Ein niederträchtiger Hassprediger macht Entertainment. Ist das lustig?

Der Herr P. stellte sich schon als junger Mensch ganz in den Dienst seiner Sache. Rabiat, laut, gehässig, rücksichtslos, fallweise auch mit dem erklärten Ziel Gegnerinnen und Gegner menschlich und persönlich fertigzumachen.
Er verlor dann recht bald seinen Gönner, übrig blieb ein Häufchen Elend, das nie wieder ganz auf die Beine gekommen ist. Seither oszilliert er zwischen coolem Besser- und Alleswisser, der den Loosern in Rundfunk und Fernsehen sagt, wo es langgeht, obskurer Beraterfigur, an der man zwar nicht anstreifen möchte, die aber doch nützlich sein könnte, man weiß es nicht, ironisch besetzter trauriger DJ-Lachnummer auf Festivitäten der Medien-jeunesse-dorée und Erklärbär, der im wesentlichen sich selbst erklärt.
Unvergessen sind auch die Fernsehauftritte, als ihn Redaktionen in schwachen Momenten als vermeintlich seriösen Gesprächspartner eingeladen haben, er aber nur jeden Satz mit dem Hinweis auf ein eben erschienenes Buch begann.
 
Faszinierend an der Sache ist, das tatsächlich manche aus der politmedialen Blase, die sonst zu den gewissenhaftesten Rächern jedes ihrer Meinung nach falschen Gedanken gehören, ihn genau diese Obskurität halber für resozialisiert halten.
 
Ich weiß nicht, ob das peinliche Berührtheit ist, weil sie nicht Distanz halten konnten, ob es willenlose Faszination ist, Unterwerfung unter die Macht der Idiotie. Rein faktisch betrachtet haben Menschen wie der Herr P. ja recht: Pfeif auf alles, vor allem auch auf das, was du gestern gesagt hast, und du kommst besser durchs Leben. Das hat aber zu einem sehr großen Teil auch damit zu tun, dass viele Menschen ihnen recht geben.
 
Zur Rechtfertigung sind die Rechtgeber dann auch schnell mit Vergleichen bei der Hand. Ein bisschen Hasspropaganda sei doch nicht mit umstürzlerischen Tendenzen vergleichbar, Ekelrhetorik sei kein Vorläufer von Wehrsport. Naja.
Erfolgreich ekelhafte Rechtspropaganda steht in meinem bescheidenen Universum schon in irgendeinem Zusammenhang mit rechten Wahlerfolgen, durchaus auch langfristig: Denn man gewöhnt sich ja an einiges.
 
Und man kann durchaus einen Menschen, der sich üblicherweise schlecht benimmt, der sich aber jetzt gerade im Griff hat, höflich behandeln. Ich würde ihn oder sie nicht als Freund sehen und weder vergessen noch kleinreden, was er oder sie getan hat.
Das mag kleinlich oder nachtragend sein. Es tut diesem Menschen aber nicht weh. Nicht mehr, als er oder sie anderen und dem politischen und medialen Klima geschadet hat.
In solchen Dingen bin ich gern ein nachtragender Langweiler. Und ich bin auch der Meinung, dass Ironie oder Spott allein hier kein angemessener Umgang sind.
 
Ironie ist hier eine überkommene Denkfigur. Wo es eine der hervorstechendsten Eigenschaften auf dem Weg zur Macht und zum Erfolg ist, keinen Genierer zu haben, wird auch Ironie zu Applaus.

Halloween: Was ist heute schon Horror?

Gäbe es da nicht das einprägsamste Musikthema aller Zeiten, dann wäre Halloween wohl einer der vernachlässigbarsten Filme überhaupt.

Das zeigt sich im 2018er Remake umsomehr. Was soll heute schon noch Horror sein?
Michael Myers schlachtet sich beiläufig durch den Film, mindestens ein Dutzend Tote gehen auf sein Konto, Unfallopfer gar nicht eingerechnet – das sind drei mal so viel wie im Original, an das die 2018er-Version anknüpft.
Im Gegensatz zum Original wird hier aber gleixh jede Chance auf Spannung, ambivalente Charaktere oder Überraschungen zunichte gemacht.
Michael ist halt böse, das personifizierte Böse – und deshalb tötet er.
Außerdem ist er superstark, also hat man auch keine Chance gegen ihn. Wurde eigentlich jemals geklärt, woher Myers diese Superkräfte hat? Er war schließlich ab seinem sechsten Lebensjahr recht lang im Gefängis – üblicherweise nicht gerade ein Ort bester Ernährung oder auch sonst nicht sehr förderlich für die Gesamtentwicklung.
Diese Frage stellt sich auch in diesem Halloween-Film nicht, und was besonders schade ist: Es gibt einen kurzen Moment, in dem die Handlung kippen könnte, einen ganz anderen Verlauf nimmt und sich von den üblichen Halloween-Vorgaben verabschieden könnte – aber das hält keine zwei Minuten. Dann tut Michael halt wieder das, was er immer tut. Schlachten.
(Ist schon klar, filmtheoretisch gesehen: Michael Myers ist besonders, weil er alles mögliche überlebt, was andere siebzehn Mal töten würde, er bewegt sich langsam wie ein Zombie (eigentlich müsste man mühelos vor ihm fliehen könnenI, aber wenn er nicht im Bild ist, ist er geradezu telekinetisch schnell – aber das wissen wir eben nach sieben (sind es sieben?) Halloween-Versionen schon; ohne weitere Facetten in der Persönlichkeit wird die Story einfach nicht spannend.)

Und auch das Ende ist ein klischeehaftes Blockbuster-Ende. Die guten gewinnen, der Böse stirbt. Aber wir sehen seine Leiche nicht. Im flammenden Inferno steht er noch immer aufrecht und zeigt keine Regung – aus der Asche kann er locker wiederauferstehen.

Denn wie hatte schon Dr. Loomis, Michael MNyers behandelnder Psychiater, in einer der allerersten Halloween-Versionen gesagt: „Ich möchte mein Ohr an seine Brust legen, um ganz sicher zu gehen, dass da kein Herzschlag mehr ist. Und dann würde ich sofort für seine Einäscherung sorgen und sie persönlich überwachen.“ Denn vorher kann man nicht sicher sein, dass Michael Myers tot ist – aber er ist eben too big to fail.

Wirklich gruslig – im Gegensatz zum Film – ist übrigens die Lugner City an einem Wochenendabend. Dort beginnt ein anderes Universum. Ich weiß nicht, ob nur ein Gerücht oder schon näher fixiert: Die Lugner City ist der perfekte Drehort für eine nächste Mad Max-Variante …

Suspiria: so schön depressives 70er-Jahre Berlin

Ich habe „Suspiria“ im Kino gesehen und fand es gut. Vorher lief ein Trailer zu „Anna und die Apokalypse“, eine Art High School Musical mit Zombies, und es wäre echt schwer, einem Menschen, der beide Genres nicht kennt, den genauen Unterschied zu erklären.
 
Aber zurück zu „Suspiria“. Es ist eine nicht stringent erzählte Geschichte von mächtigen Hexen, die auf nicht näher erklärte Art und Weise nach Weltherrschaft streben – aber es gibt eben immer ein noch mächtigere Hexe, mit der dann niemand gerechnet hat. Neu im Remake ist im Vergleich zu Argentos Original anscheinend noch eine stärkere Nachkriegs- und Nazikomponente: Es geht um Schuld, Scham und Strafe.
Die Story ist nicht sehr konkret, aber das macht nichts – der Film ist eine Reihe von wunderschönen Bildern, toller Inszenierung und ziemlich starken Momenten in einem schön depressiv-dunklen Berlin des Jahres 1977, wo damals noch ein paar Häuser weiter David Bowie und Iggy Pop hausten.
 
„Suspiria” ist also jedenfalls eine große Empfehlung. „Anna und die Apokalypse“ werde ich mir wahrscheinlich trotzdem nicht ansehen.
 

Dinge

Ich glaube, es war eine Kunstfigur von Josef Hader. Ein zurückgezogener, etwas menschenscheuer bis menschenfeindlicher Typ, der nicht wirklich viel mit seiner Umgebung anzufangen wusste. „Ich mag ja Menschen nicht so“, sagte er dann irgendwann im Programm. „Ich mag lieber Sachen“, sagte er mit einer schwärmerischen streichelnden Handbewegung, mit der andere Kurven, glänzendes Blech oder funkelnde Schätze beschreiben würden.
Sachen waren dabei aber keine Sammlerstücke, keine glänzenden besonderen Erinnerungsstücke, sonder einfach Dinge, die man in die Wohnung, ins Regal stellen konnte. Sie reden nicht zurück, sie hören zu, sie sind austauschbar und sie sind einfach immer da.
Haders Figur war kein cooler Typ, eher ein bemitleidenswerter Nerd, ein weinerliches Häufchen Elend, aus dem mit wenigen Schritten auch ein Psycho-Amokläufer werden könnte.
Oder ein erfolgreicher Instagram-Influencer, Shop-Betreiber oder Creative Director eines Lifestyle-Magazins. Ich muss immer wieder an Haders Dinge-Liebhaber denken, wenn ich irgendwo, recht weit von Wien entfernt – durch Stadtteile spaziere, die ein Abklatsch voneinander sind und dabei eigentlich auch ein Abklatsch von Bildern, die es außerhalb gezielt gestalteter Lifestyleblätter nicht gibt. Zumindest nicht als funktionierende Praxis.
Café-Bars mit absurden Öffnungszeiten, in denen man weder einen Morgenkaffee noch abends einen Drink nehmen kann (weil sie nur von 10-18 Uhr geöffnet sind), Yogastudios und dutzende Kunsthandwerks- oder Interiordesign-Läden in denen es, naja, Dinge zu kaufen gibt. Dinge, die es überall auf der Welt gibt.

Manchmal gerate ich auch in DIY-Höllen in Hotels oder AirBnB-Wohnungen: Umgebungen, in denen sich Dinge stapeln, die keine Bedeutung, keinen Nutzen und keine Funktion haben. Als Massenware nicht mal Erinnerungswert. Gut, manche wurden auch individuell gefertigt – natürlich angeleitet von Bestsellern wie dem Buch: “DIY Jutetaschen”. Oder von schlauen Listicles mit dem verräterischen Schlagzeile “DIY zum Selbermachen”.

Am Anfang dieser Entwicklung hin zur Verbreitung des immer gleichen standen vielleicht große Handelsketten, die die Weltmärkte erobert haben. Jetzt sind es betonte Individualisten, „Love-what-you-do“-Prediger, „Enjoy Life“- und „Follow your Dream“-Apologeten, die, wenn sie nicht gerade in Podcasts austauschbare Predigten halten, eben Shops eröffnen, in denen tolle Blumenvasen, Buchstaben (“LOVE“!) oder Buddhastatuen verkauft werden. Natürlich individuell, natürlich mit Design und natürlich mit einer Story dazu, denn die ist ja alles. Und auch immer die gleiche.
Und sie mögen eben Dinge. Weil Dinge der Persönlichkeit Ausdruck verleihen, sich widerstandslos in eine Inszenierung einfügen und auch wieder weggeworfen werden können. Und es denkt sich niemand mehr etwas dabei, Lifestyle-Magazinen den Untertitel „Dinge die wir lieben“ zu verleihen.
Dinge beschweren sich ja dann vielleicht auch weniger über die Art und Weise, in der sie ins Blatt gerückt werden. Sie reden eben nicht zurück.

Man könnte es Bosheit nennen. Ich nenne es lieber Dummheit

Ich habe heute früh Zeitung gelesen und bin nachhaltig verwirrt. Rudolf Taschner, Nationalratsabgeordneter der ÖVP, referiert in der Parteiakademie der ÖVP zu einem Thema, das nicht sein Fachgebiet ist – und das ist dem Standard als unabhängige Zeitung eine Veranstaltungsankündigung wert, die es sogar auf die Seite 1 der App schafft. Das ist die erste Verwirrung. Taschner möchte nämlich etwas Gesellschaftspolitisches über 1968 erzählen.
Conrad Seidl, der diese Ankündigung fabriziert hat, schwafelt etwas von Privatem und Politischem, verwechselt dann Politisches mit Staatlichem und kommt so zu dem Schluss, dass Privatisierung ganz ok sein muss, denn wer will schon überall vom Staat überwacht werden? Eine Post-68er-Haltung, die auf politische Aspekte in auch scheinbar privaten Sphären aufmerksam macht, wird so vermeintlich als Verwirrung enttarnt; Taschner möchte schließlich 1968 gern als das verwirrte Zeitalter betrachten, eines, das Verwirrungen in Gang gesetzt hat, die bis heute anhalten. „Ein Jammer“, meint Taschner.
Verwirrend, finde ich.
Deshalb, wenn es um so diffizile Themen geht, muss ein großer Klassiker zitiert werden. Conrad Seidl zieht Hobbes als As aus dem Ärmel: “Die Konsequenz daraus, dass alles Private eben auch politisch wäre, hält er (Taschner, Anm)  für gefährlich: ‘Da übernimmt sich der Staat. Am Beginn der modernen Staatstheorie steht ja Thomas Hobbes, der den Staat als Leviathan sieht und die Trennung des Privaten vom Staatlichen fordert’.“
Ok. Na gut. (Das ist die dritte große Verwirrung)
Aber vielleicht sollte man, wenn man schon Hobbes zitiert, auch daran erinnern, dass das der mit Wolf ist, der als Grundlage seiner Theorie vom Gesellschaftsvertrag einen fiktionalen Urzustand annahm, in dem Menschen nicht gerade mit Einhörnern schmusend über Blumenwiesen liefen. Und eben deshalb sollte es eben, findet Hobbes (und der ist eigentlich kein 68er), einen Staat geben, der auch solche Situationen in den Griff bekommt und den Rahmen für einen friedliches Zusammenleben schafft. Und eben weil der Urzustand so eine unfreundliche Angelegenheit ist, muss der Staat eben auch manchmal bedrohliche Züge haben, findet Hobbes, und fabuliert vom Leviathan.
 
Ob das so sein soll, wem Gesellschaftsverträge, Verträge überhaupt, oder gar so diffizile Konstrukte wie Vertrauen, die eigentlich die Grundlage jedes Vertrags sind, nützen, ist eine andere Frage.
Klar ist aber: Der Staat ist nicht „das Politische“. Politisch ist die Tatsache, dass es so etwas wie einen Staat braucht (wenn unsere Mitmenschen nicht lauter mündige Anarchisten sind). Privat ist für manche Drogenkonsum, für andere häusliche Gewalt. Die Diskussion dieser Meinungen ist dann Politik.

Intellektuelle Machtdemonstrationen

Geoffroy de Lagasnerie ist ein neues Wunderkind der akademischen Philosophie in Frankreich, seit seinen früheren 30ern Professor an der Ecole Normale Superieure, einer der Gehör findet, wenn er sich äußert. Das ist auch zugleich eine der Schwachstellen seines Buchs „Denken in einer schlechten Welt“.
Der Text ist ein Manifest für die Verantwortung der Intellektuellen, für die Selbstverständlichkeit, Position zu beziehen. Das Bild des engagierten Intellektuellen, das Engagement in einen nicht selbstverständlichen Zusatz eines von praktischer Verantwortung befreiten Intellektuellen verwandelt, ist die Zielscheibe seiner Kritik.
Für Lagasnerie ist es selbstverständlich, dass der denkende Mensch immer auch ein Anliegen hat und gegen herrschende Verhältnisse arbeitet. In seinen Argumenten stecken viele Grundzüge, die jeder kennt, der oder die gegen bestehende Verhältnisse argumentiert:
  • Kritik ist immer zweischneidig, weil sie auch in ihrer schärfsten Form die Vorherrschaft des Bestehenden anerkennt und bekräftigt (Lagasnerie führt das am Beispiel von Foucaults Gefängniskritik aus: Jede Kritik an der sozialen Funktion von Gefängnissen bekräftigt erst einmal, das Gefängnisse eine soziale Funktion haben und dass Strafe, Korrektur, Sozialisierung wünschenswerte, mögliche und im Rahmen der Gefängnislogik verhandelbare Ziele sind).
  • Kritik räumt dem Kritisierten (und damit dem Gegner) Raum ein – auch und gerade, wenn dessen Positionen als fundamental falsch erachtet werden. Sie müssen nur weit verbreitet sein. (Das lässt sich am plakativsten an (anti)feministischen Diskursen nachvollziehen, in denen immer wieder traditionell patriarchalische Positionen reklamiert werden – obwohl sie nicht Thema sind.)
  • Sich aus diesem Sumpf zu befreien, ist anstrengend. Wenn der Befreiungsschlag intellektuell redlich sein soll, ist es um so anstrengender – es müssen neue Positionen geschärft und deren Basis geklärt werden. Vertreter der kritisierten Positionen dagegen können auf ein breites Repertoire schon oft durchgespielter Argumente zurückgreifen, sie haben die Macht des manchmal auch nur scheinbar Faktischen auf ihrer Seite, und (Lagasnerie schickt Bourdieu ins Rennen): „Jeder Dummkopf kann den Status Quo verteidigen“.
Bis hierher kann man zur Gänze zustimmen.
Problematisch ist aber, was Lagasnerie dabei für hinderliche oder förderliche Faktoren hält.
Hinderlich ist seiner Meinung nach, dass die intellektuelle Welt in Disziplinen gespalten ist, wenig gemeinsames Vokabular hat und erst an der Bereitschaft, sich zu verständigen, arbeiten müsste. Lagasnerie plädiert für ethische Räume, die einen gemeinsamen Hintergrund schaffen und klassische Trennlinien überwinden.
Förderlich ist seiner Meinung nach die Tatsache, dass heute jedermann publizieren und sich Gehör verschaffen kann. – Damit komme ich wieder zu meinem allerersten Einwand zurück. Publizieren kann jede und jeder, gehört wird kaum jemand – schon gar nicht in Kreisen, die über die engste Nähe hinausgehen. Das liegt nicht nur an Reichweitenproblemen und der Allgegenwart von Medien und Publiziertem. Das liegt auch, wenn nicht vielmehr, an unterschiedlichen Erwartungen und Arghumentationsweisen, an logischen Grenzen, die überwunden werden müssten, um Information entstehen zu lassen, um andere Sichtweisen verständlich werden zu lassen.
Gerade weil jede und jeder publizieren kann, ist es viel einfacher, passende und für das eigene Weltbild stimmige Informationen zu suchen, als sich in eine Auseinandersetzung zu mühen.
 
Lagasneries Absicht ist sicher redlich, es fällt allerdings schwer, nicht genau den abgehobenen elitären in seine Luxusprobleme vertieften Besserwisser darin zu sehen, der eben mühelos ignoriert werden kann.
Wenn ein junger akademisch erfolgreicher Mensch die größten Hürden seiner Wirkung in akademisch gezogenen und gehüteten Trennlinien sieht, dann ist das schon ziemlich traurig. Noch trauriger ist nur, dass er damit – zumindest auf die Wirkung akademischen Arbeitens bezogen – recht hat.
 
Aber zurück zum Praktischen: Ein richtiger Gedanke ist zugleich ein Aufruf zur Veränderung. Man bemüht sich nicht darum, einen Gedanken folgerichtig, nachvollziehbar und überzeugend darzustellen, wenn man nicht auch an dessen Umsetzung interessiert wäre. Irgendwo gibt es doch noch eine Art Konsens, dass Handeln sich an Richtigkeit orientieren sollte.
Dessen, und auch das ist eine der Essenzen von Lagasneries Manifest, sollten sich Intellektuelle bewusst sein – auch und gerade, wenn sie sich konservativ geben. Jedem schlüssigen Gedanken wohnt auch eine Aufforderung inne – die zu verändern, oder zu bewahren, die, etwas zu tun, um sich der Essenz des Gedankens anzunähern, oder die, etwas zu unterlassen, um zu bewahren.
„Ich sag’s ja nur“, „Ich spreche nur die Wahrheit aus“ – das sind Verkürzungen, die nicht zulässig sind. In der Theorie sind solche Aussagen möglich, praktisch beschneiden sie allerdings die Fundamente ihrer eigenen Möglichkeit. Sie priorisieren, blenden aus, geben Richtung – sie sind niemals einfach nur neutral. Je weniger Voraussetzungen jemand explizit für seine Aussage bemühen muss, desto mehr Macht demonstriert er oder sie damit. Macht bedeutet hier, sich auf Gesetztes, Vorhandenes zu berufen und hier auch auf Unterstützung zählen zu können.
 
Lagasnerie streift das. Von hier aus würde es sich lohnen, weiterzudenken. In Lagasneries Buch passiert das leider nicht.

Talkshows in Österreich: Clowns auf der Blutwiese

Zwei traurige Clowns lassen sich auf der Blutwiese aufeinander hetzen. Beide sind bekannt dafür, ehemals auf nicht ganz klare Art und Weise bei vielen Dingen mitgemischt zu haben, ganz in die erste Reihe haben sie es nie geschafft, aber sie waren wohl laut genug, um drei CEO- und vier Präsidentenjobs gleichzeitig mit ihren Egos füllen zu können. Verbale Harald Mahrers also sozusagen (von dem hat man übrigens schon lang nichts mehr gehört).
Bis einer weint, war wohl die ganz klare Devise dieser Grind-Rauferei auf einem der unterirdischsten Kanäle. Und jetzt weint ausgerechnet der Clown, der vor wenigen Wochen der ganzen Welt sagen wollte, dass er in dieser Sendung auch einmal lachen musste. Er möchte nicht mehr mit dem anderen Clown streiten, weil dieser sich nicht an Regeln hält. Ein Zombie beschwert sich also über den anderen, dass dieser im postapokalyptischen Ambiente des Onlinefernsehens lieber sein eigenes Splatterdrehbuch schreibt, anstatt im gemeinsamen Softporno dem anderen nur mal kurz auf den Hintern zu klopfen und dann wieder brav zu sein.
Clown 2 ist also der böse, Clown 1 dagegen sagt plötzlich, er hätte hier ja nur mitgemischt, um den Rechten etwas entgegenzusetzen – natürlich, der feinfühlige Zauberer der gedrechselten Worte, der Fairness und die logische Reinheit des Diskurses auf Samthandschuhen auf einem seidenen Prinzessinnenkissen vor sich her trägt und der Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit und uneitle Faktentreue zu seinem Markenzeichen gemacht hat, hat sich nur um des Anstands und Diskursniveaus wegen in diese Niederungen begeben.
Zurück bleiben zwei traurige Idioten, ein paar Wochen mit schlechten, unsauberen Unterhaltungen und Argumenten, und die Limbolatte der schlechten Diskurse wurde eben noch ein paar Zentimeter tiefer gehängt.

Es bleibt halt Österreich

Ich habe Waldheims Walzer gesehen. Manchmal schmerzhaft, wie alt die 80er Jahre sind, wo sie doch gar nicht so lang her scheinen.
Der Film ist eine solide Doku mit einer recht persönlichen Note von Ruth Beckermann, die hier auch ihre ersten eigenen Filmaufnahmen recycelt. Und es ist auf mehreren Ebenen ein sehr sehr österreichischer Film:
  • Wir sehen ÖVP-Granden von vor 30 Jahren, die die gleichen „Wieder zurück“-Sprüche predigen, die ÖVPler heute wieder auf den Lippen haben.
  • Wir sehen Figuren wie Alois Mock, der heute als Grenzöffner vergöttert wird, der gegen „hasserfüllte“ Kampagnen des Jewish World Congress wettert.
  • Wir sehen viele andere wütende ÖVPler und Österreicher, die sich über „Hass“ beklagen, der ihnen entgegenschlägt.
  • Einmischen, anpatzen, uns etwas vorschreiben – das hat der Österreicher gar nicht gern, schon gar nicht, wenn er bei der ÖVP ist
  • Wer Nazis, Antisemiten, Ausländerfeinde verteidigt, ist ein Realist – alle anderen sind Träumer und Phantasten. Auch das war vor 30 Jahren schon so.
  • Auf der anderen Seite inszeniert sich eine kleine Gegenöffentlichkeit aus Journalisten, Anwälten die sich ein wenig eifersüchtig als einzige Kämpfer des Wahren und Guten sehen.
  • Aber Rosa Jochmanns Rede bei einer der letzten Kundgebungen war ein flammender Beitrag einer Aktivistin, Widerstandskämpferin und Politikerin. Nicht Werbung, für die dann jemand einen Werbepreis abkassieren möchte.
Es ist halt Österreich …