Digitales Storytelling – Warum ich Comics lese

Storytelling ist ein Modewort. Punkt. Eine Strategie, Inhalten ein bisschen Relevanz zu verleihen, die Verpackung aufzupolieren.
Wer den Bonus, der in diesem Begriff mitschwingt, wirklich für sich beanspruchen will, der muss schon den ganzen Weg gehen. Storytelling ist nicht schummelnde Kosmetik, die aus fadem Alltag mit selektiven Facebook-Posts glamouröses Highlife macht, und auch nicht zögerliches Aufrunden von Fakten mit ein bisschen Making Of. Nein, iPhone-Selfie-Videos im Corporate Blog sind auch kein Glanzbeispiel von Storytelling.

Storytelling Comics

Die schönsten Stories wachsen dort, wo es keine Grenzen gibt. Deshalb funktioniert Film noch immer – ein Medium bedient alle Sinne, um eine Welt zu schaffen, auf die wir uns einlassen können. Comics haben weniger Mittel zur Verfügung, um diese Welt zu schaffen – um so größeren Respekt habe ich vor Comicproduzenten und den Welten und Stories, die sie aufs Papier bringen.
Die Ausgangslage ist ein leeres Blatt – es gibt keine Kulissen, Szenerien und Landschaften, auf die Film setzen kann. Und das Ergebnis sind noch nie dagewesene Perspektiven, Erzählformen, die in anderen Genres nicht funktionieren würden, Universen, die viele Angebote für die Phantasie machen, aber ihr nichts vorschreiben, und nicht zuletzt eben Stories.
Comicautoren können Geschichten weder beschreiben noch erzählen – sie müssen sie machen. Die Story muss direkt auf dem Blatt stattfinden, es gibt keine langen Textpassagen, keine  Musik, keine Specialeffects – nur ein Bild nach dem anderen und ein paar Wortfetzen in Sprechblasen dazu.
Und trotzdem hat es das Genre geschafft, zu einer breiten Entertainmentindustrie zu werden – auch wenn natürlich die Löwenumsätze nicht gerade mit den Glanzstücken gemacht werden, und auch wenn die Industrie im Vergleich zu den großen Konkurrenten Musik und Film nicht einmal ein Mauerblümchen ist.
Wer die Nase rümpft und hier Bildgeschichten für Analphabeten sieht, kann statt Comic auch gern den kulturell staatstragenderen Begriff Graphic Novel verwenden. Und Graphic Novels wie die journalismuskritischen Kriegsdokumentationen von Joe Sacco lesen: Sacco verknüpft minutiöse historische Dokumentationen und Recherchen vor Ort in sich über mehrere hundert Seiten erstreckende Comicbücher, die unterschiedliche Erzählformen ausloten, die gleiche Geschichte aus mehreren Perspektiven darstellen und statt mit zwangsläufig wertenden Textanalysen mit simplen Schwarzweisszeichnungen das Drama seiner Geschichten ausdrücken.
Mir ist in meinem Respekt vor Comicautoren aber keineswegs die historisch-politische Dimension (Achtung, kultureller Anspruch!) wichtig; meine Begeisterung für ihre Erzählkunst gilt genauso Scott Snyder (Batman) oder Dan Slott und Stan Lee (Spiderman).
Stan Lees „How to write comics“ ist eine großartige Storytelling-Anleitung, die weit über Comics als Anwendungsfall hinausgeht.

Ich sehe erfolgreiche Comics als Musterbeispiele für gelungenes Storytelling:

  • Es gibt begrenzte Möglichkeiten, die virtuos genutzt werden müssen.
  • Es gibt Regeln (Text, Sprache, zwei Dimensionen), innerhalb derer sich die Erzähltechniken bewegen müssen (natürlich nicht ohne sie zu biegen oder neu zu erfinden).
  • Comics sind Stories, die es auf den ersten zwei oder drei Seiten schaffen müssen, ein Universum zu entwerfen, das den Rahmen für die Geschichte bietet: Wer ist der Held? Welche Welten treffen aufeinander? Welches Problem kommt auf uns zu?
  • Comicprotagonisten müssen als Marken funktionieren – sie haben begrenzten Spielraum, sich zu erklären, aber ihre Motivation und ihre Ziele müssen klar sein, ihre Gegner und Widerstände ebenso.
  • Und Comics sind auf den Leser angewiesen – seine Phantasie muss mitspielen. Und damit das funktioniert, muss der Autor der Phantasie des Lesers gegenüber fair sein.

Stan Lees Drei-Akt-Struktur für packende Comic-Dramaturgie sehe ich dann auch als grundlegendes Muster  für Storytelling-Projekte.

  • Schritt eins: Starker Auftritt. Es gibt wenig Zeit, Interesse zu wecken und einen guten Eindruck zu machen.
  • Schritt zwei: Warum ist diese Story spannend, was kann ich hier erwarten? So wie im Comic auf den ersten Seiten klar werden muss, dass diese Geschichte nicht so ohne weiteres gut ausgehen wird, weil hier Welten aufeinanderprallen, unterschiedliche Interessen aufeinander treffen und verborgene Motive herrschen, muss auch dem User klar werden: Hier gibt es mehr. Hier gibt es Inhalte, mit denen ich mich auseinandersetzen kann, hier kommt noch etwas nach, und vor allem – hier geht es um etwas, das mich wirklich interessiert. Das kann an der Sache selbst, oder an ihrer Aufbereitung liegen. Und hier ist auch der Punkt, an dem sich diese Vorgangsweise von üblichen Content- und Story-Maximen unterscheidet, die alles unter die Prämisse der Einfachheit stellen. Einfachheit, der Verzicht auf Komplexität sind oft der sicherste Weg, langweilig zu werden. Ob der Zuschauer im Kino einschläft ist grundsätzlich egal, sobald er sein Ticket bezahlt hat – das Ziel von Unternehmensmedien ist aber nicht deren Konsum, das Ziel liegt einige Schritte weiter; der User soll nachher etwas wissen, tun oder gar kaufen.
  • Schritt drei: Showdown. Seien wir realistisch: Selbst wenn Interesse geweckt wurde, wird es nicht ewig weiterlaufen. Die Geschichte muss in einem Showdown zu Ende gebracht werden, der keine Fragen offen lässt – ausser denen, die für eine eventuelle Fortsetzung benötigt werden. Jede Kampagne kommt einmal zu  einem Ende; der Unterschied in der Vorgangsweise ist: In diesem Ansatz ist der Showdown Teil der Geschichte und hat damit auch Einfluss darauf, wie die Geschichte selbst verläuft.

So weit die Theorie. Beispiele gibts in unseren Cases.

Content Strategie in der Praxis

[pull_quote_right]Modelle zu Content Strategien und Unternehmenskommunikation gibt es viele. Welchen Nutzen liefern sie?[/pull_quote_right][dropcap type=”3″]I[/dropcap]ch habe noch niemanden getroffen, der „Content Strategy“ oder ähnliches auf seiner Visitenkarte stehe hatte – zumindest in unseren Breitengraden. Gibt es diesen Job überhaupt, oder haben wir hier nur ein weiteres hübsches Buzzword, dass sich aus Content Marketing-, Digital Strategy- und anderen Hypes nährt?
Modelle und Planungsansätze zu Content Strategien und Unternehmenskommunikation gibt es viele. Welchen Nutzen liefern sie?

  • Content Strategie hilft, Silos in Unternehmen zu überwinden. Integrierte Kommunikationsplanung, die sich mit Zielsetzungen, Prozessen und Organisationsfragen beschäftigt, bindet alle Unternehmensbereiche mit ein – vor allem auch die, die Inhalte kennen und erstellen, und nicht nur die, die sie verbreiten sollen.
  • Als Teil einer Unternehmensstrategie macht Contentstrategie Inhalte planbar, messbar und steuerbar. Tragen Inhalte zur Zielerreichung bei, erreichen sie die richtigen Zielgruppen und erzeugen sie die gewünschten Conversions?
  • Über die Verbindung mit Zielsetzungen schliesslich liefert eine gut definierte Content Strategie die Voraussetzungen, den ROI von Content messen zu können. – Wo kein Ziel definiert ist, kann sein Erreichungsgrad auch nicht bewertet werden. Nachzulesen unter anderem im Report “Auf der Suche nach dem Return on Social Media” der St. Gallener Management-Gurus.
  • Und schliesslich: Klare Strategien liefern die Grundlagen für oft strittige Themen wie Social Media-Strategien, Social Media Guidelines für Mitarbeiter und eben auch Priorisierungen in Budgetdiskussionen.

Das sollte Anlass genug sein, sich mal mit der Sache zu beschäftigen.

Zum Weiterlesen:

Contentstrategie – das Kreislauf-Modell

Contentstrategie – das Kreislauf-Modell

Contentstrategie begegnet uns manchmal als ein weiteres Content-irgendwas-Buzzword, manchmal als technisierte Handlungsanweisung (“Alles xml!”). Hier ist ein praxisorientiertes und praktisch erprobtes Modell dazu. 

Onlineprojekte starten nach wie vor in der Regel sehr vage. „Wir sollten irgendetwas tun“, ist meistens das erste Briefing. Und auch wenn schnelle Lösungen gesucht werden, verlaufen die meisten Gespräche mit unten nach dem gleichen Muster. Sinnfragen tauchen auf, grundlegende Ziele werden hinterfragt, und sobald sich Kunde und Berater einig sind, dass es schnell und günstig nicht immer die beste Lösung ist, dräut das nächste Killerkriterium am Horizont: Grundlegende Ziele die zur Unternehmensstrategie passen schön und gut – aber wir können doch nicht immer das Management befragen.

Nein, aber gerade in Situationen, in denen sich vieles im Umbruch befindet, hilft der Überblick, den eine solide Contentrategie bietet, Optionen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen.
Contentstrategie ist Teil einer digitalen Strategie und damit wichtiger Bestandteil einer gesamten Strategie. Eine solide Contentstrategie ist die Ausgangsbasis, um digitale Aktivitäten planen zu können, und kommt durch mehrere Fragen zustande:

  • Wozu haben wir überhaupt Inhalte? Auch diese Frage muss gestellt werden. Ist der Geschäftsbereich erklärungsbedürftig? Bieten Inhalte eine gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen? Gibt es Themen, über die wir informieren müssen? Wollen wir eigentlich Information, oder eher Interaktion oder Transaktion? Ist Reichweite die Herausforderung, oder müssen wir vor allem Ordnung in eine Fülle bestehender Inhalte bringen?
  • Welche Ziele können mit Inhalten verfolgt werden? Geht es um Imagepflege, Themenführerschaft, Unterhaltung? Geht es um Effizienz oder Prozessoptimierung? Oder stehen Kontakte und Kundendaten im Vordergrund? Content kann vieles sein – redaktionelle Inhalte werfen im Rahmen des Content Marketing-Hypes einen großen Schatten, simple Inhalte wie Produktbeschreibungen oder Servicekontakte sind aber nicht weniger wichtig.
  • Woher bekommen wir Inhalte? Wer in der Organisation weiss, was wichtig ist? Wer kann Inhalte erstellen (dabei geht es um Zeit, Kompetenz und Qualität)? Wie können Wissensträger vernetzt und in einen produktiven Prozess gebracht werden, um Doppelgleisigkeiten oder aufwendige Umbauarbeiten zu vermeiden? Und, wenn wir schon bei der Organisation sind: Wer entscheidet letztlich, was wichtig ist und wie kommuniziert werden soll? Oder, um personelle Engpässe und zugleich Machtfragen zu vermeiden: Nach welchen Kriterien entscheiden wir?
  • Wen wollen wir erreichen? Geht es um bestehende oder mögliche Kunden, um Investoren, Spender, (aktuelle oder zukünftige) Mitarbeiter, Medien? – Für diese unterschiedlichen Gruppen gibt es unterschiedliche Kommunkationsdisziplinen, ist dagegen einzuwenden. Das stimmt in gewisser Weise – aber das Internet macht in ebenso gewisser Weise alle gleich: Auch Journalisten googlen erst mal, und sogar Investoren können das schon. Und daran schliesst sich die letztlich wohl wichtigste Frage an: Was soll die Zielgruppe dann machen? 

Hat der User wirklich einen Grund etwas zu tun, ist der Inhalt wichtig, spannend oder unterhaltsam genug, um irgendetwas zu bewirken? Diese letzte Frage führt dann meistens zurück an den Start. Gibt es Inhalte, die Usern ein Anknüpfen in der gewünschten Art ermöglichen, unterstützen diese die richtigen Ziele, und wer in der Organisation kann nicht nur Inhalte erstellen, sondern auch sicherstellen, dass Userreaktionen angemessen behandelt werden? Dabei denke ich weniger an Diskussionen rund um Communitymanagement und Kommentarmoderation. Wichtiger ist: Hat der User wirklich einen Grund etwas zu tun, ist der Inhalt wichtig, spannend oder unterhaltsam genug, um irgendetwas zu bewirken? Und ist es für den User auch leicht möglich, dieser Wirkung nachzugehen – also etwa mehr Information zu suchen, zu bestellen, oder vielleicht gar den Inhalt weiterzuverbreiten?

Die vier Eckpunkte lassen sich damit auch in zwei wesentliche Bereiche zusammenfassen: Wo es um interne Organisation und Zielgruppen geht, steht der Beziehungsaspekt im Vordergrund. Initiativen wie Enterprise 2.0, Open Business oder Social Enterprise, die neue Kommunikationsformen, Interaktion, Vernetzung und Flexibilität in den Vordergrund stellen, lassen sich nicht isoliert betrachten. Sie brauchen Content und eine Contentstrategie.
Auf der Seite der Inhaltsebene feiert dagegen mit der Disziplin der Informationsarchitektur ein alter Bekannter ein fröhliches Comeback: Wie sortieren wir Inhalte, wie führen wir den User, wie gestalten wir Interaktions- und Navigationsformen?

Contentstrategie Kreislauf

Das Modell vom Content Strategie-Kreislauf sehe ich als einen ersten Schritt zur Formulierung einer digitalen Strategie. Es berührt die Unternehmensorganisation, die Produkte, und die (potentiellen) Kunden, und es ermöglicht eine mehrdimensionale Sicht auf die zu planenden Medien: Wen wollen wir wie womit erreichen? – Diese Fragestellung sollte klar machen, dass es nicht die eine Antwort geben kann.
Während sich die Strategiebildung eher als Kreislauf darstellt, sehe ich Medienkonzepte immer mehrdimensional würfelförmig: gewählte Kanäle, Zielgruppen und Inhalte sind die Flächen, die zueinander in eine Beziehung gebracht werden müssen. – Und dann ist es wieder beim Würfelpoker: Die einzelnen Würfel müssen so ausgespielt werden, dass sie ein sinnvolles Ergebnis liefern. Nur haben wir im Gegensatz zum Pokern bei der Medienplanung den Vorteil, dass wir die Regeln selbst planen können.

Wie wird dieses Vier-Punkte-Modell zur Entwicklung einer Contentstrategie jetzt praktisch eingesetzt?

  • Schritt 1 ist die Abklärung der Ziele. Irgendwann in einer mehr oder weniger belebten Diskussion, auch wenn bereits konkrete Ideen entwickelt werden, muss einmal die Bremse gezogen und die Frage gestellt werden: „Wozu machen wir das eigentlich?“ – Dabei sollte geklärt werden, wer und welche Wirkung erreicht werden sollen.
  • Schritt 2 geht dann von dieser zukunftsgerichteten Perspektive wieder ganz erdig zurück zum bestehenden: “Welche Inhalte haben wir und wozu haben wir die?“ Die hier anschliessenden Evaluierungs- oder Auditmassnahmen können langwierig sein – jeder Inhalt sollte bewertet und in Beziehung zu einem Ziel gebracht werden.
  • Deshalb empfiehlt es sich, Schritt 3 vorzuziehen und auch die Zielgruppen zu analysieren. Inhalte können in ihrem Beitrag dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, nur im Hinblick auf eine bestimmte Zielgruppe eingeschätzt werden. Wir müssen also wissen, von wem wir was wollen, bevor wir die geeigneten Mittel dafür finden oder beurteilen können. Und hier sind dann auch bereits die ersten Abstriche notwendig: Es kann kein Contentplan für jede erdenkliche Zielgruppe erstellt werden; Priorisierungen (Wo sind wir gut und wollen es bleiben? Wo sind wir schlecht und wollen etwas dagegen tun? Wo sind wir schlecht und nehmen das (vorübergehend) in Kauf?) helfen, die Aufwände des Content-Audits (Schritt 2) im Rahmen zu halten.
  • Trotzdem taucht spätestens dann die Frage auf, bei deren Beantwortung Schritt 4 helfen soll: „Wer soll das alles machen?“ Ein Blick in die Organisation wird zeigen, dass Inhalte in unterschiedlichsten Bereichen für unterschiedlichste Zwecke erstellt werden. Die Inhalte mögen ein paar Schritte von herzeigbar entfernt sein, aber sie bilden auf jeden Fall Ausgangsmaterial – seien es Dokumentationen, Ratgeber, Ablaufbeschreibungen, Dienstanweisungen, irgendwo ist beschrieben, wie das Unternehmen und seine Produkte funktionieren. Mit dem Wissen über Ziele, Zielgruppen und Inhalte kann die Produktion gesteuert werden – es geht nicht in erster Linie um zusätzliche Aufwände, sondern darum, schon bestehende Aufwände besser für die eigentlichen Ziele einzusetzen. Personalberater beschreiben das in ihren Stelleninseraten für solche Koordinationsjobs (die oft dem Online- oder Digitalverantwortlichen zugeschrieben werden) mit „360-Grad-Position“.

Damit wird auch klar, worin der Sinn solcher erst theoretisch anmutenden Planungs- und Analyseübungen liegt: Zielgerichtete Planung spart bares Geld.
Was sind weitere Vorteile, die eine klar ausgearbeitete Contentstrategie für die Kommunikationsplanung bringt:

  • Contentstrategie verschafft den Überblick: Welche Inhalte gibt es, welche werden genutzt, welche nutzen dem Unternehmen, welche Inhalte werden vielleicht irgendwo produziert, ohne das Licht der Öffentlichkeit erblickt zu haben, und wie können Organisation und Prozesse optimiert werden, um solche Leerläufe zu vermeiden?
  • Analysen sind der ideale Zeitpunkt zum Ausmisten: Doppelgleisigkeiten, veraltete Inhalte, unnötige oder kontraproduktive Inhalte – in noch jedem Evaluierungsprojekt haben sich die Anfangs geschätzten Aufwände und Contentmengen dann drastisch reduziert.
  • Contentstrategie ermöglicht zielgerichtete Produktion: Nur wenn wir wissen, was wir erreichen wollen, wissen wir auch, ob unsere Arbeit Sinn macht.
  • Contentstrategie macht das Inhaltschaos steuerbar: Unternehmen haben meistens mehr Inhalte und mehr Medien, als sie auf den ersten Blick selbst wissen. Die passende Strategie hilft, diese Menge in den Griff zu bekommen, und Grundsätze für neue Projekte und neue Inhalte abzuleiten. Das gilt auch für abgeleitete Regeln wie Social Media Strategien oder Social Media Guidelines für Mitarbeiter. Mit einer zielgerichteten Strategie kommen wir hier weg von Verboten hin zu einer produktiven Governance.
  • Und schliesslich: Contentstrategie macht Inhalts- und Kommunikationsaufwände messbar. Über eine klare Beziehung zu Zielen lässt sich Kommunikation direkt als Beitrag zum Unternehmenserfolg messen – und Budgets lassen sich leichter argumentieren.

Multimediadatenjournalismus: Kopf oder Zahl

[dropcap type=”3″]D[/dropcap]as Onlinemagazin Paroli wurde vor zwei Jahren gegründet und beschäftigt sich seither mit Journalismus und seinen Formaten aus der Perspektive derjenigen, die noch nicht von Film und Fernsehen (und Magazinen) verdorben wurden.
Mit der Europa-Doku Kopf oder Zahl brachte die Redaktion ihr bisher größtes Projekt auf den Boden. Mit einem auf krautreporter.de gesammelten Minibudget tourte die Redaktion einen Sommer lang durch Europa und dokumentierte den Status Quo des Kontinents – fern ab von Krisengeschwafel – in insgesamt 76 Porträts junger Europäer. – Und die Umsetzung in einer Kombination aus Film, Text, Foto und Daten, zeigt, dass vieles, worüber in großen Redaktionen noch gebrütet wird, ganz einfach möglich ist – wenn mans einfach macht. Klar, die technische Qualität entspricht manchmal dem Budgetrahmen, aber das tut der Freude bim Anschauen keinen abbruch. Am besten gleich selbst anschauen

Der Youtube-Trailer zur Doku:

Generation F im Work-Life-Bullshit

Qual, sinnstiftend oder eh egal? – Drei aktuelle Texte beschäftigen sich mit Fragestellungen rund um Arbeit.

[dropcap type=”3″]M[/dropcap]iya Tokumitsu stellt im Jacobin Magazine unter dem Titel „In the Name of Love“ aktuelle Jobromantik an den Pranger: Das „Do what you love“-Mantra ist ihrer Argumentation nach eine günstige Strategie Arbeiterrechte pauschal unter den Teppich zu kehren – und zugleich eine Diskriminierung der Rest-Arbeiterklasse.
„Do what you love“ gibt vor, Arbeit zu veredeln und in sinnstiftende Höhen zu heben, nimmt ihr aber in Wahrheit den Arbeitscharakter und lässt all jene, die es sich nicht aussuchen können, dumm dastehen. Der Positivtitätsgedanke, dessen Spuren Tokumitsu von Konfuzius über Rabelais, Martina Navratilova und Oprah Winfrey bis zu Steve Jobs verfolgt, sei das Vergnügen einiger Privilegierter, die ihre erfolgreiche Freiheit auf dem Rücken anderer ausleben.
“Think of the great variety of work that allowed Jobs to spend even one day as CEO: his food harvested from fields, then transported across great distances. His company’s goods assembled, packaged, shipped. Apple advertisements scripted, cast, filmed. Lawsuits processed. Office wastebaskets emptied and ink cartridges filled. Job creation goes both ways. Yet with the vast majority of workers effectively invisible to elites busy in their lovable occupations, how can it be surprising that the heavy strains faced by today’s workers (abysmal wages, massive child care costs, et cetera) barely register as political issues even among the liberal faction of the ruling class?”

Generation F

Es ist weniger das moralische Problem, das zählt, sondern die – in den meisten Fällen wohl ganz unbeabsichtigte – Beihilfe dazu, reale Sachzwänge zu ignorieren. Hier taucht wieder die Frage nach Sinn und Zusammenhängen auf der anderen Seite auf – für wen muss es funktionieren, damit es wirklich funktioniert? Reicht hier wirklich die eigene Perspektive? Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben, haben andere gesagt.
Natürlich sind sich der Elite-Absolvent und der hoffnungsfrohe Gründer auch ihrer Verantwortung bewusst, das hören wir oft genug. Was dann meistens folgt, sind Appelle an die Politik. Und dann? Dann gibt es umgekehrt Appelle an den Unternehmergeist und Ankündigungen, Gewerbeordnungen zu lockern oder neue Fördertöpfe zu füllen, um auch aus Langzeitarbeitslosen Unternehmer zu machen. Wer einfach nur arbeitet, bleibt auf der Strecke.

[dropcap type=”3″]A[/dropcap]nders argumentiert Thomas Vasek, Chefredakteur des Hohe Luft-Magazins. In seinem aktuellen Buch „Work-Life-Bullshit“ argumentiert er gegen eine Trennung von Arbeit und Freizeit, gegen die Ansicht, Arbeit sei Zwang und Freizeit biete Menschen die Gelegenheit, sich zu entfalten.
Dabei schlägt er allerdings nicht in die “Do what you love“-Kerbe, er führt vielmehr den sozialen Wert von Arbeit ins Treffen. Arbeit schafft soziale Beziehungen, sichert Leben ab und gibt Menschen Gelegenheit, in dem was sie tun auf produktive Art und Weise besser zu werden.
Die Trennung von Arbeit und Freizeit ist weniger auf Arbeit und ihren Charakter zurückzuführen, sondern auf zeitliche und räumliche Einschränkungen und damit verbundene Ordnungen. Arbeit kann dann zum Zwang werden, wenn sie nur in einem Korsett geschehen kann – was sich in vielen Branchen aber schon aus rein praktischen Gründen ergibt. Eine auf Teamarbeit angewiesene in Gleitzeit arbeitende Handwerkerpartie wäre wohl wenig produktiv – oder würde gewaltigen administrativen Overhead verursachen.
Arbeit ist aber nicht immer gleich: Manchmal versetzt uns der gleiche Job in einen angenehmen produktiven Flow, in dem wir sonst nichts mehr mitbekommen, manchmal ist er schlicht nervtötend und manchmal bietet er entspannende Leerläufe. Der Unterschied zwischen Arbeit und anderem ist der, das Arbeit gemacht werden muss – und zwar so dringend, dass jemand bereit ist, für ihre Erledigung zu zahlen. Was dann natürlich wieder die Frage aufwirft, was jemand, der sich darauf eingelassen hat, bezahlt zu werden, in seinem Job noch verlangen und erwarten kann. – Allerdings unterscheidet Vasek auch zwischen guter und schlechter Arbeit: Gute Arbeit ermöglicht bereichernde Erfahrungen, steht im Einklang mit den eigenen Werten, vermittelt Anerkennung über Geld hinaus, fördert soziale Verbindungen und gibt unserem Leben einen verlässlichen Rahmen. – Das kann für viele Arten von Jobs zutreffen.
Den Weg dorthin sieht Vasek in Anerkennung, Respekt, Wertschätzung und Flexibilität. Das sind Themen die auch aus ganz anderen Sichtweisen im Moment die Diskussion um Arbeit und ihren Sinn beherrschen. Open Business, Enterprise 2.0, neue Führungsmodelle – ist alles in der Pipeline; fraglich ist nur, welche Branchen oder Unternehmensgrößen dann wirklich etwas davon haben werden. Schliesslich kämpft auch die gesamte Enterprise 2.0-Industrie schon lange darum, ihre Visionen auf den Boden zu bringen – aber Vaseks Buch liefert Argumente dafür, warum dieser Weg ein sinnvoller ist. Arbeit ist nichts schlechtes, sie muss nur noch besser werden…

[dropcap type=”3″]O[/dropcap]b das gelingt, bezweifelt Umair Haque in seinem Blog. Die Generation F sei jetzt gefordert, schreibt er. Eine sinnleere, künstlich am Leben erhaltene Zombieconomy ist dem Growthism verfallen und trägt nichts dazu bei, Lebensstandards zu verbessern. Arbeitslosigkeit steigt, und selbst dort, wo Jobs noch zu haben sind, haben Produktivitäts- und Gehaltsentwicklung jeden Bezug zueinander verloren. Der vielbeschworene War for Talents – angeblich stehen Millennials, der Generation Y, oder wie man sie auch nennen möchte, alle Wege offen; sie können sich Jobs aussuchen und wollen nicht mal arbeiten – nutzt in erster Linie auch den Unternehmen: Dort, wo ein Mitarbeiter einen gewaltigen Produktivitätsunterschied machen kann, zahlt es sich schon aus, in diesen Krieg und dann auch ein wenig in Mitarbeiterbindung zu investieren. Zum Vergleich: In traditionellen Branchen liegt derjährliche Gewinn pro Mitarbeiter bei 24.000 Dollar, Google schöpft aus jedem Mitarbeiter 404.000 Dollar. Immerhin das 18fache – und beides sind Technologieunternehmen… (die Zahlen stammen aus Nicolas Clasens “Digital Tsunami”).
Haques drastische Worte: “Generation F is getting a deal so raw that no one but a politician or a serial killer could offer it with a straight face. So let’s call it what it is. Not just unfair—but unconscionable. The world’s so-called leaders have more or less abandoned this generation. Think that’s unkind—maybe even unfair? Then here’s a more generous take. The world’s leaders have coolly, calmly, rationally, senselessly decided that bankers, CEOs, lobbyists, billionaires, the astrologers formerly known as economists, corporate “people”, robots, and hedge funds are worth more to society than…the young.
The world’s leaders are letting the future crash and burn.
Wofür das F in Generation F steht, ob für F***ed oder Future, hängt davon ab, ob es gelingt, neue Kriterien für Fortschritt zu definieren, neue politische Institutionen, neue Herrschaftssysteme und neue Finanzsysteme zu schaffen. Jede Generation hat ihre Herausforderungen, schreibt Haque. Und es klingt so, als wären diese Herausforderungen schon durchaus mit jenen von Nachkriegsgenerationen vergleichbar – nur subtiler und gemeiner…

Ihr zahlt für das Staatsfernsehen?

Ich hatte dieser Tage eine erhellende Unterhaltung mit Besuch aus Moskau. Wir haben über Wohnungskosten geredet, volle U-Bahnen, lange Wege und Pannen in der Stadt. Eigentlich waren wir der Meinung, dass hier in Österreich vergleichsweise alles bestens läuft; Mietpreise steigen – na und? Kein Vergleich zu Moskauer Kosten. Und was auch immer sich im (öffentlichen) Verkehr abspielt – Peanuts.
Welche versteckten Kosten und Gebühren das Leben hier zusätzlich teuer machen und zugleich für das angenehme Leben notwendig sind, ist dann aber auch für den neugierigen Moskauer neu. Dass Energiekosten ein Thema sind, ist aus Moskauer Sicht neu – aber nachvollziehbar. Worauf ich dann aber erst mal keine Antwort hatte, war ihre ehrlich Überraschung über exotische Ausgaben wie ORF-Gebühren: „Ihr zahlt für das Staatsfernsehen? – Auf so eine Idee ist noch nicht mal unsere Regierung gekommen…!“
Das muss man in gewisser Weise mal so stehen und wirken lassen…

Staatsfernsehen

Manager allein bei der Sinnsuche

[dropcap type=”3″]A[/dropcap]rbeit soll Sinn machen, etwas – das ist ein dehnbarer Begriff – verbessern, und im Unternehmen und ausserhalb dazu beitragen, dass Probleme gelöst und Situationen verbessert werden. Wie das genau aussieht, liegt oft im persönlichen Ermessen derjenigen, die Entscheidungen treffen. Nach welchen Kriterien treffen Manager, die allein schon auf Grund der Unternehmensgröße im Rampenlicht stehen, Entscheidungen?
Der deutsche Soziologe Nikolas Gebhard hat Manager aus dreissig DAX-Unternehmen zu ihrem Verantwortungsbegriff befragt und ein Buch daraus gemacht.

Auf der Suche nach Verantwortung

Einige Ergebnisse sind vorhersehbar – CSR-Abteilungen haben selten direkten Einfluss auf Geschäftsentscheidungen, Compliance ist eine Übung, um Regeln zu befolgen, bei der die Befolgung der Regeln meistens über ihrem Inhalt steht – einiges ist aber auch überraschend. Zumindest in dieser Deutlichkeit.
Manager machen ihren Begriff von Verantwortung und Ethik großteils allein mit sich selbst aus. Konzepte zu anderen Wirtschaftsformen werden vielleicht aus dem Augenwinkel wahrgenommen, aber selten aktiv verfolgt. Am häufigsten diskutieren Manager ihr Verantwortungsverständnis nicht mit Spezialisten, sondern zu Hause – oder gar nicht.
Die ausdrücklich angeführten Gründe sind Stress, mangelndes Vertrauen in Ansprechpartner im eigenen Unternehmen, wenig persönliche Kontakte zu Peers in anderen Unternehmen (oder keine Zeit dafür); nicht ausdrücklich angeführt ist der Erwartungsdruck, keine Umwege zu gehen, keine ausgefransten Angriffspunkte zu geben: Managerkarrieren werden immer stromlinienförmiger, stellt Gebhard fest. Leute absolvieren die gleichen Business-Schools, in denen die gleichen Programme unterrichtet werden, machen ähnliche Erfahrungen – und müssen dann am Ball bleiben; es bleibt wenig Zeit, links oder rechts zu schauen.
Abweichende Diskussionen finden in anderen Sphären statt, Zweifel gilt als ein Zeichen von Schwäche oder Unentschlossenheit.

[quote_center]Viel wissen und trotzdem eine Meinung haben ist eine echte Herausforderung.[/quote_center]

[dropcap type=”3″]M[/dropcap]it wem reden dann eigentlich die Berater in philosophischen Praxen, die Visionäre der Work Life Balance und die stetig zahlreicher werdenden Ethik-Spezialisten?
Transparenz, Anti-Korruption, ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind große Themen dieser Zeit – und sie eignen sich sehr gut für reduzierte Abstraktionen: Einer Form wird genüge getan, es gibt Regeln, deren Befolgen verhindert, dass Fragen gestellt werden müssen, und es gibt immer ausreichend Möglichkeiten, Erfolg festzustellen.
Das zeigt sich auch in den Manager-Interviews immer wieder: Es gibt, isoliert betrachtet, eine Vielzahl von Verantwortungsmöglichkeiten – den Mitarbeitern, den Gesellschaftern, der Umwelt, der Gesellschaft gegenüber – irgendeine dieser Verantwortungen wird mit Sicherheit immer erfüllt sein. So lesen sich auch die meisten Interviews mit Executives in ökologisch orientierten Magazinen: Erst werden einige Fakten und gute Taten aufgezählt, stehen dann noch immer Fragen im Raum, werden Regeln und Gütezeichen bemüht – bis jede weitere Frage eigentlich alle Nachhaltigkeitsorganisationen und -regeln selbst in Frage stellen würde.
Einen Schritt hinter diese Voraussetzungen zu gehen und sich der Offenheit zu stellen, bedeutet noch keineswegs Beliebigkeit. Das ist eine häufige Verwechslung in allen Diskursen, die sich nicht auf unhinterfragte Annahmen zurückziehen. – Viel wissen und trotzdem eine Meinung haben ist eine echte Herausforderung. Aus dieser Haltung heraus dann noch die Zeit und Entschlossenheit zu finden, etwas umzusetzen, macht dann den Unternehmer aus.
Aber halt, Manager sind ja keine Unternehmer. Sie predigen nur Angestellten, dass die unternehmerisch denken sollen. Und die fragen sich dann, warum sie eigentlich überhaupt etwas tun sollen. – Was heisst das für Arbeit, von dieser Frage sind wir ja ausgegangen.
Zahlen belegen, dass derzeit in Unternehmen vor allem Lähmungserscheinungen vorherrschen: Soll ich wirklich? Ist es das wert? Darf ich das machen? Mach ich nicht lieber was anderes oder noch lieber gar nichts? Diese Fragen stellt sich jeder auf allen Ebenen; in den Niederungen schlägt sich das aufs persönliche Engagement nieder, in den höheren Sphären auf Risiko- und Entscheidungsfreudigkeit. Wir ziehen uns auf Zahlen und ökonomisch nachvollziehbares zurück; oder wir machen einfach weiter wie bisher.
Wer glaubt, dass einfach so andere Wege möglich sind, kann schon mal Pflaster und Bandagen kaufen. Glaubt mir, ich habe das ausprobiert.

[pull_quote_right]”Life is like a jigsaw puzzle. When you come to work, the pieces of your conscience all get jumbled up. My job is to remind you what the picture on the box looks like.“[/pull_quote_right] [dropcap type=”3″]A[/dropcap]rbeit ist auf der einen Seite heute nicht mehr produktiv – es gibt viel zu viele Jobs, die weder für Unterhaltung sorgen noch notwendig sind; die Welt würde einfach auch ohne sie problemlos weiterlaufen. Auf der anderen Seite fordert Arbeit heute so wenig, dass allein in ihrer Bewältigung kein Sinn zu sehen ist. Der Sinn wird in vermeintlich größeren Kreisen gesucht; und es ist durchaus ein Symptom, dass wir dabei viel zu oft immer wieder bei uns selbst landen und weniger bei einem Gesamtbild, das grundsätzlich erstrebenswert wäre.
Wahrscheinlich fehlt die Lust auf diese Perspektive. Oder wir können sie einfach nicht gut vermitteln.
Roger Steare, einer der Philosophie-Praktiker, die ganz gut im Geschäft sind, formuliert es recht einfach: “Life is like a jigsaw puzzle. When you come to work, the pieces of your conscience all get jumbled up. My job is to remind you what the picture on the box looks like.“
Dieses Bild zu zeichnen, ist an sich schon eine Aufgabe. Es in eine verständliche, nachvollziehbare Form zu bringen und es auch vermitteln zu können, ist dann der eigentliche Brocken. Das wird in Gesprächen zu Hause nicht funktionieren. Es wird auch in klassischen Branding-Prozessen und Marketingplänen nicht funktionieren. Deswegen hat der Stellenwert von Arbeit – und damit auch die Art von Verantwortung, die wir ökonomisch ausüben können – viel damit zu tun, wie wir über Arbeit kommunizieren. Unternehmen brauchen nach innen und nach aussen andere Formen der Kommunikation, die sich dem stellen.

Arbeit.net – Organisationen in der Zwickmühle

[quote_box_right]Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer?[/quote_box_right]

[dropcap type=”1″]D[/dropcap]ie Domain arbeit.net ist leider schon von einem Domain-Piraten gekapert; mein großzügiges Angebot, die url für 20 € zu kaufen, wurde bis dato ignoriert.
Schade, wäre ein weiteres nettes Fundstück für meine Domainsammlung geworden – und beschreibt ausserdem sehr treffend eine Einstellung, die sich durch viele Diskussionen rund um Arbeit, Organisationen und Karriere zieht.
Arbeit ist so wichtig, dass dieses soziale Konstrukt auf der einen Seite verklärt und in einen merkwürdigen Sonderzustand gehoben wird, auf der anderen Seite verteufelt, kritisiert und als Sklaverei entlarvt. Die einen suchen ihr Heil in Sinn, Verantwortung und Nachhaltigkeit – Arbeit muss nicht nur Geld bringen, sondern Sinn stiften und ein paar Schritte in Richtung Weltverbesserung machen. Die anderen suchen Unabhängigkeit – Startups sonnen sich im ruhmreichen Heiligenschein des Unternehmertums; was sie genau machen, ist dabei weniger wichtig, als dass sie es unabhängig machen – und Investoren anziehen. Kaum etwas ist unsexier als ein Business, das eigentlich keine Investoren, sondern nur Kunden braucht… Beide Seiten haben ihre Publikationen wie das nachhaltige Wirtschaftsmagazin Enorm zum einen und die Startup-Glorifyer Businesspunk zum anderen.

Arbeit

Aber auch jenseits von Startups und neuen sinnvollen oder nachhaltigen Wirtschaftsformen machen sich Veränderungen rund um den Begriff Arbeit bemerkbar. Studien großer Beratungsunternehmen  zeigen, dass ein Großteil der Mitarbeiter auch traditioneller Unternehmen sich eher einen Dreck darum schert, was das Unternehmen von ihnen möchte. Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer? Und es ist – vor dem Hintergrund der Sinnsuche, die andere durchlaufen – heute für jeden völlig ok, Dienst nach Vorschrift zu machen. Was vor einigen Jahren noch ein undynamischer Sesselfurzer war, ist heute ein selbstbestimmtes selbstbewusstes Individuum, dass sich nicht von der Organisation vereinnahmen lässt. 
Die übliche Reflexantwort, es handle sich hier um die Symptome eines Generationenwechsels, junge Menschen hätten eben andere Werte als Job und Karriere, wird durch Untersuchungen ebenfalls widerlegt. Die deutlichsten Spuren von Restengagement finden sich bei den jüngsten und bei den ältesten Arbeitnehmern.
Die reale Belastung im Job ist hier ebenfalls ein schwammiges Kriterium. Bullshit-Jobs, das sind nicht so sehr schlecht bezahlte Macjobs, sondern Tätigkeiten, ohne die sich die Welt auch ohne weiteres weiterdrehen würde, und in denen Leistung oder Ergebnisse nur eine untergeordnete Rolle spielen, zeigen naturgemäss einen sehr hohe Affinität zum Pfeif-drauf-Mindset. – Oder zur umgekehrten Einstellung, die konkrete persönliche Belastung wäre so hoch, dass es vollkommen ok ist, immer wieder mal auf die eigene Bremse zu steigen.

Und dann gibt es auf der anderen Seite die, die trotz allem etwas aus sich gemacht haben. Oft auf verschlungenen Pfaden oder in Richtungen, die nur wenig mit Ausbildung und ursprünglicher beruflicher Ausrichtung zu tun haben. Neuartige Karriereportale wie Whatchado und dessen Klone haben die Lüftung dieser Geheimnisse zu ihrem Geschäftsmodell gemacht: Menschen erzählen in kurzen Videos, wie sie zu dem geworden sind, was sie nun beruflich sind, und liefern Einsteigern so Orientierung und Unternehmen eine Möglichkeit, sich als trotz allem interessante Arbeitgeber zu präsentieren.
Ist das ein Schritt in Richtung Offenheit und Chancengleichheit zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer, oder nur eine etwas modernisierte Form von Einführungstagen für neue Mitarbeiter, wie es sie immer schon gab? Jedenfalls tritt der Stellenwert von Kommunikation und Kommunikationsmitteln in den Vordergrund: Es ist wichtig, wie sich Unternehmen präsentieren, wie sie in Kontakt mit ihrer Umwelt treten, und über welche Mittel und Wege sie das tun.
Inhaltlich oder substantiell betrachtet ist das eine geringfügige Demokratisierung bestehender Wege – die Information steht jedem immer und überall offen, nicht nur während Berufsorientierungsmessen oder innerhalb von Unternehmen während Einführungstagen.
Versuche, Klartext zu reden, gibt es aber schon lange. Seit Jahren schreiben gescheiterte – oder über die Zwänge der Organisation transzendierte – Manager Entlarvungsbücher über den Fake- und Poser-Irrsinn innerhalb von Organisationen und kaum noch jemand steht zu den überlieferten Organisationsformen und deren Werten. Aber trotzdem funktionieren sie bestens. Erving Goffmann und Eric Berne lassen grüssen – wir spielen alle nur Theater. Das ist unvermeidlich. Aber wir sollten es wissen. Und wir sollten wissen, dass auch unser Gegenüber nur Theater spielt. Das gilt für den jungdynamischen Trainee, der ja nur mitspielt, um an den Schotter zu kommen, aber in Wahrheit alles ganz anders machen würde, ebenso wie für den toleranten Manager, der ja gern von jungen Mitarbeitern gefordert wäre, das gleichzeitig aber nicht zulässt, ebenso wie für den Verweigerer, der sich eben gern verweigern würde, aber halt doch ein Einkommen braucht.

Das ist alles nicht neu. Neuer ist, dass immer dichtere Kommunikation die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass diese Einstellungen öffentlicher werden. Das gilt innerhalb des Unternehmens – sozialer werdende Intranets lassen Rückmeldungen zu, stellen Information auf die Probe und lassen Mitarbeiterfeedback (ob nur gewollt oder nicht) zu einem internen Stimmungsbarometer werden. Und es gilt ausserhalb des Unternehmens: Anforderungen an Tempo und Qualität der Kommunikation steigen und setzen damit die Unternehmenskommunikation unter Druck.
Das kann zu konkretem Dialog führen. Es kann aber auch dazu führen, dass jeder nur noch sein eigener PR-Agent ist. Und wenn das so ist – wo bleibt dann das Publikum?

Das stellt alle, die Organisationen entwickeln wollen, vor ein Problem. Welchen Stellenwert hat Arbeit als ein Weg, einen Platz in der Welt zu besetzen, und welche Rolle spielt Kommunikation in der scheinbar so wichtigen Sinnstiftung? Zeit für eine neue Posting-Serie