Beastie Boys Book

40 Jahre gegen den eigenen Erfolg arbeiten – das ist wahrer Luxus.

Was ich am Beastie Boys Book am meisten liebe: Der Sticker auf dem Cover wurde offenbar tatsächlich erst nachträglich eingeplant, nachdem irgendein kritischen Menschen aufgefallen war: „Verdammt, wir haben dieses dicke Buch gemacht und echt vergessen, auch nur irgendwas aufs Cover zu schreiben.“ Die ersten Ankündigungen und Vorbestellung-Aussendungen zeigten das Buch noch mit dem nackten Cover, ohne jeglichen Titel.

Es hat knapp 600 Seiten, ist bunt und wurde etwas zu spät begonnen. Adam Yauch ist 2012 gestorben und hat den Beginn der Arbeiten an diesem Buch – offenbar eines dieser Projekte, von denen man immer wieder redet, die man immer wieder verschiebt und von denen man immer noch glaubt, ausreichend Zeit für sie zu haben – nicht mehr erlebt. Also schreiben mit Mike D und Adam Horowitz die zwei verbleibenden Beastie Boys. Yauch bleibt der abwesende große dritte, auf den viel zurückzuführen ist und dessen Einfluss wohl jetzt noch viel klarer zutage tritt als zu Lebzeiten.
Die Beastie Boys erzählen ihre Entwicklung von jungen, nicht besonders auffälligen, nicht besonders talentierten, eigentlich in gar nichts außergewöhnlichen Jungs, deren größtes Talent es war, offen für Einflüsse durchs Leben zu gehen, zu erfolgreichen Stars – die sich dann aber auch einer Starkarriere verweigert haben.

Musikalisch war ihre Entwicklungslinie wohl die vieler Kids, die mit glattem Pop nichts anfangen konnten. Punk und ein wenig Metal geben die Grundhaltung vor, aber dann schlägt die Erkenntnis zu, dass HipHop eigentlich viel cooler ist, Punk stilistisch und inhaltlich um Längen schlägt und viel mehr Verhaltensmuster offenlässt, als die Perspektive, möglichst schnell und möglichst destruktiv zu einem möglichst totalen Ende zu kommen.
Die musikalischen Frühwerke blieben trotzdem von der Idee geprägt, möglichst schnell mit möglichst viel Krach möglichst viele Klischees durch den Fleischwolf zu drehen, dabei aufzufallen und einen möglichst bleibenden (wenn das hilft auch möglichst schlechten) Eindruck zu hinterlassen.
Ausreißer wie „Fight for your right“ und „No sleep till Brooklyn“, die den eigentlichen musikalischen Erfolg begründeten, sind auf Beastie Boys-Sicht offenbar Unfälle, die auf Launen des Produzenten Rick Rubin zurückzuführen sind. Rubin galt in frühen Jahren als Freund, verwandelte sich aber offenbar schnell in das Abziehbild des Musikmanagers, der Alben am Reißbrett plant und rein auf kommerziellen Erfolg hin trimmt. Dem verwehrten sich die Beastie Boys; die Erwartungen, des Labels Def Jam, dass nach der Veröffentlichung von Licensed to Ill gleichzeitig getourt und Neues produziert werden sollte, um schnell wieder verlautbare Tonträger zu haben, führte dann bald zum Bruch.
Auffallend ist auch, dass D und Horowitz mit keinem Wort erwähnen, dass Slayer-Gitarrist und -Miterfinder Kerry King Gastauftritte auf Licensed to Ill hat. – Es scheint auf eine Laune des Labels zurückzuführen zu sein, die ihnen grundsätzlich egal war.

Der frühe Erfolg hat sich jedenfalls trotzdem ausgezahlt. Die Beastie Boys produzierten in aller Ruhe weiter vor sich hin, hatten mit Pauls Boutique eine Platte ohne große Highlights, mit Check your Head etwas schwer Einordenbares aber doch sehr Eingängiges, erst auf Ill Communication gab es dann wieder ein wenig Rückbesinnung auf die Anfänge mit schnellen und kurzen Punk-Phasen.
Ill Communication war auch in vielen Beastie Boys Fan-Karrieren das Ende; die Platte passte 1000prozentig in ihre Zeit, das Grand Royal-Imperium der Beastie Boys produzierte viel Neues. Nichts davon war aber geschaffen, die frühen Neunziger zu überleben. Blättert man heute durch Ausgaben des Grand Royal Magazine, die in den 90er Jahren hier von Europa aus ein unerreichbar cooles Mysterium waren, dann wirken sie bestenfalls noch etwas befremdlich
Den Beastie Boys war all das offenbar egal, sie experimentierten, so zumindest die eigene Erzählung, einfach ungestört weiter. Davon blieb allerdings wenig greifbar, trotz einer sehr beschäftigten Zeit blieben die Erfolge, von denen jeder sprach, aus. Hot Sauce Committee war noch mal eine Art Rückbesinnung auf alte Stärken und setzt die mit Licensed to Ill und Ill Communication begonnene Linie fort; ein Jahr später war Adam Yauch tot.

Beastie Boys Book ist eine extrem detaillierte und dabei erstaunlich lesbare Nacherzählung von knapp 40 Jahren Musikgeschichte. In den ersten Jahren dieser Geschichte war Auffallen um jeden Preis die bestimmende Maxime, danach konnten sich drei Musiker das ständige Oszillieren zwischen einer Haltung als arrivierte Stars, neugierige Jungs und Enfants Terribles leisten.
Und ich bin grundsätzlich kein Freund davon, Erfolg, Aktivität oder Energie mit Orten zu verbinden, also Misserfolg auf eine langweilige Umgebung oder eine passive Stadt zurückzuführen. Gerade Storys wie die der Beastie Boys oder von Henry Rollins, die mit viel Willen und ohne jede Voraussetzung sehr viel geschaffen haben, sind wohl doch eher auf das Zusammenwirken vieler günstiger Faktoren zurückzuführen. Und die Chance, kommerziellen Erfolg auch nachhaltig weiterzutreiben und in künstlerische Freiheit zu verwandeln, ist außerhalb US-amerikanischer Großstädte auch etwas dünner gesät. Ich zumindest kann mir Beastie Boys ohne das New York der Neunziger ebenso wenig vorstellen wie Henry Rollins ohne Los Angeles – und umgekehrt gilt das im übrigen genauso …

Schönheit müsste nicht platt sein

Es beginnt schon mit den plattesten Platon-Zitaten, die sich halt sehr leichtsinnig als Plattitüden zur Verfügung stellen. Die Gleichsetzung von Gutem und Schönem, das dann irgendwo auch wahr sein soll, ist ein plakativer Aufhänger – aber eher eine Diskussion über Wahrheit, Ethik und Erotik als eine über Schönheit. Wollte man Philosophieren, dann hätte man im Konversationslexikon zur ästhetischen Philosophie auch einmal umblättern können, um bei Kants Ästhetik des Erhabenen zu landen oder gar bei Hegel und seinen Vorläufern expressiver Kunsttheorien.
Aber das hätte die – auch so mehr als fragwürdige – Voraussetzung der Ausstellung ins Wanken gebracht: Schönheit müsse rehabilitiert werden, finden Sagmeister und Walsh als Ausstellungsmacher offenbar, und unterstellen Designern und Gestaltern des 20. Jahrhunderts, dass diese Schönheit missachtet hätten.
Ein ornamentfreies Gebäude (ja, auch Loos kommt vor) ist nun aber nicht zwangsläufig weniger erhaben als ein reich verziertes – um den vermeintlichen Angriff auf die Schönheit mit nur einer beliebigen ästhetischen Theorie (in diesem Fall eben Kant) ins Wanken zu bringen.
Und schlicht wirklich dumm wird es dann, wenn man den Anspruch der Ausstellung ernst nimmt: Ein Exponat ist eine Vitrine mit Trinkgefäßen aus mehreren Jahrhunderten. Kelche, Cocktailgläser, Tumbler, Weinpokale bilden eine lange Reihe, die, als Stellvertreter für die Gegenwart, mit einem Wegwerfplastikbecher endet. Keiner der anderen Becher war als Wegwerfprodukt konzipiert. Keiner der anderen Becher wurde unter der Vorgabe, leicht, stapelbar, einfach transportierbar und absolut kostengünstig zu sein, gestaltet. Keiner der anderen Becher kommt unter vergleichbaren Bedingungen wie der Plastikbecher zum Einsatz – auf Festivals, Straßenfesten oder zum Transport von Urinproben. Uns selbst die platte und in der Ausstellung allein angesprochene Theorie vom Schönen als Gutem könnte am ehesten im Plastikbecher ihre Erfüllung finden – sofern dieser etwa nachhaltig produziert und rücktstandsfrei zu entsorgen ist. Woran man im übrigen auch sieht, dass diese Theorie des Schönen von den aktuellen Anforderungen an das Gute abhängig ist.
Ebenso platt und umstritten (wenn nicht schlichtweg falsch), ist die Behauptung, Faustkeile und Steinbeile seien nur aus ästhetischen Gründen symmetrisch gestaltet worden. Ein symmetrisches Werkzeug ist ungleich praktischer, weil man weniger darauf achten muss, wie man es in der Hand hält. Dass sich daraus dann auch ästhetische Standards entwickelt haben, hinter denen andere Werkzeugmacher nicht zurückbleiben wollten, mag sein. Und es gibt sogar empirische Daten dazu, dass symmetrische Faustkeile vor allem ungeübten Arbeitern die Arbeit leichter machen.
Von dieser Ausstellung bleibt ein wenig Ratlosigkeit und die Ahnung, dass bekannte Namen eben auch ihre schönen und guten Seiten haben. Jeden anderen hätte man nach der Vorstellung dieser Ausstellungsidee mit einem ratlosen „Na und?“ nach Hause geschickt.

Prügelei oder Fasching?

Henry Rollins erzählt die Geschichte hartnäckig: 1983, beim Auftritt in der Wiener Arena, habe die Polizei nach dem rechte sehen wollen. Das aufgebrachte Publikum habe allerdings die Polizei verprügelt (mitsamt den Polizeihunden), der Polizisten Kappen und Jacken abgenommen, und in Polizeiuniformen weitergefeiert.
Black Flag sei daraufhin etwas eingeschüchtert gewesen, habe die Show schnell zu ende gespielt und sei froh gewesen, Wien am nächsten Tag Richtung Italien verlassen zu können.
Die Geschichte findet sich in „Get in the Van“ in Buchform, Rollings erzählt sie auch heute noch, wenn er mit seiner Reisediavortragsshow in Wien Station macht.
Ich frage mich eher, ob da nicht Drahdiwaberl in der Arena vorbeigeschaut hat, und nehme die Geschichte als ein Beispiel dafür, dass sich Mythen aus der Entfernung viel leichter spinnen lassen.
Bei Rollins meisten Erzählungen in „Get in the Van“ werde ich sonst eher leicht wehmütig und denke mir, ich hätte den amerikanischen Straight Edge Punk gerne früher kennengelernt, statt mich mit der europäisierten Comedyversion in Form der Sex Pistols aufzuhalten. Das ist aber unfair – und ebenso ein Beispiel dafür, dass Mythen mit der Distanz schöner werden.
Wahrscheinlich hätten mich die amerikanischen Punks genauso schnell gelangweilt wie die Gestalten im Burggarten, unter denen ich mich als etwa Vierzehnjähriger eine Zeitlang ernsthaft auf die Suche nach intelligentem Leben gemacht habe. Gras und Heroin gab es genug, sonst war dort nicht viel kennenzulernen. Wenn ich heute an ähnlichen Szenen vorbeigehe, ist mir auch völlig schleierhaft, was ich dort gesucht hätte oder wie ich jemals auf die Idee gekommen bin, mich mit der menschlichen oder kreativen Seite von Junkies auseinanderzusetzen.
Trotzdem bleibt ein wenig die Unsicherheit, ob es nicht doch auch einen Unterschied macht, wo man – in vielleicht der gleichen aufgeschlossenen Naivität – durchs Leben geht. Rollins, die Beastie Boys, viele andere Kreative, die vielleicht gar nicht handwerklich erste Wahl waren, haben es mit harter Arbeit und Aufdringlichkeit recht weit gebracht. Im Wien der gleichen Zeit war neben einer sehr platzgreifenden Szene wenig Raum für anderes. Alles andere war eher zu verdrängen und wir auch heute noch rückblickend ignoriert. Ich habe – als kurze Nebenerzählung dazu – aufgehört mitzuzählen, wieviele Menschen ich schon kennengelernt habe, die mir eindringlich erzählt haben, die hätten den Wiener miterfunden oder zumindest maßgeblich mitentwickelt. Erstens: Wieviele Menschen braucht man für ein Magazin? Zweitens: Den Wiener? Damals schon aus Sicht eines Teenie-Metalheads der Inbegriff eines glatten, langweiligen und verkommerzialisierten Mainstream; wer wollte denn jemals etwas damit zu tun haben? Erzählt wird die Geschichte aber heute noch so, als habe es im Wien der 80er Jahre nichts anderes gegeben.
Heute sind die Klüngel älter, aber nicht kleiner geworden. Es gibt mehr verschiedene davon und es ist auch recht leicht, seinen eigenen Klüngel zu konstruieren; jede und jeder kann sich selbst aussuchen, wo er oder sie der oder die Größte sein will. Relevanter wird dadurch nichts. Dynamik ist auch sehr selten. Denn eine der wichtigsten Verhaltensregeln für Wiener Klüngel ist es, andere Klüngel maximal zu ignorieren. Aufmerksamkeit ist das wichtigste Gut, das man nur sammeln, keineswegs aber verschenken darf.
Das ist etwas, womit man sich in den Zeiten von Rollings noch deutlich leichter tat: Weniger Kommunikation, weniger Information, dafür mehr Begeisterung – man konnte und durfte noch ehrlich auf etwas abfahren. Und darin zum Beispiel ist Henry Rollins noch heute ziemlich gut: Er ist ein wandelndes Stück Begeisterung, das Nerds, die sich in Büchern, Musik oder Comics vergraben, ein gutes Gefühl gibt.

Ich kann den Emo-Müll nicht mehr sehen

Kinderaugen, größere Kinderaugen, vergessene Teddybären, Nonnen, alte Nonnen, uralte Nonnen, sehr dicke Menschen, sehr dünne Menschen, Zahnspangen- und Brillenträger, Babykatzen, Kulleraugenzeichentrickfiguren, alle werden zu Helden. Nicht etwa, weil sie etwas Großartiges auf die Reihe kriegen. Nein, sie machen langweiligen Alltagskram, verwandeln sich dabei in abgefahrene Superhelden und werden von allen Gaffern rundherum abgefeiert und bejubelt.

Es war ja nur eine Frage der Zeit. Eine Generation, die mit Emotion, Storytelling, Entertainment-Overkill und der ständigen Angst vor Überlastung von der ersten Vorschulklasse weg groß geworden ist, kommt in der Kommunikationsbranche an die Drücker und macht Werbung für eine Generation, die von ihnen schon gelernt hat, dass die Welt Kacke ist, wenn man sie sich nicht schön lügt.
Und weil trotzdem nicht alle Hand in Hand mit Regenbögen kotzenden Einhörnern über immerbunte Blumenwiesen laufen, muss das eben so lange dargestellt werden, bis nichts anderes mehr zu sehen ist.

Kampagnen, die an der Realität anknüpfen, diese weiterspinnen, eine Idee weiterentwickeln, Neues in die Welt bringen, oder auch nur dazu geeignet wären, Neues zu begleiten – ich seh das nicht mehr.

Und nein, früher war nicht alles besser. Da konnte man sich über anderes aufregen. Action-Feelgood-Emotionskram ist heute für mich jedenfalls Schweißfüße und Knoblauchfahne einer Marke: ein deutliches Zeichen, Abstand zu halten.

Und dazu muss ich noch nicht mal schlechte Laune haben.

Diskutieren kann man, wenn man seine Schäfchen im Trockenen hat

Soll man mit Rechten reden? – “Es ist unsere Arena, wir machen die Regeln.
Wir verkaufen die Tickets, promoten den Sieger und machen aus den Verlierern einen Sozialporno. Es gibt also keine Verlierer – zumindest nicht bei uns, und außer bei den echten Verlierern“, sagt die Medienblase.
 
Das Feuilleton fordert immer wieder gern die Auseinandersetzung mit neurechtem Schmus, über den es bequem von Podien, Theaterbühnen oder Kommentarseiten aus schmunzelt.
Ist ja manchmal auch gut für den Kreislauf, sich herzhaft aufzuregen, es ist eine gute Argumentations- und Logikschulung, schlecht oder fadenscheinig argumentierte Texte zu lesen und zu zerlegen, und es ist ja auch wirklich sinnvoll, die Argumente der anderen zu kennen – sei es der Auseinandersetzung oder der Bekämpfung wegen.
Muss man neurechten Publikationen deshalb mit Respekt und Unvoreingenommenheit begegnen, soll man sie vermarkten, fördern und Geschäfte mit ihnen machen?
Aus intellektueller Perspektive ist das egal: Wenn der nächste Bubikopf meint, mit Heidegger- und Nietzsche-Verballhornungen Aufmerksamkeit bekommen zu können – ok. Man könnte dazu etwas sagen, muss man aber nicht (unter anderem, weil ja schließlich Kritik das Kritisierte erstmal in den Mittelpunkt stellt und damit relevant macht).
Man kann stattdessen im eigenen Feuilleton den eigenen Interessen nachgehen.
 
Diese Wahl hat aber nicht jeder. Die Vorstellung, gesittet miteinander zu diskutieren, ist recht schön. Die Diskussion, die sich manche Journalisten hier herbeiwünschen, wird aber schon längst nicht mehr mit Worten und Argumenten geführt. Die Betroffenen sind ganz anders betroffen:
Warum soll sich ein als Kanak, N****, sonst was beschimpfter Mensch mit neurechten „Mythen“ auseinandersetzen, die eine Horde Besoffener aus einer Facebookgruppe hat, die sie von einem Youtuber hat, der sie aus einem Forum hat, dessen Mitglieder sie von einem neurechten Autor haben?
Warum soll ein junger bärtiger Usbeke im Fitnesstudio dschihadistische Propaganda auch nur so weit kennen, dass er sich davon distanzieren kann, wenn sie ihm einfach nur am A…. vorbeigeht?
Und warum soll man Autorinnen und Autoren oder Verlage dabei unterstützen, „Ideen“ in die Welt zu setzen, die dazu führen, dass dunkelhäutige Jugendliche nicht mehr ohne Reisepass oder Personalausweis aus dem Haus gehen können (weil sie sonst einfach zu viel Zeit bei Polizeikontrollen verbringen, in denen ihre Identität festgestellt werden soll)
 
Es sei Buchhändlern und Journalisten unbenommen, mit rechten Obskuranten Geschäfte zu machen. Das Deckmäntelchen der Offenheit ließe sich besser dort anbringen, wo sich neues entdecken lässt, also dort wo sich mit Krawall gut verkaufen lässt.
 
Und schließlich: Ich kenne keine Diskussion, wie sie hier herbeigewünscht wird, die langfristig etwas gebracht hätte. Man kann Argumente und Menschen kurzfristig bloßstellen, aber das hält sie nicht davon ab, alles noch mal durch den Fleischwolf zu drehen und als faktenfreies Hachée neu aufzutischen.
 
Also wer diskutieren will: Tut nur. Aber hebt euch das mit der Intoleranz für später auf. Und ich warte noch immer auf den Anti-Political-Correctness-Kommentar, der ohne Verweis auf „amerikanische Universitäten“ auskommt.

Ein niederträchtiger Hassprediger macht Entertainment. Ist das lustig?

Der Herr P. stellte sich schon als junger Mensch ganz in den Dienst seiner Sache. Rabiat, laut, gehässig, rücksichtslos, fallweise auch mit dem erklärten Ziel Gegnerinnen und Gegner menschlich und persönlich fertigzumachen.
Er verlor dann recht bald seinen Gönner, übrig blieb ein Häufchen Elend, das nie wieder ganz auf die Beine gekommen ist. Seither oszilliert er zwischen coolem Besser- und Alleswisser, der den Loosern in Rundfunk und Fernsehen sagt, wo es langgeht, obskurer Beraterfigur, an der man zwar nicht anstreifen möchte, die aber doch nützlich sein könnte, man weiß es nicht, ironisch besetzter trauriger DJ-Lachnummer auf Festivitäten der Medien-jeunesse-dorée und Erklärbär, der im wesentlichen sich selbst erklärt.
Unvergessen sind auch die Fernsehauftritte, als ihn Redaktionen in schwachen Momenten als vermeintlich seriösen Gesprächspartner eingeladen haben, er aber nur jeden Satz mit dem Hinweis auf ein eben erschienenes Buch begann.
 
Faszinierend an der Sache ist, das tatsächlich manche aus der politmedialen Blase, die sonst zu den gewissenhaftesten Rächern jedes ihrer Meinung nach falschen Gedanken gehören, ihn genau diese Obskurität halber für resozialisiert halten.
 
Ich weiß nicht, ob das peinliche Berührtheit ist, weil sie nicht Distanz halten konnten, ob es willenlose Faszination ist, Unterwerfung unter die Macht der Idiotie. Rein faktisch betrachtet haben Menschen wie der Herr P. ja recht: Pfeif auf alles, vor allem auch auf das, was du gestern gesagt hast, und du kommst besser durchs Leben. Das hat aber zu einem sehr großen Teil auch damit zu tun, dass viele Menschen ihnen recht geben.
 
Zur Rechtfertigung sind die Rechtgeber dann auch schnell mit Vergleichen bei der Hand. Ein bisschen Hasspropaganda sei doch nicht mit umstürzlerischen Tendenzen vergleichbar, Ekelrhetorik sei kein Vorläufer von Wehrsport. Naja.
Erfolgreich ekelhafte Rechtspropaganda steht in meinem bescheidenen Universum schon in irgendeinem Zusammenhang mit rechten Wahlerfolgen, durchaus auch langfristig: Denn man gewöhnt sich ja an einiges.
 
Und man kann durchaus einen Menschen, der sich üblicherweise schlecht benimmt, der sich aber jetzt gerade im Griff hat, höflich behandeln. Ich würde ihn oder sie nicht als Freund sehen und weder vergessen noch kleinreden, was er oder sie getan hat.
Das mag kleinlich oder nachtragend sein. Es tut diesem Menschen aber nicht weh. Nicht mehr, als er oder sie anderen und dem politischen und medialen Klima geschadet hat.
In solchen Dingen bin ich gern ein nachtragender Langweiler. Und ich bin auch der Meinung, dass Ironie oder Spott allein hier kein angemessener Umgang sind.
 
Ironie ist hier eine überkommene Denkfigur. Wo es eine der hervorstechendsten Eigenschaften auf dem Weg zur Macht und zum Erfolg ist, keinen Genierer zu haben, wird auch Ironie zu Applaus.

Halloween: Was ist heute schon Horror?

Gäbe es da nicht das einprägsamste Musikthema aller Zeiten, dann wäre Halloween wohl einer der vernachlässigbarsten Filme überhaupt.

Das zeigt sich im 2018er Remake umsomehr. Was soll heute schon noch Horror sein?
Michael Myers schlachtet sich beiläufig durch den Film, mindestens ein Dutzend Tote gehen auf sein Konto, Unfallopfer gar nicht eingerechnet – das sind drei mal so viel wie im Original, an das die 2018er-Version anknüpft.
Im Gegensatz zum Original wird hier aber gleixh jede Chance auf Spannung, ambivalente Charaktere oder Überraschungen zunichte gemacht.
Michael ist halt böse, das personifizierte Böse – und deshalb tötet er.
Außerdem ist er superstark, also hat man auch keine Chance gegen ihn. Wurde eigentlich jemals geklärt, woher Myers diese Superkräfte hat? Er war schließlich ab seinem sechsten Lebensjahr recht lang im Gefängis – üblicherweise nicht gerade ein Ort bester Ernährung oder auch sonst nicht sehr förderlich für die Gesamtentwicklung.
Diese Frage stellt sich auch in diesem Halloween-Film nicht, und was besonders schade ist: Es gibt einen kurzen Moment, in dem die Handlung kippen könnte, einen ganz anderen Verlauf nimmt und sich von den üblichen Halloween-Vorgaben verabschieden könnte – aber das hält keine zwei Minuten. Dann tut Michael halt wieder das, was er immer tut. Schlachten.
(Ist schon klar, filmtheoretisch gesehen: Michael Myers ist besonders, weil er alles mögliche überlebt, was andere siebzehn Mal töten würde, er bewegt sich langsam wie ein Zombie (eigentlich müsste man mühelos vor ihm fliehen könnenI, aber wenn er nicht im Bild ist, ist er geradezu telekinetisch schnell – aber das wissen wir eben nach sieben (sind es sieben?) Halloween-Versionen schon; ohne weitere Facetten in der Persönlichkeit wird die Story einfach nicht spannend.)

Und auch das Ende ist ein klischeehaftes Blockbuster-Ende. Die guten gewinnen, der Böse stirbt. Aber wir sehen seine Leiche nicht. Im flammenden Inferno steht er noch immer aufrecht und zeigt keine Regung – aus der Asche kann er locker wiederauferstehen.

Denn wie hatte schon Dr. Loomis, Michael MNyers behandelnder Psychiater, in einer der allerersten Halloween-Versionen gesagt: „Ich möchte mein Ohr an seine Brust legen, um ganz sicher zu gehen, dass da kein Herzschlag mehr ist. Und dann würde ich sofort für seine Einäscherung sorgen und sie persönlich überwachen.“ Denn vorher kann man nicht sicher sein, dass Michael Myers tot ist – aber er ist eben too big to fail.

Wirklich gruslig – im Gegensatz zum Film – ist übrigens die Lugner City an einem Wochenendabend. Dort beginnt ein anderes Universum. Ich weiß nicht, ob nur ein Gerücht oder schon näher fixiert: Die Lugner City ist der perfekte Drehort für eine nächste Mad Max-Variante …

Suspiria: so schön depressives 70er-Jahre Berlin

Ich habe „Suspiria“ im Kino gesehen und fand es gut. Vorher lief ein Trailer zu „Anna und die Apokalypse“, eine Art High School Musical mit Zombies, und es wäre echt schwer, einem Menschen, der beide Genres nicht kennt, den genauen Unterschied zu erklären.
 
Aber zurück zu „Suspiria“. Es ist eine nicht stringent erzählte Geschichte von mächtigen Hexen, die auf nicht näher erklärte Art und Weise nach Weltherrschaft streben – aber es gibt eben immer ein noch mächtigere Hexe, mit der dann niemand gerechnet hat. Neu im Remake ist im Vergleich zu Argentos Original anscheinend noch eine stärkere Nachkriegs- und Nazikomponente: Es geht um Schuld, Scham und Strafe.
Die Story ist nicht sehr konkret, aber das macht nichts – der Film ist eine Reihe von wunderschönen Bildern, toller Inszenierung und ziemlich starken Momenten in einem schön depressiv-dunklen Berlin des Jahres 1977, wo damals noch ein paar Häuser weiter David Bowie und Iggy Pop hausten.
 
„Suspiria” ist also jedenfalls eine große Empfehlung. „Anna und die Apokalypse“ werde ich mir wahrscheinlich trotzdem nicht ansehen.