Leo Gilbert: Seine Exzellenz, der Android

Das Buch ist über 100 Jahre alt – im Wien des Jahres 1907 versetzt künstliche Intelligenz die Gesellschaft in Angst und Schrecken. Der Wissenschaftsjournalist Leo Gilbert erzählt die Geschichte eines armen Wissenschaftlers, der mit Robotern experimentiert und dem tatsächlich der große Wurf gelingt: ein lebensechter Android. Industrielle und Kapitalisten wittern gute Geschäfte. Der Android soll Maskottchen und Werbegag für eine Fabrik werden, diese Rechnung aber ist ohne den Androiden gemacht. Kaum ist er aktiviert, verselbständigt er sich, taucht unter und geht dann seinen eigenen Geschäften nach.

Der Erfinder verzweifelt darüber und wir als Spinner verlacht. 

Gilbert nimmt praktisch alle Ängste, Hoffnungen  und Missverständnisse rund um Künstliche Intelligenz vorweg, die heute wieder so hyperaktiv ventiliert werden. Der superrationale Android ist Rechenkünstler und auf Optimierung gedrillt; er hat kein Herz, also wird er Geschäftsmann. Als kalter Rechner ist er nicht sehr beliebt; nach einem Schlag auf den Kopf verliert er Teile seiner Rechenkapazität – ohne Hirn wird er Politiker.

Gilbert beschreibt die Schaffung künstlicher Intelligenz erstaunlich präzise. Der Android ist etwa auf dem Level einfacher Chatbots, die aus vorgefertigten Bausteinen die passenden wählen und neu kombinieren können. Und so wie sich Generative Künstliche Intelligenz am Durchschnitt orientiert und wiederholt, was alle sagen, ist auch der Android auf Platitüden spezialisiert und sichert sich damit Zustimmung und Bewunderung. Die Witze des Androiden folgen dem gleichen Prinzip: Er verfügt über ein Arsenal vorprogrammierter Witze, die in regelmäßigen Abständen wiederholt werden – das macht ihn zu einem gesellschaftlich kompatiblen amüsanten Gesprächspartner. Der Android kann auf viele Situationen reagieren, in Situationen auf die er nicht vorbereitet ist, reagiert er mit Arroganz.

Die Wiederholungen machen ihn überdies zu einem entschlossenen Zeitgenossen, der weiß was er will und sich durchsetzen kann. Eine seiner fixen Ideen, die ihm sein Erfinder grundsätzlich als Scherz einprogrammiert hat, ist ebenfalls bemerkenswert: Man müsste, erzählt der Android immer wieder gern, zwanzig mittelgroße Zeitungen aufkaufen, mit der Kontrolle über die veröffentlichte Meinung die Regierung vor sich hertreiben und mit der Kontrolle über den Anzeigenmarkt eigene Produkte in den Markt drücken. Oft genug vor Industriellen wiederholt fand der Plan Investoren – und mit der unbeirrbaren Hartnäckigkeit des Androiden Erfolg.

Weil der Android auf alles eine Antwort hat, auf jede Situation vorbereitet ist und sonst mit Unverschämtheit einen Ausweg findet, fällt es seinem Erfinder überaus schwer, mit seiner eigenen Erfindung mitzuhalten. 

Wir haben noch keine Ahnung, was Künstliche Intelligenz alles verändern wird, sagen heute noch Ahnungslose und selbsterklärte Experten gleichermaßen. Im Visionstaumel verzichtet man gern auf Erklärungen und gibt sich stattdessen mit Prophezeiungen ab. Die aufregendsten Visionen müssen dabei am nachhaltigsten verdrängen, wie viel in unserem Alltag jetzt schon auf KI beruht – und wie wenig fremd und bedrohlich sich das anfühlt.

Natürlich wird sich viel verändern. Natürlich hat jede Technologie auch eine Reihe unerwünschter Auswirkungen, oft gerade für jene, die sich am wenigsten ein konkretes Bild davon machen können. 

Dagegen kann es sehr hilfreich sein, sich vor Augen zu halten, welche Visionen schon vor über hundert Jahren auf der Hand lagen.

Das Märchen vom digital innovativen ORF

Das Märchen, der ORF sei eben früher innovativer gewesen als andere Medien, ist schleicht ein falsches Märchen. Viele, die nicht dabei waren, erzählen die Gründungsgeschichte digtialer Medien in Österreich so, als sei orf.at das auf geniale Weise erste Onlinemedium mit einer Fülle von Inhalten, dessen Siegeszug in Reichweitenanalysennur eine logische Folge der visionären journalistischen Innovationskraft sei. 

Das Problem: Der ORF war weder das erste noch das einzige Medium in Österreich, das früh digital experimentierte. Er war nur das einzige Medium, das sich nicht die kommerzielle Sinnfrage stellen musste. Auch die Frage der Kannibalisierung von Umsätzen oder anderen Reichweiten stellte sich nicht. Text-Informationen waren etwas gänzlich anderes als Fernsehen. Auch Bilder waren in den Frühzeiten des Internet noch ein gewichtigtes Ladeproblem.

Umfassende redaktionelle Information im Internet war für den ORF ein willkommener Werbekanal. Für private Medien war das von Anfang eine Gefahr. Schon früh stand die Frage im Raum: Wer soll das Heft kaufen, wenn wir schon alles ins Internet schreiben?

Gehen wir zurück in die späten Neunziger Jahre: News war damals als Wochenmagazin gefürchtet, verachtet und geliebt. Es gab häufig Donnerstage, an denen das Heft Gesprächsstoff lieferte – und es gab früh digitale Gehversuche. Ich erinnere mich, wie wir in der Redaktion diskutiert haben, ob Mailadressen der Redaktion öffentlich sein sollten. Das wirkte nach unliebsamer Nähe, als würde man Fremde zu sich nach Hause einladen. Digitalthemen waren in der Chronik-Redaktion angesiedelt, denn das Internet bestand aus Bombenbauanleitungen und Pornos (und ich als dienstjüngster Chronik-Redakteur bekam alle Digitalthemen umgehängt). Und es gab eine Webseite – mit Buttons, Frames und gifs.

Eine Webseite, auf der auch schon früh die spannenden Geschichten zu lesen waren. „Lesen Sie diese Story in voller Länge und MAILEN Sie uns Ihre Meinung!“

Solange fast noch niemand im Internet war, war das egal. Aber kaum wurde die Webseite wahrgenommen, wurde das ein Problem. 

Daraus entstanden viele interne Diskussionen. Und viele Zwischenphasen, in denen Onlinemedien Tummelplätze für Chat-Nerds, Singelbörsen-User und Moorhuhn-Spieler waren, und in denen das Internet die Müllhalde jener Beiträge war, die es nicht ins Heft geschafft hatten.

Umwege, die sich ein Öffentlich-Rechtlicher, der sich keine Gedanken über sein Geschäftsmodell zu machen brauchte, erspart hat. 

Ein paar Jahre später, in den frühen 2000ern, war der ORF übrigens noch immer nicht die Nummer eins im Internet. Damals war aon.at (mit Ostbahnkurti-Werbung) das führende Onlinemedium Österreichs. Was für ein einzigartiger innovativer Zugang schaffte die Grundlage für diesen Erfolg? Die Seite aon.at war als Browserstartseite auf den CD Roms mit den Internet-Installationspaketen für alle Internet-Accesskunden Österreichs voreingestellt.

Als das Geheimnis um die Browsereinstellungen dann auch für breitere Bevölkerungsschichten keines mehr war (und nachdem die Bemühungen, aon.at als jet2web.net in ein „multimediales horizontales Destinationportal“ zu verwandeln, gescheitert waren), wurde der Platz an der Spitze für orf.at frei. 

Auch bei diesen Entwicklungen steckten private Medien in der Zwickmühle. Während der Jahre rund um 2000, als Telekomunternehmen meinten, sie würden nun die besseren Medienhäuser, boten eben diese Telekomunternehmen schiere Unsummen für redaktionelle Inhalte. Und Zeitungen mussten sich der Frage stellen: Sollten sie sich dem Internet verweigern? Sollten sie ihre Inhalte verkaufen und damit die eigenen Konkurrenz füttern? Sollten sie auf diese Einnahmen verzichten und damit zwei Konkurrenten füttern, nämlich die Telekoms und die anderen Zeitungen, bei denen diese dann einkaufen würden? Oder sollten sie darum kämpfen, die in uninteressante Ablagen verwandelten eigenen Onlineauftritte ernst zu nehmen und Geschäftsmodelle dafür zu entwickeln?

Auch das ist nämlich eine Phase, die dem ORF bis heute erspart blieb: Im eigenen Unternehmen dafür kämpfen zu müssen, dass das mit dem Internet auch mal kommerziell (und nicht nur im Verdrängungswettbewerb um kaum monetarisierbare Reichweite) etwas werden sollte – zu einer Zeit, als Elektronik-Ketten in Österreich online den Umsatz einer halben kleinen Filiale erwirtschafteten, oder als Controller in der Telekom uns Onliner mit großen Augen fassungslos ansahen, wenn wir unsere Umsätze präsentierten: Nein, wir rechneten nicht in Tausendern, wie rechneten in einzeln Euros. Es waren keine 10 Millionen Umsatz im Quartal, es waren zehntausend Euro. Einzelne Euro. 

Reichweite zu erzielen ist weniger das Problem, auch heute noch nicht. Die Hürde zur Bezahlung aber ist nach wie vor sehr hoch. Viele schwadronieren heute gönnerhaft zu ORF Gebühren und Haushaltsabgaben: „Niemand hat die anderen Medien davon abgehalten, slebst tolle Onlineversionen zu entwickeln“. Oder: „Nicht einmal ein Euro im Monat – das muss einem doch allein beste Radiosender der Welt einfach wert sein.“  

Ich möchte all diese Überzeugten gern einladen, sich dem Realitätsscheck zu stellen. Nicht über Umfragen, nicht über Berechnungen, sondern über Geld. Und nicht nur einmal, sondern über einen längeren Zeitraum – Abonnenten zu gewinnen ist um einiges leichter, als sie zu behalten.

Dann hätten wir wirklich angemessene Vergleichswerte, um Zugkraft, Innovation und Nutzen von Medienmarken gegenüberzustellen.

Die Geschichte von vor 25 Jahren spielt heute nicht mehr wirklich eine Rolle im Zustand der Medienlandschaft. Sie sollte allerdings, wenn sie schon erzählt wird, richtig erzählt werden. Und Reichweiten sind ein Maßstab aus dieser längst vergangenen Zeit, der heute weniger und weniger eine Rolle spielt.

Was sind schon eine Million Gelegenheitsuser gegen hundert aus eigenem Antrieb zahlende Kunden? Die Antwort auf diese Frage wird gerade konkreter.

Gilt schwarzblau noch immer als überraschend?

Bei Monica Lewinsky und Bill Clinton fragten sich auch viele Politinteressierte, was da jetzt genau zwischen den beiden gelaufen war. Daran muss ich dieser Tage immer denken, wenn ich die Wahlunterstützungen aus Kunst, Wirtschaft oder Gastwirtschaft für diverse ÖVP-Landeskaiser und -kaiserinnen Revue passieren lasse. 

Sie unterstützen ja nicht die Partei, sagten jene, die sich im Licht der Öffentlichkeit einen Sonnenbrand holten, sondern nur die Person. Hanni, Wilfried und die anderen patenten Personen, die in ihrer anständigen Aufrichtigkeit Garanten gegen eine starke FPÖ oder gar deren Regierungsbeteiligung seien, hätten mit der Partei ja nichts zu tun. Deshalb könne man sie auch unterstützen, wenn man deren Partei nicht unterstütze. Man können sogar diese Person und gleichzeitig eine andere Partei unterstützen. Und überhaupt, wenn man so begehrt und relevant sei wie man selbst, dann scharen sich so viele Unterstützungsbegehren um die eigene Stimme, dass man da schon mal den Überblick verliere. Ähnlich verwirrend muss es für die ehemalige Praktikantin im Licht der Weltöffentlichkeit gewesen sein. Ihr Präsident war zwar weder ihr noch seiner Frau, aber seiner Politik so ungefähr einigermaßen annähernd treu geblieben.

Im Gegensatz zu den unterstützten Landeskaisern und -kaiserinnen, die sich, ihren Unterstützern zum Hohn, flugs in Koalitionen mit der FPÖ gestürzt haben. 

Das muss einen schalen Nachgeschmack bei den Unterstützern hinterlassen haben.

Hilfloser als sie bleibt da nur Othmar Karas zurück, der seine eigene Partei seit fünfzig Jahren kennt, immer wieder aufs Neue von ihr entsetzt ist und es trotzdem nie schafft, nach seinen angeblich eigenen Grundsätzen zu handeln.

Hoch 1. Mai

Doskozil macht also den trojanischen Storch für Kern. Beide schwelgen in sozialdemokratischen Erinnerungen, in Erinnerungen an die gute alte Zeit, in der sie beide noch wichtig waren. Bevor der eine Wahl, Würde und Nerven verlor und der andere erst seine Würde wegwarf, um anschließend als linksgesteuerter Rechtsausleger Wahlen zu gewinnen. Ihren vermeintlichen Erfolgen nachhängend vergessen sie dabei, dass diese gar nicht so selten nichts mit ihnen zu tun hatten. So meldeten sich unlängst Gewerkschaftsvertreter zu Wort, um das burgenländische Alleinunterhalter-Duo daran zu erinnern, dass so manche salopp ins Burgenland reklamierte Mobilisierungserfolg viel mehr der Macht der Gewerkschaften zuzurechnen sei.

So sieht Freundschaft aus. 

Bei so viel Nostalgie warte ich noch auf die Reprise eines Schlagers aus dem letzten Kern-Repertoire. Hat denn tatsächlich noch niemand „Wertschöpfungsabgabe“ oder „Maschinensteuer“ gesagt? Diese 2017 zur Verzweiflung sämtlicher zurechnungsfähiger SPÖ-Strategen spontan gegebene Zugabe entwickelte sich in Windeseile zum Sargnagel der Kampagne, über den alle lachen (oder sich ärgern) konnten. Konservative, weil ihnen das Maschinenstürmerische nicht gefiel. Wirtschaftsfachleute, weil sie die Praktikabilität dieser Idee in einer vernetzten Weltwirtschaft bezweifelten (ein Einwand, der übrigens bei der ersten Welle der Maschinensteuer-Diskussion vor knapp 100 Jahren ebenfalls schon ins Feld geführt wurde). Und Gewerkschaften waren ebenfalls sauer, weil sie sich das Thema nicht aus der Hand nehmen lassen wollten. 

Maschinensteuer und Ziegelarbeiter waren damals sozialdemokratische Folklore-Rituale die vor allem eines demonstrierte: Sozialdemokratische Bosse waren ihrer Tradition mehr verhaftet als den Problemen der Gegenwart. Sozialdemokratische Identität speiste sich stärker aus dem Bezug auf die Vergangenheit als aus Plänen für die Zukunft. Wenn nicht gerade von Maschinensteuer die Rede war, bemühte man so gar das sozialistische Gründungsevent im niederösterreichischen Hainfeld vor 130 Jahren. Hainfeld – ein Ort bei dem vermutlich auch Politisch-Junkies trotz allem eher an Bier denken. Und Sozialdemokratie interessierte sich schlicht nicht für jene Menschen, die sie für sich interessieren wollte. 

Kern kann sich gern seine Revanche holen, wenn es das ist, was ihn politisch antreibt. Manche unterstützen oder tolerieren Doskozil bei seinem Bemühen, Kern als dessen trojanischer Storch zurück in die Politik zu schmuggeln, weil er ja der einzige sei, der der FPÖ das Wasser reichen könne. Denen muss man allerdings sagen, dass jeder Versuch politischen Taktieren in den letzten Monaten die FPÖ in Regierungen gehievt hat. Und dann müssen wir alle die Krot fressen. Nicht nur der Storch. 

Diese Qualitätsmedien

Aktuell werden in Bausch und Bogen medienpolitische Maßnahmen durchgeboxt. Förderungen hier, Haushaltsabgaben dort, vielleicht ein paar vorbeugende Zensurmaßnahmen wie das Zitierverbot aus Aktien und nebenbei das Ende der Wiener Zeitung.

Im Schatten dieser Maßnahmenpakete wird erneut über Qualität und Förderkriterien diskutiert. „Keine Förderungen für rassistische Hetzer und Antisemiten!“, heißt es zum Beispiel. Dagegen hat natürlich niemand etwas. Aber wer entscheidet über die konkreten Tatbestände? Üblicherweise Gerichte. Also sollte es dann vielleicht lieber „Keine Förderungen für Verurteilte“ heißen?

Das würde zumindest auch sicherstellen, dass die unerwünschten Inhalte nicht ganz so leicht gewechselt werden können. Sonst heißt es nächstes Jahr: „Keine Förderungen für Schlafschafe und Impffreunde“ oder „Wer den großen Austausch verschweigt, bekommt auch nichts aus dem großen Geldtopf!“.

Manche sind bescheiden formal bei Qualitätskriterien – bezahlte JournalistInnen, keine offensichtlichen oder absichtlichen Fehlinformationen, Selbstkontrollgremien und Trennung von Redaktion und Sales sind da etwa schon Qualitätskriterien. Wer erfüllt das denn nicht? Oder wer könnte es denn zumindest proforma nicht erfüllen?

Andere fordern intellektuelle Qualität und schöngeistigen Bildungsanspruch, um Qualität diagnostizieren zu können. Das endet bei Geschmacksfragen und Naserümpfen über Medien, die man nicht liest.

Was soll man dann etwa mit so einem Text machen?

Er stammt aus Wolfgang Fellners Kasperlpost, also einer Zeitung mit Stallgeruch.

Er ist gut und eingängig formuliert, führt für manche sicher auch zu intellektuellen Freuden und enthält keine Schreibfehler. Das bringt Pluspunkte.

Er stammt von einem verhaltensauffälligen Autor, der sich für keinen Unsinn zu schade ist und stets in seinem politischen Sinn agitiert. Das bringt Minuspunkte. Meines Erachtens hilft in solchen Fällen auch Transparenz nichts. PolitikerInnen, Thinktank-BetreiberInnen und andere AgitatorInnen können punktuell Gastkommentare schreiben, aber es ist journalistische Selbstaufgabe von Medien, deren Texte als unkommentierte fixe Institutionen zu installieren. Da hilft auch kein Pro und Contra und kein OpEd. Und ich weiß, dass das billiger und schneller Content ist, den alle dringend brauchen.

Zurück zum Thema.

Im konkreten Fall brauchen wir uns die Fragen von vorhin gar nicht zu stellen. Denn der Text strotzt einfach von Fehlern.

Der Autor möchte gegen Vermägenssteuern argumentieren und führt laute Beispiele an, die nichts damit zu tun haben. Umsatzsteuern besteuern Transaktionen und keine Bestände, sie sind also, aus der Perspektive des Konsumenten, das Gegenteil von Vermögenssteuern. Sie fallen an, wenn etwas gekauft wird. Also meinetwegen ist das eine Konsumstrafsteuer. Mit Vermögen hat das aber nichts zu tun.

Grunderwerbssteuern fallen, wie der Name sagt, beim Erwerb von etwas an. Wer Grunderwerbsteuern zahlt, hat noch gar kein Vermögen – er oder sie schafft sich bestenfalls gerade eines. Ähnlich ist es bei Kapitalertragssteuern: In diesem Fall gibt es zwar Kapitalvermögen, aber es wird nicht besteuert. Nur realisierte Gewinne werden besteuert, das Vermögen bleibt unangetastet.

Der Text agitiert politisch und verzerrt nicht nur Fakten, sondern stellt sich eindeutig falsch dar. Diese Fehler müssten bei starken CvDs alle Alarmglocken läuten lassen.

Diese Fehler betreffen eigentlich auch keine journalistischen Kriterien. Über die Agitation kann man streiten. Die sachlichen Fehler sind eindeutig. Das heißt, dass journalistische Qualität ohne fachliche Qualität kaum möglich ist – und dass es vor allem eine Organisation geben muss, in der solche Fehler von verschiedenen Seiten schnell thematisiert und geklärt werden können.

Es darf keine unantastbaren Texte und AutorInnen geben. Das gilt im Boulevard genauso wie für die Edelfedern im Feuilleton. Und es muss Zeit und Respekt für solche Abläufe geben. Das braucht selbstbewusste CvDs, deren Job sich nicht darin erschöpft, jene abzuwarten, die immer wieder Deadlines großzügig ausschöpfen oder darin, Copyrights zu prüfen. Auf dem Weg dorthin und von dort aus finden sich dann wie von selbst eine Fülle von praktisch anwendbaren Qualitätskriterien für Medien jeder Art und Sorte.

Trocknet KI das Internet aus?

OMG, was wenn uns die Antworte von Chat GPT zu künstlich wissensbeschnittenen Konformisten machen? Macht uns die generative AI jetzt alle zu Halbgebildeten, die nur noch aus dem schöpfen, was ohnehin alle wissen? Und wird in Zukunft nur noch das als richtig gelten, was ohnehin schon immer für alle galt? Diese Fragen ventilieren zur Zeit geübte Kulturpessimisten aus aller Welt. 

Ich frage das, seit Google zu digitalen Existenzbedingung geworden ist. 

Existiert das, was durchsuchbare Daten nicht kennen, überhaupt? Kann man etwas, das nicht alle sagen, überhaupt verstehen? Und ist Entropie sowieso die Grundbedingung jeder Art von Kommunikation und Verständigung? 

Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Eines meiner liebsten Gedankenexperimente ist das Bar Hillel-Carnap-Paraxodon. Carnap und Bar Hillel greifen einfache Informationstheorien auf, die Information als Unterschied charakterisieren. Je mehr Unterschiede vorhanden sind, desto mehr Information ist möglich. Bei Claude Shannon etwa ist das schlicht zugespitzt: Je mehr unterschiedliche Zeichen ein Text enthält, desto informativer ist er. 

Der größte Unterschied, meinen nun Carnap und Bar Hillel, ist der Widerspruch. Etwas, das im Widerspruch zu allem bestehenden steht, ist demnach am Informativsten. Das hat allerdings zwei Nachteile: Wir verstehen es nicht. Und wenn der Widerspruch tatsächlich radikal ist (und nicht bloß ein simpler Gegensatz) erkennen wir es vermutlich auch nicht. 

Das bedeutet umgekehrt: Je gleichförmiger etwas ist, desto eher erkennen wir es wieder. Desto besser funktioniert es für uns. Und desto weniger führt es zu Neuem. 

Diese Form der Erwartbarkeit ist seit jeher ein Grundprinzip funktionierender Medien. Medien müssen Formvorgaben einhalten, um erkannt zu werden, verschiedene Kanäle verlangen nach verschiedenen Formaten, und sie müssen spezifische Publika bedienen, die bestimmte Merkmale wiedererkennen wollen. Diese Erleichterung, etwas bekanntes wiederzuerkennen, ist nicht nur auf dem Medienmarkt zu beobachten: Menschen freuen sich, wenn sie sich nicht verirren. Es verbindet aber auch, wenn Menschen in einer Unterhaltung Anspielungen verstehen. Und Menschen lachen sogar erfreut, wenn sie während einer Theateraufführung ein Zitat zuordnen können, auch wenn nichts daran lustig ist. 

Entropie, mehr vom Gleichen, ist heimelig. Das genießen gerade auch jede, die gern im Chor dazu aufrufen, die Komfortzone zu verlassen oder in neuen Bahnen zu denken. Hätte Entropie nicht so einen hohen Stellenwert für sie, sie wüssten ja gar nicht, was die Komfortzone ist – und sie wären schon gar nicht dort. 

Was hat das mit Künstlicher Intelligenz zu tun? 

Künstliche Intelligenz ist der fruchtbarste Nährboden für Entropie. Sprachmodelle berechnen Häufigkeiten aus möglichst breit angelegten Beispielen. Sie verwendet also den kleinsten gemeinsamen Nenner aus großen Mengen von Text und Meinungen – ohne eigene Meinung, Erfahrung oder Expertise. Künstliche Intelligenz ist ein Informations-Durchlauferhitzer, der weitergibt, worauf sich vermutlich alle einige können. Das bringt natürlich wenig neues. Das ist auch nicht der eigentliche Zweck von KI. 

Also: Natürlich verstärkt KI Konformität und Entropie. 

Das ist aber noch nicht das eigentliche Problem. Aktuelle KI-Lösungen fördern Entropie, weil sie das gleiche lesen. Aber wovon werden zukünftige KI-Generationen lernen? Experten-Blogs, Diskussionsforen, FAQs sind nicht mehr notwendig, wenn alle im Stillen ihre KI befragen können. Für künftige KI-Generationen wird es weniger öffentliche Daten als Lernmaterial geben. Werden künftige KI-Generationen wieder dümmer? Werden sie mehr Diversität ermöglichen? Aber wo werden wir nachsehen, wenn wir mit unserer KI nicht mehr zufrieden sind?

„Let AI do the magic“

Leider war ich zu baff, um die Gelegenheit beim Schopf zu greifen; ich ließ den Moment vorüberziehen, ohne ihn zu screenshotten. Es war ein offenbarender Moment, in dem sich zwei der größten Bullshit-Trends der Gegenwart auf beeindruckende Weise paarten. 

Der erste Trend: Es gibt eine merkwürdige neue Obsession für passende Männerkleidung. Da reden wir nicht von Anzügen oder Schuhen, sondern von T-Shirts und Allroundhosen. In Werbespots auf Instagram und TikTok streichen reife Männer bewundernd über ihre kaschierten Bäuche, freuen sich über jedes Spurenelement von Trizepsansatz, das in einem kurzen Ärmel sichtbar wird und erwarten Komplimente für Schulter- und Brust-Silhouetten unter mausgrauer Baumwolle. Andere Männer schreiten glücklich in elastischen Hosen in beige oder resedagrün aus, machen darin Liegestütz, fahren mit dem Rad, springen über Zäune, laufen, sitzen im Büro und treffen abends ihre Flamme zum Date. Die Hose müsste dann schon ziemlich streng riechen, aber sie sitzt noch immer gut. 

Der zweite Trend: Alle sind Experten für Künstliche Intelligenz. Jede Anwendung von Grundrechenarten, jede auch noch so schlecht belegte Schlussfolgerung ist eine Demonstration der eigenen Expertise in KI. 

Und dann kam es: In diesem neuen Mini-Werbespot, er begegnete mir als Insta-Story, zückte der Mitarbeiter eines findigen T-Shirt-Startup-Founders ein Maßband, nahm die Maße eines neugierigen T-Shirt-Interessenten und verkündete dann: „Let AI do the magic!“ 

Du wirst nicht glauben, was dann geschah: Nimmt man Maß, um die richtige Größe auszusuchen, dann kommt tatsächlich ein passendes T-Shirt heraus! Natürlich in mausgrauer Baumwolle! Es ist fantastisch! Wie haben Schneider nur vor der Entwicklung künstlicher Intelligenz gearbeitet? Und wie ist es uns ohne KI-gestützte App jemals gelungen, die richtige Größe zu finden? 

Hier wurde ein aufregendes Kapitel einer strahlenden Zukunft eröffnet. 

Medien und KI – Zeit für neue Bescheidenheit

Man wird bescheiden. Bald wird es als relevante Leisting künstlicher Inzelligenz gelten, Dinge oder Ereignisse mittels der ausgefeilten Technik der Stricherlliste abzuzählen. Das ist nur konsequent. Der Taschenrechner galt schließlich auch mal als Verblödungsinstrument. Und fragt man erstsemestrige Informatikerinnen nach Beispielen für Algorithmen, dann nennen sie Dijkstra und andere komplexe Lehrbuchbeispiele. Dass Grundrechenarten auch Algorithmen sind, gerät dabei in Vergessenheit. 

Künstliche Intelligenz ist heute ein dermaßen omnipräsenter Begriff, dass seine überdehnte Leere mit hohen Erwartungen gefüllt werden muss. Deshalb gilt Enthusiasten alles, was mit KI zu tun haben könnte, als großartig – auch wenn es simples Zählen ist. 

Wenn KI-Prediger auf Bühnen stehen und um Beispiele für die Relevanz der Technologie (und damit auch ihrer selbst) ringen, fallen ihnen Empfehlungsservices ein, manche reden gar nur von Analysen und Statistiken. Andere reden von Engaging Content oder gar von tausenden automatisiert erstellten Contenpieces zu stündlich aktualisierten Wahlergebnissen auf Gemeindeebene. Dahinter sind von technisch herausfordernde Lösungen, ob es Medien nützlich sein wird, ist damit noch nicht gesagt. Tausend Texte über ein Wahlergebnis, das nur ein mal zählt, machen User nicht klüger. Vielleicht bringen sie ein paar Zugriffe mehr – aber nicht unbedingt zufriedene UserInnen.

Empfehlungen, Personalisierung, Benachrichtigungen, Interessen statt Ressorts – das sind Versuche, die uns schon recht lang begleiten. 

Chief Digitalisation Officers reden jetzt von neuen Aufgabengebieten für Medien. Das Erstellen von Inhalten gerate in den Hintergrund, Plattform-Management und Packaging seien die neuen Hyperskills. 

Da muss ich mittlerweile gut 20 Jahre zurückdenken. jet2web.net war das Portal einer Zeit, in der Telekomunternehmen meinten, jetzt die echten und besseren Medienunternehmen zu sein. Ich war sogenannter Channel Manager und damit beschäftigt, Inhalte für verschiedene Themenkanäle (damals das Äquivalent zu Zeitungsressorts) zusammenzustellen. Wir schreiben die frühen 2000er, mitten in den Nachwehen des ersten Dotcom-Crashes. Als Telekom-Unternehmen hatten wir die finanzielle Ausdauer, die Macht darüber, welche Startseiten in den Browsern der Internet-Kunden eingestellt waren (und auch die Macht, ihnen nicht zu verraten, wie sie das ändern konnten), wir hatten die technischen Mittel, eine der ersten Webseiten mit Videos (lang vor Youtube) ins Internet zu stellen (und die Möglichkeit, Kunden den dafür notwendigen Breitband-Zugang günstiger zu verkaufen) und wir hatten einen etwas absurden Plan, das beste Nachrichtenportal für Österreich, Bayern und Südtirol aufzubauen und später auch englische Mutationen nachzuliefern. 

Was wir nicht hatten, war journalistisches Knowhow. Zumindest nicht im nötigen Ausmaß. Ich kam von einem Magazin und konnte Geschichten machen, aber damals nur wenig Blattmachen. Neben mir gab es noch einen Kollegen, der den alternden Kriegsreporter mimte. Wir wurden aber nie ganz schlau daraus, wo er denn jetzt tatsächlich geschrieben hatte. (Wir hatten übrigens, kurzer Exkurs, auch kein technisches Knowhow. Niemand kümmerte sich um die eigens eingeflogenen indischen Programmierer. Das wurde dann, ein paar Monate später, der Beginn meiner zweiten Laufbahn in der IT.)

Umso erstaunlicher war es, dass unsere Chefs für die ganz große Medienzukunft planten. Wir wären jetzt am Drücker, denn wir wären die Mittler zwischen Medien und Publikum, diejenigen, an denen Onlinezeitungen, wenn sie erfolgreich sein wollten, nicht vorbei kämen. Deshalb kauften sie für monatliche Unsummen Inhalte von Zeitungen, die mit diesen Einnahmen ihre eigenen Redaktionen und Plattformen ausbauten. Aber wir würden Pakete schnüren, Bundles packagen und mit Digital-Knowhow allen auf dem Markt davonstürmen. 

Es war eine Zeit des seligen Geld-Ausgebens. 

Und natürlich floppte der Plan ganz gewaltig. 

In einer gewagten Vision hatten wir alles – den Draht zu den UserInnen, Daten, die Möglichkeit, Userströme zu kontrollieren und auch das notwendige Kleingeld. 

Aber es fehlte das simpelste Handwerkszeug. Mit nach geschäftlichen Kriterien zusammengekauften Inhalten kann ein Team von Channel Managern mit gerade mal Spurenelementen von redaktionellem Knowhow kein journalistisches Produkt gestalten. Die effizienteste Personalisierung führt zu Langeweile und Redundanz (und war damals noch ein technisch herausforderndes Performance-Thema). Und jede Form von Statistik, Inferenz und datengetriebener Zukunftsplanung setzt voraus, dass die Welt morgen den gleichen Regeln gehorcht und die gleichen Interessen verfolgt wie in der Vergangenheit. Das gilt aber nicht, schon gar nicht in abwechslungs- und temporeichen Zeiten.

Ähnlich geht es mir, wenn nach Visionen ringende BeraterInnen Journalismus und KI anpreisen, Effizienzsteigerungen versprechen und betonen, dass KI natürlich nicht JournalistInnen ersetzen werde. Trotzdem werde KI die Branche revolutionieren, mit Ideen von vorgestern (wie Personalisierung und Empfehlung)  oder gestern (wie automatisierter Texterzeugung und Predictive Analytics). Wired hat eine sehr schlaue Einschätzung zu Sinn und Unsinn von KI im Medienbusiness zusammengestellt, der ich mich großteils anschließe. KI kann Redaktionen bei einer Reihe von Schimpansen-Tasks unterstützen, aber sie gestaltet kein Produkt. So wie KI-Tools in der Kunst auf der Arbeit von Künstlern aufbaut, generiert auch journalistische KI ihre Ideen anhand von dem, was JournalistInnen bisher gemacht haben. Vielleicht ist das eine sinnvolle Erweiterung der Redaktionskonferenz, die aus einer zeitlich und räumlich praktisch unbegrenzten Fülle schöpfen kann, schnell kombiniert und priorisiert. Aber danach geht es der KI-gestützten Redaktion wie uns zu jet2web-Zeiten: Ohne Knowhow, Erfahrung und die Lust daran, Geschichten zu machen, wird das nichts.