Kongo Alexanderplatz

Fiston Mwanza Mujilas Tram 83 ist so etwas die das Berlin Alexanderplatz des Kongo: Sex, Drugs und Überleben in einer düsteren  von Verfall und Aufbruch zugleich gezeichneten Stadt. Tram 83 ist ein Nachtclub, in dem alle abhängen, weil es wenig Alternativen gibt: Minenarbeiter, Prostituierte, Touristen, Intellektuelle, Alleinerziehende (jede Single-Frau über 25 gilt im Tram 83 als Alleinerziehende) und Geschäftsleute.

Die Stadt ist eine Phantasie-Stadt, nicht näher benannt oder beschrieben, die Charaktere sind allesamt in verzwickten Situationen gefangen.

Das Buch ist keine konkrete Story und nicht auf Realismus bedacht. Lucien ist Schriftsteller, teilt eine Wohnung mit einem betrügerischen Freund lernt – im Tram 83 natürlich – einen Verleger kennen, der ihn mit Änderungswünschen fertig macht.

Und das wird in ziemlich rasante Worte verpackt, unterschiedliche Erzähltechniken erhöhen das Tempo.

Mujila vermittelt ein vages Gefühl vom Leben in afrikanischen Millionenstädten – einem Leben von dem man in Europa meist keine klare Vorstellung hat. Sein Buch verleitet auch etwas zu gewohnt düsteren Visionen, aber das liegt wohl eher an der europäischen Perspektive, die Dreck uns Slums kennt.

Deshalb kann ich mir auch einen Hinweis in eigener Sache nicht verkneifen: In “The Boda Boda Book” zeichnen wir ein aktuelles Bild vom Leben in den Millionenstädten Afrikas, es sind Momentaufnahmen einer Zukunftsbranche – auch wenn die Motorradtaxis Ugandas auf den ersten Blick nicht gerade danach aussehen …

Neue Indiekator-Partner: Crip Magazine

Es ist mehr Kunstprojekt als Magazin, es ist mehr Manifest als Periodikum. Nach fünf Jahren Pause hat Eva Egermann die zweite Ausgabe des Crip Magazine herausgebracht.

Crip beschäftigt sich mit Repräsentation und Wahrnehmung von Beeinträchtigungen, mit Stereotypen und Krüppeln. Das Kompendium aus Texte, künstlerischen Arbeiten und Programm – das Magazin ist durchgängig ist durchgängig in einer für Dyslektiker optimierten Schrift gesetzt – ist nicht im Handel erhältlich und wird nur auf Ausstellungen und Präsentationen vertrieben.

Oder im ersten für Herbst geplanten Indiekator-Paket. Wir freuen uns sehr, mit Eva Egermann und dem Crip Magazine neue Indiekator-Partner vorstellen zu können.

Crip Magazine

Crip Magazine Crip Magazine

Wie kommt man an das gute Stück? Bestellmöglichkeiten für die Indiekator-Pakete gibt es dann, wenn wir zufrieden sind (also nicht nur mit der Qualität, sondern auch mit der Menge) – voraussichtlich im September. Wer jetzt schon neugierig ist – lasst uns einfach eure Mailadresse da, dann halten wir euch auf dem Laufenden.

Neue Indiekator-Partner: Bahoe Books

Bahoe Books
Indiekator ist immer auf der Suche nach Publishern, die ihr Geschäft etwas anders angehen, die Dinge produzieren, die nicht überall zu bekommen sind und für die Indie nicht irgendein Marketing-Ding ist, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wen interessiert schon der Markt?
Weil es aber auch nicht ganz ohne geht, sind wir auf der Suche nach Partnern – jedes Indiekator-Paket soll anders zusammengesetzt sein, jede Lieferung ist immer frisch.
Indiekator bringt Publikationen nach Hause, denen man sonst selten über den Weg läuft – das ist unser Versprechen.
Deshalb freut es uns ganz besonders, mit Bahoe Books einen Partner gefunden zu haben, für den das ganz besonders gilt. Ein anarchistischer Verlag mit Büro in einer der nobelste Gegenden der Wiener Innenstadt (im Gemeindebau), ein Verlagsprogramm, das anarchistische Klassiker, Übersetzungen, Neuausgaben und politische Comics ganz leger miteinander vereint, und liebevoll produzierte Bücher – das ist genau nach unserem Geschmack.
Bahoe Books
Für unser erstes Paket wird Bahoe Books einen politischen Comic in den Topf werden – welchen, das verraten wir noch nicht.
Wie kommt man an die Pakete? Derzeit sind wir noch in der Vorbereitungsphase; Bestellmöglichkeiten gibt es dann, wenn wir mit unserem Angebot zufrieden sind (voraussichtlich im September). Wer schon neugierig geworden ist – lasst eure Mailadresse da, dann halten wir euch auf dem Laufenden.

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“Mordor kommt und frißt uns alle auf” – bleibt dabei aber zahnlos

Wenn ein Autor schon von seinem Verlag mit anderen Autoren verglichen wird, ist dieser Autor ein armes Schwein. Normalerweise ist das ja einfallslosen Kulturjournalisten vorbehalten, sich in Kulturanalogien zu ergehen.

Im Fall von Ziemowit Szczereks „Mordor kommt und frißt uns alle auf“ erledigt das allerdings schon der Verlag: „Jack Kerouac“, „Gonzo“, „Hunter S. Thompson“ und „Fear and Loathing in Las Vegas“ sind die über den Klappentext verteilten Reizworte, die dem Autor Einfallslosigkeit unterstellen.

Nicht ganz zu Unrecht. Das Buch ist eine Aneinanderreihung übler Klischees über Klischees, geschrieben mit einer Alles-ist-so-arg-alles-ist-so-aufregend-Haltung, wie sie einem Boulevardjournalisten in Vor-Internet-Zeiten oder einem Hund vor dem Gassigehen geziemen würde und die auch die paar hübschen eingestreuten Formulierungen ungefähr so brachial erstickt wie die Schweißausdünstungen eines Coca Cola-Mannes das Interesse an seinem Sixpack (damit man mal ein Bild von der doch nicht so mächtigen Wortgewaltigkeit bekommt …).

Ein paar Worte zu kennen macht halt keinen Autor aus und ein lesbares Buch entsteht halt auch nicht durch eine Anhäufung von Seiten, sondern durch eine Story.

Schade drum. So ist das eine Sammlung verabenteuerlichter Burgenländerwitze ohne Pointe, nur erzählt sie eben ein Pole über Ukrainer.

Ljubko Deresch hatte in Sachen Ukraine weit mehr zu erzählen.

Roberto Bolano: 2666. – Große Empfehlung

Roberto Bolano

Es ist ein Entwicklungsroman über drei nerdige Literaturwissenschaftler, die sich auf ihrer Spurensuche nach einem verschwundenen Erfolgsautor nach Mexiko verirren, eine Sammlung von zweihundert detailliert protokollierten Morden in einer mexikanischen Kleinstadt und eine deutsche Kriegsgeschichte.

Dabei ist es eigentlich ganz egal, was Roberto Bolano erzählt: Die knapp 1200 Seiten von „2666“ erzählen keine fertige Geschichte, sie reißen verschiedene Handlungsstränge an, legen ein paar Spuren, biegen dann wieder ab – und sind aber immer eindrucksvoll präsent „2666“ ist kein Buch, das man liest, um zu erfahren, wie es ausgeht, es ist ein Buch, in dem jede Seite, jede noch so keine Nebenstory packend, fesselnd und selbstverständlich ist. Ein Buch, dem man gar nicht anmerkt, wie dick es ist.

Das große Panorama, das Roberto Bolano entwirft, ist rund. Viele der einzelnen Fäden laufen auf einen gemeinsamen Knotenpunkt zu. Aber das ist ganz egal. Solano erzählt genug, um das Universum seiner Figuren zusammenzuhalten, aber wenig genug, um die Festlegung, die konkrete Auflösung, die so oft einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, zu vermeiden.

 

Fazit: Ich bin selten von Büchern wirklich hingerissen, in diesem Fall aber ganz eindeutig und mehr als das. Roberto Bolano schreibt phantasievoller und weniger besserwisserisch als (der aktuelle) Pynchon, verschwendet keine Energie auf aufwendige Beschreibungen oder Anspielungen, sondern erzählt in einem Höllentempo – ohne eine komplette Geschichte erzählen zu können. „2666“ ist eines der Bücher, nach denen es schwer fällt, gleich das nächste Buch zur Hand zu nehmen. Große Empfehlung.

 

Roberto Bolano wurde 1953 in Chile geboren, lebte lang im Mexiko und starb 2003 in Barcelona.

Das Boda Boda-Buch: Motorradtaxis in Uganda

Wir machen dann im übrigen ernst: Mit Ende des Jahres werden wir das Boda Boda-Fotobuch fertigstellen. Boda Bodas sind Motorradtaxis in Ostafrika, die vor allem in Uganda üblich sind.
Ursprünglich waren es Fahrräder, die das Niemandsland zwischen den Grenzen überbrückt haben – heute sind die Motorradtaxis eine der wichtigsten Lebensadern im Nahverkehr ostafrikanischer Städte. Und sie bieten eine Zukunftsperspektive für junge Menschen, die mit ihren Fahrten nicht schlecht verdienen.

Trotzdem ist die Zukunft der Fahrer ungewiss: Einige Stadtbehörden überlegen gerade, die Motorräder aus den Stadtzentren zu verbannen – um moderner zu werden und um die natürlich mit der hohen Motorraddichte verbundenen Unfallrisiken zu senken.

Eine Verbannung der Motorräder wäre schade – nicht nur, weil sie in Millionenstädten die Kampala das effizienteste Fortbewegungsmittel sind, weil sie Jobs und Unabhängigkeit schaffen, sondern auch, weil damit ein wunderschönes buntes Stück abenteuerlicher Lebendigkeit verloren gehen würde.

Mehr Bilder und den Plan zum Buch gibt es auf bodaboda.org. Und um das Buch fertigzustellen, brauchen wir euch …

 

 

Die Krone photoshoppt sich den größten Hai

Ich fands ja eigentlich nur lustig. Krone-Chef Richard Schmitt anscheinend nicht.
Vor Mallorca waren Haie gesichtet worden, viele Zeitungen übernahmen ein Foto eines Twitter-Posts. Die Krone tat das auch – nur war der Hai auf dem Bild bearbeitet worden und ein Vielfaches größer und deutlich näher bei den Menschen.
Schmitts erste Antwort: “Der gepostete Schmarrn wird nicht besser, wenn er 2 x gepostet wird. #servicetweet Erklärung siehe #lasttweet
Bitte vor derartigen Tweets lesen: Im großen Bild ist der große Hai zu sehen, im kleinen Bild der ebenfalls gesichtete kleine Hai. Danke.”
Auf die nicht ganz ernstgemeinte Frage, wie das bewerkstelligt worden wäre, dass
  • die angeblich zwei verschiedenen Haie die exakt selbe Haltung haben
  • die Menschen im Wasser sich nicht bewegt haben
  • und auch Perspektive und Bildausschnitt exakt gleich sind
meinte Schmitt dann: “Herzige Annahme, aber dieses Bild wurde lediglich gezoomt”
Um dann noch einmal nachzulegen: “Auch wenn’s schwer fällt: Wie wär’s mit Richtigstellung?”
Machen wir gerne.
Die Kronen-Zeitung hat den Hai in ihrem Foto vergrößert und näher an die Badenden gerückt.
Wie man in den beiden übereinandergelegten Bildern erkennen kann, sind Hintergrund und Menschen in der gleichen Größe geblieben, der Hai dagegen ist auf wundersame Weise gewachsen.
Mir ist das ja egal, aber ich halte – wenn sich das der Chef wünscht – gerne fest, dass die Krone das Bild manipuliert hat. Wie er es ja im übrigen auch selbst gesagt hat. 
Ist der Hai gewachsen?
Oder sind die Menschen geschrumpft?

Facebook-Roman: Celle que vous croyez

Camille Laurens schreibt den ultimativen Facebook-Roman. Das Buch erzählt seine Story in indirekten Fragmenten: Unterhaltungen mit einem Therapeuten, ein paar direkt von der Protagonistin erzählte Momente, Statements des Therapeuten und Protokolle von Aussagen anderer Protagonisten ergeben das ungefähre Bild einer Handlung, einer Handlung, die sich aus unterschiedlichen Darstellungen aus verschiedenen Perspektiven zusammensetzt und nie in die Perspektive des allwissenden Erzählers wechselt.

Jede Perspektive behauptet etwas – und jede verfolgt dabei eine bestimmte Agenda.

So weit zur Form. Inhaltlich macht sich eine geschiedene Mittvierzigerin daran, ihrer neuen Flamme nachzuspionieren. Der berufsjugendliche ebenfalls Mittvierziger lebt in einer WG und ist jungen Frauen offenbar nicht abgeneigt, weshalb sie ihn über ein Fake-Facebookprofil einer jungen Frau stalkt.

Dann laufen die Storys je nach Perspektive auseinander: Beginnt sie eine virtuelle Affäre mit dem Mitbewohner ihres Liebhabers, die diesen, wegen der Unerreichbarkeit seines Objekts der Begierde verzweifeln lässt? Setzt sie die Affäre in die Tat um, um den Mitbewohner dann zu verlassen? Wird sie von ihm verlassen?

 

Laurens findet für jede Handungsoption eine schlüssige Perspektive und einen passenden Erzähler. Was beim Nacherzählen platt klingt, ist beim Lesen eine spannende Mischung, die jede scheinbar endlich greifbar gewordene Entwicklung der Handlung gleich wieder zerfallen lässt.

Das kann ein bisschen Überinterpretation sein, aber eigentlich halte ich das Buch eher wegen dieser verstrickten und immer wieder relativierenden Erzählweise für einen angemessenen Social Media-Roman – weniger, weil Facebook darin eine Hauptrolle spielt.

 

Camille Laurens, Celle que vous croyez.

Camille Laurens ist ein Pseudonym für Laurence Ruel, geboren 1957 in Lyon, schreibt und lehrt französische Literatur unter anderem im Marokko.