Die Festplattenabgabe von einem anderen Stern

Kunst hat Recht kommt so was von einem anderen Stern. Gerade Medien und Kunstschaffende profitieren so was von enorm von digitalen Vervielfältigungs- und Verbreitungsmöglichkeiten – nicht weil ihre Werke raubkopiert werden, sondern weil sich die Kommunikation darüber vervielfacht hat, die Kaufanreize explodiert sind, weil wir Filme, Bücher und Kinotickets online kaufen können und im Onlinemagazin unseres Vertrauens bessere Information bekommen als von angegraut-berufssubkulturellen Kulturjournalisten in Staatsfunk und Distinktionspresse.
Kein Zweifel, geschäftsschädigende Piraterie findet statt. Manchmal aus Sammelleidenschaft (das sind aber eher Kunden, die kaum kaufen würden), manchmal aus Geiz, großteils aber aufgrund absurder Rechtemanagement- und Paymenthürden:
  • „Legale“ Anbieter verlangen Passkopien, um potentiellen Kunden am Ende eines siebenstufigen Registrierungsprozesses zu sagen, dass das Service in ihrem Land noch nicht verfügbar ist.
  • Lokale Distributionsrechte versuchen, die Welt in einen Status vor der Erfindung des Telefons zurückzuversetzen.
  • Unsinnige Subscriptionservices bewerfen Kunden mit Datenmüll aus Pauschalangeboten mit Jahresbindung, obwohl sie eigentlich nur einen (in Zahlen: 1) Film sehen wollten.

Das sind die Fälle, die das Geschäft verderben – hier griff man lieber auf Pirate Bay zurück. Vor allem hinter dem letzten Punkt lässt sich aber eine perfide Strategie von Distributoren und Künstlern vermuten: Distributoren sorgen für den Datenmüll, den niemand haben wollte, der auf noch mehr externe Festplatten ausgelagert werden muss, für die Künstler, wenn sie schon nichts verkaufen, jetzt Festplattenabgabenprovision einstreifen. Raffiniert. Aber ich bin euch auf die Schliche gekommen.

Gibt es eigentlich keine Bücherregalstellplatzabgabe für die Kompensierung eventuell antiquarisch gekaufter Bücher? Oder wenigstens Pirateriesammelmarken für gekaufte Filme, Bücher und Kinotickets – zehn Mal für Kultur cashen spart die Abgabe beim nächsten Kauf von Piratenequipment (einlösbar auf Holzbeine, Augenklappen und Festplatten).
Und außerdem sollten die Einnahmen aus der Festplattenabgabe erstens in den Ausbau der Bandbreiten investiert werden (die Netzgeschwindigkeit ist ja der eigentliche Leidträger beim massenhaften Download) und zweitens in Computerkurse für Künstler. Und drittens in verbesserte Bandscheibenvorfallvorsorge für Möbelpacker, die jetzt wieder mehr DVDs, Bücher und Vinyl-Sammlungen statt schlanker Festplatten schleppen müssen.
Ich geh dann mal Festplatten kaufen. Wobei ich dort nur eigene Sachen archiviere. Alles andere gibts ja eh jederzeit auf Piratebay …

Sesselrücken in der herrschenden Klasse

Ok, die Geschichte ist ja schon wieder ein paar Tage alt und für die Mainstream-Medien offenbar gegessen. Ich finde es trotzdem spannend, wie leger sich unterschiedliche Wahlrechtsformen kombinieren lassen und wie sich Parlamentsklubs zumindest im Transferverhalten der Leichtfüßigkeit von Fussballklubs annähern.
Die ÖVP hat sich also um zusätzliche Po-Grapsch-Kompetenz aus dem Team Stronach in den eigenen Reihen verstärkt. Geschmackssache.
Nachdem ich weder ÖVP noch Team Stronach wähle, kann mir das grundsätzlich egal sein – einer von vielen Abgeordneten, von dem ich mich nicht vertreten fühle, vertritt jetzt eben etwas anderes, von dem ich mich auch nicht vertreten fühle. Spannender ist die Frage, was ÖVP WählerInnen davon halten: Sie haben eine Liste gewählt und damit auch ausdrücklich eine andere Liste und die darin vertretenen Personen nicht gewählt. Und jetzt sollen sie sich trotzdem von jemandem, den sie nicht gewählt haben und der sich gegen die von ihnen gewählten Inhalte gestellt hat, vertreten fühlen?

Das ist der Moment, in dem repräsentative Demokratie etwas von der Idee der herrschenden Klasse bekommt. Die herrschende Klasse sitzt eben im Parlament und macht dort etwas. Was genau, ist offenbar nicht so wichtig. Es ist auch nicht so wichtig, wie du in die herrschende Klasse gekommen bist, sobald du einmal drin bist. Der Nationalrat wird aber nun einmal primär über ein Listenwahlrecht gewählt. Elemente des Persönlichkeitswahlrechts spielen eine ziemlich kleine Rolle.
Natürlich soll jeder jederzeit seinen Job hinschmeißen können. In allen anderen Jobs ist es aber ziemlich unüblich, zu sagen „Ich mach jetzt was anderes“ und gleichzeitig ein Fortlaufen der Bezahlung zu erwarten.
Herrenlose Abgeordnete dagegen spielen „Wer will mich?“, präsentieren sich als stubenrein (was gerade in der Situation des Parteiaustrittes ein wenig unglaubwürdig ist) und haben gute Chancen, ein neues kuscheliges Zuhause zu finden.
Ich hätte da mehrere Vorschläge:

  • Ungefragt bleiben kann, wer einen Vorzugsstimmenwahlkampf geführt hat und ausreichend persönliche Stimmen bekommen hat – ein passender Schlüssel wird sich dafür schon finden lassen.
  • Listenmitläufer, die als Stimmvieh ihren Stall wechseln möchten, sollten sich Mini-Neuwahlen stellen müssen. Die einfache Frage: Will dich irgendwer im Parlament? Oder streichen wir dich einfach aus der Mannschaft und berechnen die Mandatsverteilung neu?
  • Und zuletzt gäbe es dann immer noch die Alternative für herrenlose Abgeordnete, auf die Auferstehung von Edith Klinger und ein Retro-Revival von „Wer will mich?” zu warten.

 

(Foto: unter Verwendung von Material cc E J Ringhoffer)

“Awesome” ist das neue “ähhh”

Ich besitze ja keinen Fön. Also war ich vergangene Woche beim Pioneers Festival in der Hofburg …
Pioneers Festival, das bedeutet: Informatik- und WU-Studenten bügeln ihre Hemden, Banker und Investoren legen ihre Krawatten ab und man trifft sich irgendwo in der Mitte.
Aber Spaß beiseite. Pioneers ist mittlerweile eine ziemlich staatstragende Organisation. Zum Festival gesellen sich mittlerweile mit Pioneers Discover eine eigene Intelligence Unit, mit Global Pioneers eine Reihe weltweiter Veranstaltungen, und ganz neu mit Pioneers Ventures ein Early Stage Investor. Mit an Bord sind Partner wie Speed Invest oder Austria Wirtschaftsservice.
Das Pioneers Festival glitzert und glänzt und unter der Oberfläche läuft hartes Business, das weltweit Beachtung findet: Pioneers-Start-Ups und Unternehmen aus dem Speed Invest-Portfolio haben mittlerweile Investments von mehr als 200 Millionen Euro an Land gezogen. In den letzten eineinhalb Jahren haben sich über 4000 Start-Ups um Pioneers-Programme beworben, auf der anderen Seite arbeiten über 200 Unternehmen regelmäßig mit dem Pioneers Netzwerk zusammen.
Pioneers Global veranstaltet mittlerweile 35 Events jährlich in 25 Städten weltweit und vernetzt dabei 5000 Leute.
Pioneers Discover sammelt und analysiert Daten aus den über 4000 Start-Ups, die sich mittlerweile um Pioneers-Programme bemüht haben. Damit vermittelt die Organisation zwischen Unternehmen und Gründern, hilft Unternehmen, Businessmodelle und Chance besser zu verstehen und liefert Berichte über die aktuelle Dynamik in der Branche. Für Start-Ups bieten sich neue Kontakte, Partnerschaften und der Überblick über die eigene Branche.
Ventures schließlich kann jetzt nicht nur mit Rat und Vernetzung aufwarten, sondern mit echtem Geld. Pioneers selbst, kündigte CEO Andreas Tschas an, wird mit Beträgen zwischen 25.000 und 125.000 Euro einsteigen. Für mögliche weitere Investmentrunden stehen dann Speed Invest und andere Partner zur Verfügung. Neben der finanziellen Unterstützung kann Pioneers dann noch die ganze Organisation mit den weltweiten Events, Partnern im Silicon Valley, Mentoren und Daten aus dem Discover-Programm ins Rennen werfen.
Das war an den zwei Tagen in der Hofburg deutlich zu spüren. Das Pioneers Festival ist längst keine österreichische Nabelschau mehr. Gründer und Investoren aus ganz Europa drängen sich in den zeitweise hoffnungslos überfüllten Gängen, jeder blickt dem anderen zuerst auf das Namensschild. Die Namensschilder sind praktischerweise auch gleich farblich unterteilt, um Start-Ups, Investoren, Corporates und Presse zu unterscheiden.
Start-Ups pitchen um Kaffee-und-Kuchen-Termine bei Investoren oder VC-Beratern, über Networking-Apps können schon im Vorfeld Termine gemacht werden und besonders gut gebuchte Vorträge und VC-Lounges sind nur mit gesonderter Anmeldung zugänglich. Spätestens am Abend vereint sich dann aber doch wieder alles bei der großen Afterparty.
Im vergangenen Jahr, erzählt Andreas Tschas, wurden allein über die offiziellen Kanäle 11.056 Messages verschickt und 1.188 Meetings vereinbart. 44 davon führten zu Investments.
Für die New York Times war das Grund genug, Wien zum zukünftigen Start-Up-Hotspot zu erklären.
Dass bei sovielen Meetings, so viel Gründergeist und Ambition auch einiges an leeren Kilometern und heißer Luft im Spiel ist, versteht sich von selbst. „Amazing“ und „Awesome“ sind das neue „ähhh“ ratloser Speaker. Man benutzt es als Höflichkeitsfloskel gegenüber anderen, auf der Bühne als Selbstbeschreibung und ergänzt es durch gezielt eingesetzte Verwendung von „yeah“ und „whoa“. Das Spiel funktioniert offenbar, und wenn die Begeisterung mal nachlassen sollte, dann erklimmt ein Animateur die Bühne und erinnert daran, dass Pioniere Krieger sind, die nur laut „yeah“ rufend in Social Media abgebildet sein wollen.
Es gehört dazu, ja. Aber trotzdem schürt es bei mir zumindest die Lust auf subversive Verschwörungen:
Erstens werde ich in Zukunft immer „awful“ statt „awesome“ sagen – und mal abwarten, wem es auffällt.
Zweitens schreibe ich meine eigene Start-Up-Challenge aus: Du möchtest in deinen Pitches, Präsentationen und sonstigen Kommunikationsmaßnahmen auf „awesome“, „amazing“, „fucking“, „yeah“, „whoa” und dergleichen verzichten? Ich helfe dir beim Entzug … Rolemodels für bullshitfreie Start-Up-Kommunikation werden kostenlos beraten: Bewerbungen ab sofort hier.

Staatsschutz ist wie Heimatkitsch: Nur in Grenzen erträglich.

Staatsschutzgesetz ist so was die der Andreas Gabalier der Sicherheitspolitik: Ohne Kontext oder im hübsch frisierten Kontext ist nichts dagegen zu sagen. Natürlich wollen wir Schutz vor Terroristen, natürlich muss es Mittel geben, gegen jene vorzugehen, die sich an keine sozialen Regeln halten (Moment mal, wenn betrifft das dann eigentlich aller?), und natürlich ist gegen ein bisschen Heimatkitsch nichts zu sagen. Beides sehr schlüssige Konzepte, beide wohl auch erfolgreich.
Verteter von Innenministerium, Verfassungsschutz und AK Vorrat diskutierten vergangene Woche auf Einladung des Neos Lab über das geplante Staatsschutzgesetz. Die Befürworter schafften es durchaus, ein vernünftiges Bild zu zeichnen und konzentrierten sich vor allem auf die juristischen Aspekte: Das Gesetz sei sauber, notwendig und im Rahmen aller in Österreich geltenden Rechtsgrundlagen. Der Verfassungsschutz habe überdies nur eine verschwindend kleine Gruppe von einigen hundert Leuten im Auge; von Massenüberwachung könne keine Rede sein.
So weit so gut; ich bezweifle die Rechtmäßigkeit nicht und kann das auch nicht beurteilen. Allerdings hatte auch die DDR ihre Rechtsordnung, innerhalb derer auch Schüsse an der Berliner Mauer im Rahmen waren. Und vielleicht erinnert man sich noch an den Eiertanz rund um die Frage, auch welcher rechtlichen Basis man jetzt Erich Honecker und seine Leute vor Gericht stellen könne (Es waren dann Menschenrechtsverletzungen, das Verfahren wurde aber passenderweise auf Grund von Honeckers Gesundheitszustand eingestellt; er wanderte nach Chile aus).
Die Rechtmäßigkeit ist aber zugleich auch das Problem: Das Staatsschutzgesetz bezieht sich auf Straftatbestände, die in anderen Gesetzen geregelt sind und setzt die weltanschauliche oder religiöse Motivation oben drauf, um manche Verbrechen von anderen zu unterscheiden. Vielleicht ist heute alles im Rahmen. Aber so wie ich das verstehe, können Änderungen in anderen Rechtsgrundlagen dann leicht dazu führen, dass das Staatsschutzgesetz dann plötzlich auch auf ganz andere Delikte angewendet werden kann. Es kommt eben darauf an, in wessen Händen so ein Gesetz dann liegt.
Und die Frage der Weltanschauung ist ja eine sehr dynamische. Ein Vertreter einer Regierungspartei (Jörg Haider) und ein Justizminister (Wolfgang Böhmdorfer) empfanden schließlich einmal Strafen für “Österreich-Vernaderer” als “sicherlich verfolgenswerte” Idee. Mit dem neuen Gesetzesentwurf würde sich das dann auch leicht zur Sache für den Staatsschutz machen lassen.
Deswegen Gabalier: Nichts gegen erfolgreiche Musiker und Lederhosen. Aber wenn sich die Idee von Heimat in den Facebookseiten von FPÖ-Politikern spiegelt (die Asylwerbern Smartphones neiden… – im Übrigen wäre das doch der beste Beweis dafür, dass das eben keine Höhlenmenschen sind, oder?), absurde Manderl-Weiberl-Konstruktionen strapaziert und auf Ausgrenzung setzt, dann ist das eben nicht meine.
Deshalb fällt es mir schwer, diese Entwicklung hinzunehmen. Peter Gridling, Vertreter des Verfassungsschutzes bei der Diskussion vergangene Woche, forderte “ein bisschen mehr Vertrauen”. Ihm persönlich würde ich ja durchaus vertrauen. Der politischen Entwicklung allerdings nicht. Und dazu braucht es keinen FPÖ-Kanzler. Eiertänze ohne Linie wie bei GmbH Zero, Nichtraucherschutz und Bankgeheimnis, umgelegt auf die Kernbereiche von Freiheit (die nun einmal vom Staatsschutzgesetz betroffen sind), reichen mir da schon.
Nur noch eine Notiz am Rande: Ich möchte echt gern mal Argumente und Beispiele für das Staatsschutzgesetz hören, die sich nicht auf radikalen Islamismus stützen.

Die nächste Steuererklärung wird schnell gehen. Und im Herzen bin ich Anarchist

[su_dropcap]L[/su_dropcap]iebes Finanzamt, mit meiner nächsten Steuererklärung werde ich schnell fertig sein. Hab ich von euch gelernt. Wenn ein Ministerium dem Verfassungsgerichtshof keine Information geben muss, muss ich das gegenüber dem Finanzamt ja auch nicht machen, oder?
Ich habe mich näher mit der Steuerreform beschäftigt und es dabei immer schon lustig gefunden, dass die Refinanzierung über Betrugsbekämpfung geplant war. Erstens hat es ja durchaus Charme, der gesamten Bevölkerung pauschal kriminelle Energie zu unterstellen. Zweitens stellt das ja auch die Entlastungseffekte infrage: Irgendwo muss das Geld ja herkommen, und wenn diejenigen, die entlastet werden sollen, pauschal als Betrüger betrachtet werden und mehr (bislang hinterzogene) Steuern zahlen sollen, dann halbiert das die versprochenen Entlastungen ja gleich mal. Und drittens war ich schon lang gespannt, was dann an Kontrollmaßnahmen nachkommen wird.
Mit der Kassabonaufbewahrungspflicht nimmt das ja schon mal erste Formen an. Ich hoffe nur, dass wir dann auch jedes Mal UID-Nummern auf den Kassabons eintragen lassen können. Nur für den Fall, dass ihr die dann auch mal wissen wollt. So wie letztes Jahr, als ich die nette Aufforderung bekam, eine Liste sämtlicher Eingangsrechnungen mit Lieferantenadressen und UID-Nummern nachzureichen. Grundsätzlich kein Problem, aber warum sagt ihr das denn nicht gleich? Dann könnte man das gleich beim Buchen erfassen und müsste nicht nachträglich hunderte Belege durcharbeiten.
Auf der anderen Seite wars dann aber auch wieder beruhigend, dass mit diesen Daten nicht viel passieren wird. Auf Finanzonline kann man an Antworten auf Ergänzungsersuchen nämlich nur pdfs oder jpegs anhängen. CSV, Excel oder wenigstens zip? Geht nicht. Und eine Liste mit ein paar hundert Einträgen als jpg ist wohl nur zum Ausdrucken und ablegen geeignet …
Wird das mit der Kontenoffenlegung dann auch so sein? Sollen wir dann eBanking-Screenshots schicken?
Wahrscheinlich, weil dank Staatsschutzgesetz und neuen umfassenden Überwachungsbefugnissen auch ohne Vorratsdatenspeicherung wisst ihr den Rest dann sowieso schon.
Deshalb gleich noch ein Outing:
Liebe Staatsschutzgesetz-Autoren und -Autorinnen, im Herzen bin ich Anarchist, das wollte ich euch nur sagen. Nicht weil ich gern diese Kreise mit As gern wohin male oder per se ein Problem mit Beamten hätte. Man kann halt Bakunin und Kropotkin lesen und darin eine sehr nüchterne und zukunftsorientierte Variante fakten- und evidenzorientierter Politik finden.
Man kann sie sicher auch anders lesen.
Und ich habe letzte Woche mit einem Freund am Küchentisch einer Freundin, die davon nicht begeistert war, über Drogenpreise in Portugal diskutiert. Aber eigentlich nur, weil es mich genervt hat, ungefähr 15 Mal täglich gefragt zu werden, ob ich Gras, Dope, Koks, Speed oder E kaufen will. Und weil es mich durchaus fasziniert, dass die Dealer in Lissabon alle Alters- und sonstigen Bevölkerungsgruppen repräsentieren – vom angesandelten Exhipster über den erkennbaren Selbstversorger bis zum gestrandeten Working Class Hero jenseits der 60.
Ein Sons of Anarchy-T-Shirt habe ich auch. Sons of Anarchy ist aber nur eine Fernsehserie über eine kalifornische Bikergang, die schwach anfängt, zwischendurch ein paar gute Momente hat und dann stark abstinkt.

Wahrscheinlich bin ich schon ein staatsgefährdendes Element.
Aber das liegt wohl weniger an diesen formalen Kriterien, als an mangelndem Respekt für Institutionen und Autoritäten. Und je mehr Misstrauen mir diese entgegenbringen, je mehr Aufwand sie mir umhängen wollen und je deutlicher sie mir zu verstehen geben, dass sich mich für blöd halten, desto mehr schwindet dieser Rest-Respekt.
Und ich fühle mich durchaus als für blöd verkauft, weil ich mir immerhin diese offensichtliche Chance zum Milliarden-Steuerbetrug in den letzten Jahren entgehen habe lassen. Ich hab halt immer gezahlt. Aber vielleicht kann ich ja noch von euch lernen.

Das ist Medienarchäologie!

Ich wundere mich ehrlich gesagt noch immer. Vergangenes Wochenende habe ich wieder mal »Die Zeit« gekauft, eigentlich nur, weil ein paar Euro auf die Rechnung gefehlt haben, um in der Trafik mit Bankomatkarte zahlen zu können. Und dieser Kauf erwies sich als gefühlter medienhistorischer Sensationsjackpot: Wir reden da seit Jahrzehnten über Diversität, schwindende Aufmerksamkeit und sinkende Marktanteile von was auch immer, über selbständige Leser und Konsumentinnen und solche, die sich ihre Inhalte selbst zusammenklauben – und dann feiert das Zeit-Magazin sein 45jähriges Jubiläum mit einer Schwerpunkt-Ausgabe zu 45 Jahren »Tatort«.
»Tatort«, das halte ich der Fairness halber für erklärungsbedürftig, ist eine Fernsehserie. Ich habe schon mitbekommen (vor allem über dieses Facebook…), dass »Tatort« immer wieder Gesprächsstoff ist, vielleicht auch so eine Art Herrgottswinkel melancholischer Medienmacher (»Die Budgets!« »Die Reichweite!« »Diese Dominanz eines traditionellen Mediums über passive Zuschauermassen!« – ok, zuletzt steckt hier  ein bisschen Interpretationsspielraum drin), aber diese Inszenierung hat jetzt wirklich den Anstrich eines Kombipakets aus Entedankfest, Militärmesse und Wiesn-Fest, gebucht beim als Mozart verkleideten Blasmusik-Vertreter deines Vertrauens, der den Pensionisten-Ausflugsbus in einem wunderschönen Luftkurort betreut. Mit anderen Worten: Mehr old school geht wohl wirklich nicht.
Wenn man Fernsehen schon wieder verlernt hat, wirkt das so was von befremdlich, dass ich das wirklich für eine Art medienhistorischen Moment halte – so ähnlich wie damals, als vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal Internetadressen auf und in gedruckten Büchern auftauchten, nur eben umgekehrt…
Jedenfalls: Liebe Publizistik-Erstsemester – kauft das Ding und hebt es gut auf. In ein paar Jahren kann man darüber sicher super Seminar- und Diplomarbeiten schreiben… 🙂
*
PS: Auch nicht schlecht: Das Impressum im Zeit-Magazin. Klarer Fall von »Chefredakteur, Art Director, Stellvertreter – oh shit, jetzt sind uns die wichtigen Chef-Jobs ausgegangen…«. Aber schön, irgendwie.
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Macht ist… wenn man das einfach mal so sagt

Sad Monkey - still from the upcoming movie
Über den Herrn Konrad kann man vieles sagen. Und das meiste davon wären momentane, subjektive, an den Haaren herbeigezogene Behauptungen. Zumindest liessen sich alle möglichen Beobachtungen als solche darstellen – weil man ja nicht zum Kreis der Ernstgenommenen gehört.
Christian Konrad und Michael Fleischhacker haben sich gestern im NZZ-Club einen unterhaltsamen Hahnenkampf geliefert. Und weil in dieser Arena strenge Regeln gelten (die man sich selbst setzt, als allgemein voraussetzt und dann ein bisschen damit kokettiert, dass es doch dumm ist, dass es diese Regeln gibt), sag ich gar nicht viel dazu, sondern beschränke mich auf einen ganz konkreten Punkt.
Christian Konrad wurde von einer Zuhörerin nach seiner Einstellung zu Frauenpolitik, Gleichbehandlung und den Möglichkeiten von Frauen in männerdominierten und männlich sozialisierten Kreisen befragt. Er begann seine Antwort mit „Ich habe eine Mutter, ich bin verheiratet und ich habe zwei Töchter…“
Auf die neuerliche Nachfrage, was denn dann das Problem sei, warum Frauen sich hier selten durchsetzten, war seine Antwort: „Frauen.“
Natürlich sind die zwei Statements ein wenig verkürzt, natürlich gab es zwischendurch ein paar weitere Antworten und Erklärungen, dass er, Konrad, sich persönlich bemühe, Frauen zu fördern, dass allen alle Chance offenstünden, und dass leider trotzdem wenig von Frauen nachkäme.
Da stellt sich dem verwunderten Zuhörer die Frage, wie es denn anders sein könnte. Solange Menschen mit dem Einfluss und dem Umfeld von Christian Konrad Antworten auf Fragen nach Geschlechterproblematiken im Job mit dem Hinweis darauf beginnen, dass Frauen Mütter, Ehefrauen und Töchter sind, ist es kein Wunder, dass eben diese Menschen wenig weiblichen Alpha-Nachwuchs zu Gesicht bekommen.
Das kann einerseits an der Wahrnehmung liegen. Andererseits auch an den dadurch bestätigten Rahmenbedingungen. Nein, natürlich ist es kein absolutes Hindernis, erstmal über die Gebärfähigkeitshürde (und vielleicht noch ein paar Blondinenwitze)  galoppieren zu müssen, bevor man sich an Machtspielen beteiligen darf. Aber wahrscheinlich wäre die Welt um vieles einfacher, wenn wir das einfach mal weglassen könnten. Und vielleicht klappts dann auch mit der Sicht auf Frauen besser.

Spiderman ist der Proto-Liberale

Als ich studiert habe, waren behaviouristische Ökonomie-Modelle in Mode. Das sind die, die bestimmte egoistische menschliche Verhaltensweisen postulieren und daraus Wirtschaftsorganisationsmodelle ableiten, die mit Rationalität argumentieren, als gäbe es keine Werbung, und die auf Grund dessen auf Freiheit pochen; schliesslich könne jeder selbst seine eigenen Interessen am besten verfolgen. WU-Studenten haben dann oft von Freiheit geredet und Hajek-Zitate eingestreut, und ich (als Philosophie-Student) immer so: „Hä?”
Ähnlich ist es mir gestern beim NZZ-Clubabend zu Liberalismus gegangen. Wirtschaft und Freiheit, das sind auf eine Ideenebene Dinge, die nicht zusammengehen. Man schliesst Verträge, diktiert Zahlungskonditionen, setzt Pönalen fest und arbeitet eine Fülle von Regelwerken aus – das verträgt sich schlecht mit Freiheit. Zugleich zeigt es auch eine sehr wesentliche Eigenschaft von Freiheit: Sie existiert in ihrer reinen Form immer nur für einen unfassbar kurzen Moment. Jeder soll frei von allem und frei für alles sein. Schön, um um diesen Moment nicht sofort umkippen zu lassen, brauchen wir dann Regelungen, die dafür sorgen, dass einige ihre Freiheit für alles nicht dafür einsetzen, die Freiheit anderer einzuschränken.
Jeder ist frei, die Verträge einzugehen, die er möchte – aber sobald er oder sie das getan hat, ist Schluss mit der Freiheit. Dazu braucht es noch keine autoritären oder radikalen Strömungen.
Das ist natürlich eine theoretische Überlegung – genauso theoretisch wie die Debatte um einen echten oder vollwertigen Liberalismus. Für mich ist in dieser Debatte Freiheit immer weniger das zentrale Thema. Wichtiger sind Verantwortung und die Wahl von Autoritäten. Natürlich setzen beide Freiheit voraus. Wo Freiheit herrscht, gibt es weniger Ausreden – damit entsteht Verantwortung. Die Verantwortung dort zu belassen, wo Entscheidungen getroffen werden, kann natürlich zu besseren Ergebnisse führen: Die Bank, die selbst für Anlageformen haftet und sich nicht hinter formalisierten Ratings von externen Agenturen verstecken kann, wird vorsichtiger beraten. Aber was machen wir, um ein Beispiel des Abends heranzuziehen, mit der Energiesparlampe? Vorausgesetzt, deren Verordnung ist wirklich ökologisch motiviert und sinnvoll, ist es auch hier sinnvoll, die Entscheidung dem einzelnen zu überlassen? Mir persönlich wäre es vollkommen egal, wenn meine monatliche Stromrechnung das Doppelte ausmachen würde (Disclaimer: Ich verbrauche wenig Strom. In den letzten acht Monaten waren es laut WienEnergie-Abrechnung 350 kWh – das entspricht einem Verbrauchspreis von 25,80 €), aber ich halte es auch aus nicht-ökomonischen Gründen für sinnvoll, wenig Energie zu verbrauchen. Wen ziehen wir zur Verantwortung, wenn sich herausstellt, dass es doch nicht gereicht hat, dass der steigende Stromverbrauch negative Folgen hat? Kein sehr freiheitsförderliches Szenario.
Das führt zu Frage der Autoritäten. Wessen Argumente und Entscheidungen anerkennen wir, welche Eingriffe in Freiheiten akzeptieren wir? Jetzt wäre die liberale Idealsituation natürlich, dass das ideologiefrei passiert. Das funktioniert aber praktisch nicht. Hier spielen immer Werte und damit Ideologien eine Rolle. Wir akzeptieren das, wovon wir glauben, dass es und näher an die Welt bringt, die wir uns wünschen.
Der Fundamental-Liberale, der Freiheit als absoluten Wert setzt, hätte seine Rolle dann nur in der ersten Reihe fußfrei als Zuseher – denn jede seiner eigenen Handlungen würde die Freiheit eines anderen einschränken. Jedes Ergebnis wäre ihm recht, Hauptsache es ist durch freie Entscheidungen entstanden. Der pragmatische Liberale sieht dagegen vielleicht Verantwortung als zentrale Komponente. Freiheit räumt viele Möglichkeiten ein – wo es viele Optionen gibt, gibt es auch viele verschiedene Konsequenzen. Deswegen eben Spiderman: “Whatever life holds in store for me, I will never forget these words: “With great power comes great responsibility.” This is my gift, my curse. Who am I? I’m Spiderman.”
Bringt uns das weiter? In mancher Hinsicht schon. Denn es macht klar, dass Einschränkungen der Freiheit nicht nur vom Staat kommen. Sie entstehen auch in anderen, scheinbar praktischen Zusammenhängen. Und die werfen dann die Frage auf, wer hier verbindliche Entscheidungen treffen können soll, die auch durchsetzbar sind. Der fatale Nebeneffekt dabei: Je weniger übergreifende, irgendwo ideologisch begründete Leitmotive es gibt, desto mehr Entscheidungen im Einzelfall werden notwendig.
Wie diese Entscheidungen zustande kommen, das ist eine andere Frage. Das setzt wieder freie Bürger voraus, die ihre Autoritäten selbst wählen. Und das möglichst öfter als alle fünf Jahre anhand von Wahlprogrammen, die niemand liest.
Und Verantwortung, um gleich ein beliebtes Gegenargument zu beantworten, ist nicht Paternalismus. Es ist eher eine Frage der Fähigkeit, in sich konsistente Gedanken entwickeln zu können. Aber darüber habe ich mich schon ausführlich ausgelassen.