Generation F im Work-Life-Bullshit

Qual, sinnstiftend oder eh egal? – Drei aktuelle Texte beschäftigen sich mit Fragestellungen rund um Arbeit.

[dropcap type=”3″]M[/dropcap]iya Tokumitsu stellt im Jacobin Magazine unter dem Titel „In the Name of Love“ aktuelle Jobromantik an den Pranger: Das „Do what you love“-Mantra ist ihrer Argumentation nach eine günstige Strategie Arbeiterrechte pauschal unter den Teppich zu kehren – und zugleich eine Diskriminierung der Rest-Arbeiterklasse.
„Do what you love“ gibt vor, Arbeit zu veredeln und in sinnstiftende Höhen zu heben, nimmt ihr aber in Wahrheit den Arbeitscharakter und lässt all jene, die es sich nicht aussuchen können, dumm dastehen. Der Positivtitätsgedanke, dessen Spuren Tokumitsu von Konfuzius über Rabelais, Martina Navratilova und Oprah Winfrey bis zu Steve Jobs verfolgt, sei das Vergnügen einiger Privilegierter, die ihre erfolgreiche Freiheit auf dem Rücken anderer ausleben.
“Think of the great variety of work that allowed Jobs to spend even one day as CEO: his food harvested from fields, then transported across great distances. His company’s goods assembled, packaged, shipped. Apple advertisements scripted, cast, filmed. Lawsuits processed. Office wastebaskets emptied and ink cartridges filled. Job creation goes both ways. Yet with the vast majority of workers effectively invisible to elites busy in their lovable occupations, how can it be surprising that the heavy strains faced by today’s workers (abysmal wages, massive child care costs, et cetera) barely register as political issues even among the liberal faction of the ruling class?”

Generation F

Es ist weniger das moralische Problem, das zählt, sondern die – in den meisten Fällen wohl ganz unbeabsichtigte – Beihilfe dazu, reale Sachzwänge zu ignorieren. Hier taucht wieder die Frage nach Sinn und Zusammenhängen auf der anderen Seite auf – für wen muss es funktionieren, damit es wirklich funktioniert? Reicht hier wirklich die eigene Perspektive? Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben, haben andere gesagt.
Natürlich sind sich der Elite-Absolvent und der hoffnungsfrohe Gründer auch ihrer Verantwortung bewusst, das hören wir oft genug. Was dann meistens folgt, sind Appelle an die Politik. Und dann? Dann gibt es umgekehrt Appelle an den Unternehmergeist und Ankündigungen, Gewerbeordnungen zu lockern oder neue Fördertöpfe zu füllen, um auch aus Langzeitarbeitslosen Unternehmer zu machen. Wer einfach nur arbeitet, bleibt auf der Strecke.

[dropcap type=”3″]A[/dropcap]nders argumentiert Thomas Vasek, Chefredakteur des Hohe Luft-Magazins. In seinem aktuellen Buch „Work-Life-Bullshit“ argumentiert er gegen eine Trennung von Arbeit und Freizeit, gegen die Ansicht, Arbeit sei Zwang und Freizeit biete Menschen die Gelegenheit, sich zu entfalten.
Dabei schlägt er allerdings nicht in die “Do what you love“-Kerbe, er führt vielmehr den sozialen Wert von Arbeit ins Treffen. Arbeit schafft soziale Beziehungen, sichert Leben ab und gibt Menschen Gelegenheit, in dem was sie tun auf produktive Art und Weise besser zu werden.
Die Trennung von Arbeit und Freizeit ist weniger auf Arbeit und ihren Charakter zurückzuführen, sondern auf zeitliche und räumliche Einschränkungen und damit verbundene Ordnungen. Arbeit kann dann zum Zwang werden, wenn sie nur in einem Korsett geschehen kann – was sich in vielen Branchen aber schon aus rein praktischen Gründen ergibt. Eine auf Teamarbeit angewiesene in Gleitzeit arbeitende Handwerkerpartie wäre wohl wenig produktiv – oder würde gewaltigen administrativen Overhead verursachen.
Arbeit ist aber nicht immer gleich: Manchmal versetzt uns der gleiche Job in einen angenehmen produktiven Flow, in dem wir sonst nichts mehr mitbekommen, manchmal ist er schlicht nervtötend und manchmal bietet er entspannende Leerläufe. Der Unterschied zwischen Arbeit und anderem ist der, das Arbeit gemacht werden muss – und zwar so dringend, dass jemand bereit ist, für ihre Erledigung zu zahlen. Was dann natürlich wieder die Frage aufwirft, was jemand, der sich darauf eingelassen hat, bezahlt zu werden, in seinem Job noch verlangen und erwarten kann. – Allerdings unterscheidet Vasek auch zwischen guter und schlechter Arbeit: Gute Arbeit ermöglicht bereichernde Erfahrungen, steht im Einklang mit den eigenen Werten, vermittelt Anerkennung über Geld hinaus, fördert soziale Verbindungen und gibt unserem Leben einen verlässlichen Rahmen. – Das kann für viele Arten von Jobs zutreffen.
Den Weg dorthin sieht Vasek in Anerkennung, Respekt, Wertschätzung und Flexibilität. Das sind Themen die auch aus ganz anderen Sichtweisen im Moment die Diskussion um Arbeit und ihren Sinn beherrschen. Open Business, Enterprise 2.0, neue Führungsmodelle – ist alles in der Pipeline; fraglich ist nur, welche Branchen oder Unternehmensgrößen dann wirklich etwas davon haben werden. Schliesslich kämpft auch die gesamte Enterprise 2.0-Industrie schon lange darum, ihre Visionen auf den Boden zu bringen – aber Vaseks Buch liefert Argumente dafür, warum dieser Weg ein sinnvoller ist. Arbeit ist nichts schlechtes, sie muss nur noch besser werden…

[dropcap type=”3″]O[/dropcap]b das gelingt, bezweifelt Umair Haque in seinem Blog. Die Generation F sei jetzt gefordert, schreibt er. Eine sinnleere, künstlich am Leben erhaltene Zombieconomy ist dem Growthism verfallen und trägt nichts dazu bei, Lebensstandards zu verbessern. Arbeitslosigkeit steigt, und selbst dort, wo Jobs noch zu haben sind, haben Produktivitäts- und Gehaltsentwicklung jeden Bezug zueinander verloren. Der vielbeschworene War for Talents – angeblich stehen Millennials, der Generation Y, oder wie man sie auch nennen möchte, alle Wege offen; sie können sich Jobs aussuchen und wollen nicht mal arbeiten – nutzt in erster Linie auch den Unternehmen: Dort, wo ein Mitarbeiter einen gewaltigen Produktivitätsunterschied machen kann, zahlt es sich schon aus, in diesen Krieg und dann auch ein wenig in Mitarbeiterbindung zu investieren. Zum Vergleich: In traditionellen Branchen liegt derjährliche Gewinn pro Mitarbeiter bei 24.000 Dollar, Google schöpft aus jedem Mitarbeiter 404.000 Dollar. Immerhin das 18fache – und beides sind Technologieunternehmen… (die Zahlen stammen aus Nicolas Clasens “Digital Tsunami”).
Haques drastische Worte: “Generation F is getting a deal so raw that no one but a politician or a serial killer could offer it with a straight face. So let’s call it what it is. Not just unfair—but unconscionable. The world’s so-called leaders have more or less abandoned this generation. Think that’s unkind—maybe even unfair? Then here’s a more generous take. The world’s leaders have coolly, calmly, rationally, senselessly decided that bankers, CEOs, lobbyists, billionaires, the astrologers formerly known as economists, corporate “people”, robots, and hedge funds are worth more to society than…the young.
The world’s leaders are letting the future crash and burn.
Wofür das F in Generation F steht, ob für F***ed oder Future, hängt davon ab, ob es gelingt, neue Kriterien für Fortschritt zu definieren, neue politische Institutionen, neue Herrschaftssysteme und neue Finanzsysteme zu schaffen. Jede Generation hat ihre Herausforderungen, schreibt Haque. Und es klingt so, als wären diese Herausforderungen schon durchaus mit jenen von Nachkriegsgenerationen vergleichbar – nur subtiler und gemeiner…

Ihr zahlt für das Staatsfernsehen?

Ich hatte dieser Tage eine erhellende Unterhaltung mit Besuch aus Moskau. Wir haben über Wohnungskosten geredet, volle U-Bahnen, lange Wege und Pannen in der Stadt. Eigentlich waren wir der Meinung, dass hier in Österreich vergleichsweise alles bestens läuft; Mietpreise steigen – na und? Kein Vergleich zu Moskauer Kosten. Und was auch immer sich im (öffentlichen) Verkehr abspielt – Peanuts.
Welche versteckten Kosten und Gebühren das Leben hier zusätzlich teuer machen und zugleich für das angenehme Leben notwendig sind, ist dann aber auch für den neugierigen Moskauer neu. Dass Energiekosten ein Thema sind, ist aus Moskauer Sicht neu – aber nachvollziehbar. Worauf ich dann aber erst mal keine Antwort hatte, war ihre ehrlich Überraschung über exotische Ausgaben wie ORF-Gebühren: „Ihr zahlt für das Staatsfernsehen? – Auf so eine Idee ist noch nicht mal unsere Regierung gekommen…!“
Das muss man in gewisser Weise mal so stehen und wirken lassen…

Staatsfernsehen

Manager allein bei der Sinnsuche

[dropcap type=”3″]A[/dropcap]rbeit soll Sinn machen, etwas – das ist ein dehnbarer Begriff – verbessern, und im Unternehmen und ausserhalb dazu beitragen, dass Probleme gelöst und Situationen verbessert werden. Wie das genau aussieht, liegt oft im persönlichen Ermessen derjenigen, die Entscheidungen treffen. Nach welchen Kriterien treffen Manager, die allein schon auf Grund der Unternehmensgröße im Rampenlicht stehen, Entscheidungen?
Der deutsche Soziologe Nikolas Gebhard hat Manager aus dreissig DAX-Unternehmen zu ihrem Verantwortungsbegriff befragt und ein Buch daraus gemacht.

Auf der Suche nach Verantwortung

Einige Ergebnisse sind vorhersehbar – CSR-Abteilungen haben selten direkten Einfluss auf Geschäftsentscheidungen, Compliance ist eine Übung, um Regeln zu befolgen, bei der die Befolgung der Regeln meistens über ihrem Inhalt steht – einiges ist aber auch überraschend. Zumindest in dieser Deutlichkeit.
Manager machen ihren Begriff von Verantwortung und Ethik großteils allein mit sich selbst aus. Konzepte zu anderen Wirtschaftsformen werden vielleicht aus dem Augenwinkel wahrgenommen, aber selten aktiv verfolgt. Am häufigsten diskutieren Manager ihr Verantwortungsverständnis nicht mit Spezialisten, sondern zu Hause – oder gar nicht.
Die ausdrücklich angeführten Gründe sind Stress, mangelndes Vertrauen in Ansprechpartner im eigenen Unternehmen, wenig persönliche Kontakte zu Peers in anderen Unternehmen (oder keine Zeit dafür); nicht ausdrücklich angeführt ist der Erwartungsdruck, keine Umwege zu gehen, keine ausgefransten Angriffspunkte zu geben: Managerkarrieren werden immer stromlinienförmiger, stellt Gebhard fest. Leute absolvieren die gleichen Business-Schools, in denen die gleichen Programme unterrichtet werden, machen ähnliche Erfahrungen – und müssen dann am Ball bleiben; es bleibt wenig Zeit, links oder rechts zu schauen.
Abweichende Diskussionen finden in anderen Sphären statt, Zweifel gilt als ein Zeichen von Schwäche oder Unentschlossenheit.

[quote_center]Viel wissen und trotzdem eine Meinung haben ist eine echte Herausforderung.[/quote_center]

[dropcap type=”3″]M[/dropcap]it wem reden dann eigentlich die Berater in philosophischen Praxen, die Visionäre der Work Life Balance und die stetig zahlreicher werdenden Ethik-Spezialisten?
Transparenz, Anti-Korruption, ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind große Themen dieser Zeit – und sie eignen sich sehr gut für reduzierte Abstraktionen: Einer Form wird genüge getan, es gibt Regeln, deren Befolgen verhindert, dass Fragen gestellt werden müssen, und es gibt immer ausreichend Möglichkeiten, Erfolg festzustellen.
Das zeigt sich auch in den Manager-Interviews immer wieder: Es gibt, isoliert betrachtet, eine Vielzahl von Verantwortungsmöglichkeiten – den Mitarbeitern, den Gesellschaftern, der Umwelt, der Gesellschaft gegenüber – irgendeine dieser Verantwortungen wird mit Sicherheit immer erfüllt sein. So lesen sich auch die meisten Interviews mit Executives in ökologisch orientierten Magazinen: Erst werden einige Fakten und gute Taten aufgezählt, stehen dann noch immer Fragen im Raum, werden Regeln und Gütezeichen bemüht – bis jede weitere Frage eigentlich alle Nachhaltigkeitsorganisationen und -regeln selbst in Frage stellen würde.
Einen Schritt hinter diese Voraussetzungen zu gehen und sich der Offenheit zu stellen, bedeutet noch keineswegs Beliebigkeit. Das ist eine häufige Verwechslung in allen Diskursen, die sich nicht auf unhinterfragte Annahmen zurückziehen. – Viel wissen und trotzdem eine Meinung haben ist eine echte Herausforderung. Aus dieser Haltung heraus dann noch die Zeit und Entschlossenheit zu finden, etwas umzusetzen, macht dann den Unternehmer aus.
Aber halt, Manager sind ja keine Unternehmer. Sie predigen nur Angestellten, dass die unternehmerisch denken sollen. Und die fragen sich dann, warum sie eigentlich überhaupt etwas tun sollen. – Was heisst das für Arbeit, von dieser Frage sind wir ja ausgegangen.
Zahlen belegen, dass derzeit in Unternehmen vor allem Lähmungserscheinungen vorherrschen: Soll ich wirklich? Ist es das wert? Darf ich das machen? Mach ich nicht lieber was anderes oder noch lieber gar nichts? Diese Fragen stellt sich jeder auf allen Ebenen; in den Niederungen schlägt sich das aufs persönliche Engagement nieder, in den höheren Sphären auf Risiko- und Entscheidungsfreudigkeit. Wir ziehen uns auf Zahlen und ökonomisch nachvollziehbares zurück; oder wir machen einfach weiter wie bisher.
Wer glaubt, dass einfach so andere Wege möglich sind, kann schon mal Pflaster und Bandagen kaufen. Glaubt mir, ich habe das ausprobiert.

[pull_quote_right]”Life is like a jigsaw puzzle. When you come to work, the pieces of your conscience all get jumbled up. My job is to remind you what the picture on the box looks like.“[/pull_quote_right] [dropcap type=”3″]A[/dropcap]rbeit ist auf der einen Seite heute nicht mehr produktiv – es gibt viel zu viele Jobs, die weder für Unterhaltung sorgen noch notwendig sind; die Welt würde einfach auch ohne sie problemlos weiterlaufen. Auf der anderen Seite fordert Arbeit heute so wenig, dass allein in ihrer Bewältigung kein Sinn zu sehen ist. Der Sinn wird in vermeintlich größeren Kreisen gesucht; und es ist durchaus ein Symptom, dass wir dabei viel zu oft immer wieder bei uns selbst landen und weniger bei einem Gesamtbild, das grundsätzlich erstrebenswert wäre.
Wahrscheinlich fehlt die Lust auf diese Perspektive. Oder wir können sie einfach nicht gut vermitteln.
Roger Steare, einer der Philosophie-Praktiker, die ganz gut im Geschäft sind, formuliert es recht einfach: “Life is like a jigsaw puzzle. When you come to work, the pieces of your conscience all get jumbled up. My job is to remind you what the picture on the box looks like.“
Dieses Bild zu zeichnen, ist an sich schon eine Aufgabe. Es in eine verständliche, nachvollziehbare Form zu bringen und es auch vermitteln zu können, ist dann der eigentliche Brocken. Das wird in Gesprächen zu Hause nicht funktionieren. Es wird auch in klassischen Branding-Prozessen und Marketingplänen nicht funktionieren. Deswegen hat der Stellenwert von Arbeit – und damit auch die Art von Verantwortung, die wir ökonomisch ausüben können – viel damit zu tun, wie wir über Arbeit kommunizieren. Unternehmen brauchen nach innen und nach aussen andere Formen der Kommunikation, die sich dem stellen.

Arbeit.net – Organisationen in der Zwickmühle

[quote_box_right]Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer?[/quote_box_right]

[dropcap type=”1″]D[/dropcap]ie Domain arbeit.net ist leider schon von einem Domain-Piraten gekapert; mein großzügiges Angebot, die url für 20 € zu kaufen, wurde bis dato ignoriert.
Schade, wäre ein weiteres nettes Fundstück für meine Domainsammlung geworden – und beschreibt ausserdem sehr treffend eine Einstellung, die sich durch viele Diskussionen rund um Arbeit, Organisationen und Karriere zieht.
Arbeit ist so wichtig, dass dieses soziale Konstrukt auf der einen Seite verklärt und in einen merkwürdigen Sonderzustand gehoben wird, auf der anderen Seite verteufelt, kritisiert und als Sklaverei entlarvt. Die einen suchen ihr Heil in Sinn, Verantwortung und Nachhaltigkeit – Arbeit muss nicht nur Geld bringen, sondern Sinn stiften und ein paar Schritte in Richtung Weltverbesserung machen. Die anderen suchen Unabhängigkeit – Startups sonnen sich im ruhmreichen Heiligenschein des Unternehmertums; was sie genau machen, ist dabei weniger wichtig, als dass sie es unabhängig machen – und Investoren anziehen. Kaum etwas ist unsexier als ein Business, das eigentlich keine Investoren, sondern nur Kunden braucht… Beide Seiten haben ihre Publikationen wie das nachhaltige Wirtschaftsmagazin Enorm zum einen und die Startup-Glorifyer Businesspunk zum anderen.

Arbeit

Aber auch jenseits von Startups und neuen sinnvollen oder nachhaltigen Wirtschaftsformen machen sich Veränderungen rund um den Begriff Arbeit bemerkbar. Studien großer Beratungsunternehmen  zeigen, dass ein Großteil der Mitarbeiter auch traditioneller Unternehmen sich eher einen Dreck darum schert, was das Unternehmen von ihnen möchte. Dienst nach Vorschrift ist der passive Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung durch Unternehmer? Und es ist – vor dem Hintergrund der Sinnsuche, die andere durchlaufen – heute für jeden völlig ok, Dienst nach Vorschrift zu machen. Was vor einigen Jahren noch ein undynamischer Sesselfurzer war, ist heute ein selbstbestimmtes selbstbewusstes Individuum, dass sich nicht von der Organisation vereinnahmen lässt. 
Die übliche Reflexantwort, es handle sich hier um die Symptome eines Generationenwechsels, junge Menschen hätten eben andere Werte als Job und Karriere, wird durch Untersuchungen ebenfalls widerlegt. Die deutlichsten Spuren von Restengagement finden sich bei den jüngsten und bei den ältesten Arbeitnehmern.
Die reale Belastung im Job ist hier ebenfalls ein schwammiges Kriterium. Bullshit-Jobs, das sind nicht so sehr schlecht bezahlte Macjobs, sondern Tätigkeiten, ohne die sich die Welt auch ohne weiteres weiterdrehen würde, und in denen Leistung oder Ergebnisse nur eine untergeordnete Rolle spielen, zeigen naturgemäss einen sehr hohe Affinität zum Pfeif-drauf-Mindset. – Oder zur umgekehrten Einstellung, die konkrete persönliche Belastung wäre so hoch, dass es vollkommen ok ist, immer wieder mal auf die eigene Bremse zu steigen.

Und dann gibt es auf der anderen Seite die, die trotz allem etwas aus sich gemacht haben. Oft auf verschlungenen Pfaden oder in Richtungen, die nur wenig mit Ausbildung und ursprünglicher beruflicher Ausrichtung zu tun haben. Neuartige Karriereportale wie Whatchado und dessen Klone haben die Lüftung dieser Geheimnisse zu ihrem Geschäftsmodell gemacht: Menschen erzählen in kurzen Videos, wie sie zu dem geworden sind, was sie nun beruflich sind, und liefern Einsteigern so Orientierung und Unternehmen eine Möglichkeit, sich als trotz allem interessante Arbeitgeber zu präsentieren.
Ist das ein Schritt in Richtung Offenheit und Chancengleichheit zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer, oder nur eine etwas modernisierte Form von Einführungstagen für neue Mitarbeiter, wie es sie immer schon gab? Jedenfalls tritt der Stellenwert von Kommunikation und Kommunikationsmitteln in den Vordergrund: Es ist wichtig, wie sich Unternehmen präsentieren, wie sie in Kontakt mit ihrer Umwelt treten, und über welche Mittel und Wege sie das tun.
Inhaltlich oder substantiell betrachtet ist das eine geringfügige Demokratisierung bestehender Wege – die Information steht jedem immer und überall offen, nicht nur während Berufsorientierungsmessen oder innerhalb von Unternehmen während Einführungstagen.
Versuche, Klartext zu reden, gibt es aber schon lange. Seit Jahren schreiben gescheiterte – oder über die Zwänge der Organisation transzendierte – Manager Entlarvungsbücher über den Fake- und Poser-Irrsinn innerhalb von Organisationen und kaum noch jemand steht zu den überlieferten Organisationsformen und deren Werten. Aber trotzdem funktionieren sie bestens. Erving Goffmann und Eric Berne lassen grüssen – wir spielen alle nur Theater. Das ist unvermeidlich. Aber wir sollten es wissen. Und wir sollten wissen, dass auch unser Gegenüber nur Theater spielt. Das gilt für den jungdynamischen Trainee, der ja nur mitspielt, um an den Schotter zu kommen, aber in Wahrheit alles ganz anders machen würde, ebenso wie für den toleranten Manager, der ja gern von jungen Mitarbeitern gefordert wäre, das gleichzeitig aber nicht zulässt, ebenso wie für den Verweigerer, der sich eben gern verweigern würde, aber halt doch ein Einkommen braucht.

Das ist alles nicht neu. Neuer ist, dass immer dichtere Kommunikation die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass diese Einstellungen öffentlicher werden. Das gilt innerhalb des Unternehmens – sozialer werdende Intranets lassen Rückmeldungen zu, stellen Information auf die Probe und lassen Mitarbeiterfeedback (ob nur gewollt oder nicht) zu einem internen Stimmungsbarometer werden. Und es gilt ausserhalb des Unternehmens: Anforderungen an Tempo und Qualität der Kommunikation steigen und setzen damit die Unternehmenskommunikation unter Druck.
Das kann zu konkretem Dialog führen. Es kann aber auch dazu führen, dass jeder nur noch sein eigener PR-Agent ist. Und wenn das so ist – wo bleibt dann das Publikum?

Das stellt alle, die Organisationen entwickeln wollen, vor ein Problem. Welchen Stellenwert hat Arbeit als ein Weg, einen Platz in der Welt zu besetzen, und welche Rolle spielt Kommunikation in der scheinbar so wichtigen Sinnstiftung? Zeit für eine neue Posting-Serie

LCD Manifesto – Long Copy Digital

[quote_box_right]Quality is a source of fun[/quote_box_right]

These are just some basics on why I’m running this project and why I think that that it meeds some basic needs that everyone who is currently dealing with online media needs to find answers to.

LCD Long Copy Digital Manifesto

  • What is short? Keep it simple and shareable, is what experts say about digital content. So it does not have to be short and simple anymore? I think flexibility is the key – give users the opportunity to work with only small bits or the full version of contents; it should be up to them.
  • Whom do you want to impress? Users? Customers? Your editors, owners or colleagues? Many digital magazines are just dressed to kill – they show that they can use a lot of technology, always on the edge, and that they can create some unforeseen experiences. But does it fit to the story they want to tell? Rarely. Yes, it might be necessary to start over from scratch with every new story. We have to acknowledge that there are not any really established standards in digital storytelling. Just remember Neuland.
  • How long is long? I think this is not a matter of characters and numbers, but mainly of what users feel about it: Do they lose orientation? Do they always now where they are, how far along in the story they are? Do they see all they need to for now on one screen or do they at least know what they have to do next? – Long is less a matter of numbers but of boredom.

[pull_quote_center]The LCD-project is an initiative to focus on quality in digital media.[/pull_quote_center]

  • No, it’s not about tablets. While I’m working with my laptop or iMac, I also want to have a nice reading experience. If I have to take my iPad instead – what’s the point? I could as well grab a printed magazine.
  • And it’s not about he next thing, not about replacing books or paper. It’s about finding the plus: where does it make sense to go digital, and how does it make sense?
  • And finally: I’m working on this, because I really believe that digital media literacy will be a very important skill in the near future. We have to get used working with digital tools for working-, learning-, shopping- and government- or tax-issues. We are already quite advanced in using digital media for communication-issues. But in all this, we mainly focus on speed, reach and efficiency – not that much about quality. The LCD-project is an initiative to focus on quality in digital media. And one reason why I’m doing this, is that I believe that quality can be a true source of fun…

LCD – Long Copy Digital

[quote_box_right]Explore new ways to present long editorial content online. [/quote_box_right]

Some hate scrolling. Other hate paging. Most don’t want to read at all, research says. On the other hand, we spend hours everyday researching information online – but why don’t we still have found satisfying ways to deal with big amounts of content, and not just data, to use the full power of digital media instead of just playing with it, and to create a user experience for digital editorial content that puts the content in the center, and not the glamour of some designers ideas?

LCD - Long Copy Digital

I’ve spent quite some time building online platforms for publishing corporations (among others news.at, oe24.at) or intranets for international companies handling huge amounts of content. You get used to deal with challenges like Single Sign On, home page real estate, minor design issues that grow to major troubles (should all links look the same? and what if headlines are links? and do they need to follow basic design and usability standards like being underlined?), and to the bipolar desires of editors who want to have a maximum of flexibility and a maximum of comfort and easiness at the same time.
You spend a lot of effort on creating an online experience that lets users know at the first glance that there is a lot of content, that they should continue to click and that they should stay on your site.

[pull_quote_center]We’ve gotten used to the assumption that users don’t want to read online, that it’s mandatory to keep stuff short and that bulletpoints are the highway to deliver information online.[/pull_quote_center]

But what happens if a user really clicks on a story and wants to read it? He is left on a page with tons of letters, maybe some images, videos or interactive charts, but how do we help him to read that? I think that most design efforts stop before they have to solve some real issues; they focus on impressing users and on making them click, but they’re not really helpful in presenting the content itself. It’s like inviting users in a fancy restaurant with superior interior design, but once they really want to eat, you have to tell them that there are only two dishes to choose from – but they can look at the interior, if they want some more entertainment.

We’ve gotten used to the assumption that users don’t want to read online, that it’s mandatory to keep stuff short and that bulletpoints are the highway to deliver information online. Fine, but on the other side, everybody who is doing digital editorial work still feels that digital media could be a great way to deliver much more information and many different facets of information that we can not pack in a print edition. Where to put all the photos, video takeouts and the many more notes and comments that did not make it into the printed story. – Let’s publish them online. And that’s where they stay unnoticed, where they bore users and where they help to create the impression that digital media are just not made for reading. This can’t be it. There must be more to digital editorial content – more experience, and more than just recycling what you did not want to put in a print edition.

This is what the LCD – Long Copy Digital-Project is about. I think that there are many ways to create satisfying digital reading experiences; the technology is there, the content is there – we just need to find smart ways to combine them. And we need to take a step back from what we are used meanwhile from content management- and editing-systems. The focus for now is not to have lean and fast workflows that help us to publish lots of content in no time with no technical knowledge, but to create media that users like – even if it requires ineffective ways like manual coding.
It’s an experimental approach, but I want to give it some time. And some first prototypes will follow soon…

Agiles Publishing – eine Sache für digitale Universalgelehrte?

Ein neues Schlagwort macht die Runde in der Publishing-Branche: Ist “Agiles Publishing” die Antwort auf die Herausforderungen, die die Kombination von Print und Online, schneller werdende Produktionen und immer komplexere Medienumwelten an Publishingbranche und Unternehmen stellen?
Gewohnte Vierteljahreszyklen in der Produktion von Unternehmensmagazinen werden durch begleitende Onlinemassnahmen durcheinandergebracht, einer Studie der Altimeter Group zufolge  betreiben die Fortune 500-Unternehmen der USA durchschnittlich 178 Web- oder Social Media-Auftritte, und die Herausforderung,  immer mehr und bessere Inhalte zu produzieren, lässt den Personalbedarf explodieren: Unternehmen, die für ihre Publikationen auf allen Kanälen bewundert werden, haben das nicht nur dank guter Ideen erreicht, sondern auch mit durchschnittlich elf dafür abgestellten Mitarbeitern.
Mit der Menge allein ist es nicht getan. Hier setzen die Autoren Detlev Hagemann, Georg Obermain und Matthias Günther mit ihrem Konzept des agilen Publishing an. Der Kern: Die Ideen des agilen Programmierens, die etwa in der Scrum-Methode beschrieben sind, werden auf Kreations-und Redaktionsprozesse umgelegt.
Anstelle ins Detail ausdefinierter Konzepte und Pflichtenhefte treten Userstories und sogenannte Sprints: Anwendungen werden nicht funktional beschrieben, sondern aus Sicht des Users erklärt: “Als … möchte ich …, um…” Diese handlungsorientierten Kurzbeschreibungen werden in Sprints – sehr kurzen Entwicklungszyklen – umgesetzt und gleich danach dem Auftraggeber vorgestellt.
Aus der Summe der einzelnen Userstories ergibt sich dann das fertige Produkt, das dank der vielfachen Reviewzyklen den Kundenbedürfnissen noch besser entsprechen soll.
Für den Auftraggeber bedeutet das, er oder sie muss sich weit mehr als bisher in die Umsetzung des Projekts involvieren. Ein Auftrag zu Beginn und eine Abnahme am Ende sind nicht ausreichend – die Ergebnisse der Sprints werden auch bei längerfristigen Projekten in wöchentlichen oder mindestens vierzehntägigen Meetings vorgestellt.
Für Agenturen bedeutet der beschriebene Wandel vor allem die Notwendigkeit, die eigene Organisation zu überdenken: Ist es noch sinnvoll, in getrennten Design-, Redaktions- und Entwicklungsteams zu arbeiten? Sind fokussierte Spezialisten wirklich die erste Wahl für agile Produktionen, oder werden Generalisten immer wichtiger? Und müssen sich Mitarbeiter daran gewöhnen, mehrere Jobs gleichzeitig zu machen – und trotzdem noch einem besonderen Bereich herausragend zu sein?

In ersten Gesprächen über das Buch habe ich schon Gegenmeinungen gehört, die hier eine Fortsetzung des Trends zur Verwässerung von Kommunikationsskills sehen: Jeder soll alles können, jeder soll überall mitmischen – und keiner ist mehr Meister auf seinem Gebiet. Agiles Publishing
Ich halte das für einen Irrtum: Es ist eine Tatsache, dass flexible und reichhaltigere Medien auch eine flexiblere und vernetztere Planung erfordern, und dass unterschiedliche Expertisen nicht so klar voneinander abgegrenzt werden können. Und ich sehe keinen so dramatischen Unterschied zu Kreationsprozessen im Printbereich: Auch hier haben die Entscheidungen des Designers mehr Einfluss auf die Arbeit des Redakteurs, als nur mehr Fotos oder Textkürzungen notwendig zu machen. Und leichter und zielführender wie die Arbeit, wenn die Zusammenarbeit am Beginn steht – und nicht erst am Ende.
Nur kommt im digitalen Bereich mit der Entwicklung eine dritte Komponente dazu, die sich stärker in Planung und Kreation einbringen kann. – Könnte man von der Druckerei, um bei der Printanalogie zu bleiben, natürlich auch behaupten, nur sind hier die Einflüsse nicht so fein steuerbar – sie gelten meistens für das ganze Produkt (oder nur das Cover), aber nicht für einzelne Inhalte.
Den Entwickler, das Redaktionstool oder manchmal auch bestimmte Libraries für den Eigenbedarf ernstzunehmen und nicht nur als Einschränkung oder Hindernis zu sehen, ist die eigentliche Neuerung, die ich in Agilem Publishing als Arbeitsweise sehe. 
Damit taucht ein neues Zeitalter von Generalisten auf – nur ist die digitale Universalgelehrtheit nicht vorrangig eine Managementangelegenheit, sondern Handwerk: Jeder muss die Auswirkungen seiner Entscheidungen abschätzen können. Und zwar selbst. Das Digitale ist nunmal der natürliche Feind des Delegierens. 

Content Marketing – wer kriegt das größte Stück vom Kuchen?

Content Marketing halte ich für eine der aktuell spannendsten Disziplinen in der Medienstrategie und -vermarktung. Das war hier schon mal Thema und auch eines der interessantesten Panels beim Werbeplanung.at-Summit. Offen ist vor allem auch: Wer kriegt hier das größte Stück vom Kuchen, und welche Auswirkungen hat intensives Content Marketing auf Werbebudgets und Ausgaben für traditionelle Mediaplanung?

Content Marketing

Lukas Kircher, der sich vom Zeitungsdesigner zum Contenmarketer verwandelt hat, Eric Schöffler, Chief Creative Office bei DDB Tribal, und Rolf Dieter Lafrenz von der Beratungsgruppe Schickler referierten zu Content Marketing.

Schöfflers Case, die Move On-Produktion für die Deutsche Telekom, ist ein Grenzfall zwischen Contentmarketing, Brandet Entertainment, Social Marketing und Corporate Publishing, der darin gipfelte, dass der Film – eigentlich ein als Spielfilm getarnter Werbefilm – letztlich von Fernsehsendern als Spielfilm gegen bares Geld gekauft wurde. Wieder ein Beispiel dafür, wie sich die Qualität aufwändiger Produktionen durchsetzt.

Dem ging allerdings eine lange und nervenaufreibende Produktion voraus. Die Idee, statt einer klassischen Kampagne User in die Produktion eines Films zu involvieren, setzte schon vor und während der Produktion massive PR voraus, erforderte eine komplexe eigene Plattform, auf der User Vorschläge machen, sich für kleine Rollen im Film bewerben und am Drehbuch mitarbeiten konnten und brachte auch die Leute im Communitymanagement des Projekts an ihre Grenzen. DDB nennt die Arbeitsweise Social Creativity.

Auf der Plattform zum Film (einer Microsite der Deutschen Telekom) und den anderen begleitenden Massnahmen wurden insgesamt über sechs Millionen Kontakte erzielt, der Film selbst wurde dann von drei Millionen Zuschauern gesehen.

Das Marketing war in diesem Fall in die Produktion integriert; wer Sinn für Haarspalterei hat, könnte auch darüber diskutieren, ob das nicht eher Crowdsourcing als Content Marketing war. Ebenso lässt sich wohl ein wenig bezweifeln, ob ausser einer positiven Grundstimmung – “Die Telekom macht da was Cooles” – auch noch andere Inhalte transportiert wurden. – Trotzdem ist das eine ziemlich eindrucksvolle Sache, und allein das positive Grundrauschen an sich ist schon mal Gold wert. Ein Motto, das Schöffler über das Projekt stellte: “Leute lesen, was sie interessant finden. Manchmal ist das eben Werbung” (nach Howard Gossage).

Gold wert vor allem in Zeiten, in denen Werbung zunehmen nervt. Digitale oder mobile Entführungsstrategien, die User wider willen zu irgendwelchen Landingpages hijacken, Unterbrecher oder Überlagerungen sowie einfach schlecht gemachte Werbung sorgen dafür, dass bald schon die Hälfte aller Werbemassnahmen negative ROI-Zahlen erzeugen. – Das waren einige Zahlen, mit denen Lukas Kircher seine Präsentation eröffnete.

Während Werbung eben nervt, wenig Neuigkeiten bietet, Glaubwürdigkeitsprobleme hat und damit zunehmend auch vor der Sinnfrage steht, werden gute Geschichten immer noch gern gelesen. Das alte Social Media-Mantra “Rede mit Leuten so, wie du auf einer Party mit ihnen reden würdest – nicht wie in einem Werbespot” gilt auch umso mehr im Corporate Publishing und Contentmarketing. Legendäre Beispiele sind die Coca Cola Content 2020 Strategie unter dem Schlagwort “Liquid Content”: Content passt sich seiner Verwendung an, ist flexibel einsetzbar und bietet viele Anknüpfungspunkte, die dann gemeinsam mit User weiterentwickelt werden können. Deutlichstes Anzeichen ist die Startseite des Cola Corporate Webseite, die zur Gänze auf Produkte, Gewinnspiele und ähnliche Klassiker verzichtet und nur noch Content bietet. Das Liquidity-Motiv tauchte übrigens schon lang vor den Coca Cola-Initiativen in den Schriften des Medienphilosophen Charles Ess auf, der “fluidity of information” als einen der wesentlichen Unterschiede zwischen digitalen und traditionellen Medien beschreibt: Content wandert, mit mehr oder weniger Kontext, größerer oder kleinerer Reichweite – das bedeutet, wir können nie sicher sein, was wo in welcher Form ankommt. In dieser Tatsache stecken Freiheit und Chancen ebenso wie steigende Verantwortung: Selbst wenn wir es nicht so meinen – ein paar Shares oder Retweets später kann unser ursprünglicher Content eine vollkommen andere Bedeutung haben.

Ein weiterer Punkt aus Kirchers Ausführungen: Unternehmen brauchen keine (Nachrichten)Medien mehr. Sie produzieren ihre Medien selbst, erzeugen, kaufen oder recyceln ihre eigenen Contents und schaffen ihre eigenen Kommunikationsimperien. “Ich brauche Sie eigentlich nicht mehr” soll auch Dietrich Mateschitz schon nach einigen wenigen Jahren Red Bull Media House den großen deutschen Zeitungsverlagen erklärt haben.  – Das ist wohl auch ein Aspekt, der in der Diskussion um schwindende Werbebudgets für Medienhäuser eine Rolle spielen sollte; Werbung und Marketing sind heute um einiges mehr als Anzeigen. Oder andersrum: Zur sinnvollen Kommunikation für Unternehmen gehört mehr als Marketing. – Kircher: “Wer Wertvolles will (die Aufmerksamkeit der Kunden) muss etwas Wertvolles geben.”

Die Dinge anders und besser zu machen stellt aber auch einige neue Anforderungen an Unternehmen. Die Grenzen zwischen Kommunikations- und Organisationsberatung sind zusehends fliessend. Auf diesen Punkt ging vor allem Rolf Dieter Lafrenz ein. Kommunikation muss anders geplant werden – und Reaktionen müssen laufend beobachtet werden können. Kommunikation fängt dann erst mal richtig an, wenn die Botschaft draussen ist – dort wo klassische Werbung endet -, und Interaktion kann rund um die Uhr stattfinden. Shitstorms brechen mit Vorliebe am Wochenende los und sollten dann keine böse Überraschung am Montagmorgen darstellen.

Contentmarketing, Digital und Interaktion sieht Lafrenz als die großen Trends in der Unternehmenskommunikation. Und das braucht eben auch neue Formen der Organisation in der Kommunikation und manchmal darüber hinaus. Das gilt einerseits für die Zeit, vor allem aber auch für die Recherche und Produktion der Inhalte. Ein Kommunikationsverantwortlicher, der alles abdeckt – das funktioniert bestenfalls für die Reaktionsseite. Medienanfragen können beantwortet werden, Geschäftsberichte und andere Standardaussendungen können produziert werden. Interessanter Content braucht mehr. So wie Redaktionen nicht pauschal alle Themen abdecken sondern in verschiedenen Ressorts mit spezialisiertem Knowhow und unterschiedlichen Kontakten ein Produkt erstellen, liegt auch die Zukunft der Unternehmenskommunikation in Content-Desks, die in Zusammenarbeit mit Fachbereichen des Unternehmens Themen aufspüren, auf die Kommunikationsstrategie hin abstimmen und . auch in Zusammenarbeit mit Partnern – anziehenden Content produzieren. Wie diese Zusammenarbeit organisiert werden kann und ob der Content-Desk in Form einer Abteilung, als Netzwerk von Spezialisten in verschiedenen Abteilungen, unter der Führung der Kommunikationsabteilung oder als eigener Bereich angesiedelt werden kann – mit diesen Fragen beschäftigt sich auch ein aktueller Report der Altimeter Group (“Content Marketing – Feed the Beast”).

 

Eine spannende Frage ist für mich auch, welche Art von Dienstleistern sich den größten Anteil des hier entstehenden neuen Kuchens sichern wird. Werden es PR-Agenturen sein, die oft nah an Unternehmen und den Kommunikationsabteilungen arbeiten, aber oft erstaunlich wenig Sinn für Content haben? Werden es Werbeagenturen sein, die der Meinung sind, mit Digital und Interaktion am besten umgehen zu können? Oder Social Media Agenturen, die sich Interaktion auf die Fahnen schreiben? – Mein persönlicher Favorit sind Corporate Publisher: Sie haben Sinn für Content, kennen Unternehmen und sind es gewohnt, Themen aufzuspüren, und sie können mit Content Marketing zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen: Es entstehen neue Geschäftsfelder – und auch die bisher erbrachten Leistungen werden noch einmal mit mehr Wert für den Kunden aufgeladen. Jetzt muss sich Corporate Publishing nur noch aus der bisher oft überwiegenden Print-Ecke in Richtung neuer Kanäle bewegen…