Odos Blondinenwitze

Odo Marquard lesen ist wie darauf zu warten, ob der lästige Pickel bald verschwindet: Es ist nicht angenehm, sich damit zu beschäftigen, es ist nicht angenehm, das Ding zu berühren, aber man kann es nicht lassen.
Das liegt aber nicht daran, dass Marquard so viele unangenehme Wahrheiten zu sagen hätte. Sondern eher daran, dass er in seiner Fomulierungskunst viele treffende Dinge sagt, die toll wären – wenn er sie nicht so meinen würde, wie er sie meint.

Warum beschäftigt mich das?
Ich bin der Faszination der vielen prallen Worte erlegen (“Zukunft brauch Herkunft”, “Inkompetenzkompensationskompetenz”, “Transzendentalbelletristik” uvm.) und habe gleich mal zwei Marquard-Reclam-Heftchen gelesen. Die Texte sind der Inbegriff des vereinnahmenden, herablassenden “Mir san mir und werden das auch bleiben” (nur eben auf Deutsch), die mit vielen lustigen ansprechenden Worten und postulierten Fakten den Leser in eine ungewollte ausweglose Umarmung zwingen. Aus der zu befreien eine sehr widerborstige Anstrengung erfordert. – Ein philosophischer Blondinenwitz sozusagen, charmant erzählt.
Natürlich ist es naiv, Neues um der Neuigkeit willen zu begrüßen. Skepsis dagegen ist natürlich cooler. Aber wer ist denn schon so naiv?
Natürlich ist nur renitente Kritik lästig und unfruchtbar. Aber muss man sich so blöd stellen?
Und natürlich hat es einen Grund und ist es unleugbar so, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Das sagt allerdings nichts über ihren Wert aus, oder darüber, dass es auch für alle gut so ist, wie es ist…

Marquard lesen, ist wie mit einem gut vorbereiteten Politiker oder Industrieboss zu diskutieren: Er wird sich keinen Fehler erlauben, er wird wenig angreifbares sagen, und er wird aus Positionen argumentieren, die zu kritisieren einen Schritt zurück, zur Seite, anderswohin erfordert – was dann den Großteil des Publikums überfordert oder dazu beiträgt, den Kritisierenden dem Publikum zu entfremden – “wovon redet der?”
Gerade deshalb ist Marquards Wortakrobatik, bei der die Dynamik der Gedanken mit der der Worte nicht ganz mithalten kann, eine ausdrückliche Lektüreempfehlung für alle die in bewahrenden, vereinnahmenden, ignorierenden Umgebungen arbeiten. Es ist eine gute Schule, nicht verlockenden Worten und scheinbaren Natürlichkeit zu erliegen, sondern die Leere dahinter zu erkennen.
Allerdings muss man erst mal zu Wort kommen.

“Pourquoi l’humour?” – Marionetten sind vergleichsweise verantwortungsvoll


“Pourquoi l’humour” ist eine massiv unterdokumentierte Szene aus Beigbeders “99 Francs”. “Pourquoi l’humour?”, raunzt der Marketingchef im Meeting (Réunion auf französisch) und gibt sich mit Antworten nicht zufrieden. “Pourquoi l’humour?”, bohrt er immer wieder, nachdem der Ich-Erzählende Kreativdirektor eine humorvolle Version des geforderten Joghurt-Sports präsentiert hat.
Die Frage ist nicht zu beantworten, denn die eigentlich dahinterliegende Frage ist: “Warum sollen die Leute lachen, wenn sie eigentlich kaufen sollen?”

Das sehe ich als schöne Parabel auf das Verhältnis zwischen Werbung und Kommunikation oder zwischen guter und schlechter Werbung. (Schlechte) Werbung formuliert eine Botschaft, die das sagt, was der werbende Teil sagen möchte. Der Anknüpfungspunkt für den beworbenen Teil ist einfach: Kaufen.
Wirkt scheinbar direkt und einfach, hat in seiner schlichten Eindimensionalität aber zwei entscheidende Nachteile: Ein einziges punktuelles Ziel (Kaufen) ist leicht zu verfehlen. Und alle anderen Reaktionen werden, weil nicht vorgesehen, nicht wahrgenommen. Das ist vor allem dann fatal, wenn Kanäle benutzt werden die nicht einfach im Altpapier entsorgt werden können, sondern sich immer wieder in das Kommunikationsleben der Kunden einmischen. – Schaffe ich Anknüpfungspunkte, die mich ins Gespräch bringen? Oder liefere ich Marketingmonolithen, die entweder ein inflationäres “Wow” oder ein achselzuckendes “Eh schön” provozieren?
Es ist nicht nur eine Frage der Kampagnenplanung, ob ich auf Interaktivität setze oder in einem Monolog präzise Botschaften liefere, es ist vorrangig eine Frage der gewählten Inhalte: Je mehr Ballast ich mitbringe, desto kleiner mache ich meinen User, desto weniger Lust hat er mitzureden.
Offene Fäden sind Anknüpfungspunkte. Die Angst, dass damit etwas Falsches passiert, nimmt auch an, man könnte nicht mitreden. – Oder sie bezieht schon mit ein, dass wir nicht mitreden können oder wollen, weil wir dann wieder unseren Marketingchef brauchen. Und der wird sagen: “Ich verstehe diese Frage nicht….”

Informavores


I decided I need to learn more about banking, bought an expensive 500 pages textbook… – and as a result I came up with the plot for a novel that might not be really flattering for that business.
It’s still secret… 😉
Part of it has to deal with speculative business on land, food, agriculture and nature. – What I meant to be a science fiction story, is by far an unpleasant truth already.
Another part of the plot is a not so secret network of bloggers and other independent media producers who work to create the missing links, to rise awareness, to tell stories and thoughts that have not been thought yet. There are many attempts to deliver that, too. But I’m not yet satisfied, I want to see the Informavores, thats how I called this network, in place and in reality.

Of course there are blog-floods, news-streams, and of course there is too much information. But is it ours? – How can it be, that rating agencies tell storys and influence major parts of the civilised world, without having a clue about what’s important for the people they are judging? About whose lives they are deciding?
We need more countervoices who do not counter, who just tell their story, who just let us participate in ordinary, yet so different lives and cultures.
Life in a Day is a nice step in that direction.
I would like to create more. I want the Informavores.
I’m looking for bloggers and other independent media producers with the ambitious target to start with a loose network and maybe build and independent lifestyle-everydayculture-business media brand. Informavores are creatures that live by information, and that have the natural attitude to always go for more. We’re currently setting up the basics for this network – stay alert….

Die kontextuellsten Universalgesetze des Internet…

Das Universelle ist aus der Mode gekommen. Kontext ist King – das ist auch gut so. Trotzdem habe ich nach einigen Jahren der Bloggerei festgestellt, dass einige Themen immer wiederkehren, in unterschiedlichen Kontexten, aber immer mit ähnlicher Wirkung. Daraus habe ich die sozusagen kontextuellsten Universalgesetze des Internet destilliert, mit denen ich mich in den nächsten Monaten bschäftigen möchte. Ich habe schliesslich unlängst wieder gelernt, das ein bisschen öffentlicher Größenwahn sein muss. Als kurzen Vorausblick kann ich mein aktuell liebstes und universellstes Gesetz anführen. Es beschäftigt sich mit Userexperience in Online Medien und besagt: “Jede Anwendung ist einfach. So lange, bis man sie zu einem bestimmten Zweck einsetzen muss.”
Jeder Entwickler, Projektmanager, Stratege kennt das: “Das muss doch einfacher gehen”, sagen enttäuschte User. “Dieser Ablauf ist viel zu kompliziert.” – “So wie Facebook”, “So wie Google”, lauten die Gegenentwürfe. Google ist ungefähr so zweckorientiert wie ein einfacher Gruß mit “Hallo”. Es dient der ersten Kontaktaufnahme, einem wert- und kontextfreien Überblick. Es liefert irgendwelche Treffer, die dank technischer Mechaniken oder ausgiebiger Marketingbudgets gut geranked sind.

Facebook macht es einfach, irgendetwas zu machen. Und wenn etwas nicht funktioniert, dann machen wir eben etwas anderes. Schliesslich brauchen wir das nicht, und die wenigsten Anwender verfolgen damit einen konkreten Zweck.
Anders ist das für einen Redakteur, der mit einem Redaktionstool wechselnde Aufgaben erfüllen muss, oder für einen Analysten, der aus einem Statistiktool Daten für einen Businesscase destillieren muss. Dem scheinbar konkreten Ziel stehen die vermeintlichen Hilfsmittel und Lösungen grundsätzlich eher immer im Weg.
Was hilft uns das, diesen Effekt als Gesetzmäßigkeit zu sehen?

  • Aus der Sicht eines Entwicklers oder Strategen: Generische Anwendungen sind nur für sehr fortgeschrittene User gut. Alle anderen brauchen Unterstützung – sei es in Form konkreterer Lösungen, oder in Form eines Coaches, der mit den Anwendern gemeinsam alles bis hin zur letzten Meile vorbereitet. Das ist nicht nur praktisch so, sondern ein wichtiger Faktor in Vermarktung und Trainingsorganisation der eigenen Projekte.
  • Redakteuren, Marketern und anderen Anwendern hilft es, den Frust über die schon wieder so schwierige Anwendung zu überwinden. Klar war der kurz getestete Editor auf wordpress.com einfacher, aber ich habe damit auch keine komplexen Geschäftsberichte umgesetzt. Klar waren die Statistiken und Charts aus der Google Analytics-Demo schöner als die Intranet-Reports – ich habe darin aber auch keine konkrete Information gesucht.
  • Das Wissen um die mit der Konkretheit steigende Komplexität ist auch entscheidend für Planungen. Ohne Content kein Detailkonzept; das bedingt auch, dass Contentskills, zumindest kleine redaktionelle Fähigkeiten, schlicht wichtig sind, wo Pläne erstellt werden sollen. Abstrakte Abläufe für Marketing- und Kommunikationskonzepte sind wichtig – zerplatzen aber wie Seifenblasen, wenn sie nicht sofort mit Inhaltsbeispielen gefüllt werden können.
  • Schliesslich steuert dieser Grundsatz auch regelmäßig die eigene Mediennutzung: Was nutze ich schon wirklich? 5 von 70 Apps auf dem iPhone; der Rest war einfach – einfach.

Kein Gesetz ohne Paradoxon – heisst das dann auch, je eher wir auf Nutzen verzichten, desto einfacher – und benutzerfreundlicher – wird die Sache? Auch Nutzen muss allerdings nicht immer etwas Konkretes sein. Im Gegenteil: Vage Entspannung, Unterhaltung führen die persönlichen Nutzenhitlisten in der privaten Mediennutzung an, sind aber alles andere als genau beschreibbare Ergebnisse.
Nutzen ist eine persönliche Angelegenheit, Ziele dagegen sind verallgemeinerbar und messbar. Wir werden oft dafür bezahlt, Ziele zu erreichen (manchmal gilt der Zusammenhang auch umgekehrt: wir werden nicht dafür bezahlt, Ziele nicht zu erreichen), Nutzen aber gilt bereits als unser persönlicher Gewinn.
Warum ist die Unterscheidung wichtig? Die Einfachheitskeule wird oft beim Vergleich privater und beruflicher Mediennutzung eingesetzt: Beruflich zu nutzende Medien müssen so einfach sein, wie die privat genutzten – alles andere sei eine Zumutung, Zeitverschwendung und schlicht schlechtes Design. Ich bin immer dafür, auf die User zu hören; manchmal hätte ich es aber auch gern, von diesen überlegtere Einwände zu bekommen. Privat genutzte Medien, die nicht einfach sind, keinen Nutzen bringen und keine Freude bereiten, werden nicht genutzt, warum auch? Es steckt kein weiterer erwartbarer Nutzen dahinter, kompliziertere Tasks werden aufgegeben oder gleich vermieden. – Heisst das, wer bezahlt wird, muss die Zähne zusammenbeissen und weitermachen? Abgesehen davon, dass das ohnehin so ist, verstehe ich den Einfluss privater auf berufliche Mediennutzung als ergiebiges Forschungsumfeld, das alle jenen gute Hinweise geben kann, die die richtige Balance zwischen Freiheit und Einfachheit der Anwendung finden müssen: Sollen User möglich wenig nachdenken müssen oder möglichst viel machen können? Und welche Einschränkungen werden als sinnstiftende Vereinfachungen empfunden, welche als schlichte Hindernisse?
Der einzige Weg, allen Wünschen gerecht zu werden, erscheint mir derzeit Redaktion per Gedankenübertragung. User erwarten so viel automatisierte Unterstützung, so viel (scheinbar) einfachere Tools, dass nur die berührungslose, schnittstellenlose Kommunikation dagegen noch als Übertreibung gelten kann. – welches Ziel kann man sich noch vorstellen, um Erwartungen an Medien zu übertreffen?
Und das zeigt auch vielleicht schon die Grenzen: Sei vorsichtig mit Deinen Wünschen, sagen auch manche Teufelsgestalten. Sie könnten in Erfüllung gehen…

Auf der Suche nach dem Nespresso der Medienzukunft


Ich habe vom Digital Media Day vor allem eins mitgenommen: Es kristallisiert sich tatsächlich ein gewisser Trend zu konvergenten Meinungen heraus. Das ist sehr vorsichtig formuliert und mag auch immer noch an meinem generell integrativen Approach liegen, aber in meinen Augen hatten die meisten Referenten, mich eingeschlossen, eine recht konkrete Vorstellung hinter ihren auf diverse Schwerpunkte ausgerichteten Ausführungen:
Diese Vorstellung handelt von Systemen, Universen, Sümpfen – wie auch immer man das nennen möchte. Heisst: Spass und Sex alleine reichen im Medienbusiness auch nicht mehr, Exklusivität, Aktualität, alles, was ein einzelkämpferischer Verlag – sei er auch noch so groß – gegen den Rest der Welt bieten kann, ist Schnee von gestern und kein Diversifizierungsmerkmal mehr. Es ist schon gar nicht etwas, wofür bezahlt werden wird.
Die erfolgreichen Businessmodelle der Gegenwart sind nicht nur Apple, sondern auch Nespresso. Beide werben mit schönen Maschinen – und einem sehr vereinnahmenden Sumpf. Warum kaufen wir praktisch portionierten Verpackungsmüll rund um ein paar überteuerte Gramm Kaffee? Weil wir die Garantie haben, dass das System mit deppensicherem Input zu kontrolliert konstanten Ergebnissen – gutem Kaffee – führt.
Einschliessen alleine reicht nicht, das Universum (System, Sumpf) muss dem User helfen, ein Problem zu lösen oder einen Task zu erfüllen. Vervollständigen statt Ausschliessen ist die Devise. Für die vielschichtige Darstellung dieser Zusammenhänge bin ich noch immer ein Fan von Umair Haque.
Apple und Nespresso kontrollieren die Userexperience; wer mitmachen will, hat wenig Auswahl. Dennoch – oder gerade deswegen – fliesst Geld. Die Ergebnisse sind klar, der Nutzen ist klar, der Bedarf wurde geschaffen.
Das Pendant dazu gibt es im Medienbusiness noch kaum. Nur solcherart nachvollziehbarer Nutzen, zumindest habe ich das so mitgenommen, wird aber User dazu bewegen, Medien überhaupt einmal zu verwenden, und dann vielleicht auch noch dafür zu bezahlen.
Nutzen, und das ist im Mediengeschäft vielleicht neu, hat nicht nur mit Inhalten zu tun. Nutzen hat auch eine funktionale Komponente. Was kann ich mit den Informationen, mit den Inhalten machen?
Tablets gelten als große Hoffnung – eventuell, weil sie noch derart stark mit Klischees behaftet sind, dass allein die Nutzung eines Tablets schon als Nutzen erscheint: Nachrichten anytime on demand online lesen? Ist ein alter Hut. Mobil über leistungsstarke Laptops kommunizieren und konsumieren? Was man dafür alles schleppen muss. Aber mit leichtgewichtigen Tablets ausgerüstet in bequemer Couchposition Inhalte lesen, Videos ansehen und Mails verschicken? Nüchtern betrachtet nutzlos, aber sexy.
Das reicht noch nicht ganz, um die gewinnbringende Medienzukunft zu sichern, aber – erstes Geld fliesst. Oft zur Überraschung der kostenpflichtige Apps anbietenden Verlage selbst. Teilweise, scheint mir, greifen dabei dann auch immer wieder Verkaufs-Argumente, die schon bei der ersten Generation von Onlinemedien Mitte der Neunziger gezogen haben: Wir vermeiden Papier und Abfall (vor allem bei kurzlebigen Produkten), wir können auch im Ausland heimische Medien lesen, …
Und vielleicht führt dieses Sich-Einlassen auf komplexere Technologien in der Verbindung mit konkreten Lebenssituationen und Ansprüchen dazu, neue Medien und deren Businessmodelle in genau diesem Spannungsfeld zu suchen: Wie schaffen sie konkret verwertbaren Nutzen, der sich meinem Leben anpasst, flüssige und sinnvolle Technologien einsetzt, und – ja, das auch noch – nützliche und interessante Inhalte liefert.
Zumindest würde ich in dieser Richtung suchen.

Noch eins ist mir aufgefallen, einerseits beim DMD, andererseits beim gedanklichen Aufräumen danach: Jedes Land hat die Medien, die es verdient. Alter Hut. Wir haben die Medien, für die wir bezahlen, hat unlängst auch Seth Godin geschrieben. In Österreich kehrt Oberbasher Staberl aus der Pension zurück.
Dazu kommen auch die Blogger, die wir verdienen. Berühmt sind grenzcharmante Raunzer, aus dem Vollen schöpfen die, die mit Verve andere attackieren und hinlänglich bekannte Schwächen zelebrieren. Die real konstruktiven Visionäre der nahen Zukunft nehmen sich dagegen aus wie stotternde Schulkinder, wenn man sich nicht die Mühe macht, ihren Gedanken zu folgen.
Ist so. Ist nicht unbedingt gut so. Aber wir sind ja im Showgeschäft.

Wir haben doch noch nie für Content bezahlt…

Wer soll das bezahlen? Und wofür soll hier jemand zahlen? Ein paar Überlegungen zu Medien und Umsätzen, nach einer Diskussion mit Dalibor Balsinek, Chefredakteur des Magazins Lidove Noviny, den ich bei einem Vortrag für Kommunikationsleute in Prag kennengelernt habe, und in Vorbereitung auf meinen Micropayment-Slot beim Digital Media Day des Verbands der Österreichischen Zeitungen.

Balsinek stellt sich die Frage, ob Printmedien überleben werden. Online ist gratis, online hat keine Geschäftsmodelle, online kostet Geld, online nimmt Print Ressourcen – und zunehmend auch Kapital weg: In der Hoffnung, dass sich das doch irgendwann auszahlen muss, stecken Medienunternehmen mehr und mehr Aufwand in die (kostenlosen) Onlineausgaben – teilweise zu Lasten der Printausgaben, die sich dann noch schlechter verkaufen.
Lösungen? Stattdessen nur vage Hoffnungen: Vielleicht kehren Menschen wieder zu Papiermedien zurück, wenn ihnen der dauernde Informationsfluss in Onlinemedien auf die Nerven geht, wenn sie den Rhythmus, den Papiermedien vorgeben, wieder zu schätzen lernen, meint Balsinek.
Ich teile dies Hoffnung nicht. Ich glaube auch nicht, dass wir generell jemals Paid Content-Modelle finden werden – zumindest nicht in der Richtung, in der wir heute suchen.
Warum?

  • Ich bezweifle, dass wir jemals für Content bezahlt haben. Der Content hat immer nur einen verschwindend geringen Teil in der Entscheidung, ein Magazin oder eine Zeitung zu kaufen, ausgemacht. Wir haben lange aus Gewohnheit gekauft, und wir haben nicht dafür bezahlt, etwas zu exklusiv vor allen anderen zu bekommen – es hätte oft ja gereicht, wenn uns jemand die Neuigkeiten erzählt hätte. Wir bezahlen eher für Bequemlichkeit – und für Angreifbares. Wir zahlen für Papier und dafür, etwas nutzen zu können, wie es uns passt, unabhängig von Zeit, Ort und Umgebung. – Mein Magazin begleitet mich überall hin. Wenn wir für Papier und Information extra zahlen müssten, würde das funktionieren? – Warum stellen wir uns dann vor, wir sollten für Netzwerkzugang und Netzwerkinhalt extra zahlen?
  • Auch für Musik wird nicht bezahlt, ist ein beliebtes Argument. Ich bezweifle die Gültigkeit dieses Arguments. Persönlich kaufe ich erst wieder Musik (nach einer zehnjährigen fast vollständigen Pause), seit Downloads DRM-frei mit vernünftigen Paymentmethoden funktionieren, und seit die Endgeräte auch die Nutzung des Produkts erlauben. Wenn ich meinen Download sicher auf Notebook, iPhone und iPod verwenden kann, dann ist der eine Euro gut investiert – besser als bei einer CD, die mir im Weg rumliegt, die ich verliere, und die ich erst rippen muss, um sie in vollem Umfang nutzen zu können. Solche nutzungsorientierten Szenarien fehlen mir bei Paid-Content Überlegungen. Welchen Nutzen haben User von Onlinemedien? Wofür sollen sie eigentlich zahlen?
  • Wer der Verlockung der billigen Produktion erliegt, produziert eben billigen Kram – und das merkt man. Geringe Produktions- und Distributionskosten sind nicht die besten Voraussetzungen, um produktiv in das Onlinebusiness einzusteigen. Me-too-Produkte waren noch nie erfolgreich. Welchen Wert liefern Onlinemedien, welche Probleme lösen sie, und was davon ist so wichtig, dass es einen entscheidenden Menge an Usern wert ist, Geld dafür auszugeben? Zielgruppengenaue, kontextsensitive anytime & anywhere-Information als eine der Wert produzierenden Ideen ist bis jetzt eher Zukunftsmusik geblieben.
  • Wie soll bezahlt werden? – Balsineks Argument, dass Micropayment-Methoden noch nicht ausgereift genug seien, um Pay-per-View-Modelle zu ermöglichen, teile ich nicht. Die Userexperience passt – vielleicht muss an den Fees und Commissions noch gearbeitet werden, aber grundsätzlich ist alles billable. Es dauert gerade mal eine Minute, um ein Produkt mit Paypal, Click&Buy oder Allopass kostenpflichtig zu machen. Die Frage ist nur: Welches Produkt?
  • Eine oft ignorierte Frage ist auch: Wer soll bezahlen? Wer hat etwas davon, dass Content verbreitet wird, dass User informiert sind? In der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Bloggern zeichnen sich neue Modelle ab. Unternehmen möchten Content bei Bloggern platzieren – und buchen das im Rahmen der Kampagnenplanung direkt oder über teilweise eigene Medienagenturen. – Mit oft erstaunlichem Preisgefälle: Rumänische Medienagenturen etwa lassen sich die Platzierung bei lokalen Top-Bloggern oft ein Vielfaches dessen kosten, was im deutschsprachigen Raum bezahlt wird. Das ist ein Indiz für ein weit verbreitetes Missverständnis: Medien verkaufen keine Inhalte, Medien betreiben Menschenhandel. Damit meine ich keine unterbezahlten Praktikanten und keine mit Mitte Dreisig noch immer erfolglosen Jungredakteure, sondern die Tatsache, dass Medien Menschen – ihre Leser – an Anzeigenkunden verkaufen. Die Leser haben davon nicht den geringsten Nutzen. Warum also, um die Frage nocheinmal zu stellen, sollten sie dafür zahlen, um in diesem Spiel mit von der Partie zu sein?

Der deutsche Medienriese Burda veröffentlichte unlängst neue Zahlen und verlautbar, den Turnaround geschafft zu haben: Burda macht mittlerweile im digitalen Business mehr Geld als im traditionellen: 604 Millionen Jahresumsatz (und ein Plus von 19%) im digitalen Bereich stehen 586 Millionen (und einem Minus von 3%) im traditionellen Business gegenüber. «Mit redaktionellen Geschäftsmodellen im Internet wird man wohl nicht wohlhabend, wenn man sich nur auf Anzeigenerlöse begrenzt», sagt Burda-Chef Paul Kallen dazu. Die Cashcows des Medienriesen: Die Partnerbörse Elite Partner, das Reiseportal Holiday Check und das Finanzportal Finanzen 100 (Xing gehört Burda im übrigen auch). – Alles Services, die redaktionellen Content als Beiwerk brauchen, ihn aber nicht als Produkt verkaufen. Den Usern verkaufen sie nutzen. Ob das ein wünschenswertes Licht auf die Medien der nächsten Generation wirft, bleibt offen. Es zeigt aber eine Richtung, in der ich eher nach Einnahmequellen suchen würde, als in rückwärts gerichteten Hoffnungen.

10 Jahre “Faces”. Naja…


10 Jahre Faces – das Innovativste an diesem Magazin bleibt die große Typo.
Faces, das Schweizer Lifestylemagazin, feiert gerade mit einer goldenen Jubiläumsausgabe sein 10jähriges Bestehen. Eine recht traurige Illustration der Fadesse, Vorhersehbarkeit und Belanglosigkeit des aktuellen Journalismus.
Ich sage das echt ungerne und wäre viel lieber mal wieder begeistert. Aber ernsthaft: Was wollt ihr damit?

  • Ein recyceltes Geplänkel mit Kim Kardashian – sogar ohne eigene Fotos? Und irgendwer soll euch glauben, dass das euer Interview ist, das viel lesenswerter ist als alle anderen?
  • An den Haaren herbeigezogene Top Ten-Listen von Nobodies und Altvorderen, die nur eines offenbaren: Ihr konntet euch keine guten Leute leisten und konntet den anderen auch nicht genug Anreize (Finance or Fame) bieten, noch ein zweites Mal über das nachzudenken, was sie schnell auf ihren iPhones oder Servietten gekritzelt haben? (note to self: sind iPhones die literarischen/journalistischen Servietten und Bierdeckel der Gegenwart?)
  • Zum Abwinken wiederholte Shortcut-Wüsten mit Produkttipps? Aber warum denn?
  • Über Modestrecken rede ich nicht; das ist nicht mein Business… 😉
  • Ein Jubiläums-Editorial, das kreative Gründungsnächte in Marrakesch heraufbeschwört, aber eher offenbart, dass Faces das einsame Produkt zweier Chefredakteure ist, die sich selbst ein Magazin schenken wollten? Gut, das trifft auf fast jedes Magazin zu, aber ihr wollt doch glaubwürdig Glamour verkaufen…

Ich gratulieren von Herzen zum 10jährigen Bestehen; das muss man erst einmal schaffen. Faces sieht gut aus, greift sich angenehm an, lässt fallwesie respektable Attitude anklingen – aber ehrlich gesagt wundert es mich, das ausgerechnet dieses Produkt überlebt hat.
Manchmal kann man eben im Kleinen mehr bewegen und mehr erhalten. Wobei im Kleinen mehrdeutig ausgelegt werden kann.
Ich wünsche euch noch 10 Jahre und nochmal und nochmal – solang es euch zumindest Spass macht.

Metallica TV, die Zukunft des konstruktiven Kapitalismus und Du


Beim Sonntagmorgen-Browsen auf Youtube stolperte ich über einen Metallica-Clip. Sieh an, die Napster-Bekämpfer und Anti-Onliner der ersten Stunde haben dem nagenden Zahn der Zeit nachgegeben und machen auch was im Internet. – Das war ein erster positiver Gedanke, sekundiert von dem guten Gefühl das man wohl immer mit der ersten gekauften Platte (das waren diese schwarzen runden Scheiben) verbindet. In meinem Fall das eben Metallica, mit “Master of Puppets” (in der luxuriösen Doppelalbum-Ausführung. – Insofern also ein Traumstart, ein perfekt aufbereiteter Boden für Marketing- und Werbebotschaften, und das noch dazu an einem Sonntagmorgen, ohne Zeitlimits und andere Einschränkungen. Der angepriesene Inhalt war der Trailer zum 2 DVD-Mitschnitt des Sonisphere/Big 4-Konzerts in Sofia – mit zusätzlichen Auftritten von Megadeth, Slayer und Anthrax (die ich als Dreizehnjähriger natürlich alle in meiner Plattensammlung hatte…). “Nett”, dachte ich mir, und klicke bereitwillig auf den Link zum Metallica-TV Youtube-Channel, durchaus bereit, mal wieder zu schauen, was die alten Herren so machen, und vielleicht sogar in den einen oder anderen Download zu investieren. Stattdessen teilt jedes aufgerufene Video ziemlich deutlich und unfreundlich mit: “Dieses Video ist in Deinem Land nicht verfügbar”.
Netter Versuch – aber wen interessiert das? Den Content gibt es – nicht einmal einen Klick entfernt, sondern in der gleichen Suchergebnisliste – hundertfach, unbearbeitet, in voller Länge. Nur eben ohne Merchandising dazu. Was mich natürlich auch nicht weiter stört.
Nur die Contents (wie eben den DVD-Trailer) online zu stellen, die simple und direkte Werbebotschaften transportieren sollen, ist nicht gerade konstruktives Vorgehen. Ein Youtube-Channel ist nicht nur günstige Werbezeit, er ist vor allem ein Platz, Mehrwert zu demonstrieren und auf diesem Weg Bindung zu erzeugen. In der Musikindustrie wird das schon seit Jahren durchgekaut – mit unterschiedlichen Erfolgen.

Die Band-Fan-Beziehung ist ein einfaches und gut kontrollierbares Biotop in dem die Wirksamkeit von Kommunikationsmechanismen recht risikolos getestet werden kann. Komplexere Unternehmen haben da noch mehr vor sich. In seinem aktuellen Buch “The New Capitalist Manifesto” beschreibt Umair Haque die wesentlichen Veränderungen, die Unternehmen der Zukunft von aussterbenden Modellen unterscheiden. Nachhaltigkeit und Verantwortung spielen dabei natürlich eine grosse Rolle; von den Details wird hier noch öfter zu lesen sein.
Die fürs erste wichtigste These aus dem neuen kapitalistischen Manifest ist aber: Es geht nicht um Ergänzungen, nicht um zusätzliche Ideen, es geht um eine grundlegende Neufassung aller Geschäftsideen und um eine radikale Erweiterung der Perspektive. Beispiele: Kosten müssen nicht nur verschoben werden (“Wir haben auch delphinschonend gefangenen Thunfisch – kostet 30% mehr”) sondern generell minimiert werden (“Wir haben nur noch delphinschonend gefangenen Thunfisch zum gleichen Preis – wir können uns das leisten, weil wir unsere Produktions- und Distributionskette komplett überarbeitet haben”). Nur wer sich auf solche Ideen einlässt, kann auch morgen noch damit rechnen, Geschäft zu machen. – Wenn schon nicht aus einem anderen Grund, dann wenigstens deshalb, weil andere es machen werden.
Die empfohlenen Veränderungen auf dem Weg dorthin im Detail:

  • Aus Value Chains sollen Value Cycles werden. Am deutlichsten lässt sich das am Beispiel Recycling erklären: Wer seine gebrauchten Produkte selbst recyclen kann, handelt nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern setzt auch wichtige Schritte zur Unabhängigkeit von Rohstoffen. Userinput, Reaktionen können aber genauso dazu beitragen, einen Kreislauf in Gang zu bringen – wenn sie nicht nur auf den Einwurf von Münzen reduziert werden.
  • Aus Value Propositions sollen Value Conversations werden: Innovation ist nicht die Tätigkeit eines Innovators, der einen Weg vorgibt. Die besten Innovationen sind die, die man kaum merkt, weil sie Probleme problemlos lösen. Das entsteht durch Beobachtung, Analyse und Beachtung der Kundenwünsche – auch wenn man nicht auf alles eingehen braucht, was sich Kunden wünschen. Die Taktik auf dem Weg dorthin nennt Haque Responsiveness, sein Beispiel ist das T-Shirt-Label Threadless, das seine aktuelle Produktion immer auf Userabstimmungen ausrichtet (hätte auch das österreichische Pendant Garmz sein können).
  • Aus Strategien sollen Philosophien werden. Die inflationäre Verwendung des Begriffs Philosophie tut mir grundsätzlich schon etwas weh. Aber gut, nehmen wir das eben ernst: Philosophie beschäftigt sich mit Grundlagen, weniger mit Zielen, und Fragen sind wichtiger als Antworten. Heisst: Es ist wichtig zu wissen, was alles hinterfragt werden kann; man tut es ja nicht immer in letzter Konsequenz. Philosophien ändern sich auch nicht so schnell als Reaktion auf Marktgegebenheiten, sie verschaffen Identität. Praktisch: Sind mir meine User wichtig, oder fülle ich meinen Youtube-Channel, weil man das heute so macht und damit es niemand anderer macht?
  • Anstelle von Protection soll Completion treten. Das heisst: Kunden und Mitbewerber sollen weder ein- noch ausgesperrt werden, sondern die eigenen Produkte und deren Ergänzungen tragen – ganz im Sinn von Value Conversations und Value Cycles – selbst zu ihrer Erneuerung bei. Kunden jederzeit den reibungslosen Wechsel zu einem anderen Dienstleister zu ermöglichen ist ein Verkaufsargument und kein Risiko.
  • Letzter Punkt: Anstelle von Goods (Waren) sollen Betters produziert werden. Klingt nach einem Wortspiel und bedeutet vor allem, dass Produkte dazu beitragen sollen, irgendetwas an der Situation ihrer Kunden zu verbessern: Sie sollten klüger, gesünder, reicher werden – und das auf eine nachvollziehbare und nachhaltige Art und Weise. Das schnelle Stillen von gerade erst generierten Bedürfnissen gehört weniger dazu.

Was heisst das dann für Metallica? Oberstes Ziel der Unterhaltungsindustrie sollte es sein, mich zu unterhalten – auf allen Kanälen. Wenn stattdessen Geld in den Vordergrund tritt – das kann ich anderswo auch ausgeben, das ist nicht das unique Argument, das ich mir von Entertainern erwarte.
Stattdessen verbringe ich dann Zeit und Geld eben lieber anderswo…

Wie kratze ich von hier die Kurve zu einem Medienthema?
Die beschriebenen Thesen sind Ideen für Businesskatalysatoren und Umsatzmotoren – was kann ich tun, um im Geschäft zu bleiben. Sie fassen Beobachtungen zusammen, die Wirtschaftmodelle jenseits der Gier von Finanzmärkten und nach der Ernüchterung des doch nicht endlos erweiterbaren digitalen Business beschreiben. Es kann nicht immer nur um Mehr gehen, weil das irgendwann völlig irrelevant wird.
Mehr – mehr wissen, erreichen, grössere Zielgruppen bedienen, und das für weniger Geld – war lange ein grosser Hoffnungswert digitaler Medien. So sehr, dass sich auch das schnell selbst in Frage gestellt hat. Was sind Reichweiten und User wert, wie können sie gemessen und in Beziehung zu geschäftlichen Ergebnissen gestellt werden?
Anstelle der Menge (“Google liefert 1.000.000 Treffer zu dem Suchbegriff”) traten dann Empfehlung, Vernetzung und öffentlicher Dialog (“Kunden die … haben auch …”, “17 Friends like this”, “Wir wollen das neue Logo nicht”). Für sich betrachtet, hat auch das keinen Wert. Was nutzt das Wissen, das Zusammenhänge zwischen zwei Produkten bestehen, wenn ich das zweite Produkt gar nicht herstelle/führe? Was nutzt Userfeedback, wenn mein Produkt fertig ist und sie es trotzdem nicht kaufen?
Die Antwort ist so einfach, dass sie für sich betrachtet einmal sinnlos ist: Solange ich das nicht verwende, nützt es mir nichts…
Die produktive Nutzung neuer Medien ist immer zwischen den gleichen beiden Polen gefangen:

  • Einerseits wird jedes Medium, jede Technologie schlagartig komplizierter, wenn plötzlich etwas Reales, Konkretes damit erreicht werden muss, und nicht nur gelegentlich experimentiert werden soll.
  • Zweitens kann die Nutzung nur dann etabliert werden, wenn reale, am besten schon existierende Prozesse damit unterstützt werden.

Vereinfacht: Es wirkt nur dann, wenns weh tut? – Das muss nicht sein.
Haques Businessschwerpunkte sind, zumindest aus meiner gefärbten Perspektive, auch Kommunikationsschwerpunkte. Sie haben mit Produktion, Weitergabe und Nutzung von Wissen zu tun (ok, das ist recht generell…)
Auffälliger werden ähnliche Verhaltensweisen, wenn die sechs Eckstützen des konstruktiven Kapitalismus in Hinblick auf Zweck und Nutzen neuer Onlinemedien betrachtet werden.

  • Value Cycles statt Value Chains: Auf Online umgemünzt bedeutet das: Nichts ist jemals fertig. Jedes Produkt ist Input für das nächste. Das kann produktiv sein, im Sinn ständiger Weiterentwicklung, oder es kann dazu führen, dass einfach nur immer öfter und redundanter vom gleichen geredet wird.
  • Value Conversations: Das Gespräch ist derzeit die Metapher schlechthin für online.
  • Philosophie statt Strategie. Das halte ich für ein Problem. Philosophie, so wie ich den Begriff verstehe, ist nicht produktiv. Philosophie bedeutet, Fragen zu stellen, Fragen interessanter als Antworten zu finden, und die ganz grundlegenden, oft scheinbar selbstverständlichen und unhinterfragbaren Annahmen in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist selten gut fürs Geschäft. Die Art Philosophie, die hier gemeint ist, würde ein Philosoph eher Ideologie nennen: Ein in sich stimmiges Weltbild, das Handlungsanleitungen ermöglicht. Der Unterschied zur Strategie besteht dann in erster Linie darin, dass die mittel- bis langfristige Zielerreichung durch Werte ersetzt wird. Handlungen werden nicht in Hinblick auf Ziellerreichung argumentiert, sondern mit richtig und falsch. Das kann dann ein Problem werden, wenn es nicht allen Seiten klar ist.
  • Completion statt Protection: Abgrenzung ist online praktisch unmöglich. Kuriositäten wie Nachrichtenagenturen, deren Informationen nicht von Suchmaschinen angezeigt werden dürfen, Paid-Content-Experimente, die recht schnell wieder gegensteuern, oder Digital Rights Management, das noch auf der gleichen Platform wieder ausgehebelt wird, sind praktische Indizien dafür.
    Completion? – Die große zu füllende Lücke gibt es nicht (das lässt sich immer etwas zu leicht sagen); Fortschritte basieren auf Ergänzungen, ein Service/Medium ist besser als das andere, weil es bestimmte Punkte besser löst – nicht weil es etwas ganz anders macht. Innovation passiert in kleinen Schritten, der große Effekt ist der Mythos.
  • Betters statt Goods: Das ist natürlich ein hehres Ziel, aber eines der wichtigsten für den realen Erfolg von Onlinemedien. Dauerhaft und gern verwendet wird nicht, was interessant, neu, innovativ und lustig ist, sondern was reale Probleme löst, reale Prozesse unterstützt. – Im Idealfall sind es Probleme (oder Bedürfnisse), die schon bestanden, bevor es ihre Lösung gab.

Sind Onlinemedien also Turbo und Heilsbringer des konstruktiven Kapitalismus? – Ausgerechnet Onlinemedien, die selbst als ganze Branche noch kein einziges tatsächlich für sich efolgreiches Geschäftsmodell hervorgebracht haben? Einen Versuch war es wert… 🙂
Und ich denke trotzdem, dass gerade die von Haque beschriebenen Trends in der Entwicklung neuer Wirtschaftsmodelle und Wirtschaftsethiken wichtige Anhaltspunkte sind, um zu verstehen, warum Onlinemedien für uns heute so wichtig sind. Für sich sind sie nur Mittel, in Verbindung mit einem Zweck können sie effiziente Katalysatoren sein. In gut abgrenzbaren Umgebungen zeigt sich das noch deutlicher: Neue Onlinemedien in Unternehmen, in Geschäftsprozessen werden dann verwendet, wenn sie notwendige Aufgaben unterstützen. Ergeben sich dabei positive Nebeneffekte – umso besser; geschieht nur das Notwendigste, dann ist wenigstens nichts schiefgaegangen.

Darin, und eigentlich schreibe ich ja immer über Medien, sehe ich einige Entwickungslinien für (Online)Medien in den nächsten Jahren vorgezeichnet.

    • Medien als Brand oder konkretes Produkt müssen einen Zweck erfüllen, um genutzt zu werden. Lustig, neu, innovativ allein reicht nicht; die Frage ist: “Was mache ich hier und was bringt mir das?” – Der Nutzen kann natürlich schon wieder recht beliebig und subjektiv sein – aber genau dann wird er umso stärker empfunden. Wozu sehen wir fern? Dieser Nutzen ist auch nicht klar argumentierbar; aber von Information bis Entspannung kann er alles umfassen. Und dass wir fernsehen, steht genausowenig zur Diskussion wie die Tatsache, dass wir Onlineservices nutzen – bloß welche?
    • Onlinemedien (als Tool oder Funktion) werden immer flexibler und als solche auch immer vager. Welches Medium (als Produkt) meinen wir, wenn wir “online” sagen? Können wir das überhaupt sagen, wenn es um eine Mischung aus sozialen Netzwerken, Videocommunities, Bewertungstools und Chatsystemen geht? Oder um eine Nachrichtenseite mit integrierten Communities, externen Videoplattformen und gebrandeten Agenturfeeds? Egal? – Während wir ein Medium (als Marke nutzen), sind wir in mehreren Communities aktiv: Wir nutzen Dienste, sind als User sichtbar, gehen Beziehungen ein. Wir machen nie nur ein Ding gleichzeitig, führen immer mehrere Gespräche – oft ohne es zu merken. Wir sind online, aber das ist nur noch irgendein digitaler Raum.
    • “Direkter”, “objektiver” oder “authentischer” werden Medien so auch nicht. Medien sind näher bei den Menschen; die gestaltete Variante der Realität (oder des Blicks darauf) muss mit einer größeren und deutlicheren Vielfalt an Einsprüchen umgehen können. Bloß: Warum soll sich dadurch etwas ändern? Es waren immer schon Menschen (und deren Interessen), die Medien gestaltet haben. Der Unterschied liegt weniger in der Substanz dessen was möglich ist, sondern in der Reihenfolge: Jeder kann das erste Wort haben und damit Vorgaben erstellen. – Hiess es nicht einmal “das letzte Wort haben”? – Das ist jetzt uninteressanten Nachahmungstätern vorbehalten.
    • Medien müssen eine Offenbarung werden. Das klingt dramatisch. Was soll es heissen? Es ist wichtig, den ersten Schritt zu setzen, einen Raum zu besetzen – und das auch längere Zeit durchzuhalten, wenn ein Thema positioniert werden soll. Längere Zeit bedeutet nicht zwei Wochen, zwei Jahre sind eher ein angemessener Zeitraum. Den ersten Schritt zu machen ist ein Teil, das auf offene und transparente Art und Weise zu tun, ist der zweite Teil. Nur taktische, nur zielgerichtete Kommunikation funktioniert über einen längeren Zeitraum nur mit großem Aufwand – und ist leicht angreifbar.

Und wie passt das jetzt zusammen?

Medien suchen neue Geschäftsmodelle, Geschäftemacherei an sich sucht neue Geschäftsmodelle. Beide stehen vor der Herausforderung, Publikum anzuziiehen und zu binden.
Vielleicht war diese Herausforderung seit jeder bei Medien schon kritischer: Geschäftsmodelle waren eher schon langfristig aufgebaut – ein Abonnent war mehr wert als ein Gelegenheitsleser.
Andere Produkte dagegen waren grundsätzlich auf einzelne Abschlüsse ausgelegt – Hauptsache die Rechnung ist bezahlt.
Beides ändert sich. Langfristige Bindungen werden schwieriger und seltener, aber langfristige Effekte werden immer häufiger, weitreichender und wichtiger: Es zählt, was Leute sagen – und es gibt mehr Gelegenheiten dazu.
Medien tauchen immer wieder auf. Es ist wichtig, sie handeln zu können. Und es ist wichtig, mit jedem Schritt, jedem Inhalt, jedem Produkt, auch eine Geschichte zu erzählen.

Ich versuche, daraus ein paar Grundsätze für Kommunikation iund Geschäftsentwicklung abzuleiten:

      • Improvisation: Handlung steht im Vordergrund und overrult Planung. Planung beschäftigt sich nicht mit Details, sondern mit langfristigen Zielen. Handlung richtet sich nicht nach Strategien, sondern – Überraschung – nach Philosophien. Ziel ist: Ich kann auch ohne jetzt gerade konkrete Zielvorgabe handeln. (Ja, das beißt sich. – und das ist ein Zeichen dafür dass was dran sein könnte…)
      • Große Vision, kleiner Radius: Projekte brauchen immer den
        großen Anspruch, aber die konkrete Aufgabe. Ohne die Vision, ohne den Anspruch auf Weltherrschaft oder zumindest vergleichbare Ziele gibt es keine Aufmerksamkeit. Ohne schnell, konkret und möglichst personenbezogen (“Das bringt dir etwas”) nachweisbare Erfolge verfliegt diese Aufmerksamkeit schneller als sie erreicht wurde.
        Zwickmühle? Andererseits: Wenn du nicht den Anspruch hast, die ganze Welt zu begeistern, warum sollte sich dann irgendjemand für dich oder dein Produkt interessieren? Und wenn du die Idee nicht im kleinen Rahmen demonstrieren und belegen kannst – welchen Grund gibt es dann für die Annahme, dass daran irgendetwas dran ist?
      • Und schliesslich: Es gibt keinen Grund, etwas anderes zu tun, als das, was du für richtg hältst. Auf eine Art und Weise, die immer auf das beste Ergebnis abzielt. Wozu irgendetwas tun, wenn es nicht das beste ist, das du tun kannst?
      • Das setzt dann schliesslich wieder voraus: Du musst überhaupt etwas tun.

Erinnert sich noch jemand an den Anfang, Metallica TV? Sie tun etwas. Aber nicht das beste, das sie tun könnten, um ihre Freunde zu unterhalten. Es ist halherziges Taktieren, das ausschliesst, statt zu vervollständigen, ärgert, statt Freude zu bereiten, in Sackgassen führte, statt etwas in Gang zu setzen. Schade. Aber wir finden immer einen Weg… 😉 – deshalb: