduzieren, Klischees erfüllen, Erwartbares abarbeiten. Warum tun wir das oder haben wir das Gefühl, das manchmal zu tun?
Manchmal wirkt es geradezu lächerlich, sich selbst so ernst zu nehmen, dass jeder Handgriff gut, jeder Satz eine Performance sein muss. Aber: Bei anderen, vielleicht nicht bei uns selbst, schätzen wir das – wer mir etwas erklären/verkaufen/präsentieren möchte, und dabei nicht erkennbar und souverän das Beste aus der Lade holt, verschwendet meine Zeit und macht es sich selbst doppelt so schwer.
Dabei bin ich selbst nicht wirklich ein Freund der allgegenwärtigen Performance. Wozu Show, wenn es nichts zu sagen gibt? Andererseits: Wozu etwas sagen, wenn keine zuhört (und es keine Ausreden und Hindernisse auf dem Weg zum Publikum gibt)? – Darin sehe ich eine der größten Auswirkungen digitaler Medien im kreativen, kommunikativen und sozialen Bereich: Inhalt und Verpackung, Form und Funktion, Technik und Content sind eines und müssen gemeinsam behandelt werden. Wer nur eines drauf hat, hat zu wenig. Aber auch wer beide Seiten perfektioniert, steht noch immer mit leeren Händen da: Denn beides sind nur gut etablierte Werkzeuge, die bereitstehen, um sie einzusetzen.
Nichts ist langweiliger, als digitale technische Perfektion, sagt Moby in Press Pause Play. Eines vielleicht schon: eine ewig nicht umgesetzte Idee, deren vermeintlicher Erfinder sie vor allem deshalb für einzigartig hält, weil der unfähig ist, sie umzusetzen. – Passiert im im engeren Sinn kreativen Umfeld vielleicht weniger, in der Corporate-Umgebung permanent dilettierender Generalisten dagegen ist es praktisch die Regel.
Was verändern digitale Produktionsmittel hier? – Sie ermöglichen es, leichter etwas zu schaffen, das so aussieht, als wäre es das Werk, die Idee, oder deren Umsetzung, von der die Rede ist.

Was bedeutet es dann, auch in finanziell dominierten Jobs Hirn und Herz einzuschalten? Vor allem einen Schritt aus der geflügelten selbstverschuldeten Unmündigkeit. Auch wenns manchmal quält – die Mittel dazu hätten wir, wir müssen sie nur wirklich einsetzen. Man kann nicht ewig Müll fressen. Das ist schlecht für die Figur. Und fürs Karma. Blöderweise kommt man zu oft auch ohne das aus…

Datenjournalismus, Medientoolbox und das total ultimative Portal?

Die Webseite der Zukunft als Tools, das nicht Content anzeigt, sondern Funktionen enthält, die vielleicht unter anderem Content liefern? Webseiten als Digital Brains, die unsere erweiterten Erkenntnistools sind? Der User muss einbezogen werden. Datenmengen brauchen ein Businessmodell. Webseiten müssen auf Kontext, Präferenzen und Devices reagieren.
Smartness gipfelt in Personalisierung, Sensitivität für Kontext (in Sinn und Raum) und Präferenzen – ist das das neue Nachrichtenportal. das dem User immer das zeigt, was er sehen will? Im Rahmen des twentytwenty-Events zum Datenjournalismus stellte Lorenz Matzat unter anderem sein Sicht auf Medien und Webseiten der nahen Zukunft vor: Webseiten sind keine fertigen Produkte mehr, sondern Hubs, die auf eine Vielzahl von Faktoren reagieren und mehr Werkzeug- als Mediencharakter haben.



Versuche, Onlinemedien, vor allem als Nachrichtenportale, aus ihrer Klemme zwischen digitalisiertem Papier und gif-Animation (d.h. sie funktionieren gleich wie Papier-Ausgaben, nur blinkt irgendwo etwas) zu erlösen, gab es viele:

  • Der norwegische Contentmanagement-Anbieter Escenic setzte eine Zeit lang darauf, Statistiken aus der Webseite direkt im Redaktionstool anzuzeigen. Chefredakteure mochten das: Redakteure, so die Erwartung, sollten damit direkt auf diie Vorlieben der User reagieren, beliebte Contents pushen und hätscheln, unbeliebten Contents eine zweite Chance geben und sie dann schnell entsorgen. Das Problem: Konkrete Contentnutzung ist im allgemeinen so minimal, das in kurzen Zeiträumen Unterschiede mit freiem Auge kaum zu erkennen sind. User sind auf der Startseite, sie reagieren auf recht gut vorhersehbare Themen , – ja und dann gibt es noch Suchmaschinenoptimierung. An der grundlegenden Funktion ändert sich wenig.
  • Heatmaps, zentral im Newsroom positioniert, waren eine Zeitlang auch der Brüller als Steuerungsinstrument für die Chefredaktion. Dabei zeigt ein Layer über der Startseite oder anderen wichtigen Seiten, wo gerade besonders viel oder besonders wenig geklickt wird. Allerdings lieferte auch das in der Regel wenig Erkenntnisse – ausser dass Nachrichtenseiten eigentlich getrost auf Navigation verzichten könnten: User klicken auf Titel und Bilder; Navigationen sind in der Nutzung praktisch immer ein Stiefkind. Was macht ein Chefredakteur mit dieser Erkenntnis? – Neue Onlinekonzepte kenne ich kaum; Votings zur Miss Wetter, Miss Urlaub oder zum süssesten Hund sind wahrscheinlicher.
  • Leserreporter sind fast schon wieder von der Bildfläche verschwunden. Vor sechs oder sieben Jahren noch tingelten Softwärehäuser mit ausgeklügelten Leserreporter-CRM-Systemen durch Verlage: Diese dienten gleichzeitig zur Erfassung von Contents durch Leser, zur Bewertung durch die Redaktion und Übertragung in Webseite oder Redaktionssystem, zur Bewertung der Leser durch die Redaktion (“Informant”, “Querulant”,…) und zur Protokollierung der evtl. auch telefonischen Leserkontakte. Beeindruckend. Ich kenne nur einen Verlag, der si ein System gekauft hat. Und heute nicht mehr verwendet.
  • Die mit Usern gemeinsam erarbeitete Themenplanung dürfte auch eher eine PR-Story gewesen sein: Gut für eine Ankündigung und ein bisschen Zitaterummel, aber wenig nachhaltig-praktisches.
  • Für den write-while-they-search-Journalismus, der seine Themenplanung auf die aktuell häufigsten Suchbegriffe bei Google ausrichtet, wurde zwar manche Medien schon als innovativ ausgezeichnet – aber garantiert das Konzept nicht immer, hinten nach zu sein? User suchen nach etwas, von dem sie in irgendeiner Form gehört haben, und das haben sie sicher nicht in Medien dieser Art zuerst gehört. Ich glaube auch nicht, dass sich der Rückstand (erst dann mit der Recherche anzufangen, wenn andere schon erste Stories draussen haben) in einen Vorsprung verwandeln lässt…
  • Und ich bin selbst unlängst wieder mal der Versuchung erlegen, ein Konzept für eine megakonfigurierbare Webseite zu machen, die statt Navigationselementen nur Regler benutzt: User entscheiden sich nicht für Themen, sonder sie stellen verschiedene Filter ein, wählen deren Priorität und Reihenfolge, und bekommen demnach Content angezeigt. Denkbare Filter sind etwa aktuellste, meistgelesene, bestbewertete, meistkommentierte, von Freunden empfohlene, von der Redaktion priorisierte oder von aussen meistverlinkte Artikel, eventuell noch einmal quergeschnitten mit einer inhaltlichen Auswahl oder einem Suchbegriff.
  • Aktuell gilt jetzt oft Datenjournalismus als der neue visualisierende Weg zur Wahrheit: Lorenz Matzat stellte beim jüngsten Twentytwenty-Event eine Sicht von Onlinemedien vor, die nicht mehr die Präsentations- und Packaging-Funktion in den Vordergrund stellt. Diese erweiterte Sicht hilft, Datenjournalismus nicht nur auf interaktive Grafiken zu reduzieren. Letztlich sind alles Daten – wir haben jetzt nur mehr davon und können sie leichter transportieren.

Warum war dann bis jetzt kaum eines dieser schon lange gewälzten Konzepte nachhaltig kommerziell erfolgreich? Ich sehe mehrere Gründe:

  • Werbung: Je mehr Kontrolle der Werbeflächenanbieter über die Flächen hat, desto leichter kann er sie verkaufen. Je mehr Kontrolle der User über angezeigte Inhalte und Formate hat, desto schwieriger wird es, das verbleibende Umfeld zu verkaufen: Es wird vielfältiger und komplexer (und ausserdem wird in personalisierten Umgebungen Werbung als zunehmend störender empfunden). Und an dynamischer kontextsensitive Werbung verdient in erster Linie der Werbevermittler, weniger der Werbeträger.
  • Kontrolle: Medienherausgeber wollen wissen, was in ihren Medien steht. Wenn User aus aufbereiteten Daten ihre eigene Sicht auf Information aufbereiten können, geht diese Kontrolle verloren. Listen, Grafiken und Rankings – vereinfacht gesagt die Werkzeuge des Datenjournalismus – sind klassischerweise die zentralen Elemente des kommerziellen Boulevardjournalismus. Aber dort werden sie stets auch genutzt, um eigene Positionen zu untermauern, Behauptungen zu unterstützen, und eine Linie der Redaktion oder des Herausgebers zu untermauern. Mehr Spielraum für den User gefährdet diese Macht.
  • Einfachheit: Es ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben von Medien, Klischees zu bestätigen. User wollen Stories lesen, die ihre Welt erklären – und das heisst, gemessen an den traditionellen Kommunikationsmustern, die ihre Sicht der Welt bestätigen. Vorgefertigte Listen und Rankings erfüllen diesen Zweck sehr gut. Daten, die der User selbst Filtern und sortieren kann, beantworten vor allem dann keine Fragen, wenn der User gar nicht weiss, welche Fragen er hat. Damit verlieren offene Medien oft schnell der Reiz für den User.

Fazit: Datenjournalismus ist präsenter, als es die Trendyness des Themas vermuten lässt. Auch große Teile des traditionellen Aufdeckerjournalismus sind schliesslich nichts als aktengestützter Datenjournalismus, teilweise mit prähistorischen Methoden (siehe auch das Interview mit Kurt Kuch). Die Anforderungen an Journalistenausbildung und -alltag sind andere – was aber in Österreich mangels relevanter Ausbildung und angesichts chronischer All-in-One-Jobs ziemlich egal ist. Neue Geschäftsmodelle sehe ich weniger stark im Kommen: Listen und Rankings sind nichts Neues und waren eher immer schon ein Verkaufsargument als ein Hindernis. Qualität in Content und Aufbereitung dagegen war noch selten ein Verkaufsargument. Allerdings sehe ich im Datenjournalismus einen starken Treiber hin zu Onlinemedien, die mehr als Inhalte liefern, Zusatznutzen in den Vordergrund stellen, und den User herausfordern, aktiver zu sein. Das ist einerseits praktisch die Zukunft, andererseits setzt es Skills und Eigenschaften voraus, die manche User erst noch lernen müssen – und die manche User schlicht nicht haben…

Interview: Stefan Kaltenbrunner – “In Österreich ist man ja schnell der Weltmeister…”

Datum-Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner über seine Liebe zum Reportagejournalismus, drei Jahre als Datum-Chef, die Chancen von Paid Content, die Bedeutung digitaler Line Extensions, seinen Hang zum Tourette-Twittern und seine Sicht auf die Zukunft des Journalismus: “Um gute Geschichten machen zu können, wird man immer noch rausgehen müssen und mit den Leuten reden.”


der-karl.com: Du bist seit drei Jahren hier der Chef, hast vorher für die Medien im News-Verlag geschrieben – wie fühlt sich dein Job im Unterschied an, was ist an der Arbeit bei Datum anders als bei News oder E-Media?

Stefan Kaltenbrunner: Das kann ich gar nicht sagen. Das ist nicht vergleichbar, das sind journalistisch andere Welten. Aber ich hatte immer die Möglichkeit auch für andere Medien Geschichten zu machen, deshalb war das dann keine Überraschung.

der-karl.com: Was macht Datum aus, warum hast du einen gut bezahlten Job aufgegeben, um noch mal bei einem ganz kleinen Magazin anzufangen? Und warum sollen Leser Datum kaufen?

Stefan Kaltenbrunner: Wir halten das journalistische Handwerk hoch. Wir machen Geschichten zum Lesen, und als Reportagemagazin sind wir nach wie vor in Österreich einzigartig. Das ist, was ich immer machen wollte. In unsere Texte wird viel Aufwand investiert: Wir haben einen exzellenten Textchef, gute Lektoren, und wir nehmen uns Zeit für Autoren. Eine Reportage geht bei uns durch mehrere Instanzen, bis sie als fertig gilt. Mir ist diese Qualität im Handwerk wichtig, und den Lesern garantiert das gute Geschichten aus neuen Blickwinkeln. Niemand hat heute zu wenig Information, es ist immer eine Frage der Selektion. Qualität ist unsere Nische, die immer funktionieren wird. Wobei wir nicht nur auf schöne Worte setzen, sondern in erster Linie auf journalistische Sorgfalt: Unsere Autoren müssen zum Beispiel ausführliche Rechercheprotokolle mitliefern. Das ist für deutsche Journalisten selbstverständlich, viele Redakteure hier hören das dann von uns zum ersten Mal. Wir lassen natürlich auch alle Interviews autorisieren.
Auf den ersten Blick ist das natürlich mehr Arbeit für Redakteure, aber man gewöhnt sich dran – und schätzt das dann auch als gutes Mittel zur Selbstkontrolle, das letztlich beim Erzählen mehr Sicherheit vermittelt.

“Wir müssen auch nach acht Jahren noch jeden Monat ums Leiberl laufen.”

 

der-karl.com: Als vor zwei Jahren mein Datum-Abo ausgelaufen ist, habe ich einen Brief in deinem Namen bekommen. Der war sehr demütig und bescheiden formuliert. Tenor: Wir wissen, dass wir noch viel verbessern müssen, aber wir möchten trotzdem noch ein Abo verkaufen. Das unterscheidet sich doch sehr vom Auftreten anderer Magazine und Herausgeber. Warum, und wie siehst du das heute?

Stefan Kaltenbrunner: Wir wissen einfach, wo wir stehen. Wir brauchen jeden unsere Leser. Das Heft gibt es jetzt sei acht Jahren und obwohl wir relativ gut dastehen, müssen wir immer noch jeden Monat ums Leiberl laufen. Das Heft wird nach wie vor privat finanziert, das ist mitunter nicht einfach. Wir haben mittlerweile zwei fixe Redakteure und eine Menge freier Mitarbeiter, die alle bezahlt werden müssen. Wir haben keinen großen Verlag im Hintergrund der das finanziert. Große Klappe ist also nicht drin. In dem Sinn: Ja, so ein Brief ist anders. Aber ich bin dafür, die Wahrheit auszusprechen.

der-karl.com: Wie entwickelt sich das Produkt jetzt, wo siehst du die Stärken?

Stefan Kaltenbrunner: Wir drucken aktuell 10.000 Stück, wir haben 2.500 zahlende Abonnenten und unsere iPad-Ausgabe wird 8 bis 10.000 Mal downgeloadet. Wir haben jetzt täglich aktuellen Content online und kommen damit auf 60- bis 70.000 Unique Clients im Monat.Das ist eine kleine, aber solide Basis, die mir zeigt, dass wir unsere Nische gut ausfüllen. Gut recherchierte und gut geschriebene Geschichten – das ist ein Manko in Österreich. Deshalb werden wir den Grundcharakter unseres Hefts nicht ändern.
Obwohl wir bei der bescheidenen Größe natürlich darauf angewiesen sind, viele Chancen zu nutzen. Dass wir unsere iPad-App selbst entwickeln und daraus über unsere Tochterfirma auch Dienstleistungen für andere Medienunternehmen anbieten können – wie News oder Profil – hilft zum Beispiel sehr. Neben der Qualität ist unsere Stärke sicher auch, dass wir Themen setzen. Aktualität ist für uns kein Kriterium, dafür sind unsere Produktionszeiträume zu lang. Wir suchen Themen mit gesellschaftlicher, politischer Relevanz, zu denen wir dann die besten Geschichten machen. Das gelingt uns, wenn ich mir die Zitierungen in letzter Zeit anschaue, ganz ordentlich.

der-karl.com: Manchmal hat man den Eindruck, Datum wäre das einzige österreichischen Medium, dessen Autoren international ausgezeichnet werden. Warum ist das so, und woher bekommst du Autoren-Nachschub?

Stefan Kaltenbrunner: Andere bekommen auch Preise, wir sind da nicht allein. Viele Redakteure kommen über Praktika zu uns, wir arbeiten dann mit ihnen. Manchmal haben sie schon geschrieben, oft kommen sie auch von FHs, Unis oder anderen Journalismuskursen. An den FHs gibt es sicher auch gute Leute, aber das echte Lernen fängt dann in der Redaktion an.

Qualitätsjournalismus: “In Österreich ist man schnell der Weltmeister. International betrachtet relativiert sich das aber sehr schnell..”

 

Ich war selber auch einmal in einem Journalismuskurs, aber nach einem halben Tag wollte ich eigentlich mein Geld zurück. Das war ein Lehrgang an der Donauuni in Krems mit Peter Lingens, und ich habe einfach nicht verstanden, worum es dabei gehen soll. Für mich war das halt nichts… Aber ich will niemanden davon abhalten, ich bin mir sicher, dass es auch gute Klassen gibt.
Ein guter Datum-Redakteur hat vor allem ein Gespür für Geschichten. Wir brauchen Leute, denen es leicht fällt, zu erkennen, dass gute Geschichten auf der Straße liegen, die ein Thema mit Konsequenz und Ehrgeiz recherchieren können. Und sie müssen auch selbstbewusst genug sein, um damit umgehen zu können, dass eine Geschichte drei oder vier Mal zurückgewiesen wird, bis sie ins Heft kommt. Wir bringen viele Geschichten auch nicht, wenn sie nicht unseren Standards entsprechen oder wenn das Thema dann doch nicht genug hergibt. – Wer damit umgehen kann, ist jederzeit bei uns willkommen.
Ich empfehle den Leuten auch immer, über den Tellerrand zu schauen. Raus aus Österreich, internationale Magazine lesen – das ist wichtig, um die eigene Qualität einschätzen zu können. In Österreich ist man schnell mit ein paar guten Geschichten Weltmeister. Wenn man sich dann aber das Niveau etwa der Einreichungen beim Axel Springer Preis, den einer unserer Autoren im vergangenen Jahr gewonnen ha7, anschaut, relativiert sich das sehr schnell.

der-karl.com: Was ist eigentlich dein Job im Verlag und bei der Heftproduktion?

Stefan Kaltenbrunner: Ich bin der Frühstücksdirektor… Leider komme ich selbst nur noch wenig zum Schreiben, ich konzipiere die aktuellen Ausgaben, redigiere die Texte, vertrete das Heft und den Verlag nach außen, kümmere mich um Details in der Produktion. Der Job ist ehrlich gesagt intensiver als ich gedacht hatte. Ich habe das Heft ja nicht geplant übernommen, und wollte ursprünglich nur zwei, drei Produktion machen. Aber jetzt bin ich noch immer hier, und habe nicht vor, das zu ändern. Ab und zu kommen Angebote rein, aber dabei war noch nichts, das mich wirklich interessiert hätte.

der-karl.com: Wie ist euer Verhältnis zu Anzeigenkunden und wie stark spürst du Druck aus Werbung und Politik?

Stefan Kaltenbrunner: Anzeigenkunden lieben uns! Aber sie buchen wenig… Bei unserer Größe ist Verkaufen natürlich schwer. Agenturen, die es gewohnt sind, nach Tausender-Kontaktpreisen zu buchen, fragen uns bei unseren Preisen, ob wir blöd sind. Aber wir haben eben nicht nur ein gutes Heft, sondern eine gute Zielgruppe, die sonst schwer zu erreichen ist. Es gibt kaum einen Entscheidungsträger, der Datum nicht liest.Verkaufen ist zwar bei uns nicht leicht, aber mit zunehmender Heftpräsenz geht das doch immer besser. Da helfen natürlich Geschichten, die dann anderswo intensiv zitiert werden, oder auch zusätzliche Kanäle wie die iPad-Ausgabe, die für mehr Kontakt mit dem Heft und unseren Themen sorgen.
Druck aus der Politik spüren wir sehr stark und sehr schnell. Das kommt gleichmäßig aus allen Richtungen, je nachdem, an welchen Geschichten wir gerade dran sind. Ich weiß von direkten Interventionen aus der Politik bei Unternehmen, die bei uns inserieren wollten.

“Politische Interventionen spüren wir sehr schnell und direkt.”

 

So etwas trifft natürlich kleine Verlage wie uns viel schneller und härter. Bei den großen Verlagen verhindern oft langfristige Verträge ein schnelles Aussteigen, außerdem überlegen sich die Inserenten dann noch mal, ob sie nicht doch die Zielgruppe noch brauchen, und selbst wenn dann einmal wirklich ein paar Inserate gestrichen werden – dann merkt es der Verlag erst mal gar nicht wirklich.
Man muss sich auch bewusst sein, dass Konsequenzen aus den Inseratenaffären und den neuen Regelungen für politische Inserate erst einmal uns kleine Verlage treffen. Ich bin natürlich für Offenheit, Transparenz und strenge Richtlinien, aber das bedeutet eben oft, das zuerst bei uns gespart wird.
Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zur Presseförderung. Wir bekommen gar nichts, keine Presse- oder Publizistikförderung, es gibt keine Grundlage, die auf uns anwendbar wäre. Wenn dagegen Magazine, die noch nie etwas für Journalistennachwuchs getan haben, Ausbildungsförderungen bekommen, finde ich das wirklich fragwürdig, und dass große Verlage Vertriebsförderungen bekommen, halte ich wirklich für skandalös. Und worum man sich in der Politik bei Wettbewerb, Chancengleichheit und Förderungen jetzt genau Sorgen macht, verstehe ich auch nicht. Nicht ganz klar ist auch, dass man lieber ein Twitter- und Facebook-Verbot für den ORF diskutiert, anstatt sich für die Medienvielfalt in Österreich einzusetzen. Und dazu gehören eben auch kleinere und unabhängige Magazine.

der-karl.com: Wie wichtig sind für Kleine weitere Produkte und Kanäle neben dem eigentlichen Heft?

Stefan Kaltenbrunner: Die Webseite war in der Geschichte des Verlags immer schon wichtig und ist jetzt gut etabliert. Wir veröffentlichen aktuellen Content und nach und nach immer auch alle Inhalte der Printausgabe, manchmal noch mit zusätzlichen Interviews oder Fotos, die im gedruckten Heft keinen Platz gefunden haben.Zusätzlich haben wir unsere Blogger, die Inhalte liefern, die es nicht überall anders auch gibt, sei es über das Leben in Kiewoder über Bier – der Bier-Blog geht übrigens erstaunlich gut. Blogger haben bei ihren Themen mehr Freiheit, unterliegen bei der Qualität der Inhalte aber den gleichen Prozessen wie Autoren für die Print-Ausgabe.
Ganz wichtig ist natürlich das iPad. Die iPad-Ausgabe ist eines unserer wichtigsten Marketinginstrumente. Hier werden wir auch noch einige Neuerungen bringen. Als Vorboten gibt es zum Beispiel schon eine Auswahl der besten Motor-Stories aus acht Jahren Datum. Andere digitale Line Extensions werden folgen. Wir arbeiten auch bereits an Kindle-Ausgaben mit den besten Reportagen oder den besten Fotos – und da wird es sicher nichts gratis geben.

Medientrends? “Rausgehen und mit Leuten reden, das kann noch lange durch nichts ersetzt werden”

 

der-karl.com: Die iPad-Ausgabe ist gratis, alle Heftinhalte sind online wenn auch zeitverzögert, aber doch gratis abrufbar – hältst du Paid Content nicht für möglich?

Stefan Kaltenbrunner: Content muss Geld kosten. Ich glaube auch, dass die Zahlungsbereitschaft der Leser da ist – es muss nur irgendwer damit anfangen – und keiner will der erste sein.
Wir wollten unsere iPad-App mit Anfang der Jahres kostenpflichtig machen, haben dann aber doch noch einen Sponsor gefunden, der das ganze Jahr finanziert hat. Natürlich haben wir überlegt, beide Einnahmequellen zu nutzen – aber das zeigt auch ganz gut das Problem von Paid Content: Sobald wir Geld verlangen, wird die Zahl der User dramatisch sinken, das ist klar. Und wenn wir statt 10.000 nur noch 1.000 Downloads im Monat haben, ist das auch für Anzeigenkunden wieder uninteressant. Da tun sich große Verlage wieder einmal leichter: Wenn die Userzahl von 100.000 auf die Hälfte einbricht, ist das immer noch eine verkaufbare Größe.Trotzdem wird da wahrscheinlich nicht einer vorpreschen, im Idealfall sollte das organisiert passieren. Wenn alle wichtigen Herausgeber beschließen, jetzt Geld zu verlangen, dann gibt es keine Alternative mehr. Aber das ist natürlich Utopie.
Persönlich zahle ich für sehr vieles, ich lade auch keine Filme oder Musik illegal herunter – ich will das nicht und das ist mir zu aufwändig. Convenience ist ein sehr starkes Verkaufsargument, daran müssen wir uns orientieren.

der-karl.com: Wie wichtig sind für ein Magazin Social Media und andere digitale Trends?

Stefan Kaltenbrunner: Wir nützen Facebook, Twitter und andere Netzwerke, aber der Nutzen ist schwer messbar. Sicher ist das auch ein wichtiger Promotion-Channel, aber für den Dialog mit den Lesern sind bei uns offenbar noch immer Mail und Leserbrief wichtiger.Persönlich bin ich eher ein Tourette-Twitterer und mache mich schnell unbeliebt – andere haben da mehr Talent.Was mich am meisten davon abhält, Medien wie Facebook als Kanal für unsere Inhalte zu nutzen, ist die Frage der Abhängigkeit: Wem gehört das Medium dann, wie schnell müssen wir auf Änderungen des Plattformbetreibers reagieren? Wir beobachten das und spielen ein bisschen mit, genauso wie beim Datenjournalismus. Auch das ist ein spannendes Thema, das sich noch entwickeln kann, wobei ich gerade was Reportagen als unser Herzstück betrifft, überzeugt bin: Um gute Geschichten zu machen muss man einfach rausgehen, etwas erleben, und mit Leuten reden. Das kann noch lange durch nichts ersetzt werden.

Trailer: Surfing the Wild East

Die Idee, einen Bus voll Surfer zu packen und sie nicht nach Kalifornien, Mexiko, Brasilien oder Portugal zu bringen, sondern nach Aserbaidschan, hat was. “Surfing the Wild East” war eines der ersten Filmprojekte, die ich via Crowdfunding (Startnext war die Plattform) unterstützt habe. Ich fand die Idee gut, Osteuropa und Zentralasien mal mit was anderem zu verbinden als mit Armut, Folklore, Mafia und Wodka. Auch das Schwarze Meer hat mächtige Wellen.


Die Dreharbeiten von Blick ins Freie begannen Ende September des vorigen Jahrs, der Film ist jetzt fertig und wird als 24-Minuten-Doku am 1. März veröffentlicht. Hier gibt es den Trailer als Preview – Baku hat cooleres zu bieten als den Songcontest.