Lieber doch Kommunismus?

Slavoj Zizek beschäftigt sich mit Protest, Kapitalismus, Batman und der Notwendigkeit des Kommunismus.

Immer wenn man glaubt, bei Zizek einen klaren leicht verständlichen Gedanken entdeckt zu haben, zerfällt er auf den nächsten Zeilen zu Staub. Oder verwandelt sich in einen Vampir, der als Fledermaus aus dem Fenster fliegt und dann, wenn man gerade nicht hinsieht, zu einem Drachen mutiert. – Schließlich argumentiert Zizek auch gern mit Filmplots.
In einem seiner aktuellen Bücher setzt er sich mit der Frage nach dem Ende des Kapitalismus auseinander. Dabei beginnt er erstaunlich traditionell: Eine kapitalistische Wirtschaftsordnung schafft Widersprüche (Marx), liefert sich an die Finanzmärkte aus (Finanzkrise) und bräuchte, um in der notwendigen Freiheit blühen zu können, Einschränkungen und Regeln, die sich mit genau dieser Freiheit nicht vertragen (Piketty).

Entwicklung schafft Ärger

Zizeks Argumentationsketten sind jetzt nie so praktisch, dass sich daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten ließen; sie bewegen sich meist vor einem psychoanalytischen Horizont und entfalten ihre stärkste Wirkung dort, wo sie Unvereinbarkeiten berühren oder Hinweise liefern, wie wir unseren gewohnten Blick um 180 Grad drehen können.
Umso spannender, wenn sich ein Denker wie Zizek mit einem scheinbar so profanen Thema wie der Kapitalismuskritik befasst. Der Titel „Ärger im Paradies“ spielt auf die Beobachtung an, dass die jüngsten großen Protestwellen gerade dort stattgefunden haben, wo sich die Dinge gerade zum Besseren gewendet haben: Türkei, Brasilien, Ägypten – das waren nicht die Armenhäuser der Welt, sondern Länder, die sich im wirtschaftlichen Aufschwung befunden haben und historisch betrachtet auch ein relativ großes Maß an Freiheit boten. Die Protestierenden waren auch nicht traditionell Benachteiligte, sondern Menschen, die mehr wollten. Entwicklung, lässt sich vereinfacht zusammenfassen, fördert revolutionäres Potenzial.

Kapital ist inkonsequent

Die andere Beobachtung: Kapitalismus als System ist inkonsequent. Trotz Freihandelszonen gibt es Landwirtschaftsförderungen (auch in den USA), trotz grober Meinungssverschiedenheit bei Menschenrechten pflegen die Länder der EU wirtschaftliche Beziehungen mit Saudi-Arabien. Diese pragmatischen Inkonsequenzen sind das Ergebnis von Politik; der Konsequenz fordert, fordert damit ebenfalls große politische Veränderungen.
Dass die Veränderung – jetzt stark verkürzt – dann ausgerechnet auf das Wiederaufleben des Kommunismus hinauslaufen kann (Zizek formuliert hier sehr vorsichtig), ist auf den ersten Blick merkwürdig. Vielleicht aber auch nur praktisch-historisch bedingt. Schließlich war die kommunistische Ordnung in einzige in jüngster Zeit konkret umgesetzte Alternative zur kapitalistischen Ordnung. Und sie ist der radikale Gegensatz, der sich eben aufdrängt, wenn wir das ganz andere suchen.
Zizek ist durchaus der Meinung, dass wir etwas radikal anderes brauchen – und uns damit schwertun, es zuzulassen. Vor allem, wenn es die Grundzüge der gewohnten (kapitalistischen) Ordnung bedroht.

Batman muss her

Das illustriert er anhand einer abschliessenden Analyse der letzten Batman-Filme. Auch hier stark verkürzt: Joker in „The Dark Knight“ hat Chaos angerichtet, Menschen an den Rand ihrer Überzeugung gebracht, Helden an sich zweifeln lassen, und sogar den guten Bürgermeisterkandidaten Dent, der die Hoffnung auf den unkorrumpierbaren weißen Ritter in Gotham City verkörperte, zum Kippen gebracht. Das war ok, weil es letztlich nur um Liebe und persönliche Grausamkeiten ging.
Bane dagegen, der Schurke aus der Fortsetzung „The Dark Knight Rises“, spielt seine Bösartigkeit über die Finanzmärkte aus: Er greift Bruce Waynes/Batmans Vermögen an, lockt die Polizei in eine Falle und löst durch die Befreiung von Häftlingen anarchische Zustände aus. Während Joker eine zwiespältige Figur war, die auch in ihren Gegnern Zwiespalt auslöste, vereint Bane eine geschlossene Front gegen sich – weil seine Angriffe nicht innerhalb einer bestehenden Ordnung funktionieren, sondern das System selbst in Frage stellen. Das kann nicht sein, daher gibt es diesmal keine korrumpierten Helden, die Polizei steht geschlossen auf der Seite des Guten – und außerdem ist klar, wo Gut und Böse sind.
Und was bedeutet das für die Frage nach dem Ende des Kapitalismus? Solange die Alternativen Joker sind, steht das System selbst nicht wirklich zur Debatte. Es gibt Variationen des Bestehenden, kleine Attacken und Reformideen, aber keine grundlegend neue Perspektive. Reale Gegenentwürfe müssen die Gestalt von Bane annehmen. In der Rolle des ganz anderen, des großen Gegensatzes zum Kapitalismus, werden sie dann in der Gestalt des Kommunismus greifbar…
In Interviews bezeichnet sich Zizek selbst als überzeugten Kommunisten. Für weniger Überzeugte können seine Überlegungen ein Denkanstoss sein, was ein Mehr an Regulierung mit sich bringt …

 

Angstmeiern

Angstmeiern ist die politische Strategie der Stunde. Dem kann man nur tiefes Misstrauen entgegenhalten – gegenüber allen, die Lösungen versprechen, die angeblich ohne das Zutun von Menschen funktionieren und nur einen starken Mann brauchen.

Ich habe lang die Klappe gehalten und noch länger darüber nachgedacht, was mich an der aktuellen politischen Situation und ihrer Diskussion so stört. Ein paar Dinge liegen auf der Hand: Erfahrene Wahlverlierer haben nach der x-ten Wahlniederlage in Serie noch immer keine auch nur irgendwie akzeptablen Sprüche parat, sondern reden von besserem Marketing, einer verständnislosen Bevölkerung, von Neustart und davon, wieder Wahlen gewinnen zu wollen. Dagegen ist es ja vergleichsweise erfrischend wenn jetzt wirklich die SPÖ-Länderchefs sagen, wo es lang geht – also ausgerechnet die Looser-Partie aus den Bundesländern, die noch nie irgendwas gewonnen hat. Von einer konsequent selbstzerstörerisch-spekulativen ÖVP, die alles dafür tun würde, nur einmal wieder den Kanzler zu stellen (selbst um den Preis, zwei Jahre später noch tiefer in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden), rede ich gar nicht.
Viel ärgerlicher ist noch das immer wiederkehrende Gejammer über eine Angst, verängstigte Verlierer, den Verlust der Wohlfühlzonen, Kriminalität und andere Bedrohungen. Die einen fahren (zum ersten Mal?) mit der U6 und machen einen Drama-Aufsatz daraus, die anderen reden betont betulich über Kriminalität, und wieder andere teilen noch betulicher ein großteils faktenfreies Interview mit Drama-Queen Stefan Petzner und fürchten sich erst recht. Petzner, echt jetzt? Der Typ, der vom tschetschenenfreien Kärnten bis zu Attacken jenseits aller Gürtellinien sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als Angst und Gehässigkeit zu schüren, und jetzt einen halben Schritt zur Seite gemach hat und so tut, als würde er nur noch beobachten und beraten, und dabei noch immer das gleiche tut, ist euer neuer Heiliger?
Vor lauter Angst und Verständnis für Angst wird dann alles ganz schlimm. Heide Schmidt hat dazu im „Gültige Stimme“-Gespräch mit Roland Düringer ein paar klare Worte gefunden: Menschen ernst nehmen – alle mal, aber genau nicht dadurch, dass man sie auf ihre Ängste reduziert.
Klar, so ein bisschen Drama fühlt sich gut an.
Die, die sich dieser Argumentation nach fürchten müssten (entlang der U6, rund um den Praterstern), haben weder bei der Wien-Wahl noch bei der Bundespräsidentschaftswahl blau gewählt, die aus den Randbezirken haben eher wenig Grund, sich zu fürchten; diese Diskussion hatten wir schon mal.
Die gegen Hofer vorgebrachten Argumente, Aufklärungsfilme und Kornblumenexegesen sind eine wundervolle Bestätigung für seine Wähler.
Die komplizierten EU-Verteidigungsstrategien, die selbst erfahrene Diplomaten nicht verständlich rüberbringen können, sind wirksame Schlafmittel.
Und die Idee, statt Angst zu haben, Dinge selbst in die Hand zu nahmen – das macht dann halt erst richtig und wirklich Angst.

Gibts also nichts dagegen zu sagen? Für mich gibt es mehrere Szenarien.
Nehmen wir die Angst mal ernst.

Türkenbelagerung

Da gibt es einerseits also feindlich gesinnte Invasoren, die ein sich abschotten wollendes Alpenvölkchen umvolken wollen. Sie sind eine reale Bedrohung, denn dank ihrer rauhen Sitten und ihrer Gebärfreudigkeit haben sie die Möglichkeiten dazu. Wir sind aber schlauer und lassen sie nicht mehr rein. Und dann? Werden die, die gerade noch eine Bedrohung waren, achselzuckend nach Hause gehen und sich denken: „Na gut, dann halt nicht“? Oder werden sie es, immer noch in der blauen Welt, dann mit anderen Mitteln probieren – gegen ein dann nicht nur von seinen Feinden, sondern auch von ehemaligen Freunden abgeschottetes Alpenvölkchen? und dann, darauf zielt ja die blaue Politik ab, gibts eben wirklich die nächste Türkenbelagerung. Unsinn? Ja, ungefähr genau so wie die Angst vor den Invasoren.

Gangs of Gemeindebau

Ein anderes Szenario: Die Invasoren sind schon da, steigende Kriminalität und mutwillige Arbeitslosigkeit zerrütten die Gesellschaft. Ärger wohin man schaut, die „Ströme von Blut“, von denen die Identitären reden, sind zwar immer nur anderswo, aber umso trefflicher kann man sich vor ihnen fürchten. Solche Szenarien sind nicht wirklich neu. Nicht einmal in Wien. Der Unterschied: In den 70er Jahren sprachen Jugendbanden ein wunderschönes Austropop-Deutsch. In den 90er Jahren hatten Türkengangs noch immer ein besseres Deutsch als der muttersprachlich minderbemittelte Hooligan. Ihre – durch und durch westlichen – Kriminalitäts-Vorbilder kannte man aus dem Kino (oder aus MTV). Der über Jahrzehnte geradezu ikonische Durchschnitts-Jugo mit Mittelscheitel in Pagenkopf-Länge, blauer Bomberjacke, schenkelweiten Jeans (besser fürs Kickboxen) und Westernstiefeln ist jetzt schon länger ausgestorben. – Auch in den frühen 90ern gruselte man sich ziemlich vor Kriminalität und EInwanderung, und es gab wie heute einiges an Kriegsflüchtlingen, die, sagen wir mal, eine andere Streitkultur hatten. Dann waren es aber rein österreichische Hooligans, die in Linz einen Polizisten zu Tode traten.
Worauf ich hinauswill? Man kann sich fürchten. Dann müsste man konsequenterweise seit 30 Jahren in Angst leben. Oder man könnte sich daran gewöhnen, dass auch Wien mittlerweile eine Stadt ist.
Auch diese Überlegungen gehen aber grundsätzlich ziemlich am Thema vorbei. Denn um es noch einmal zu wiederholen: Wien ist ja nicht blau. So sehr die, die nicht möchten, dass Wien blau wird, auch daran arbeiten, Gründen zu finden, warum Wien blau werden könnte.

Angst als sozial akzeptierte Kreuzung von Gier und Neid

Die dritte möglicherweise ernstzunehmende Angst ist die wirtschaftliche Angst, oft auch eine Kreuzung aus Gier und Neid. Den Garage-mit-Reihenhaus-Besitzern in Floridsdorf oder in der Donaustadt, die ihren ausländerfreien Wohlstand erhalten möchten, werden gegen die Yppenplatz- und Karmelitermarkt-Bewohner in Stellung gebracht, die sich mit viel Aufwand und damit verbundenen Preissteigerungen ihre Wohlfühlplätzchen geschaffen haben, in denen Migranten selbstverständlich Platz als die netten Marktstandler oder als Haushälterinnen haben. Beide finden es schlimm, dass es nicht überall so ist, wie bei ihnen zuhause. Der Unterschied: Die einen rufen nach Problemlösungen, die anderen nach Problemverdrängungen.
Beide haben Grund zur Sorge: Ausgaben und Kosten steigen schneller als die Einnahmen, die sich mit Arbeit machen lassen. Die Höchststeuerzone, in der (mehr) Arbeit kaum noch Spass macht, beginnt früh und zieht sich weit hinauf; Einkommenssteigerungen begünstigen die am meisten, die es am wenigsten brauchen (angestellte ältere (männliche) Besserverdiener), Jüngere werden kurz gehalten.
Soziale Unterschiede verursachen zusätzliche Kosten (sofern sie reduziert werden sollen, dafür soll Ruhe erreicht werden. Und es ist eben irgendwo nur logisch, dass diejenigen, die jetzt schon Ruhe haben, weniger zu investieren bereit sind – und sich lieber auf das Belagerungsszenario (siehe oben) zurückziehen.

Hilft Angst in irgendeiner dieser Situationen? Ja, aber nur dabei, diesen Zustand beizubehalten. Ich habe auch gar nichts dagegen, Angst zu haben. Besonders lähmend ist aber dieser Kreislauf, anderen zu unterstellen, Angst zu haben, für deren unterstellte Angst Verständnis haben zu wollen, damit erst recht Angst zu schüren und sich selber Angst zu machen. Das klingt kompliziert; mit einem einfacheren Namen könnte man das auch als SPÖ-Syndrom bezeichnen.
Das ist ungefähr so logisch wie Norbert Hofers Position zu Homosexualität: Gleichgeschlechtliche Paar sollen keine Kinder adoptieren dürfen, weil das der Ehe vorbehalten sein soll. Homosexuelle sollen auch nicht heiraten dürfen, weil aus der Ehe Kinder hervorgehen könnten und weil die Ehe zum Schutz der Kinder dient. Jetzt ist das bei einer homosexuellen Ehe mit den Kindern wahrscheinlich etwas schwierig, aber dieser Kreis schafft halt eine bestechende Pseudologik. Fragt mich nicht – hier kann man das nachhören. Er hätte ja auch sagen können, dass er die Vorstellung einfach nicht mag – das ist sein gutes Recht, aber keine Grundlage für politische oder rechtliche Entscheidungen.

Und jetzt? Ich denke, der einfachste und wichtigste Grundsatz zur Zeit ist, jedem zu misstrauen, der einfache Rezepte präsentiert, die den Eindruck erwecken, ohne das Zutun von Menschen zu funktionieren. Denn wenn es die Menschen nicht selber machen, dann macht es eben ein starker Führer für sie.

Politik ist ein spekulatives Geschäft

Michael Häupl ist ein Mensch der klaren Worte – so klar, wie es ihm halt passt.

Manchmal gibt’s verbale Showeinlagen (“I bin’s”, “Plärr net umadum”), manchmal zackigen Kommandoton, und manchmal ein schlichtes “sicher ned” oder ein interpretierbares “hätten’S gern”.
Die automatischen YouTube-Untertitel seines Auftritts zur Ankündigung des neuen Kanzlers und Parteivorsitzenden können damit nicht so gut umgehen.
Ich mag diese geheimen Botschaften. Eröffnet jedenfalls neue Perspektiven auf die Regierungsumbildung.
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9(Und nein, Häupl hat nichts davon gesagt. Aber Politik ist halt manchmal ein spekulatives Geschäft … )

Unbefleckte Trojaner-Empfängnis

Die Diskussion um den Staatstrojaner und digitale Überwachung vermittelt den Eindruck: Grundrechte sind Auslegungssache und technisches Verständnis ist nicht so wichtig… 
“Wir wissen nicht, wie das funktionieren soll, aber wir werden uns selbstverständlich an alle Vorschriften halten. Bis wir sie ändern“ – so oder ähnlich lässt sich die Substanz der Staatstrojaner-Pläne des Justizministeriums zusammenfassen, je nachdem, welche Kritikpunkte man ernst nehmen möchte.
Gestern ist die Begutachtungsphase für den Gesetzesentwurf zu den neuesten Überwachungsmaßnahmen zu Ende gegangen. 41 Stellungnahmen von Juristen, Datenschutzexperten und Informatikern fallen sehr unterschiedlich aus. Zwei Dinge fallen dabei besonders auf.

Neues Berufsbild Undercover-Trojaner-Installateur_in

Die Spionagesoftware soll, so versichert der Justizminister, nicht einfach remote auf den zu überwachenden Geräten installiert werden, sondern nur durch physische Installation. Eben um sicherstellen zu können, dass der Einsatz der Überwachungsmaßnahmen auch gezielt kontrolliert und einem realen Durchsuchungsanordnung gleichgesetzt werden kann – und um Verwechslungen auszuschließen.
Das verspricht viele spannende Momente. Schwerkriminelle Terroristen und Mafia-Mitarbeiter, gegen die sich diese Überwachungsmaßnahme laut Gesetzestext richtet, werden ihre zur kriminellen Kommunikation verwendeten Computer kaum unbeaufsichtigt und ohne passwort- oder sonstigen Schutz lassen. Vielleicht verwenden sie gemeinerweise auch so neumodische praktisch schnittstellenfreie Hardware, in die man nicht einfach Disketten reinschieben kann. Oder noch gemeiner: Sie verwenden mobile Geräte, die sie bei sich tragen und nachts dann auch noch als Wecker neben dem Bett liegen haben. – Ich sehe neue Generationen von StaatsschutzmitarbeiterInnen zwischen Vamp und Callboy mit Taschendieb-Qualifikationen vor mir, die sich darauf spezialisieren, unbemerkt Smartphones aus Hand- und Hosentaschen zu klauen und sekundenschnell den Trojaner zu installieren.
Diesen Punkt greifen viele Stellungnahmen auf. Staatsanwälte treten für die Zulassung der Remote-Installation ein, Rechtswissenschaftler bemängeln, dass der Gesetzestext diese Installationsform (im Gegensatz zu den Ankündigungen des Justizministers) gar nicht ausschliesst, andere sehen darin ein Beispiel für allgemeine Schwächen des Entwurfs. Die Fakultät für Informatik der TU Wien bezweifelt in ihrer Stellungnahme überhaupt, dass die Installation von Schadsoftware grundsätzlich wie vorgesehen möglich ist. Die Software müsste offene Sicherheitslücken ausnützen, solche Software wird allerdings nur auf einem eigenen (Schwarz)Markt gehandelt. Mit dem Kauf solcher Software würde also höchstwahrscheinlich in eine jenseits der Legalität operierende Hacker-Szene investiert.
Marielouise Gregory, Leiterin der Rechtsabteilung der Telekom Austria, bezweifelt in ihrer Stellungnahme ebenfalls, dass die geplante Vorgangsweise praktikabel ist und schließt ganz pragmatisch mit dem Hinweis, dass „A1 als Betreiber weder in der Lage ist noch es gutheißen würde, bei der Installation von Überwachungsprogrammen eine Hilfe leisten zu müssen.”

Wir wissen nicht, was Grundrechte sind

Betrachtet man nur die Stellungnahmen von Juristen und Behörden und lässt Datenschützer oder Techniker außen vor, dann ergibt sich immer noch ein äußerst unterschiedliches Bild.
Keine Probleme mit Grundrechten oder Verhältnismäßigkeit sehen:
  • Oberstaatsanwaltschaft Graz
  • Oberster Gerichtshof
  • Oberlandesgericht Wien
  • Oberlandesgericht Graz
  • Landesgericht Klagenfurt
  • Vereinigung der Staatsanwälte.
Klärungs- und Abgrenzungsbedarf sehen:
  • Richtervereinigung
  • Rechtsanwälte
  • Mitarbeiter des Instituts für Strafrecht und Kriminologie
  • der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts
Die Juristen sind sich also juristisch uneinig. Gut. Ich weiß aber nicht ganz, was ich davon halten soll, wenn etwa das Landesgericht Klagenfurt seine „ausdrücklich begrüßende“ Stellungnahme folgendermaßen abschließt: “In (sic) den vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in seiner Stellungnahme vom 12. April 2016 (siehe info@akvorrat.at) (sic) geäußerten technischen Bedenken kann mangels entsprechender Expertise nicht Stellung genommen werden.”
Der erwähnte AK Vorrat sieht im übrigen einen „unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff“ in dem Gesetzesentwurf.
Trotz allem soll das Gesetz im Mai noch beschlossen werden.

Graffiti in Athen

Graffiti in Athen

Geschlossene Geschäftslokale mit verrosteten Rollbalken, die sich schon länger nicht mehr bewegt haben, waren in Athen keine Seltenheit. Der Weg zurück ins Hotel führt durch eine Pro-Hanf-Demonstration, die von gepanzerten Polizisten begleitet wird. Deren Knieschützer sehen aus wie die von Kindern beim Rollschufahren; die Helme und Schlagstöcke passen nicht dazu.

Ein paar Gassen weiter ist es wieder ruhig. Sehr ruhig. Vor einem kleinen Lokal stehen die letzten Gäste rauchend auf der Straße, drinnen räumt der Veranstalter die unverkauften Reste der Buchpräsentation weg.

“Wir sammeln für einen Freund, der gerade im Knast sitzt”, erklärt er. Es ist ein kleines Buch über politisches Graffiti in den Straßen Athens. Viele Fotos und Kommentare zeichnen ein Bild von Graffiti als politischem Diskurs zur Situation Griechenlands. Viele der Arbeiten sind von dem inhaftierten Freund. Das Buch ist nur in diesem Laden u beziehen – es ist nicht im Handel, nicht online zu kaufen.

Es ist, in einer Zeit, in der die Zeitungen übervoll sind mit Nachrichten aus Griechenland, eine der lebendigsten und buntesten Bestandsaufnahmen von der anderen Seite.

Graffiti in Athen Graffiti in Athen Graffiti in Athen

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Mein generischer Kreativitäts-Crowdsourcing-Pitch

Kreativitätscontests made easy. Nachdem wir leider nicht überall mitmachen können, habe wir hier einen generischen Beitrag zur freien Entnahme erstellt. 
 
Partizipation ist cool. Mal darf man für die Wirtschaftskammer sein letztes Hemd ausziehen (was für eine Symbolkraft!), dann darf man unter dem Deckmantel der Innovation Ideen in die Senkgrube des Vergessens kippen und immer öfter wird man auch zu Kreativitätscontests eingeladen. Zuletzt machte das Volkstheater mit einem Illustrationswettbewerb Furore, jetzt lädt Saxoprint dazu ein, ein Match-Trikot für die österreichische Nationalmannschaft zu gestalten – für 2.000 € Preisgeld und eine Reise zum Match. Immerhin gibt es dabei sogar Abstandshonorare in Form von 25 €-Gutscheinen.
Wie verlockend. Leider fehlt mir die Zeit, überall dabei zu sein, Teilnahmebedingungen zu lesen und Ausschreibungsplattformregistrierungen auszufüllen. Deshalb habe ich keine Kosten und Mühen gescheut und die besten Designer, Texter und kreativen Köpfe versammelt, um eine generische Kreativitäts-Contest-Contribution zu erstellen. Das Ergebnis steht hier zum Download bereit (selbstverständlich auch in offenen Formaten) und ich bitte alle, die wieder eine besonders innovative Spielweise des Massenpitches erfunden haben, sich einfach hier zu bedienen.
Wie Sie uns vom Gewinn der Ausschreibung verständigen können, das erfahren Sie in unserem Impressum.
 
Kreativitaetscontest
 
 
Download: pdf psd

Konsum-Elitarismus: Warum wir so pleite sind 

Wir tun so, als könnten wir entscheiden, wofür wir Geld ausgeben. Das ist ein Spiel auf dünnem Eis und in sehr begrenztem Rahmen. 
Für den Staat bin ich reich. Ich zahle für einen recht spürbaren Teil meines Einkommens 50 Prozent Steuern, zahle seit vielen Jahren Höchstbeiträge in der Sozialversicherung und bei der Abschreibung von Sonderausgaben stehen mir nur noch die jährlichen 60 Euro Grundbetrag dazu – der Rest fällt unter Selbstbehalt.
Das sind die gleichen Rahmenbedingungen, die auch einen Vorstandsvorsitzenden oder eine Generaldirektorin eines internationalen Konzerns mit mehreren Milliarden Euro Bilanzsumme betreffen. Eigentlich sollte ich mir also alles leisten können – dennoch finde ich vieles absurd teuer, bin weit davon entfernt, sparen zu können und froh, wenn ich nicht immer den ganzen Überziehungsrahmen meines Kontos ausnützen muss.
Wohin fließt dann das Geld, und warum ist man, wenn man bei allen Pflichtabgaben das Maximum zahlt, nicht so reich wie Pablo Escobar?
Steuern sind nur ein Teil der Geschichte. Ein ziemlich fetter Teil zwar, aber lassen wir das mal beiseite. Es geht ja genau um die Frage, warum man steuerlich gesehen steinreich ist, im realen Leben aber ganz und gar nicht.

“Das ist halt Qualität”

Historisch orientierte Ökonomen gehen solchen Fragen gern mit der Analyse von Preisen und Preisvergleichen nach: Wofür wird Geld ausgegeben, welchen Anteil am verfügbaren Geld machen welche Waren aus? – Und es mussten übrigens beruhigende Zeiten gewesen sein, in denen verarmte Leute eben ins Hotel gezogen sind, in denen die tägliche abendliche Party mit Drei-Gänge-Menü und zwei Flaschen Wein dazu auch für mittellose Künstler kein Problem war und, später, in denen massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit schlicht kein Thema war. Ok, echte Armut war damals (bis vor rund 150 Jahren) großteils schlicht außerhalb des Radars.
Trotzdem frage ich mich schon länger, ob es nicht genau solche Kleinigkeiten sind, die langsam aber sicher Budgets auffressen. Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren rasant gestiegen; Fett&Zucker-Junkfood aus dem Supermarkt, das mal verlässlich billiger Kalorien-Lieferant war, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Parallel dazu treiben auch Qualitätsoffensiven die Preise: Beim Fleisch aus einer des Lebens würdigen Tierhaltung geht das vielleicht noch zu langsam, bei handgemachten Keksen, mit Liebe produzierten Kaffee-Spezialitäten oder Weinen entwickelt sich das dafür rasant. Qualität, Handarbeit, Nachhaltigkeit sind Preistreiber, die den Boden auch für andere Entwicklungen bereiten. Von vier oder sechs Euro für Kaffee, der nicht mehr nach Kaffee schmeckt, ist es nicht mehr weit zu zweihundert Euro für eine Nacht in einem Hotel mitten in der langweiligsten Prärie mit vielleicht Aussicht auf ein paar Berge. Hier ist es nicht Nachfrage, die den Preis gestaltet, es ist das Angebot – eines, das auf Langweile und Überdruß abzielt. Was teuer ist, muss gut sein, eben vielleicht im Sinne von Nachhaltigkeit auch noch gut für andere. – Noch besser wäre es aber vielleicht, der Hotelier, der sein Haus in die Ruhe versprechende Landschaft gebaut, es beruhigend designt und ausgestattet hat, hätte es gar nicht gebaut. Der Ruhe wegen.
Fairness ist sicher ein hochzuhaltender Wert, und Preise zu drücken schlägt schließlich gegen alle zurück. Die Idee, auf diesem Weg Arbeit wieder rentabler zu machen, birgt aber auch ein Risiko: Sie bindet die Möglichkeit von Arbeit an das Vorhandensein von Kapital. Darauf muss ich später noch einmal zurückkommen.

“Das kostet extra”

Während Lebensmittel und Gastronomie augenscheinlich deutlich dazu beitragen, Preise zu steigern, sind andere Produkte auf den ersten Blick billiger geworden – Flugreisen etwa. Wo vor zehn oder zwanzig Jahren eine Flugreise noch eine schwergewichtige finanzielle Entscheidung war, fällt sie jetzt weit weniger ins Gewicht. Das ist einerseits eine Frage der Relationen –  ein Amerika- oder Asien-Flug kostet oft weniger als eine kleine Wiener Mietwohnung im Monat kostet -, andererseits eine Frage der Preisgestaltung. Wo in anderen Branchen Qualität und Service aufgebaut wurden, wurden sie beim Fliegen abgebaut. So weit so fair. Allerdings zeigt sich beim Fliegen eine Entwicklung, die an die Gestaltung von Steuerreformen und die Einführung von neuen Belastungen erinnert. Seit übermaßiges Service an Bord gestrichen wurde, sind die Preise etwa gleichgeblieben – dafür müssen immer mehr frühere Selbstverständlichkeiten  jetzt gegen Bares zugekauft werden. Eine erste Entwicklung betraf das Gepäck – immer öfter ist nur Handgepäck inklusive, Bordgepäck muss extra bezahlt werden. Eine neuere Erfindung ist die Boarding-Reihenfolge: Nach Priority- und First Class-Passagieren können jetzt auch Economy-Class Passagiere gestaffelte Aufpreise zahlen, um früher an Bord des Fliegers zu dürfen. Sinn macht das natürlich in Kombination mit den Gepäcksregelungen: Wer die Grenzen seines Handgepäcks ausreizt und dafür auf extra zu bezahlendes Bordgepäck verzichtet, zahlt eben für die Boarding-Reihenfolge und gewinnt damit Zeit und Platz für sein Handgepäck. Und manche Billig-Airlines verlangen jetzt sogar schon Aufpreise für die Wahl des Sitzplatzes – auch beim Online-Checkin. Wer nicht zahlt, dem bleiben eben nur die undankbaren mittleren Plätze in den Dreier-Sitzreihen.
Auch das ist ein Weg, Werte zu schaffen, die wir früher nicht kannten. In der Wirtschaftsentwicklung geht es schließlich um Mehrwert.

Auch ideeller Mehrwert braucht reales Kapital

Mehrwert wird so zu einer Geschmacksfrage, zu einer persönlichen Entscheidung. Die gute Seite dabei ist: Das gibt mehr Menschen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wofür sie Geld ausgeben wollen. Die schlechte Seite ist: Der so verstandene Mehrwert produziert real betrachtet nicht mehr Wert. Für den Espresso ist es egal, ob er von einem Kellner gemacht wurde, der dabei auf die Uhr geschaut hat und an die letzte Folge seiner Lieblingsfernsehserie gedacht hat, oder von einem Barista, den es glücklich macht, seine Zeit zwischen tollen Espressomaschinen zu verbringen. Für das Ziel, eine andere Stadt zu erreichen, macht es auch keinen Unterschied, ob man während des Flugs aus dem Fenster sehen konnte oder seine Sitznachbarn aufscheuchen musste, um auf die Toilette zu gehen.
Trotzdem, und das ist das Gemeine dabei, muss es wohl einen Unterschied machen, ob Leute fair bezahlte Jobs gern machen, oder ob sie durch Androhung der Kürzung von Arbeitslosengeldern dazu gezwungen werden.
Der so beschaffene Mehrwert als treibender Wirtschaftsfaktor ist auch persönliche Vorlieben angewiesen – und er ist auf dünnem Eis gebaut: Nachdem wir den Wert, der eigentlich keiner ist, nicht wirklich brauchen, ist er auch etwas, auf das wir leicht verzichten können, wenns mal knapper zugeht.
Das ist dann wieder ein Problem, weil der ideelle Mehrwert – fair gehandelter Kaffee, glückliches Personal, gut designte Hotels – nur mit ganz realem Kapital in die Welt gebracht werden kann. Anbieter investieren also (sie brauchen, wie vorhin erwähnt, Kapital, um überhaupt arbeiten zu können) und sind dann darauf angewiesen, dass Kunden dieses Angebot aus ideellen Gründen annehmen. Schließlich kann nicht jeder Mensch jedes Mal frei entscheiden, wofür er oder sie Geld ausgibt: Irgendwann ist es in den meisten Fällen aus. Und auch davor ist es eine Verteilungsfrage: Den einen sind Reisen wichtig, den anderen Mode, manche geben Geld für gutes Essen aus und sind der Meinung, sich keine Urlaube leisten zu können.

Preis-Trittbrettfahrer

So beschrieben sind das Luxusprobleme. Über manche Dinge kann man allerdings nicht entscheiden, wenn man Teil einer Gesellschaft sein will: Wohnung, Essen, einigermaßen saubere Kleidung, Möglichkeiten sich fortzubewegen, Bankkonten oder Kommunikationsmittel gehören zur Grundaustattung, über die kaum frei entschieden werden kann. Kleidung lässt noch am meisten Spielraum – Entscheidungen sind hier aber auch immer mit Distinktionsverlusten verbunden.
Auch hier entwickeln sich die Preise nach ideellen Gesichtspunkten so als hätten wir die Wahl: Wohnungen werden nach Lage und Features bewertet, Handys und Verträge kosten selbstverständlich nicht zu wenig Geld (nachdem sie ein Zeit lang fast gratis sein mussten) und sogar Gebühren für öffentliche Leistungen werden mit dem Argument „Wir wollen doch alle eine tolle gut funktionierende Stadt“ laufend erhöht – deren Teuerung liegt sogar beim doppelten der Inflationsrate und ist damit ein ganz wesentlicher Preistreiber, dem niemand auskommt.
Wir zahlen also, weil es Teil unseres Selbstverständnisses geworden ist, dass zahlen zu können gut ist. Zahlen können ist eine Form von Freiheit; wer mehr zahlen kann (oder sich aussuchen kann, wofür er oder sie zahlt), hat also mehr Freiheit. Tatsächlich ist diese Entscheidung aber nur in sehr kleinen Spielräumen möglich. Wir zahlen trotzdem – in der Hoffnung, dass sich das erstens gut anfühlt, dass zweitens ein Teil davon zu uns zurückkommt, und dass drittens irgendwann alles gut wird. So lange wir nur zahlen.
Es ist eben ein bisschen paradox, dass gerade eine Form von Konsumkritik, die Wert auf ideellen Mehrwert legt, dazu beiträgt, dass Konsum nach wie vor ein zentrales Element bleibt. Manchen Betroffenen würde es vermutlcih auch gar nicht einfallen, sich als konsumkritisch zu betrachten – Der Begriff Konsum-Elitarismus beschreibt die Sachlage besser.
Aber auch das ist nur eine Seite der Geschichte.