Social Network-Phänomen Pornojournalismus

„…what happened next, will blow your mind“. „…watch this dad learn a lesson for life.“ „…will absolutely make you cringe.“ „…game changing life-hack.“ „…du hättest im Leben nicht damit gerechnet, was es wirklich ist.“ „…got the best reward ever in return.“ – Seit Facebook-Posts dazu ansetzen, für Medien wichtiger zu werden als Schlagzeilen oder Covers, multipliziert sich die Intensität sinnloser Versprechungen ins Unermessliche. Es gibt viel mehr Platz für Sensationen – dumm nur, dass sich Sensationen nicht im gleichen Ausmass multiplizieren. Wobei es durchaus unterhaltsam sein kann, einfach mal ein paar Minuten lang alles anzuklicken, das irgendwo vielversprechend klingt. Dass dabei nichts zu erwarten ist, wissen wir ja – und ein paar Lacher sind mehr als ok.

Pornojournalismus

Ein bisschen tragischer dagegen ist schon, dass Medien wie die Huffington Post oder Buzzfeed, die diese Technik besonders exzessiv praktizieren, auch von Digital-Kritikern als gelungene Beispiele für digitalen Journalismus betrachtet werden. Das ist ja fast schon gemein – eine subtile Kombination aus Anerkennung (kommerzieller Erfolg ist möglich) und vernichtender Kritik (das ist alles, was ihr zustande bringt).
Damit bewahrheitet sich, was schon seit den frühen 90ern gilt: Die Pornoindustrie, Meisterin immer neuer Versprechen für das immer gleiche, ist einfach immer wieder Vorreitern im digitalen Business.
Noch tragischer ist allerdings, dass sich die diversen Posts, Videos und Listen meist schon über einen Zeitraum von drei Wochen immer öfter wiederholen, bis sie wirklich jeder geshared hat. Zeit, mal an was neues zu denken – gilt aber vor allem auch für mich als Nutzer…

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Anmerkung zum Foto: aus der aktuellen Wiener Achse-Ausstellung in der Pratersauna; Collagen von Martin Grandits

“Die Selbstwahl als Philosoph ist gerade am Anfang oft eine narzisstische” – Was kann der philosophische Praktiker?

Die Praxis kennt keinen Glamour. Das ist oft so, in Alfred Pfabigans Philosophischer Praxis Märzstrasse ganz besonders. Hier stapeln sich Bücher in einer kleinen Wohnung im fünfzehnten Bezirk; Besucher werden durch ein enges Vorzimmer in ein kleines Büro mit schwarzer Ledercouch geführt – das ist alles.
Philosophische Praxis ist seit bald dreißig Jahren ein Begriff, seit Roland Düringer mit dem philosophischen Praktiker Eugen Schulak Bücher schreibt, bekommt die Branche auch ein wenig mehr Aufmerksamkeit.
Das Institut für Philosophie der Universität Wien überlegt die Einrichtung eines eigenen Lehrgangs für Philosophische Praxis, und eben Alfred Pfabigan kündigt mit seiner Praxis auch an, die Branche ein wenig zu institutionalisieren. Ab Herbst soll es auch hier einen Ausbildungslehrgang zum Leiter einer Philosophischen Praxis geben.

Philosophische Praxis

„Der Philosoph leistet Formulierungshilfe und macht aus sozialen Problemen textuelle Probleme. Er gibt ihnen sprachliche Form.“

Philosophie ist in vielen Fällen ein missbrauchter Lifestyle-Begriff, den sich Gastronomen, Designer oder Unternehmensberater gleichermassen auf die Fahnen heften. Populäre Philosophen wie Richard David Precht schaffen es, Philosophie-Happen mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen, praktisch orientierte Denker wie Mark Rowlands verbinden populäre Themen und Formate mit philosophischer Methode. Und was macht der philosophische Praktiker?
„Alle haben Jobs“, relativiert Pfabigan gleich einmal. „Ich bin durch meine Pensionen ja ebenfalls subventioniert.“ Neue Geschäftsfelder ergeben sich auch für Philosophen mit Praxis nur spärlich. Pfabigan bezeichnet seine Tätigkeit als „teilnehmende Wirtschaftsethik. Oft ist das auch Sozialarbeit – wenig oder gar nicht bezahlte.“ Die Kunden reichen von sozialen Initiativen im Bezirk über große Institutionen bis zu Konzernen.
In vielen Fällen sind die Themen ethischer Natur: „Manche Kunden brauchen einen Freispruch, weil sie etwas getan haben, das gesetzlich nicht verboten ist. Wir sind aber keine Weisswäscher.“

Der Philosoph beschäftigt sich auch nicht damit, Entscheidungen zu treffen oder Urteile zu fällen, sondern mit der Klärung von Identitäten und Begriffen. Ein Beispiel, das Pfabigan zitiert, betrifft Spitalsapotheker und teure Medikamente: Ein nur wenige Wochen lebensverlängernd wirkendes, aber sehr teures Krebsmittel ist in Österreich zugelassen. „Spitalsapothekern war die Entscheidung überlassen, ob sie den Einsatz in ihrem Bereich unterstützen oder nicht. Im Kodex des Berufsstandes steht nun an einer Stelle sinngemäss ‚Du sollst dem Patienten die Behandlung ermöglichen, die er will‘, gleich ein paar Zeilen weiter heisst es aber, Spitalsapotheker sollen im Sinn des Allgemeinwohls handeln. Und die Kosten für dieses Medikament verursachen Löcher im Budget, die unter Umständen die Finanzierung von anderen Therapien gefährden.“ – Praktisch eine Situation, in der viele Perspektiven und moralische Standpunkte eingebracht werden können, aus philosophischer Sicht das Problem zweier sehr unterschiedlicher, in einem Text vermischter Denkweisen: Der kategorische Imperativ “Du sollst dem Patienten die Behandlung ermöglichen, die er will“ lässt keine Ausnahmen zu, der Appell an das Allgemeinwohl dagegen bringt eine utilitaristische Position ein – damit kommt die Frage der Nützlichkeit ins Spiel, die vor allem in diesem Beispiel auch ganz andere Rahmenbedingungen berücksichtigen muss, als die Wünsche des Patienten. Eine Situation, aus der es grundsätzlich einmal keinen Ausweg gibt.
Andere Beratungsfälle sind weit einfacher – „Oft steckt jemand nur in einer Situation, die es ihm gerade unmöglich macht, seine eigene Klugheit für sich selbst zu nutzen. Da kann schon ein kurzes Gespräch viel helfen.”
In komplexeren Angelegenheiten das eigentliche Problem zu formulieren, sieht Pfabigan als die Aufgabe des philosophischen Praktikers. „Der Philosoph leistet Formulierungshilfe und macht aus sozialen Problemen textuelle Probleme. Er gibt ihnen sprachliche Form.“ Darin stecken keine Entscheidungen – das schafft nur die Möglichkeit, über Probleme reden zu können.
Das erfordert vor allem genauen Umgang mit der Sprache – eine Fähigkeit, die Pfabigan für sich auch im Rechtsstudium entdeckt hat: „Das Studium der römischen Digesten, die das eigentliche Problem erst mitten im Text verstecken, war eine sehr hilfreiche Übung.“
Genauigkeit und Nachdenklichkeit sind auch die Eigenschaften, die Pfabigan in seinen Ausbildungskandidaten sucht. Philosophische Ausbildung ist eine Voraussetzung, dazu die Fähigkeit, Autoren wie Hegel und Kant verstehen zu können, und sie verständlich zu erklären – allerdings ohne zu vereinfachen. „Wir sind uns einig, dass wir keine Frischlinge aufnehmen wollen.“ Grund dafür ist weniger die gefragte philosophische Erfahrung, sondern der Stellenwert der Ausbildung. „Philosophie ist auch in der Praxis kein geschütztes Gewerbe, es ist kein Grund, jemanden auszuschliessen. Auch der philosophische Praktiker ist kein Berufsbild im klassischen Sinn – als Praktiker bleiben Sie ein Strassensänger, der wie viele andere auch seine Dienste anbietet. Deshalb muss ich mich fragen, was ich mit der Ausbildung verantworten kann.“ Erfahrung und die Fähigkeit zur Empathie sind demnach zwei weitere wichtige Kriterien in der Auswahl der Ausbildungskandidaten: „Die Selbstwahl als Philosoph ist gerade am Anfang oft eine narzisstische.“ – Was in der philosophischen Praxis eher ein Hindernis ist. 
Darauf ist auch der Ausbildungsweg zur philosophischen Praxis ausgerichtet. Neben philosophischen Grundlagen werden vor allem wirtschaftliche Kompetenzen vermittelt. Geschäftsmodelle für philosophische Praxen, Steuerliches, Subventionen und Kooperationen sollen Praktikern helfen, die wirtschaftliche Seite ihres Unternehmens in den Griff zu bekommen.
Der dritte große Bereich in der Ausbildung liegt in der Selbsterfahrung. „Selbsterfahrung wird ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Ich habe selber in den achtziger Jahren als Berater gruppendynamisch schlimme Dinge angerichtet und ganze Gruppen von Managern in die kollektive Depression geschickt. Eine destruktive Kundenbeziehung ist ein großes Problem für beide Seiten.“

Offen ist noch die genaue Preisgestaltung der Ausbildung. „Vor allem Selbsterfahrung ist nicht billig – aber wir wissen von unseren bisherigen Veranstaltungen recht genau, wo die Schmerzgrenze beim Preis liegt. Und der Preis soll auch in Relation zu dem wirtschaftlichen Nutzen stehen, den Absolventen aus der Ausbildung ziehen können.“
Die Bandbreite der philosophischen Praxis ist zwar groß, aber das Berufsfeld hat sich noch nicht etabliert. „So weit mir bekannt, gibt es auch noch keine Evaluierung, wie philosophische Beratung wirkt, wie sie von den Klienten erlebt wird.“ – Die griffigen Erfolgsstories lassen noch auf sich warten…

Einen Entwurf für das Curriculum des Ausbildungslehrgangs an der Universität gibt es hier; Pfabigan möchte sein Programm in Kürze ankündigen.

Links

Philosophische Praxis Märzstrasse

Gesellschaft für Angewandte Philosophie

Crowdfunding: Soviet Bus Stops

Die Gebilde stehen verlassen am Strassenrand, ein Bus fährt nur noch alle Tage vorbei. Trotzdem ziehen sie im Moment weltweit Aufmerksamkeit auf sich: Der kanadische Fotograf Christopher Herwig hat über Jahre hinweg Busstationen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion fotografiert.
Die Sammlung wird jetzt in einem Fotobuch veröffentlicht, dazu läuft gerade eine der erfolgreichsten Kickstarter-Kampagnen der letzten Zeit.
Herwig entdeckte die Stationen während beruflicher Reisen durch Russland und kam später wieder, um während meherer Jahre gezielt nach den schrägsten und kreativsten Konstruktionen zu suchen. Das Ergebnis ist sehenswert – und ein Zeichen mehr, wie gut Crowdfunding-Kampagnen funktionieren, wenns die Sache trägt.
Die Aktion läuft noch bis 27. März; das Buch wird in einer limitierten Auflage von 500 Stück erscheinen (heute waren noch 87 verfügbar..).

 

Wo bleibt jetzt der Tsunami?

[dropcap type=”3″]I[/dropcap]mmer wenn Medienpropheten zur nächsten grossen Erklärung über Gedeih und Verderb der Medienbranche ansetzen, macht sich erst einmal Enttäuschung breit. Wieder ein paar Argumente zu Reichweite und Werbeformen, wieder einmal mehr vom Gleichen.
Wer zuletzt großen Zuspruch fand, ist Nicolas Clasen mit seinem “Der Digitale Tsunami”.
Clasen analysiert aktuelle Entwicklungen in den großen Verlagshäusern und in der Gang of Four (Apple, Facebook, Amazon, Google), die die digitale Branche dominiert.
Medienhäuser, so seine Analyse, entwickeln sich digital an ihrer Kernkompetenz vorbei. Das ist so. Gerade wer Jubelmeldungen über steigende Onlineanteile an Verlagsumsätzen näher betrachtet, stell fest: Mit Medien im journalistischen Sinn haben die fröhlich neu erschlossenen Umsatzbringer nichts zu tun. Es sind die traditionellen Onlinecashcows, an denen sich jetzt eben auch traditionelle Verlage vermehrt beteiligen: Singlebörsen und Fitness-Apps. Inhalte spielen dabei bestenfalls eine untergeordnete Rolle, Redaktionsjobs entstehen nicht.

Digital Tsunami

Eine Entwicklung, die man unterschiedlich einschätzen kann: Springer-Chef Mathias Döpfner wird von manchen als digitaler Superheld gefeiert, als einer der wenigen Verlagsmanager, die digitale Trends verstanden haben, andere betreiben fröhliches Sellout-Bashing und betrachten ihn nachgerade als Verräter.
Die Verlockung, auch andere Geschäftsfelder zu erschliessen, ist verständlich – vor allem  angesichts der digitalen Businessmodelle, die Clasen auch beschreibt. Mit tatsächlich digitalen Produkten, die nicht nur digital vermarktet werden, haben es die Riesen der Branche geschafft, das Gesetz der sinkenden Grenzerträge auszuhebeln. Früher galt, dass Wachstum zwar gut ist, aber seine Grenzen hat – irgendwann müssen neue Produktionsstätten, neue Logistikzentren und mehr Personal aufgebaut werden, die Kosten steigen sprunghaft an, und es müssen deutlich mehr Umsätze erzielt werden, um die Erträge wieder auf das Niveau vor dem Wachstumssprung zu bringen.
Wer weder Produktionsstätten noch Logistikzentren braucht, sondern allenfalls Personal, dass aber auch in investitionsschonende Homeoffices ausgelagert werden kann, hat es mit der Skalierbarkeit um einiges leichter. Dem Wachstum sind praktisch keine Grenzen gesetzt, das Tor zur Monopolisierung auf Grund der reinen Grösse ist geöffnet. In der Wirtschaftsforschung ist das als Arthurs Gesetz beschrieben.
Jetzt liessen sich zwar digitale Medieninhalte auch problemlos beliebig lang und weit vervielfältigen – nur interessiert das niemand. Sprachbarrieren, Aktualität und regionale Relevanz ziehen hier natürliche Hürden ein, die die Vermarktbarkeit von Medieninhalten beschränken.
Clasens Ausweg ist die Werbung. Medienbetreiber sollten sich flexibler an die Auktionsmodelle in der Onlinewerbung anpassen. Auktionsmodelle wie Google Adwords, bei denen Werbetreibende einander preislich um die besten Werbeplätze (ermittelt aus Userdaten und den Interessen bzw. Suchbegriffen der User) überbieten, nutzen in erster Linie dem Vermittler, aber auch dem Medieninhaber, der sich nicht selbst um große Werbedeals kümmern braucht, sondern – im werblichen Sinn attraktive Inhalte vorausgesetzt – über Google vermarktet wird.
Real Time Bidding verfolgt grundsätzlich das gleiche Prinzip – nur ohne Google: Zielgruppenorientierte Buchungen von Werbetreibenden werden in Echtzeit, sobald ein User eine Seite aufruft, den Interessen des Users gemäss und abhängig vom Gebot, das der Werbetreibende abgegeben hat, ausgeliefert und in der Seite angezeigt. Voraussetzung dafür ist, dass der Medieninhaber zumindest einen Teil seiner Werbeplätze Real Time Bidding-Plattformen zur Verfügung stellt.
Der Vorteil: Werbetreibende erreichen die gewünschte Zielgruppe treffsicher und ohne Streuverlust, den Fixplatzierungen oder klassische Rotationen mit sich bringen. Der Medieninhaber punktet mit der Qualität seiner Leser und Inhalte – eine ausreichende Reichweite vorausgesetzt.

So weit, so einleuchtend. Clasen stellt auch dar, dass die vermeintlich günstige Onlinewerbung bei genauer Betrachtung der echten Kosten pro User durchaus ebenso teuer ist wie klassische Fernsehwerbung, und er geht auf unterschiedliche Arten von Werbung und die Bereitschaft der Werbetreibenden, dafür mehr oder weniger zu bezahlen, ein: Auf direkte Transaktion zielende Werbung, die Sonderangebote promotet und den User sofort zu Reaktionen bewegen möchte, wird vorrangig online eingesetzt. Dort ist der User aktiv; er konsumiert kein Programm, sondern klickt aktiv, mehr oder weniger schnell und soll, so die Werbe-Annahme, eben auch manchmal auf Werbung klicken. Die Klickzahlen sind bekannt ernüchternd und haben seit der Erfindung des Banners nicht zugenommen – so wie sich auch die Werbeform des Banners kaum verändert hat. Dementsprechend wenig wird dafür bezahlt.
Imagewerbung, die nicht unmittelbar auf Transaktion aus ist, sondern eher langfristig der Markenpflege dient, findet dort statt, wo Medien passiver konsumiert werden und wo auch die Zielgruppe gut dokumentiert ist. Das trifft auf klassische Medien wie Magazine oder Fernsehsendungen zu – großflächige Inserate und Werbespots werden als Teil des Programms konsumiert. Dafür werden größere Budgets investiert – und die Onlinebranche bekommt davon kaum etwas mit.
Das liegt zum Teil am gewohnten Medienkonsumverhalten, zum Teil daran, wie Onlinemedien nach wie vor funktionieren. Sie sind auf schnelle Klicks angelegt, kaum jemand wagt es, lange Inhalte einzusetzen oder investiert darin, diese gut aufzubereiten.
Die Entwicklung zu einem angenehmen, auch digital funktionierenden Lese-Erlebnis wäre durchaus ein nächster Schritt in der Entwicklung der Digitalbranche und verspricht mehr redaktionelle Qualität als die Investition in Singlebörsen und Fitness-Apps. Die Praxis sieht allerdings anders aus: Ad Impressions müssen nach wie vor abgearbeitet werden als gäbe es keine Alternative. Wohin Versprechungen qualitativer Inhalte führen, haben wir oft gesehen und sehen es immer wieder – die Qualität beschränkt sich meist auf die Gestaltung der Mediadatenblätter. Insofern ist Clasens Schluss, dass vor allem öffentlich-rechtliche Fernsehsender und Zeitungsverlage diesen neuen Qualitätsherausforderungen am besten gewachsen sein werden (wodurch uns ein goldenes Medienzeitalter bevorstehen müsste) einerseits folgerichtig und andererseits fast berührend naiv. Was hat sie denn so lang davon abgehalten?

[dropcap type=”3″]D[/dropcap]as kann jetzt nicht so stehenbleiben. Schliesslich schreibt Clasen sein Buch mit dem Blick auf Disruption: In der Medienbranche finden disruptive Veränderungen statt (so wie die Erfindung der Dampfschifffahrt oder der Digitalfotografie), die ihre Opfer fordern werden. Veränderungen in der Werbebuchung sind durchaus disruptiv; schliesslich verschieben sie die Macht von den Medieninhabern (Wir stehen zwischen Werbetreibendem und Endkunden) zu Werbevermittlern (diese entscheiden jetzt, wer welchen Teil vom Kuchen bekommt).
[pull_quote_right]Onlinemedien sind ein neues Feudalsystem.[/pull_quote_right]Parallel zu dieser Verschiebung läuft allerdings eine weitere Entwicklung: User werden immer aktiver, hinterlassen deutlichere Profile und generieren aktive Inhalte. Genau darauf bauen die Erfolgsmodelle der großen vier auf: Amazon war für die Vorschlagsfunktion („Kunden die … angesehen haben, haben auch … angesehen”) berühmt, lange bevor es Social Networks gab; jetzt gibt es Userbewertungen, Wunsch- und Empfehlungslisten. Google kann seine Anzeigen nur deshalb so treffsicher platzieren, weil User sich bereitwillig tracken lassen und über Google+ und andere Anwendungen weitere Daten preisgeben. Facebook lebt ohnehin nur von der Aktivität seiner User.
Der Mehrwert, von dem die Digitalriesen profitieren, wird also von den Usern produziert, und diese bekommen dafür – nichts. Ausser ein paar Convenience-Funktionen, die helfen, wieder mehr Daten zu generieren: Die Möglichkeit, sich über den Facebook- oder Google-Account auch in andere Anwendungen einzuloggen ist praktisch für den User – und sie vervielfacht den Analysepool für Google und Facebook.
Onlinemedien sind ein neues Feudalsystem – sie profitieren von der Arbeit ihrer Untertanen und geben wenig zurück. Das ist eine der Thesen des Virtual Reality-Erfinders und jetzigen Digital-Skeptikers Jaron Lanier. Erst in „You are not a Gadget“ und dann in „Who owns the Future?“ beschäftigt er sich mit Visionen einer produzentenfreundlicheren Medien- und Entertainmentbranche. Die – in diesem Fall durchaus disruptive – Verschiebung der Sichtweise: Nicht nur die Erstellung und Verbreitung von Inhalten schafft Wert, sondern auch deren Nutzung. Zumindest so, wie sie heute intensiv analysiert wird. Davon sollten Nutzer profitieren. Der Produzent dagegen muss sich überlegen, welchen Nutzen er von seinem Produkt hat: Nutzt die Verbreitung wirklich ihm – oder dem Verbreiter (oder scheinbar unbeteiligten wie Google, die nun neues Analysematerial haben)? Können die Inhalte digital konsumiert werden und werden sie entsprechend bezahlt – oder ist es Zeit, über den geordneten Rückzug nachzudenken und vielleicht wieder offline zu publizieren? Laniers Thesen sind visionär und dementsprechend schwer verdaulich; sie entwerfen ein ganz anderes Szenario von Medien und Mediennutzung.

[dropcap type=”3″]U[/dropcap]nd wenn wir schon bei anderen Szenarien sind: Seit wenigen Tagen (seit 10. Februar) ist theintercept.org online. The Intercept ist das erste veröffentlichte Projekt von First Look Media, dem digitalen Think Tank, mit dem Ebay-Gründer, Milliardär und Philanthrop Pierre Omidyar die Zukunft von Onlinemedien praktisch erforschen möchte. First Look Media verspricht Onlinemedien von klassicher Qualität – recherchierte, überprüfte, dokumentierte und gut aufbereitete Inhalte ohne den Druck von Clicks und Conversions.

Vielleicht bringt das ja den gewünschten Wandel hin zu Qualität und qualitativer Werbung. Einstweilen ist das Geschäftsmodell noch klassisches Mäzenatentum: Omidyar startete First Look Media mit einer 50 Millionen Dollar-Spritze. Genau solche Experimentierflächen braucht der digitale Tsunami, um sich erproben zu können.

Digitales Storytelling – Warum ich Comics lese

Storytelling ist ein Modewort. Punkt. Eine Strategie, Inhalten ein bisschen Relevanz zu verleihen, die Verpackung aufzupolieren.
Wer den Bonus, der in diesem Begriff mitschwingt, wirklich für sich beanspruchen will, der muss schon den ganzen Weg gehen. Storytelling ist nicht schummelnde Kosmetik, die aus fadem Alltag mit selektiven Facebook-Posts glamouröses Highlife macht, und auch nicht zögerliches Aufrunden von Fakten mit ein bisschen Making Of. Nein, iPhone-Selfie-Videos im Corporate Blog sind auch kein Glanzbeispiel von Storytelling.

Storytelling Comics

Die schönsten Stories wachsen dort, wo es keine Grenzen gibt. Deshalb funktioniert Film noch immer – ein Medium bedient alle Sinne, um eine Welt zu schaffen, auf die wir uns einlassen können. Comics haben weniger Mittel zur Verfügung, um diese Welt zu schaffen – um so größeren Respekt habe ich vor Comicproduzenten und den Welten und Stories, die sie aufs Papier bringen.
Die Ausgangslage ist ein leeres Blatt – es gibt keine Kulissen, Szenerien und Landschaften, auf die Film setzen kann. Und das Ergebnis sind noch nie dagewesene Perspektiven, Erzählformen, die in anderen Genres nicht funktionieren würden, Universen, die viele Angebote für die Phantasie machen, aber ihr nichts vorschreiben, und nicht zuletzt eben Stories.
Comicautoren können Geschichten weder beschreiben noch erzählen – sie müssen sie machen. Die Story muss direkt auf dem Blatt stattfinden, es gibt keine langen Textpassagen, keine  Musik, keine Specialeffects – nur ein Bild nach dem anderen und ein paar Wortfetzen in Sprechblasen dazu.
Und trotzdem hat es das Genre geschafft, zu einer breiten Entertainmentindustrie zu werden – auch wenn natürlich die Löwenumsätze nicht gerade mit den Glanzstücken gemacht werden, und auch wenn die Industrie im Vergleich zu den großen Konkurrenten Musik und Film nicht einmal ein Mauerblümchen ist.
Wer die Nase rümpft und hier Bildgeschichten für Analphabeten sieht, kann statt Comic auch gern den kulturell staatstragenderen Begriff Graphic Novel verwenden. Und Graphic Novels wie die journalismuskritischen Kriegsdokumentationen von Joe Sacco lesen: Sacco verknüpft minutiöse historische Dokumentationen und Recherchen vor Ort in sich über mehrere hundert Seiten erstreckende Comicbücher, die unterschiedliche Erzählformen ausloten, die gleiche Geschichte aus mehreren Perspektiven darstellen und statt mit zwangsläufig wertenden Textanalysen mit simplen Schwarzweisszeichnungen das Drama seiner Geschichten ausdrücken.
Mir ist in meinem Respekt vor Comicautoren aber keineswegs die historisch-politische Dimension (Achtung, kultureller Anspruch!) wichtig; meine Begeisterung für ihre Erzählkunst gilt genauso Scott Snyder (Batman) oder Dan Slott und Stan Lee (Spiderman).
Stan Lees „How to write comics“ ist eine großartige Storytelling-Anleitung, die weit über Comics als Anwendungsfall hinausgeht.

Ich sehe erfolgreiche Comics als Musterbeispiele für gelungenes Storytelling:

  • Es gibt begrenzte Möglichkeiten, die virtuos genutzt werden müssen.
  • Es gibt Regeln (Text, Sprache, zwei Dimensionen), innerhalb derer sich die Erzähltechniken bewegen müssen (natürlich nicht ohne sie zu biegen oder neu zu erfinden).
  • Comics sind Stories, die es auf den ersten zwei oder drei Seiten schaffen müssen, ein Universum zu entwerfen, das den Rahmen für die Geschichte bietet: Wer ist der Held? Welche Welten treffen aufeinander? Welches Problem kommt auf uns zu?
  • Comicprotagonisten müssen als Marken funktionieren – sie haben begrenzten Spielraum, sich zu erklären, aber ihre Motivation und ihre Ziele müssen klar sein, ihre Gegner und Widerstände ebenso.
  • Und Comics sind auf den Leser angewiesen – seine Phantasie muss mitspielen. Und damit das funktioniert, muss der Autor der Phantasie des Lesers gegenüber fair sein.

Stan Lees Drei-Akt-Struktur für packende Comic-Dramaturgie sehe ich dann auch als grundlegendes Muster  für Storytelling-Projekte.

  • Schritt eins: Starker Auftritt. Es gibt wenig Zeit, Interesse zu wecken und einen guten Eindruck zu machen.
  • Schritt zwei: Warum ist diese Story spannend, was kann ich hier erwarten? So wie im Comic auf den ersten Seiten klar werden muss, dass diese Geschichte nicht so ohne weiteres gut ausgehen wird, weil hier Welten aufeinanderprallen, unterschiedliche Interessen aufeinander treffen und verborgene Motive herrschen, muss auch dem User klar werden: Hier gibt es mehr. Hier gibt es Inhalte, mit denen ich mich auseinandersetzen kann, hier kommt noch etwas nach, und vor allem – hier geht es um etwas, das mich wirklich interessiert. Das kann an der Sache selbst, oder an ihrer Aufbereitung liegen. Und hier ist auch der Punkt, an dem sich diese Vorgangsweise von üblichen Content- und Story-Maximen unterscheidet, die alles unter die Prämisse der Einfachheit stellen. Einfachheit, der Verzicht auf Komplexität sind oft der sicherste Weg, langweilig zu werden. Ob der Zuschauer im Kino einschläft ist grundsätzlich egal, sobald er sein Ticket bezahlt hat – das Ziel von Unternehmensmedien ist aber nicht deren Konsum, das Ziel liegt einige Schritte weiter; der User soll nachher etwas wissen, tun oder gar kaufen.
  • Schritt drei: Showdown. Seien wir realistisch: Selbst wenn Interesse geweckt wurde, wird es nicht ewig weiterlaufen. Die Geschichte muss in einem Showdown zu Ende gebracht werden, der keine Fragen offen lässt – ausser denen, die für eine eventuelle Fortsetzung benötigt werden. Jede Kampagne kommt einmal zu  einem Ende; der Unterschied in der Vorgangsweise ist: In diesem Ansatz ist der Showdown Teil der Geschichte und hat damit auch Einfluss darauf, wie die Geschichte selbst verläuft.

So weit die Theorie. Beispiele gibts in unseren Cases.

Content Strategie in der Praxis

[pull_quote_right]Modelle zu Content Strategien und Unternehmenskommunikation gibt es viele. Welchen Nutzen liefern sie?[/pull_quote_right][dropcap type=”3″]I[/dropcap]ch habe noch niemanden getroffen, der „Content Strategy“ oder ähnliches auf seiner Visitenkarte stehe hatte – zumindest in unseren Breitengraden. Gibt es diesen Job überhaupt, oder haben wir hier nur ein weiteres hübsches Buzzword, dass sich aus Content Marketing-, Digital Strategy- und anderen Hypes nährt?
Modelle und Planungsansätze zu Content Strategien und Unternehmenskommunikation gibt es viele. Welchen Nutzen liefern sie?

  • Content Strategie hilft, Silos in Unternehmen zu überwinden. Integrierte Kommunikationsplanung, die sich mit Zielsetzungen, Prozessen und Organisationsfragen beschäftigt, bindet alle Unternehmensbereiche mit ein – vor allem auch die, die Inhalte kennen und erstellen, und nicht nur die, die sie verbreiten sollen.
  • Als Teil einer Unternehmensstrategie macht Contentstrategie Inhalte planbar, messbar und steuerbar. Tragen Inhalte zur Zielerreichung bei, erreichen sie die richtigen Zielgruppen und erzeugen sie die gewünschten Conversions?
  • Über die Verbindung mit Zielsetzungen schliesslich liefert eine gut definierte Content Strategie die Voraussetzungen, den ROI von Content messen zu können. – Wo kein Ziel definiert ist, kann sein Erreichungsgrad auch nicht bewertet werden. Nachzulesen unter anderem im Report “Auf der Suche nach dem Return on Social Media” der St. Gallener Management-Gurus.
  • Und schliesslich: Klare Strategien liefern die Grundlagen für oft strittige Themen wie Social Media-Strategien, Social Media Guidelines für Mitarbeiter und eben auch Priorisierungen in Budgetdiskussionen.

Das sollte Anlass genug sein, sich mal mit der Sache zu beschäftigen.

Zum Weiterlesen:

Contentstrategie – das Kreislauf-Modell

Contentstrategie – das Kreislauf-Modell

Contentstrategie begegnet uns manchmal als ein weiteres Content-irgendwas-Buzzword, manchmal als technisierte Handlungsanweisung (“Alles xml!”). Hier ist ein praxisorientiertes und praktisch erprobtes Modell dazu. 

Onlineprojekte starten nach wie vor in der Regel sehr vage. „Wir sollten irgendetwas tun“, ist meistens das erste Briefing. Und auch wenn schnelle Lösungen gesucht werden, verlaufen die meisten Gespräche mit unten nach dem gleichen Muster. Sinnfragen tauchen auf, grundlegende Ziele werden hinterfragt, und sobald sich Kunde und Berater einig sind, dass es schnell und günstig nicht immer die beste Lösung ist, dräut das nächste Killerkriterium am Horizont: Grundlegende Ziele die zur Unternehmensstrategie passen schön und gut – aber wir können doch nicht immer das Management befragen.

Nein, aber gerade in Situationen, in denen sich vieles im Umbruch befindet, hilft der Überblick, den eine solide Contentrategie bietet, Optionen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen.
Contentstrategie ist Teil einer digitalen Strategie und damit wichtiger Bestandteil einer gesamten Strategie. Eine solide Contentstrategie ist die Ausgangsbasis, um digitale Aktivitäten planen zu können, und kommt durch mehrere Fragen zustande:

  • Wozu haben wir überhaupt Inhalte? Auch diese Frage muss gestellt werden. Ist der Geschäftsbereich erklärungsbedürftig? Bieten Inhalte eine gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen? Gibt es Themen, über die wir informieren müssen? Wollen wir eigentlich Information, oder eher Interaktion oder Transaktion? Ist Reichweite die Herausforderung, oder müssen wir vor allem Ordnung in eine Fülle bestehender Inhalte bringen?
  • Welche Ziele können mit Inhalten verfolgt werden? Geht es um Imagepflege, Themenführerschaft, Unterhaltung? Geht es um Effizienz oder Prozessoptimierung? Oder stehen Kontakte und Kundendaten im Vordergrund? Content kann vieles sein – redaktionelle Inhalte werfen im Rahmen des Content Marketing-Hypes einen großen Schatten, simple Inhalte wie Produktbeschreibungen oder Servicekontakte sind aber nicht weniger wichtig.
  • Woher bekommen wir Inhalte? Wer in der Organisation weiss, was wichtig ist? Wer kann Inhalte erstellen (dabei geht es um Zeit, Kompetenz und Qualität)? Wie können Wissensträger vernetzt und in einen produktiven Prozess gebracht werden, um Doppelgleisigkeiten oder aufwendige Umbauarbeiten zu vermeiden? Und, wenn wir schon bei der Organisation sind: Wer entscheidet letztlich, was wichtig ist und wie kommuniziert werden soll? Oder, um personelle Engpässe und zugleich Machtfragen zu vermeiden: Nach welchen Kriterien entscheiden wir?
  • Wen wollen wir erreichen? Geht es um bestehende oder mögliche Kunden, um Investoren, Spender, (aktuelle oder zukünftige) Mitarbeiter, Medien? – Für diese unterschiedlichen Gruppen gibt es unterschiedliche Kommunkationsdisziplinen, ist dagegen einzuwenden. Das stimmt in gewisser Weise – aber das Internet macht in ebenso gewisser Weise alle gleich: Auch Journalisten googlen erst mal, und sogar Investoren können das schon. Und daran schliesst sich die letztlich wohl wichtigste Frage an: Was soll die Zielgruppe dann machen? 

Hat der User wirklich einen Grund etwas zu tun, ist der Inhalt wichtig, spannend oder unterhaltsam genug, um irgendetwas zu bewirken? Diese letzte Frage führt dann meistens zurück an den Start. Gibt es Inhalte, die Usern ein Anknüpfen in der gewünschten Art ermöglichen, unterstützen diese die richtigen Ziele, und wer in der Organisation kann nicht nur Inhalte erstellen, sondern auch sicherstellen, dass Userreaktionen angemessen behandelt werden? Dabei denke ich weniger an Diskussionen rund um Communitymanagement und Kommentarmoderation. Wichtiger ist: Hat der User wirklich einen Grund etwas zu tun, ist der Inhalt wichtig, spannend oder unterhaltsam genug, um irgendetwas zu bewirken? Und ist es für den User auch leicht möglich, dieser Wirkung nachzugehen – also etwa mehr Information zu suchen, zu bestellen, oder vielleicht gar den Inhalt weiterzuverbreiten?

Die vier Eckpunkte lassen sich damit auch in zwei wesentliche Bereiche zusammenfassen: Wo es um interne Organisation und Zielgruppen geht, steht der Beziehungsaspekt im Vordergrund. Initiativen wie Enterprise 2.0, Open Business oder Social Enterprise, die neue Kommunikationsformen, Interaktion, Vernetzung und Flexibilität in den Vordergrund stellen, lassen sich nicht isoliert betrachten. Sie brauchen Content und eine Contentstrategie.
Auf der Seite der Inhaltsebene feiert dagegen mit der Disziplin der Informationsarchitektur ein alter Bekannter ein fröhliches Comeback: Wie sortieren wir Inhalte, wie führen wir den User, wie gestalten wir Interaktions- und Navigationsformen?

Contentstrategie Kreislauf

Das Modell vom Content Strategie-Kreislauf sehe ich als einen ersten Schritt zur Formulierung einer digitalen Strategie. Es berührt die Unternehmensorganisation, die Produkte, und die (potentiellen) Kunden, und es ermöglicht eine mehrdimensionale Sicht auf die zu planenden Medien: Wen wollen wir wie womit erreichen? – Diese Fragestellung sollte klar machen, dass es nicht die eine Antwort geben kann.
Während sich die Strategiebildung eher als Kreislauf darstellt, sehe ich Medienkonzepte immer mehrdimensional würfelförmig: gewählte Kanäle, Zielgruppen und Inhalte sind die Flächen, die zueinander in eine Beziehung gebracht werden müssen. – Und dann ist es wieder beim Würfelpoker: Die einzelnen Würfel müssen so ausgespielt werden, dass sie ein sinnvolles Ergebnis liefern. Nur haben wir im Gegensatz zum Pokern bei der Medienplanung den Vorteil, dass wir die Regeln selbst planen können.

Wie wird dieses Vier-Punkte-Modell zur Entwicklung einer Contentstrategie jetzt praktisch eingesetzt?

  • Schritt 1 ist die Abklärung der Ziele. Irgendwann in einer mehr oder weniger belebten Diskussion, auch wenn bereits konkrete Ideen entwickelt werden, muss einmal die Bremse gezogen und die Frage gestellt werden: „Wozu machen wir das eigentlich?“ – Dabei sollte geklärt werden, wer und welche Wirkung erreicht werden sollen.
  • Schritt 2 geht dann von dieser zukunftsgerichteten Perspektive wieder ganz erdig zurück zum bestehenden: “Welche Inhalte haben wir und wozu haben wir die?“ Die hier anschliessenden Evaluierungs- oder Auditmassnahmen können langwierig sein – jeder Inhalt sollte bewertet und in Beziehung zu einem Ziel gebracht werden.
  • Deshalb empfiehlt es sich, Schritt 3 vorzuziehen und auch die Zielgruppen zu analysieren. Inhalte können in ihrem Beitrag dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, nur im Hinblick auf eine bestimmte Zielgruppe eingeschätzt werden. Wir müssen also wissen, von wem wir was wollen, bevor wir die geeigneten Mittel dafür finden oder beurteilen können. Und hier sind dann auch bereits die ersten Abstriche notwendig: Es kann kein Contentplan für jede erdenkliche Zielgruppe erstellt werden; Priorisierungen (Wo sind wir gut und wollen es bleiben? Wo sind wir schlecht und wollen etwas dagegen tun? Wo sind wir schlecht und nehmen das (vorübergehend) in Kauf?) helfen, die Aufwände des Content-Audits (Schritt 2) im Rahmen zu halten.
  • Trotzdem taucht spätestens dann die Frage auf, bei deren Beantwortung Schritt 4 helfen soll: „Wer soll das alles machen?“ Ein Blick in die Organisation wird zeigen, dass Inhalte in unterschiedlichsten Bereichen für unterschiedlichste Zwecke erstellt werden. Die Inhalte mögen ein paar Schritte von herzeigbar entfernt sein, aber sie bilden auf jeden Fall Ausgangsmaterial – seien es Dokumentationen, Ratgeber, Ablaufbeschreibungen, Dienstanweisungen, irgendwo ist beschrieben, wie das Unternehmen und seine Produkte funktionieren. Mit dem Wissen über Ziele, Zielgruppen und Inhalte kann die Produktion gesteuert werden – es geht nicht in erster Linie um zusätzliche Aufwände, sondern darum, schon bestehende Aufwände besser für die eigentlichen Ziele einzusetzen. Personalberater beschreiben das in ihren Stelleninseraten für solche Koordinationsjobs (die oft dem Online- oder Digitalverantwortlichen zugeschrieben werden) mit „360-Grad-Position“.

Damit wird auch klar, worin der Sinn solcher erst theoretisch anmutenden Planungs- und Analyseübungen liegt: Zielgerichtete Planung spart bares Geld.
Was sind weitere Vorteile, die eine klar ausgearbeitete Contentstrategie für die Kommunikationsplanung bringt:

  • Contentstrategie verschafft den Überblick: Welche Inhalte gibt es, welche werden genutzt, welche nutzen dem Unternehmen, welche Inhalte werden vielleicht irgendwo produziert, ohne das Licht der Öffentlichkeit erblickt zu haben, und wie können Organisation und Prozesse optimiert werden, um solche Leerläufe zu vermeiden?
  • Analysen sind der ideale Zeitpunkt zum Ausmisten: Doppelgleisigkeiten, veraltete Inhalte, unnötige oder kontraproduktive Inhalte – in noch jedem Evaluierungsprojekt haben sich die Anfangs geschätzten Aufwände und Contentmengen dann drastisch reduziert.
  • Contentstrategie ermöglicht zielgerichtete Produktion: Nur wenn wir wissen, was wir erreichen wollen, wissen wir auch, ob unsere Arbeit Sinn macht.
  • Contentstrategie macht das Inhaltschaos steuerbar: Unternehmen haben meistens mehr Inhalte und mehr Medien, als sie auf den ersten Blick selbst wissen. Die passende Strategie hilft, diese Menge in den Griff zu bekommen, und Grundsätze für neue Projekte und neue Inhalte abzuleiten. Das gilt auch für abgeleitete Regeln wie Social Media Strategien oder Social Media Guidelines für Mitarbeiter. Mit einer zielgerichteten Strategie kommen wir hier weg von Verboten hin zu einer produktiven Governance.
  • Und schliesslich: Contentstrategie macht Inhalts- und Kommunikationsaufwände messbar. Über eine klare Beziehung zu Zielen lässt sich Kommunikation direkt als Beitrag zum Unternehmenserfolg messen – und Budgets lassen sich leichter argumentieren.

Multimediadatenjournalismus: Kopf oder Zahl

[dropcap type=”3″]D[/dropcap]as Onlinemagazin Paroli wurde vor zwei Jahren gegründet und beschäftigt sich seither mit Journalismus und seinen Formaten aus der Perspektive derjenigen, die noch nicht von Film und Fernsehen (und Magazinen) verdorben wurden.
Mit der Europa-Doku Kopf oder Zahl brachte die Redaktion ihr bisher größtes Projekt auf den Boden. Mit einem auf krautreporter.de gesammelten Minibudget tourte die Redaktion einen Sommer lang durch Europa und dokumentierte den Status Quo des Kontinents – fern ab von Krisengeschwafel – in insgesamt 76 Porträts junger Europäer. – Und die Umsetzung in einer Kombination aus Film, Text, Foto und Daten, zeigt, dass vieles, worüber in großen Redaktionen noch gebrütet wird, ganz einfach möglich ist – wenn mans einfach macht. Klar, die technische Qualität entspricht manchmal dem Budgetrahmen, aber das tut der Freude bim Anschauen keinen abbruch. Am besten gleich selbst anschauen

Der Youtube-Trailer zur Doku: